Urteil des BGH vom 19.09.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IX ZR 322/12
Verkündet am:
19. September 2013
Preuß
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB § 675 Abs. 1; BRAO § 43a Abs. 4
Suchen Eheleute gemeinsam einen Rechtsanwalt auf, um sich in ihrer Scheidungs-
angelegenheit beraten zu lassen, hat der Anwalt vor Beginn der Beratung auf die
gebühren- und vertretungsrechtlichen Folgen einer solchen Beratung hinzuweisen.
BGH, Urteil vom 19. September 2013 - IX ZR 322/12 - LG Köln
AG Gummersbach
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 19. September 2013 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Kayser, die
Richter Prof. Dr. Gehrlein, Dr. Pape, Grupp und die Richterin Möhring
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 9. Zivilkammer des Landge-
richts Köln vom 21. November 2012 wird auf Kosten der Klägerin
zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Beklagte suchte die klagende Rechtsanwältin zu einer anwaltlichen
Beratung in einer Scheidungsangelegenheit am 10. März 2011 gemeinsam mit
seiner Ehefrau auf. Zu Beginn des Gesprächs ergab sich, dass die Eheleute
unterschiedliche Vorstellungen über die Modalitäten der Trennung und der
Scheidung hatten. Wunschgemäß versandte die Klägerin das Protokoll über
das Beratungsgespräch an sie beide. Die Ehefrau mandatierte daraufhin ande-
re Anwälte. Nachdem die Klägerin weiterhin für den Beklagten tätig geworden
war, kündigte dieser am 26. April 2011 das Mandat. Die Klägerin rechnete ihre
Leistungen in Höhe von 1.811,36
€ gegenüber dem Beklagten ab. Dieser be-
glich die Rechnung nicht und beauftragte ebenfalls andere Anwälte mit der Ver-
tretung seiner familienrechtlichen Interessen.
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Die Klägerin verlangt von dem Beklagten den berechneten Betrag. Das
Amtsgericht hat die Klage ab-, das Landgericht hat ihre Berufung zurückgewie-
sen. Mit der vom Landgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin das
geltend gemachte Anwaltshonorar weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I.
Das Landgericht hat ausgeführt: Der Klägerin stehe ein vertraglicher
Vergütungsanspruch nicht zu, weil sie entgegen § 43a Abs. 4 BRAO beide Ehe-
leute beraten habe, was nach § 134 BGB zur Nichtigkeit des Anwaltsvertrags
geführt habe. Denn schon zu Beginn des Beratungsgesprächs habe sich her-
ausgestellt, dass sich die Vorstellungen der Eheleute zu mehreren Fragen als
Folge ihrer Trennung und der beabsichtigten Scheidung widersprächen. Auch
eine Teilvergütung komme nicht in Betracht, weil die Klägerin den Beklagten
bereits in den Jahren 2008/2009 familienrechtlich beraten habe und sie deswe-
gen nicht mehr für beide Eheleute hätte tätig werden dürfen. Gesetzliche Vergü-
tungsansprüche bestünden ebenso wenig. Ansprüche aus §§ 670, 677, 683
BGB stünden der Klägerin nicht zu, weil sie ihre Aufwendungen im Zusammen-
hang mit einer gesetzeswidrigen Tätigkeit nicht für erforderlich habe ansehen
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dürfen. Bereicherungsrechtliche Ansprüche seien auch nicht begründet, weil
der Beklagte jedenfalls entreichert sei. Nach Aufdeckung der Interessenkollision
habe er berechtigt einen anderen Anwalt mit seiner umfassenden familienrecht-
lichen Vertretung beauftragt.
II.
Diese Ausführungen halten jedenfalls im Ergebnis der rechtlichen Nach-
prüfung stand.
1. Beide Vorinstanzen haben, was die Revision nicht in Zweifel zieht,
festgestellt, dass die Klägerin in dem die streitgegenständlichen Gebühren aus-
lösenden Beratungsgespräch am 10. März 2011 den Beklagten und seine Ehe-
frau gemeinsam beraten hat. Hiervon ist deshalb für das Revisionsverfahren
auszugehen.
