Urteil des BGH vom 06.02.2007

Meistbegünstigungsvereinbarung Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
X ZR 117/04 Verkündet
am:
6.
Februar
2007
Potsch
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Meistbegünstigungsvereinbarung
BGB §§ 242 Be, 252; ZPO § 287
a) Ein Auskunftsanspruch, der den Gläubiger in die Lage versetzen soll, die
für eine Schadensschätzung erforderlichen Anhaltspunkte für einen ent-
gangenen Gewinn darzulegen, darf grundsätzlich nicht mit der Begründung
verneint werden, es sei unwahrscheinlich, dass der Gläubiger mit Hilfe der
erhaltenen Angaben entgangene Umsatzgeschäfte konkret darlegen könne.
b) "Unschwer" ist eine Auskunft immer dann zu erteilen, wenn die mit der Vor-
bereitung und Erteilung der Auskunft verbundenen Belastungen für den
Schuldner entweder nicht ins Gewicht fallen oder aber, obwohl sie beträcht-
lich sind, dem Schuldner in Anbetracht der Darlegungs- und Beweisnot des
Gläubigers und der Bedeutung zumutbar sind, die die verlangte Auskunft
für die Darlegung der für Grund oder Höhe des Hauptanspruchs wesentli-
chen Umstände hat.
c) Die Zumutbarkeit ist jeweils aufgrund einer Abwägung aller Umstände des
Einzelfalles zu beurteilen, bei der auch Bedeutung gewinnen kann, ob der
Schuldner ein schützenswertes Geheimhaltungsinteresse an Angaben gel-
tend machen kann, die er machen soll, oder ob er zu deren Offenbarung
gegenüber dem Gläubiger ohnehin verpflichtet war.
BGH, Urt. v. 6. Februar 2007 - X ZR 117/04 - OLG Frankfurt a.M.
LG
Darmstadt
- 2 -
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 6. Februar 2007 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den
Richter Scharen, die Richterinnen Ambrosius und Mühlens und den Richter
Prof. Dr. Meier-Beck
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 13. Zivilsenats in
Darmstadt des Oberlandesgerichts Frankfurt am Mai vom 23. Juni
2004 im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben, als das Berufungs-
gericht die Berufung der Klägerin im Umfang der im Wege der Stu-
fenklage verfolgten Ansprüche auf Auskunft über Beschaffungsvor-
gänge in der Zeit vom 14. Juni bis 31. Dezember 1995, insoweit ei-
desstattliche Versicherung der Richtigkeit und Vollständigkeit der
verlangten Angaben und Schadensersatz (Klageanträge zu 1, 3
und 4) zurückgewiesen hat.
Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Verfahrens vor
dem Bundesgerichtshof, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
- 3 -
Tatbestand:
1
Die der "T. -Gruppe" angehörende Klägerin liefert Kunststoffteile an
Kraftfahrzeughersteller. Die beklagte A. GmbH (vormals AG) stand
und steht mit ihr in Geschäftsbeziehungen.
2
Als 1993 mit D. ein anderer Zulieferer in Konkurs fiel,
übernahm die von G. T. beherrschte T. -Gruppe drei frühere
D. -Werke. In der Folgezeit kam es zwischen der T. -Gruppe einerseits
und der Beklagten und anderen Automobilherstellern andererseits zu Verhand-
lungen über die zukünftigen Vertragsbeziehungen. Am 14. Juni 1995 trafen die
Parteien eine Vereinbarung, nach der T. sich bis auf eine Minderheitsbe-
teiligung von den übernommenen Unternehmen trennen und die Klägerin im
Gegenzug bei der Lieferung von Kunststoffteilen bevorzugt berücksichtigt wer-
den sollte. Dazu hieß es in Nr. 9 der Vereinbarung (Satznummerierung hinzuge-
fügt):
"
1
Der Hersteller [Beklagte] bindet die T. [Klägerin] bei allen be-
nötigten Kunststoffteilen, Baugruppen, Systemen und Modulen
frühzeitig in den Anfrageprozess ein.
2
Gibt die T. das wettbe-
werbsfähigste Angebot ab, wird der Auftrag an T. vergeben.
3
Für die Wettbewerbsfähigkeit sind die Faktoren Preis, Qualität,
Technik und Lieferfähigkeit ausschließlich maßgeblich.
