Urteil des BGH vom 11.10.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 395/04
Verkündet am:
11. Oktober 2005
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
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BGB §§ 133 C, 157 D, 807
a) Eine von der Deutschen Post AG herausgegebene Briefmarke erfüllt alle Vor-
aussetzungen, die § 807 BGB an ein so genanntes "kleines Inhaberpapier"
stellt.
b) Der Fall, dass die Briefmarke ihre Gültigkeit durch einen staatlichen Hoheitsakt
verliert, so dass der in ihr verkörperte Anspruch auf eine Beförderungsleistung
gemäß § 807 BGB nicht mehr durchgesetzt werden kann, ist im Gesetz nicht
geregelt. Im Wege ergänzender Vertragsauslegung ergibt sich, dass verständi-
ge und redliche Vertragsparteien bei Kenntnis der Regelungslücke ein Um-
tauschrecht mit einer Gültigkeitsdauer von einem Jahr vereinbart hätten.
BGH, Urteil vom 11. Oktober 2005 - XI ZR 395/04 - OLG Köln
LG Bonn
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 11. Oktober 2005 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe,
die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Wassermann und die Richterin
Mayen
für Recht erkannt:
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
14. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom
25. November 2004 wird auf seine Kosten zurückge-
wiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger, ein Briefmarkenhändler, und die beklagte Deutsche
Post AG streiten über deren Verpflichtung zum Umtausch ungültig ge-
wordener Briefmarken. Dem liegt folgender Sachverhalt zugrunde:
Anlässlich der Währungsumstellung von Deutsche Mark auf Euro
Anfang 2002 erklärte das Bundesministerium für Finanzen gemäß § 43
Abs. 1 PostG Postwertzeichen, deren Nennwert ausschließlich in Deut-
sche Mark oder in Pfennig angegeben ist, mit Wirkung vom 1. Juli 2002
für ungültig. Die Beklagte bot daraufhin durch öffentliche Erklärungen
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den Inhabern so genannter "Pfennig-Briefmarken" an, diese bis zum
30. Juni 2003 gegen neue Euro-Briefmarken zu tauschen.
Der Kläger reichte bis zu diesem Zeitpunkt ungültige Briefmarken
im Gesamtnennwert von über 300.000 DM bei der Beklagten ein, die die-
se in Briefmarken mit entsprechendem Euro-Nennwert umtauschte. Auch
die erst nach Ablauf der Umtauschfrist im Juli 2003 vorgelegten Brief-
marken des Klägers und anderer Kunden tauschte die Beklagte ohne
weiteres um. In der Folgezeit erwarb der Kläger von Dritten in großen
Stückzahlen weitere "Pfennig-Briefmarken" weit unter ihrem Nennwert.
Diese im August und November 2003 zum Tausch übersandten Post-
wertzeichen nahm die Beklagte aber nicht mehr an, sondern berief sich
nunmehr auf den Ablauf der von ihr festgelegten Umtauschfrist.
Der Kläger verlangt von der Beklagten die Herausgabe von Euro-
Briefmarken im Gesamtwert von 48.572,73 € Zug um Zug gegen Einliefe-
rung von "Pfennig-Briefmarken" im W ert von 95.000 DM. Er hält die Be-
klagte mangels wirksamer zeitlicher Beschränkung der Umtauschmög-
lichkeit und aus Vertrauensschutzgesichtspunkten für verpflichtet, auch
die streitgegenständlichen Marken umzutauschen.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben, das Berufungsgericht
hat sie abgewiesen. Mit der - vom Berufungsgericht - zugelassenen Re-
vision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtlichen
Urteils.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision ist nicht begründet.
I.
Das Berufungsgericht (OLGR Köln 2005, 48 und JMBl. NRW 2005,
117) hat ein Umtauschrecht des Klägers verneint und zur Begründung
seiner Entscheidung im W esentlichen ausgeführt:
Nach der Privatisierung des Postwesens stehe die privatrechtliche
Bewertung des Erwerbs von Postwertzeichen außer Zweifel. Seitdem
würden Briefmarken durch Kaufvertrag und Übereignung erworben. Aus
den Regeln des Kaufrechts könne der Kläger keine Rechte herleiten. Die
Parteien stritten weder über einen Sach- noch über einen Rechtsmangel,
sondern über die Frage, welche Rechte dem Inhaber ungültig geworde-
ner Postwertzeichen zustünden.