2. Auf die vom Berufungsgericht und der Revisionsbegründung aufge-
worfene Frage, ob der anlässlich des Beratungsgespräches am 10. März 2011
zustande gekommene Anwaltsvertrag wegen eines Verstoßes gegen das Ver-
bot, widerstreitende Interessen zu vertreten (§ 43a Abs. 4 BRAO, § 3 Abs. 1
BORA), nach § 134 BGB unwirksam ist, kommt es nicht an. Denn auch bei
Wirksamkeit des Anwaltsvertrages steht der Klägerin ein Zahlungsanspruch
gegenüber dem Beklagten nicht zu.
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a) In Scheidungsverfahren soll es häufig vorkommen, dass sich die
scheidungswilligen Eheleute in der Annahme völligen Interessengleichklangs
und der Absicht, die Kosten für einen zweiten Anwalt zu sparen, gemeinsam
durch einen Anwalt beraten lassen wollen (vgl. § 1566 Abs. 1 BGB, § 114
Abs. 1 und 4 Nr. 3, § 128 Abs. 1, § 133 Abs. 1 Nr. 2 FamFG; Göppinger/Börger,
Vereinbarungen anlässlich der Ehescheidung, 10. Aufl., 1. Teil Rn. 143; Har-
tung, Berufs- und Fachanwaltsordnung, 5. Aufl., § 3 BORA Rn. 57; Henssler in
Henssler/Prütting, BRAO, 3. Aufl., § 43a Rn. 178). Auch wenn das durch die
Ehe begründete einheitliche Lebensverhältnis eine identische Rechtssache
darstellt (Böhnlein in Feuerich/Weyland/Vossebürger/Böhnlein/Brüggemann,
BRAO, 8. Aufl., § 43a Rn. 63; Hartung, aaO Rn. 56; Henssler, aaO Rn. 177,
200; Kleine-Cosack, BRAO, 6. Aufl., § 43a Rn. 93) und die Eheleute im Falle
der Trennung und Scheidung über das möglicherweise gleichlaufende Interesse
hinaus, möglichst schnell und kostengünstig geschieden zu werden, typischer-
weise gegenläufige Interessen in Bezug auf die Scheidungsfolgen haben, wird
in Rechtsprechung und Literatur die Meinung vertreten, dass eine gemeinsame
Beratung mit dem Ziel einer einvernehmlichen Scheidung im Grundsatz möglich
ist, wobei Voraussetzungen und Folgen einer solchen gemeinsamen Beratung
unterschiedlich gesehen werden (zu den Voraussetzungen einerseits
BayObLG, NJW 1981, 832, 833; KG, NJW 2008, 1458 f, andererseits AG
Gifhorn, FPR 2004, 161 f; Göppinger/Börger, aaO Rn. 146; Henssler aaO
Rn. 178; Groß, FPR 2000, 136, 138; zu den Folgen einerseits Groß, FPR 2000,
136, 139; andererseits Göppinger/Börger, aaO; Henssler aaO; noch weiter ge-
hend OLG Karlsruhe, NJW 2002, 3561, 3563; Kleine-Cosack, aaO Rn. 122; der
Zulässigkeit einer gemeinsamen Beratung stehen ablehnend gegenüber: AG
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Neunkirchen, FamRZ 1996, 298 f; LG Hildesheim, FF 2006, 272; Hartung, aaO
Rn. 57 ff; Zuck in Gaier/Wolf/Görken, Anwaltliches Berufsrecht, § 43 BRAO/§ 3
BORA Rn. 11). Jedenfalls dann, wenn die gemeinsame Beratung der Eheleute
nicht zu der beabsichtigten Scheidungsfolgenvereinbarung führt und es trotz
anfänglicher Übereinstimmungen während der anwaltlichen Beratung zu einem
Interessenwiderstreit kommt, darf der Rechtsanwalt für keinen der beiden Ehe-
partner mehr tätig werden; in diesem Punkt besteht in Rechtsprechung und
Literatur Einigkeit (AG Gifhorn, aaO; KG, aaO; Göppinger/Börger, aaO;
Henssler, aaO; Becker-Eberhard, FS Dieter Schwab, 2005, 629, 633; Kilian,
RdA 2006, 120, 124; Kleine-Cosack, AnwBl 2005, 338, 340).
b) Zugunsten der Klägerin unterstellt der Senat, dass eine so beschrie-
bene gemeinsame Beratung scheidungswilliger Eheleute zulässig ist, sie den
Beklagten und seine Ehefrau in diesem Sinne gemeinsam beraten hat und der
unauflösliche Interessenwiderstreit zwischen den Eheleuten erst aufgetreten ist,
nachdem alle von ihr abgerechneten Gebührentatbestände erfüllt waren, der
Anwaltsvertrag mithin bis zum Erkennbarwerden des Interessenwiderstreits
wirksam und die geltend gemachte Vergütung im Grundsatz verdient war (vgl.