4
T. er-
hält Gelegenheit zu einem Nachtragsangebot.
5
Dabei ist vom Her-
steller auf technische Unterschiede zwischen wettbewerbsfähigs-
ten und dem T. -Angebot hinzuweisen.
6
Ist das Nachtragsange-
bot wettbewerbsfähig im vorbezeichneten Sinne, wird der Auftrag
an T. vergeben. …"
3
Mit der Behauptung, die Beklagte habe sie nur vereinzelt in den Anfrage-
prozess nach Kunststoffteilen einbezogen und ihr bis zum 31. Dezember 1996
- 4 -
nur in geringem Umfang Aufträge erteilt, hat die Klägerin die Beklagte im Wege
der Stufenklage auf Auskunft und Schadensersatz in Anspruch genommen.
4
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist
ohne Erfolg geblieben. Mit der insoweit vom Senat zugelassenen Revision ver-
folgt die Klägerin die Klageansprüche für die Zeit bis zum 31. Dezember 1995
weiter.
Entscheidungsgründe:
5
Die zulässige Revision führt im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung
des Berufungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungs-
gericht.
6
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Re-
visionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet: Der Klä-
gerin stehe der geltend gemachte Auskunftsanspruch nicht zu. Zwar sei die
Vereinbarung vom 14. Juni 1995 wirksam. Sie sei nicht sittenwidrig, weil die von
der Beklagten behauptete "Erpressung" durch Androhung einer Liefersperre
nicht substantiiert vorgetragen sei, und enthalte auch keine nach § 15 GWB
1990 verbotene Beschränkung der Beklagten in der Freiheit der Gestaltung von
Preisen oder Geschäftsbedingungen. Mangels einer unmittelbaren vertraglichen
Grundlage könne der geltend gemachte Auskunftsanspruch jedoch nur aus
dem Grundsatz von Treu und Glauben folgen. Es fehle indessen an einem
rechtlichen Interesse der Klägerin, das den "nahezu monströs" erscheinenden
Auskunftsanspruch rechtfertigen könne. Zwar spreche viel dafür, dass die Be-
klagte die seinerzeit geschuldeten Primärauskünfte (über die von ihr nachge-
- 5 -
fragten Kunststoffteile) bewusst nicht vollständig erteilt habe. Die Wahrschein-
lichkeit sei jedoch gering, dass die Klägerin überzeugend darlegen könne, die
Beklagte hätte ihr bestimmte Aufträge erteilen müssen. Die dazu erforderliche
Darlegung, dass sie - die Klägerin - den günstigsten Preis geboten hätte, berei-
te angesichts der Möglichkeit der Beklagten, die Teile auch in konzerneigenen
Werken herstellen zu lassen, kaum überwindbare Schwierigkeiten. Besondere
Probleme entstünden durch die Einbeziehung komplexer steuerrechtlicher La-
gen, die Einbeziehung von Werkzeugen in die Preisberechnung und die Krite-
rien der Lieferfähigkeit und Qualität. Entsprechend der geringen Wahrschein-
lichkeit, einen Schaden jemals überzeugend darlegen zu können, sei auch das
Interesse der Klägerin an den verlangten Auskünften gering zu bewerten. Un-
abhängig davon scheitere der Auskunftsanspruch auch daran, dass die Beklag-
te ersichtlich nicht "unschwer" zu der verlangten Auskunft in der Lage sei. Zwar
gehe es - das Berufungsgericht - davon aus, dass die Beklagte noch Zugriff auf
die zur Auskunft benötigten Unterlagen habe, jedoch sei der notwendige Auf-
wand unter Berücksichtigung des bereits bei Klageerhebung (am 8. Februar
2000) verstrichenen Zeitraums (von gut vier Jahren) unverhältnismäßig.
7
II.
Das hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung in entscheidenden
Punkten nicht stand.
8
1.
Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings angenommen, dass
der zwischen den Parteien geschlossene Vertrag wirksam ist.
a)
Ohne Erfolg rügt die Revisionsbeklagte, das Berufungsgericht ha-
be ihr Vorbringen außer Acht gelassen, dass für sie nach dem Zusammenbruch
von D.
die Gefahr einer Lieferunterbrechung bestanden habe,
die sehr schnell zu einem Produktionsstopp hätte führen können, und dass die
Klägerin diese Zwangslage ausgenutzt habe, um den Abschluss der Vereinba-
9
- 6 -
rung zu erzwingen. Die zutreffende Würdigung des Berufungsgerichts, die Be-
klagte habe keinen Sachverhalt vorgetragen, aus denen sich die Nichtigkeit des
Vertrages nach § 138 BGB wegen sittenwidriger Ausnutzung einer Zwangslage
der Beklagten ergebe, wird hierdurch nicht in Frage gestellt.
10
Die Voraussetzungen des § 138 Abs. 2 BGB, der außer der Ausnutzung
einer Zwangslage voraussetzt, dass sich der Vertragspartner für eine Leistung
Vermögensvorteile versprechen oder gewähren lässt, die in einem auffälligen
Missverhältnis zu der Leistung stehen, sind nicht dargetan. Zwar kann die Aus-
nutzung einer Zwangslage auch dann, wenn die Voraussetzungen des § 138
Abs. 2 nicht gegeben sind, einen Verstoß gegen die guten Sitten im Sinne des
Absatzes 1 begründen; das setzt jedoch voraus, dass die weiteren Umstände
des Sachverhalts dem Rechtsgeschäft nach seinem aus der Zusammenfassung
von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu beurteilenden Gesamtcharakter das Ge-
präge der Sittenwidrigkeit geben (vgl. BGHZ 69, 295, 299; 156, 302, 309 f.). Ein
derartiges Unwerturteil rechtfertigende Umstände sind indes mit der bloßen Be-
hauptung einer Zwangslage der Beklagten nicht dargetan. Es kann daher da-
hinstehen, ob die Feststellungen des Berufungsgerichts nicht auch die Ausnut-
zung einer Zwangslage ausschließen, wofür insbesondere sprechen könnte,
dass die Beklagte durchsetzen konnte, dass die getroffene Vereinbarung nur
dann über den 31. Dezember 1995 (d.h. über ein gutes halbes Jahr) hinaus
gelten sollte, wenn G. T. sich bis auf eine Minderheitsbeteiligung von
den übernommenen Unternehmen trennte.
11
b)
Ebenso wenig kann der Revisionsbeklagten darin gefolgt werden,
dass die Vereinbarung nach § 15 GWB 1990 nichtig sei. Der von ihr gezogene
Vergleich mit der "Garant"-Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGHZ 80,
43) geht fehl. Die Beklagte ist durch den Vertrag weder unmittelbar noch mittel-
- 7 -
bar in ihrer Freiheit beschränkt worden, mit Dritten bestimmte Preise oder Kon-
ditionen zu vereinbaren. Sie musste nur gegebenenfalls der Klägerin Gelegen-
heit geben, mindestens gleich günstige Konditionen anzubieten, und war inso-
fern in der freien Wahl ihres Vertragspartners beschränkt. Das hat mit § 15
GWB 1990 nichts zu tun.
12
2.
Mit Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht die Vor-
aussetzungen eines auf den Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB)
gegründeten Auskunftsanspruchs der Klägerin mit der gegebenen Begründung
nicht verneinen durfte.
13
a)
Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs gebieten
es Treu und Glauben, dem Anspruchsberechtigten einen Auskunftsanspruch
zuzubilligen, wenn die zwischen den Parteien bestehenden Rechtsbeziehungen
es mit sich bringen, dass der Anspruchsberechtigte in entschuldbarer Weise
über das Bestehen oder den Umfang seines Rechts im Ungewissen ist, und
wenn der Verpflichtete in der Lage ist, unschwer die zur Beseitigung dieser Un-
gewissheit erforderliche Auskunft zu er;
95, 285, 287 f.; 148, 26, 30; 152, 307, 316).
14
b)
Das Berufungsgericht ist zugunsten der Klägerin davon ausge-
gangen, dass der Klägerin ein Schadensersatzanspruch zustehen könne, weil
die Beklagte die seinerzeit geschuldeten (Primär-)Auskünfte über eigene Anfra-
gen nach Kunststoffteilen, die in das Produktionsspektrum der Klägerin fielen,
und die hierzu erhaltenen Angebote Dritter bewusst unvollständig erteilt habe.