Briefmarken seien keine Zahlungsmittel, sondern so genannte
"kleine Inhaberpapiere" im Sinne des § 807 BGB. Der Fall, dass eine
Briefmarke ihre Gültigkeit durch einen staatlichen Hoheitsakt verliere,
werde in den §§ 793 ff. BGB nicht geregelt. Die Regelungslücke sei im
Wege der ergänzenden Vertragsauslegung zu schließen. Dabei sei da-
von auszugehen, dass die Prozessparteien bei Kenntnis der späteren
Entwicklung eine Möglichkeit zum Umtausch der ungültigen Briefmarken
vorgesehen hätten.
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Die Befristung der Umtauschmöglichkeit auf ein Jahr sei wirksam.
Die Frist berücksichtige das Prinzip der Äquivalenz von Leistung und
Gegenleistung hinreichend und sei auch sonst angemessen. Die betrof-
fenen Postkunden liefen bei dieser Regelung nur Gefahr, den Gegenwert
für den Kaufpreis, nämlich die Beförderungsleistung der Beklagten, zu
verlieren, während ein unbefristetes oder längeres Umtauschrecht die
Beklagte wesentlich mehr belaste. Denn die alten "Pfennig-Briefmarken"
seien nicht fälschungssicher und mit dem Briefmarkentausch sei ein er-
heblicher Verwaltungsaufwand verbunden.
Ein weitergehendes Umtauschrecht des Klägers ergebe sich auch
nicht daraus, dass sich die Beklagte selbst nicht strikt an die nach ihren
Angaben am 30. Juni 2003 endende Jahresfrist gehalten, sondern die
von ihm und von anderen Kunden erst im Juli 2003 vorgelegten "Pfennig-
Briefmarken" anstandslos umgetauscht habe. Ein Vertrauenstatbestand
zu Lasten der Beklagten sei dadurch nicht geschaffen worden, weil sie
erkennbar nur aus Kulanz gehandelt und auf etwaige längere Postlauf-
zeiten Rücksicht genommen habe.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
1. Das Berufungsgericht hat Briefmarken - jedenfalls nach der Pri-
vatisierung der Beklagten - zu Recht als so genannte "kleine Inhaberpa-
piere" im Sinne des § 807 BGB angesehen.
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a) Mit der Frage zum zivilrechtlichen Rechtscharakter einer Brief-
marke war der Bundesgerichtshof noch nicht befasst. Die Aussagen in
der Literatur sind gegensätzlich.
Nach der im Vordringen befindlichen Ansicht (siehe Münch-
KommBGB/Hüffer, 4. Aufl. § 807 Rdn. 12 f.; Staudinger/Marburger, BGB
(2002) § 807 Rdn. 5; Allgaier DÖD 2001, 211, 214; Gerold Schmidt
ZStW 111 (1999), 388, 420 f.; ders. NJW 1998, 200, 202 f.; ebenso
schon vor der Privatisierung der Bundespost: Andrae, Die privatrechtli-
che Natur der Briefmarke, Diss. Jena 1933, S. 21; Enneccerus, Recht
der Schuldverhältnisse 10. Bearb. S. 620; Eidenmüller, Grundlagen des
Post- und Postbankrechts § 3 PostG Anm. 1) gehören Briefmarken zu
den Inhaberpapieren im Sinne des § 807 BGB, die einen Anspruch auf
Beförderung einer Postsendung im W ert des auf der Marke angegebenen
Geldbetrages verkörpern.
Die Gegenansicht zählt die Briefmarke dagegen nach wie vor zu
den Geldsurrogaten (Gehrlein, in: Bamberger/Roth, BGB § 807 Rdn. 2;
Hk-BGB/Schulze, 4. Aufl. § 807 Rdn. 2; Jauernig/Stadler, BGB 11. Aufl.
§ 807 Rdn. 1; Weipert, Die Rechtsnatur der Briefmarke, Diss. Kiel 1996,
S. 37, 40; Häde ZUM 1991, 536; vor der Privatisierung der Bundespost:
grundlegend Kohler ArchBürgR 6 (1892), 316, 324; Altmannsperger, Ge-
setz über das Postwesen § 3 PostG Rdn. 10; Enneccerus/Lehmann,
Recht der Schuldverhältnisse 13. Bearb. S. 814; RGRK/Steffen, BGB
12. Aufl. § 807 Rdn. 7; Soergel/Welter, BGB 11. Aufl. § 807 Rdn. 2;
Karsten Schmidt JuS 1990, 62, 63).