BGH, Urteil vom 23. April 2009 - IX ZR 167/07, NJW 2009, 3297 Rn. 32). Trotz-
dem kann sie die geltend gemachten Gebühren nach § 242 BGB nicht verlan-
gen, weil dem Beklagten in diesem Fall in Höhe der Gebührenforderung aus
dem Anwaltsvertrag in Verbindung mit § 311 Abs. 2, § 280 Abs. 1 BGB ein
Schadensersatzanspruch gegen die Klägerin zusteht.
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aa) Die Klägerin hätte den Beklagten und seine Ehefrau vor der gemein-
samen Beratung darauf hinweisen müssen, dass ein Anwalt im Grundsatz nur
einen von ihnen beraten kann, dass sie bei einer gemeinsamen Beratung nicht
mehr die Interessen einer Partei einseitig vertreten darf, sondern sie die Ehe-
leute nur unter Ausgleich der gegenseitigen Interessen beraten kann, und dass
sie jedenfalls dann, wenn die gemeinsame Beratung nicht zu einer Scheidungs-
folgenvereinbarung führt und widerstreitende Interessen der Eheleute unüber-
windbar aufscheinen, das Mandat gegenüber beiden Eheleuten niederlegen
muss mit der Folge, dass beide Eheleute neue Anwälte beauftragen müssen,
so dass ihnen Kosten nicht nur für einen, sondern für drei Anwälte entstehen.
Weiter hätte sie die Eheleute darüber belehren müssen, dass sie möglicher-
weise auch dann, wenn die Eheleute eine Scheidungsfolgenvereinbarung tref-
fen, einen der Eheleute im Scheidungsverfahren zur Stellung des Scheidungs-
antrags nicht vertreten kann, die Eheleute danach auch im Fall der einvernehm-
lichen Scheidung die Kosten für zwei Anwälte tragen müssen, weil diese Frage
richterlich noch nicht geklärt ist (vgl. die oben zitierte Lit.). Diese Belehrungen
hat die Klägerin dem Beklagten und seiner Ehefrau pflichtwidrig nicht erteilt.
Dass ein Rechtsanwalt seinem Mandanten Belehrungen über Umstände
schuldet, die zu zusätzlichen Kosten für den Mandanten führen können, ist in
der Rechtsprechung des Senats anerkannt (vgl. BGH, Urteil vom 8. November
2007 - IX ZR 5/06, BGHZ 174, 186 Rn. 14). Aber auch im Übrigen hat der
Rechtsanwalt den Mandanten darüber aufzuklären, wenn aus Sicht des Man-
danten Bedenken darüber bestehen können, ob der Anwalt seine Interessen
konsequent durchsetzt. So muss ein Rechtsanwalt, der während des Mandats-
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verhältnisses in einer anderen Sache einen Dritten gegen den Mandanten ver-
tritt, darauf hinweisen, weil der Mandant in der Regel darauf vertraut, dass der
von ihm beauftragte Anwalt nur seine Interessen und nicht auch gleichzeitig die
Interessen Dritter gegen ihn wahrnimmt (BGH, aaO Rn. 10). Darüber hinaus hat
ein Rechtsanwalt auch offenzulegen, dass er oder ein anderes Mitglied seiner
Sozietät den Gegner der Person, welche ihm ein neues Mandat anträgt, häufig
in Rechtsangelegenheiten vertritt, und zwar unabhängig davon, ob ein tatsäch-
licher oder rechtlicher Zusammenhang zu dem neuen Mandat besteht. Denn
der Rechtssuchende darf einen unabhängigen, verschwiegenen und nur den
Interessen des eigenen Mandanten verpflichteten Rechtsanwalt erwarten, der
seine Interessen ohne Rücksicht auf die gegenläufigen Interessen der anderen
Seite umfassend vertritt. Wird ein Anwalt oder dessen Sozius häufig für eine
bestimmte Partei tätig, kann aus der Sicht anderer Mandanten fraglich sein, ob
der Anwalt ihre Interessen gegenüber dem anderen Mandanten mit gleichem
Nachdruck vertritt wie gegenüber einem dem Anwalt völlig gleichgültigen Geg-
ner (BGH, aaO Rn. 12 f).