Nach seinen Feststellungen haben allein die D. -Werke vor dem Erwerb
durch die T. -Gruppe jährlich Aufträge im Wert von etwa 180 Millionen DM
erhalten, während der Klägerin im Zeitraum von März bis Dezember 1995 nur
Anfragen mit einem Auftragswert von 90 Millionen DM mitgeteilt worden sind
- 8 -
und sich das Volumen der der Klägerin erteilten Aufträge lediglich auf 1,8 Milli-
onen DM belief. Gleichwohl hat das Berufungsgericht ein rechtliches Interesse
der Klägerin an den verlangten Auskünften verneint, weil die Wahrscheinlichkeit
gering erscheine, dass die Klägerin überzeugend darlegen könne, die Beklagte
hätte bestimmte Aufträge vereinbarungsgemäß an sie - die Klägerin - vergeben
müssen, und weil die Beklagte die verlangte Auskunft nicht "unschwer" erteilen
könne. Beide Erwägungen rechtfertigen die Versagung des Auskunftsan-
spruchs nicht.
α)
Das Berufungsgericht hat nicht beachtet, dass die Klägerin nicht
den Nachweis führen muss, dass sie bestimmte Aufträge erhalten hätte, wenn
die Beklagte sich vertragsgemäß verhalten hätte. Da die Klägerin Ersatz eines
ihr entgangenen Gewinns verlangt, kommt ihr vielmehr zugute, dass nach § 252
Satz 2 BGB derjenige Gewinn als entgangen gilt, welcher nach dem gewöhnli-
chen Lauf der Dinge oder nach den besonderen Umständen, insbesondere
nach den getroffenen Anstalten und Vorkehrungen, mit Wahrscheinlichkeit er-
wartet werden konnte. Der Gläubiger braucht daher nur die Umstände darzule-
gen, aus denen sich die Wahrscheinlichkeit eines entgangenen Gewinns ergibt,
wobei an die Darlegung keine zu strengen Anforderungen gestellt werden dür-
fen (BGHZ 100, 36, 49 f.; BGH, Urt. v. 6.6.2000 - VI ZR 172/99, NJW 2000,
3287, 3288; Urt. v. 2.5.2002 - III ZR 100/01, NJW 2002, 2556, 2557; Sen.Urt. v.
26.7.2005 - X ZR 134/04, NJW 2005, 3348). Bei der Beweisführung kommen
dem Gläubiger sodann die Erleichterungen des § 287 ZPO zugute, die dem
Gericht eine Schadensschätzung erlauben und sie gebieten, wenn feststeht,
dass ein Schaden entstanden ist, sich der Vollbeweis für die Höhe des Scha-
dens jedoch nicht führen lässt. Insbesondere darf das Gericht die Schätzung
eines Mindestschadens nur dann ablehnen, wenn es hierzu an jeglichen greif-
baren Anknüpfungstatsachen mangelt (Sen.Urt. v. 12.10.1993 - X ZR 65/92,
15
- 9 -
NJW 1994, 663, 664 f.; v. 1.2.2000 - X ZR 222/98, NJW-RR 2000, 1340, 1341;
v. 11.11.2003 - X ZR 131/01, BGH-Rep. 2004, 715, 716; v. 26.7.2005
- X ZR 134/04, NJW 2005, 3348, 3349). Der Auskunftsanspruch soll den Gläu-
biger gerade in die Lage versetzen, tatsächliche Umstände darzutun, mit denen
er einerseits seiner auch unter Berücksichtigung des § 252 Satz 2 BGB beste-
henden Darlegungslast nachkommen kann und mit denen er es andererseits
dem Gericht ermöglicht, auf der Grundlage des für wahrscheinlich zu erachten-
den Sachverhalts - gegebenenfalls mit sachverständiger Hilfe - die Höhe des
dem Gläubiger entgangenen Gewinns zu schätzen. Es ist daher grundsätzlich
schon im Ansatz verfehlt, dem Gläubiger bereits den Auskunftsanspruch mit der
Begründung zu versagen, er werde auch nach Auskunftserteilung einen ersatz-
fähigen Schaden nicht darlegen können. Dies könnte allenfalls dann in Betracht
kommen, wenn von vornherein feststünde, dass die Schätzung selbst eines
Mindestschadens keinesfalls möglich sein wird. Davon kann im Streitfall keine
Rede sein, in dem bereits die Feststellungen des Berufungsgerichts zu den ab-