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Für eine vermittelnde Meinung ist die Briefmarke einerseits Wert-
träger oder Zahlungsmittel, andererseits aber ihrer Funktion nach den
"kleinen Inhaberpapieren" des § 807 BGB weitgehend angenähert (Stern,
in: Beck'scher PostG-Kommentar 2. Aufl. § 43 Rdn. 10; ähnlich Laband,
Festschrift G. Cohn S. 323, 324 ff.; vgl. ferner Monz ArchPF 1990, 28,
29; Florian/Weigert, Kommentar zur PostO § 6 Anm. 2 b).
Andere Autoren halten die Briefmarke für eine bloße Quittung
(Stober/Moelle/Müller-Dehn, in: Stern, Postrecht der Bundesrepublik
Deutschland, Teil H § 3 PostG Rdn. 4).
b) Der erkennende Senat schließt sich der erstgenannten Auffas-
sung an. Ein Inhaberpapier im Sinne des § 807 BGB liegt vor, wenn der
Aussteller des Papiers sich durch Leistung an den Inhaber befreien
kann, der Inhaber die versprochene Leistung zu fordern berechtigt ist
und der Besitz der Urkunde zur Geltendmachung des Rechts oder der
Forderung erforderlich ist (Erman/Heckelmann, BGB 11. Aufl. § 807
Rdn. 4; Staudinger/Marburger aaO § 807 Rdn. 2, 4). Dies ist bei einer
gültigen Briefmarke der Fall.
Aus den Umständen der Herausgabe einer Briefmarke durch die
Beklagte und nach der allgemeinen Verkehrssitte, die für die Ermittlung
des Verpflichtungswillens des Ausstellers eines Inhaberzeichens von
Bedeutung sind (BGHZ 28, 259, 264), ergibt sich, dass die Briefmarke
einen Anspruch auf Beförderung einer Postsendung in dem Umfang ver-
körpert, der dem aufgedruckten Wert entspricht. Dass der Frachtvertrag
erst mit Aufgabe der jeweiligen Sendung zustande kommt, steht dem
nicht entgegen, weil die von der Beklagten versprochene Leistung durch
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die Wertangabe hinreichend bestimmbar ist. Die Beklagte will die Beför-
derungsleistung gegenüber jedem mit schuldbefreiender Wirkung erbrin-
gen, der gültige Briefmarken in Höhe des vorgesehenen Leistungsent-
gelts auf die jeweilige Postsendung klebt (Gerold Schmidt NJW 1998,
200, 202). Die Briefmarke dient in diesem Zeitpunkt daher nur noch der
Kontrolle, ob das für die konkrete Sendung vereinbarte Leistungsentgelt
im Voraus geleistet worden ist (Gerold Schmidt ZStW 111 (1999), 388,
420 f.).
Der Wille der Beklagten ist angesichts des Massengeschäfts zu-
dem darauf gerichtet, nicht nachprüfen zu wollen oder zu müssen, ob der
jeweilige Inhaber auch tatsächlich Eigentümer und rechtmäßiger Besitzer
des Postwertzeichens ist. Die Briefmarke legitimiert daher jeden Inhaber
förmlich zur Forderung der Beförderungsleistung, gleichgültig, ob er die
Marke von der Beklagten oder von einem Dritten, sei es auch unter ihrem
Nennwert oder unentgeltlich (vgl. Altmannsperger aaO § 3 PostG Rdn. 4;
Ohnheiser, Postrecht 4. Aufl. § 3 PostG Rdn. 4; Allgaier ArchPF 1989,
222, 224), erworben hat.
Schließlich ist der Besitz der Briefmarke zur Geltendmachung des
in ihr verkörperten Beförderungsanspruchs erforderlich. Der Inhaber ei-
ner Briefmarke kann nach deren Untergang nämlich keine Leistung mehr
verlangen, selbst wenn er die Zahlung eines entsprechenden Geldbetra-
ges für die Marke sicher nachweisen könnte (Weipert aaO S. 19). Die
Schutzfunktion des § 797 BGB wird durch die Stempelung erreicht, mit
der die Briefmarke entwertet wird (Allgaier ArchPF 1989, 222, 223). Die
Briefmarke erfüllt demnach sämtliche Voraussetzungen, die die Rege-
lungen des § 807 BGB an ein "kleines Inhaberpapier" stellen. Das gilt
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auch für Briefmarken, die vor der ersten Postreform vom 1. Juli 1989
ausgegeben worden sind. Denn durch § 65 Abs. 1 und 3 PostVerfG wur-
den auch bereits bestehende öffentlich-rechtliche Beziehungen in privat-
rechtliche umgewandelt.