In einer ähnlichen Lage befinden sich die scheidungswilligen Eheleute,
die den Rechtsanwalt vielleicht aus Kostengründen zu einer gemeinsamen Be-
ratung aufsuchen. Ihnen ist in diesem Fall nicht bewusst, dass ihre Interessen
gegenläufig sein können, weil ihnen die gegenseitigen Rechte unbekannt sind.
Sie vertrauen darauf, dass der sie gemeinsam beratende Rechtsanwalt das
Beste für sie herausholt, ohne sich klar zu machen, dass dieser in einer ge-
meinsamen Beratung bei gegenläufigen Interessen dazu nicht in der Lage sein
wird. Zudem ist ihnen die Gefahr unbekannt, dass der Anwalt, der sie gemein-
sam berät, unter Umständen das Mandat gegenüber beiden niederlegen muss,
und dass auf sie zusätzliche Anwaltskosten zukommen können.
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bb) Infolge der unterlassenen Hinweise ist dem Beklagten auch der
Schaden in Höhe der Gebührenforderung der Klägerin entstanden. Denn er
musste, nachdem diese infolge der bei der gemeinsamen Beratung auftreten-
den widerstreitenden Interessen weder für seine Ehefrau noch für ihn mehr tätig
werden durfte und beiden Eheleuten gegenüber das Mandat niederlegen muss-
te (§ 43a Abs. 3 BRAO, § 3 Abs. 1 und 4 BORA, vgl. auch Nr. 3.2.1. und 3.2.2.
der Berufsregeln der Rechtsanwälte der Europäischen Union), einen neuen
Anwalt mit seiner Vertretung in der familienrechtlichen Angelegenheit beauftra-
gen, so dass die von der Klägerin geltend gemachten Gebühren für ihn erneut
anfielen. Die von der Klägerin erbrachte Beratungsleistung war für ihn insoweit
wertlos. Hätte die Klägerin dem Beklagten und seiner Ehefrau die erforderlichen
Hinweise erteilt, spricht eine Vermutung dafür, dass diese sich nicht gemeinsam
von ihr hätten beraten lassen. Vielmehr hätte sich der Beklagte allein von ihr
beraten und vertreten lassen (vgl. G. Fischer in Zugehör/G. Fischer/Vill/D. Fi-
scher/Rinkler/Chab, Handbuch der Anwaltshaftung, 3. Aufl., Rn. 1115). Denn
die Eheleute hatten - wie sie wussten - vor dem Gespräch mit der Klägerin we-
der den Unterhalt, noch den Hausrat und den Kindesumgang des Beklagten
geklärt. Ein Scheitern der gemeinsamen Beratung lag mithin auf der Hand. Bei
dem Entschluss des Beklagten, sich allein oder gemeinsam mit der Ehefrau
beraten zu lassen, handelt es sich auch nicht um eine Entscheidung im höchst-
persönlichen Lebensbereich, bei der die Vermutungsregel nicht gilt (vgl.
G. Fischer, aaO Rn. 1113).
3. Sollte der Anwaltsvertrag von Anfang an nach § 134 BGB wegen Ver-
stoßes gegen § 43a Abs. 3 BRAO, § 3 Abs. 1 und 4 BORA nichtig gewesen
sein, stünden der Klägerin ebenfalls, wie das Berufungsgericht zutreffend gese-
hen hat und wie von der Revision auch nicht bezweifelt wird, keine Zahlungsan-
sprüche zu, weder aus Vertrag noch aus §§ 670, 677, 683 BGB noch aus § 812
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Abs. 1 BGB (vgl. BGH, Urteil vom 17. Februar 2000 - IX ZR 50/98, NJW 2000,
1560, 1562).
Kayser
Gehrlein
Pape
Grupp
Möhring
Vorinstanzen:
AG Gummersbach, Entscheidung vom 06.02.2012 - 19 C 76/11 -
LG Köln, Entscheidung vom 21.11.2012 - 9 S 69/12 -