soluten Relationen zwischen dem Wert der von der Beklagten insgesamt erteil-
ten und dem Wert der der Klägerin erteilten Aufträge es nahelegen, dass der
Klägerin Umsätze in erheblichem Ausmaß entgangen sind und sich in entgan-
genem Gewinn - bzw., was dem im Rahmen der §§ 252 BGB, 287 ZPO gleich-
steht, in entgangener Verlustminderung durch fehlende Deckungsbeiträge -
niedergeschlagen haben. Die Ausführungen des Berufungsgerichts zu den
"kaum überwindlichen" Schwierigkeiten, die die Schadensdarlegung voraus-
sichtlich bereiten werde, sind demgegenüber, abgesehen davon, dass sie die
der Klägerin zugute kommenden Darlegungs- und Beweiserleichterungen außer
Acht lassen, weitgehend spekulativ, weil sie auf Annahmen dazu beruhen, wie
sich die Nicht-Erteilung von Aufträgen an die Klägerin im Nachhinein rechtferti-
gen ließe, ohne dass - mangels Auskunftserteilung - feststünde, inwieweit die
vom Berufungsgericht erwogenen Rechtfertigungen nach der dem jeweiligen
- 10 -
Bedarf der Beklagten und dem tatsächlich erteilten Auftrag zugrunde liegenden
konkreten Sachlage zum Zeitpunkt der Auftragsvergabe auch nur in Betracht
kamen.
16
Soweit das Berufungsgericht in diesem Zusammenhang meint, die Ver-
einbarung verpflichte die Beklagte zu nichts anderem, als sich gegenüber der
Klägerin wettbewerbsgerecht zu verhalten, was der Beklagten indes schon ihr
eigenes Interesse gebiete, ist auch dies nicht richtig. Zwar sollte die Klägerin
nach Nr. 9 Satz 2 den Auftrag erhalten, wenn sie das "wettbewerbsfähigste"
(d.h. das für die Beklagte günstigste) Angebot abgab. Immer dann, wenn dies
nicht der Fall war, sollte die Klägerin jedoch nach Nr. 9 Satz 4 der Vereinbarung
eine zweite Chance erhalten. War ihr "Nachtragsangebot" (ihr nachgebessertes
Angebot) das "wettbewerbsfähigste", musste ihr nach Nr. 9 Satz 6 zwingend
der Auftrag erteilt werden.
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β)
Auch die Erwägung des Berufungsgerichts, die Beklagte sei zu
der verlangten Auskunft nicht unschwer in der Lage, trägt das angefochtene
Urteil nicht.
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Der Auskunftsanspruch wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass die Er-
teilung der Auskunft dem Schuldner Mühe bereitet und ihn Zeit und Geld kostet.
"Unschwer" kann die Auskunft vielmehr immer dann erteilt werden, wenn die
mit der Vorbereitung und Erteilung der Auskunft verbundenen Belastungen
entweder nicht ins Gewicht fallen oder aber, obwohl sie beträchtlich sind, dem
Schuldner in Anbetracht der Darlegungs- und Beweisnot des Gläubigers und
der Bedeutung zumutbar sind, die die verlangte Auskunft für die Darlegung der-
jenigen Umstände hat, die für die Beurteilung des Grundes oder der Höhe des
in Frage stehenden Hauptanspruchs wesentlich sind. In der höchstrichterlichen
Rechtsprechung wird "unschwer" dementsprechend auch im Sinne von "ohne
- 11 -
unbillig belastet zu sein" erläutert (BGHZ 95, 274, 279; 126, 109, 113; 149, 165,
175). Ob der Schuldner in diesem Sinne unbillig belastet wird, ist jeweils auf-
grund einer Abwägung aller Umstände des Einzelfalles zu beurteilen, bei der
auch Bedeutung gewinnen kann, ob der Schuldner ein schützenswertes
Geheimhaltungsinteresse an Angaben geltend machen kann, die er machen
soll, oder ob er zu deren Offenbarung gegenüber dem Gläubiger ohnehin ver-
pflichtet war (vgl. auch BGH, Urt. v. 13.12.2001 - I ZR 44/99, GRUR 2002, 602,
603).