2. Entgegen der Ansicht der Revision steht dem Kläger kein Um-
tauschrecht gegen die Beklagte zu. Der Fall, dass Briefmarken durch ei-
nen staatlichen Hoheitsakt ihre Gültigkeit und damit ihre Legitimations-
wirkung verlieren, ist weder gesetzlich noch in Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen der Beklagten geregelt. Die Lücke ist mit Hilfe ergänzender
Vertragsauslegung (§§ 133, 157 BGB) zu schließen. Daraus ergibt sich
indes kein Anspruch der betroffenen Postkunden auf Übereignung wert-
gleicher neuer Euro-Briefmarken, der über das von der Beklagten unter-
breitete befristete Umtauschangebot hinausgeht.
a) Die Regeln der ergänzenden Vertragsauslegung im Sinne des
§§ 133, 157 BGB finden, wovon auch die Revision ausgeht, Anwendung.
Sie haben Vorrang gegenüber der Bestimmung der Leistungspflicht nach
Treu und Glauben gemäß § 242 BGB (BGHZ 9, 273, 277 f.) und gegen-
über der Lehre von der fehlerhaften Geschäftsgrundlage im Sinne des
§ 313 BGB n.F. (BGHZ 81, 135, 143; 90, 69, 74). Das in einem "kleinen
Inhaberpapier" des § 807 BGB verkörperte Leistungsversprechen des
Schuldners ist wie eine Inhaberschuldverschreibung im Sinne des § 793
BGB (vgl. dazu BGHZ 28, 259, 263; Staudinger/Marburger aaO § 793
Rdn. 9) der ergänzenden Vertragsauslegung zugänglich; diese gilt für
Rechtsgeschäfte aller Art.
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b) Die ergänzende Vertragsauslegung des Berufungsgerichts un-
terliegt der selbständigen und uneingeschränkten Nachprüfung durch
das Revisionsgericht. Briefmarken sind für den allgemeinen Verkehr be-
stimmt und im ganzen Bundesgebiet verbreitet. Im Interesse der Rechts-
sicherheit und der Verkehrsfähigkeit ist deshalb eine allgemein verbindli-
che Auslegung des Leistungsversprechens der Beklagten im Sinne des
§ 807 BGB unabhängig von den Besonderheiten und Eigenarten des
konkreten Einzelfalles sachlich geboten (vgl. BGHZ 28, 259, 263 für bör-
sengängige Inhaberschuldverschreibungen; BGH, Urteil vom 24. Novem-
ber 1958 - II ZR 248/56, WM 1958, 1541). Dies gilt auch bei der hier er-
forderlichen ergänzenden Vertragsauslegung.
c) Diese richtet sich danach, was redliche und verständige Partei-
en bei Kenntnis der planwidrigen Regelungslücke nach dem Vertrags-
zweck und sachgemäßer Abwägung ihrer beiderseitigen Interessen nach
Treu und Glauben (§ 242 BGB) vereinbart hätten (st.Rspr., siehe etwa
BGHZ 9, 273, 278 f.; 127, 138, 142; 158, 201, 207). Danach hätte man
sich zwar auf eine Umtauschmöglichkeit für ungültig gewordene Brief-
marken geeinigt, diese aber auf ein Jahr befristet.
aa) Wie auch die Revision nicht in Frage stellt, hätten seriöse und
verständige Inhaber von "Pfennig-Briefmarken" mit der Beklagten verein-
bart, dass sie ihnen ein Umtauschangebot unterbreitet. Diese Regelung
drängt sich geradezu auf, weil durch einen Tausch der ungültigen Mar-
ken gegen neue Euro-Marken gleichen Nennwerts die Störung des Äqui-
valenzverhältnisses auf einfache Weise und ohne eine unzumutbare Be-
lastung beider Vertragsteile beseitigt wird. Sie trägt dem Umstand Rech-
nung, dass Briefmarken nicht bar eingelöst werden und die Beklagte den
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Kaufpreis bereits als Einnahme verbucht hat. Für eine Umtauschmög-
lichkeit spricht überdies, dass sie in § 49 Abs. 4 Satz 1 PostO vom
22. Dezember 1921 ausdrücklich vorgesehen war und die Post nach
Aufhebung dieser Vorschrift Briefmarken, deren Gültigkeitsdauer be-
grenzt war, in Anlehnung an die frühere Gesetzeslage umgetauscht hat
(vgl. dazu Florian/Weigert, Kommentar zur PostO § 6 Anm. 2 a).