Das Berufungsgericht hat insoweit zugunsten der Klägerin unterstellt,
dass die Beklagte in tatsächlicher Hinsicht schon im Hinblick auf ihre steuer-
rechtlichen Aufbewahrungspflichten zur Auskunft in der Lage sei und dass sie
ihre Vertragspflichten schwerwiegend verletzt habe, indem sie vorsätzlich fort-
laufend gegen ihre Verpflichtung verstoßen habe, die Klägerin vollständig in
den Auftragsvergabeprozess einzubinden. Die Abwägung falle jedoch gleich-
wohl zugunsten der Beklagten aus, da der Rechtsverletzung ein "außer jedem
Verhältnis stehender Aufwand" bei der Auskunftserteilung gegenüberstehe und
die Auskunftserteilung zudem mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu den sei-
nerzeitigen Geschäftsvorgängen immer schwieriger werde.
19
20
Damit hat das Berufungsgericht zwar das Abwägungserfordernis im Aus-
gangspunkt zutreffend gesehen. Es hat jedoch die Interessen der Parteien feh-
lerhaft gewichtet, indem es die ursprüngliche Informationsverpflichtung der Be-
klagten außer Acht gelassen hat. Die Klägerin ist auf die Auskunftserteilung
angewiesen, weil die Beklagte es vertragswidrig unterlassen hat, sie in die an
Automobilzulieferer gerichteten Anfragen einzubeziehen. Jedenfalls grundsätz-
lich ist das Begehren der Klägerin darauf gerichtet, ihr nachträglich diejenigen
Informationen zu verschaffen, die die Beklagte ihr bei vertragsgemäßem Ver-
- 12 -
halten bereits seinerzeit hätte liefern müssen. Bei dieser Sachlage ist das Inter-
esse der Beklagten daran, sich den (beträchtlichen) Aufwand einer nachträgli-
chen Zusammenstellung der geschuldeten Angaben zu ersparen, nicht schutz-
würdig und muss auch dann, wenn die nachträgliche Auskunftserteilung erheb-
lich aufwendiger ist, jedenfalls hinter dem Interesse der Klägerin zurückstehen,
sich die nur von der Beklagten erhältlichen notwendigen Grundlagen für die Ab-
schätzung des entstandenen Schadens zu verschaffen. Auch der bis zur Kla-
geerhebung verstrichene Zeitraum von gut vier Jahren rechtfertigt keine andere
Beurteilung. Es ist weder etwas dafür festgestellt, dass die Beklagte irgend-
wann in diesem Zeitraum - in dem die Klägerin den Auskunftsanspruch im Au-
gust 1997 durch Rechtsanwaltsschreiben außergerichtlich geltend gemacht
hat - annehmen durfte, die Auskunft nicht mehr erteilen zu müssen, noch dafür,
dass die Beklagte in diesem Zeitraum die Auskunftsfähigkeit tatsächlich verlo-
ren hat. Vielmehr geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Beklagte wei-
terhin auskunftsfähig ist.
21
c)
Soweit das Berufungsgericht für die Abweisung des Auskunftsan-
trags insoweit, als die Klägerin Auskunft auch über von der Beklagten nicht an-
genommene Angebote Dritter verlangt, die gesonderte Begründung gegeben
hat, die Klägerin habe nur an der Kenntnis derjenigen Angebote ein wirtschaftli-
ches Interesse, die zu Aufträgen der Beklagten geführt hätten, kann auch dies
keinen Bestand haben. Nach dem der revisionsrechtlichen Beurteilung zugrun-
de zu legenden Sachverhalt kann nicht ausgeschlossen werden, dass Angaben
auch zu erfolglosen Angeboten zur Überprüfung der Angaben der Beklagten zu
den jeweils "wettbewerbsfähigsten" Angeboten bzw. den tatsächlich angenom-
menen Angeboten sinnvoll und notwendig sind.
- 13 -
22
III.
Der Rechtsstreit ist auch hinsichtlich des Auskunftsanspruchs
nicht zur Endentscheidung reif. Die Sache ist daher zur erneuten Prüfung an
das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
23
Das Berufungsgericht wird insbesondere auf eine Präzisierung des Aus-
kunftsbegehrens der Klägerin hinzuwirken haben. Ihrem Wortlaut nach spezifi-
zieren die Anträge zu 1a und 1c nicht, welchen konkreten Inhalt die verlangten
Auskünfte über Anfragen der Beklagten und darauf eingegangene Angebote
haben sollen. Vielmehr werden, wie die Beklagte zutreffend bemerkt, sozusa-
gen normative Anforderungen an die formuliert ("Die
Anfragen und Angebote müssen Angaben über Preis, Qualität, Technik, d.h.
Werkstoffvorgaben, Formen, Vorrichtungen und Verfahren und Lieferfähigkeit
enthalten. …"). Wörtlich genommen werden damit einschränkende Bedingun-
gen an die mitzuteilenden Anfragen und Angebote formuliert, was indessen von
der Klägerin nicht gewollt sein dürfte. Sollte hingegen die von der Klägerin ge-
wählte Formulierung dahin zu verstehen sein, dass die verlangte zu
jedem Angebot die genannten Einzelheiten enthalten soll (in diesem Sinne ist
der Antrag zu 1b formuliert), wird das Berufungsgericht zu prüfen haben, inwie-
weit die Klägerin die Mitteilung solcher Einzelheiten verlangen kann. Dabei
könnte Bedeutung gewinnen, wieweit die ursprüngliche Informationsverpflich-
tung der Beklagten reichte. Dem Wortlaut der Nr. 9 der Vereinbarung ist nicht
zu entnehmen, dass die Beklagte der Klägerin die Angebote Dritter wörtlich mit-
zuteilen hatte; dagegen spricht vielmehr die Regelung der Nr. 9 Satz 5, wonach
von der Beklagten, wenn sie der Klägerin Gelegenheit zu einem "Nachtrags-
angebot" gab, "auf technische Unterschiede zwischen wettbewerbsfähigsten
und dem T. -Angebot hinzuweisen" war. Sollte ein primärer Anspruch der Klä-
gerin auf die Mitteilung der jetzt verlangten Einzelheiten zu verneinen sein,
schlösse dies einen entsprechenden Auskunftsanspruch als Hilfsanspruch zu
- 14 -
dem geltend gemachten Schadensersatzanspruch zwar nicht notwendigerweise
aus. Jedoch könnte ein geringerer Umfang des Primäranspruchs das Ergebnis
der Interessenabwägung beeinflussen, insbesondere sofern ein Geheim-
haltungsinteresse der Beklagten in Betracht kommen sollte. Bei der Prüfung
eines solchen wird andererseits zu berücksichtigen sein, dass Anfragen und
Angebote aus dem Jahre 1995 stammen, also mittlerweile mehr als elf Jahre alt
sind.
Im Zusammenhang mit der Prüfung des Auskunftsumfangs wird das Be-
rufungsgericht auch erneut zu prüfen haben, ob und inwieweit der Klägerin ins-
besondere zu Überprüfungszwecken ein schützenswertes Interesse an der Mit-
teilung erfolgloser Angebote Dritter zuzubilligen ist.
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Der Klägerin wird ferner Gelegenheit zu geben sein, den Sinngehalt der
verlangten Auskunft klarzustellen, "welches Angebot das wettbewerbsfähigste
war". Der Begriff des "wettbewerbsfähigsten" Angebots knüpft ersichtlich an
Nr. 9 Satz 3 des Vertrages an, nach dem für die Wettbewerbsfähigkeit aus-
schließlich die Faktoren Preis, Qualität, Technik und Lieferfähigkeit maßgeblich
- 15 -
sein sollten. Da sich jedoch aus den letztgenannten Kriterien ergibt, dass die so
verstandene Wettbewerbsfähigkeit nur bis zu einem bestimmten Grade objekti-
vierbar ist, dürfte die Formulierung des Klageantrags auf die Mitteilung zielen,
welches Angebot von der Beklagten bei der Auftragsvergabe als das "wettbe-
werbsfähigste" eingeschätzt worden ist.
Melullis Scharen
Ambrosius
Mühlens
Meier-Beck
Vorinstanzen:
LG Darmstadt, Entscheidung vom 20.11.2001 - 14 O 34/00 -
OLG Frankfurt in Darmstadt, Entscheidung vom 23.06.2004 - 13 U 17/02 -