Entgegen der von der Revision in der mündlichen Verhandlung
vertretenen Ansicht ist daher aus dem Umstand, dass nach dem Gesetz
vom 16. Dezember 1999 über die Änderung währungsrechtlicher Vor-
schriften infolge der Einführung des Euro-Bargeldes (Drittes EuroEG) auf
Deutsche Mark lautende Banknoten und auf Deutsche Mark oder Deut-
sche Pfennig lautende Bundesmünzen zeitlich unbegrenzt umgetauscht
werden können, nichts herzuleiten. Dass der Gesetzgeber für die "Pfen-
nig-Briefmarken" keine derartige oder vergleichbare Regelung getroffen
hat, zeigt vielmehr, dass es der Deutschen Post AG überlassen bleiben
sollte, wie in der Vergangenheit zu verfahren.
bb) Die Befristung der Umtauschmöglichkeit auf ein Jahr nach Ab-
lauf der Gültigkeit ist rechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat
- worauf das Berufungsgericht zutreffend hingewiesen hat - ein sachli-
ches Interesse an einer solchen Regelung. Dieses ergibt sich zum einen
daraus, dass die "Pfennig-Briefmarken", von denen mehr als 1.000 ver-
schiedene Motive im Umlauf waren, weniger fälschungssicher sind als
die neuen Euro-Briefmarken. Die Beklagte ist daher unabhängig von der
Beweislast für die Echtheit einer Briefmarke daran interessiert, nicht un-
nötig lange der Gefahr ausgesetzt zu sein, dass gefälschte Briefmarken
zum Umtausch vorgelegt werden. Zum anderen ist der erhebliche Ver-
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waltungsaufwand für den Umtausch der Marken zu berücksichtigen, zu-
mal er nicht aufgrund einer freien Entscheidung der Beklagten, sondern
der europäischen Währungsumstellung und der Anordnung des Bundes-
ministeriums für Finanzen notwendig geworden ist. Die Erhebung einer
Gebühr wäre, was die Revision verkennt, angesichts des häufig nur ge-
ringen Werts des Tauschobjekts unverhältnismäßig und außerdem nicht
praktikabel.
cc) Dagegen ist ein berechtigtes Interesse der betroffenen Post-
kunden an einem zeitlich unbegrenzten oder längerfristigen Umtausch-
recht nicht zu erkennen. Die Einführung des Euro als neue Währung zum
1. Januar 2002 war seit längerem allgemein bekannt. Seit Januar 2001
wurden deshalb ausschließlich Briefmarken mit W ertangaben in Deut-
sche Mark und in Euro neu herausgegeben, die mit Ablauf des 30. Juni
2002 nicht ungültig wurden. Damit standen den Postkunden insgesamt
zweieinhalb Jahre für die Umstellung von Pfennig- auf Euro-Briefmarken
zur Verfügung. Eine über den 30. Juni 2003 hinausreichende Umtausch-
frist war angesichts dessen nicht geboten, zumal für niemanden ange-
sichts der seit langem angekündigten Umstellung der Währung auf Euro
Veranlassung bestand, einen Vorrat an "Pfennig-Briefmarken" anzule-
gen, der weder bis zum 30. Juni 2002 verbraucht noch bis zum 30. Juni
2003 umgetauscht werden konnte. Nimmt man hinzu, dass die früheren
Umtauschfristen in aller Regel nur drei Monate betrugen (siehe Flori-
an/Weigert, Kommentar zur PostO § 6 Anm. 2a), obwohl die Post auf-
grund ihrer öffentlich-rechtlichen Organisation unmittelbar an Art. 14 GG
gebunden war (vgl. Herdegen, in: Beck'scher Post-Kommentar 2. Aufl.
VerfGrdl. Rdn. 71 ff.), kann von einer die schützenswerten Interessen
der Inhaber von "Pfennig-Briefmarken" vernachlässigenden Beschrän-
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kung der Umtauschmöglichkeit selbst bei Anlegung strenger Maßstäbe
keine Rede sein. Dass der Kläger oder die Personen, von denen er die
Marken nach Ablauf der Jahresfrist weit unter ihrem Nennwert erworben
hat, an einem rechtzeitigen Umtausch aus von ihnen nicht zu vertreten-
den Gründen gehindert waren und es sich hierbei nicht um einen zu ver-
nachlässigenden Ausnahmefall handelt, hat er in den Vorinstanzen auch
nicht geltend gemacht.
dd) Aus der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des er-
kennenden Senats vom 12. Juni 2001 (BGHZ 148, 74 ff.) ergibt sich ent-
gegen der Ansicht der Revision nichts anderes. Zwar darf danach ein
Telekommunikationsunternehmen in seinen Allgemeinen Geschäftsbe-
dingungen die Gültigkeit von Telefonkarten nicht zeitlich beschränken,
weil darin ein vertragswidriger und den einzelnen Kunden unzumutbar
belastender Eingriff in das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung
liegt. Damit ist aber der vorliegende Streitfall nicht zu vergleichen. Viel-
mehr hat die Beklagte anders als das vorgenannte Telekommunikations-
unternehmen das Notwendige getan, um die von keinem Vertragsteil zu
vertretende Vertragsstörung in einer auf die beiderseitigen Interessen
hinreichend Rücksicht nehmenden W eise zu beseitigen und die vor der
Ungültigkeit der "Pfennig-Briefmarken" bestehende Rechtslage weitge-
hend wiederherzustellen.
3. Ein Anspruch des Klägers auf Umtausch der streitgegenständli-
chen "Pfennig-Briefmarken" ergibt sich schließlich auch nicht aus ande-
ren Umständen.
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a) Gegen die Wirksamkeit der Befristung der Umtauschmöglichkeit
bestehen auch sonst keine Bedenken. Der Einwand der Revision, dass
die Beklagte keineswegs in allen Publikationen oder Veröffentlichungen
exakt den Fristablauf zum 30. Juni 2003 kundgetan, sondern im Internet
das Fristende nur als "voraussichtlich" bezeichnet habe, greift nicht. Der
Kläger hat nicht vorgetragen, dass die Beklagte jemals ein anderes Da-
tum angegeben und damit nicht für die notwendige Rechtssicherheit und
Rechtsklarheit gesorgt hat. Davon abgesehen ist nicht dargetan, dass
der Kläger durch eine mehrdeutige Bekanntmachung des Endtermins in
die Irre geleitet worden ist.
b) Die Beklagte ist auch nicht nach Treu und Glauben (§ 242 BGB)
daran gehindert, sich gegenüber dem Kläger auf den Ablauf der Jahres-
frist zu berufen. Ein Berechtigter handelt nur rechtsmissbräuchlich, wenn
er durch seine Erklärung oder durch sein Verhalten bewusst oder unbe-
wusst eine Sach- bzw. Rechtslage geschaffen hat, auf die sich der ande-
re Teil verlassen durfte und auch verlassen hat, und sich der Berechtigte
jetzt mit seinen früheren Erklärungen bzw. seinem früheren Verhalten in
Widerspruch setzt (BGHZ 32, 273, 279; BGH, Urteil vom 6. März 1985
- IVb ZR 7/84, NJW 1985, 2589, 2590). Diese engen Voraussetzungen
sind hier nicht erfüllt.
aa) Auch wenn die Beklagte angekündigt hat, die für ungültig er-
klärten "Pfennig-Briefmarken" würden "voraussichtlich" bis zum 30. Juni
2003 umgetauscht, hat sie keinen Vertrauenstatbestand dahingehend
geschaffen, dass sie ihr Angebot auch noch nach diesem Termin auf-
recht erhalten werde. Falls der Kläger allein aufgrund des Wortes "vor-
aussichtlich" ein solches Verhalten der Beklagten für möglich und viel-
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leicht sogar für wahrscheinlich hielt, hätte er sich bei ihr erkundigen
müssen, bevor er die Briefmarken nach Ablauf der Jahresfrist von Dritten
weit unter Nennwert erwarb. Dies kann gerade von einem Briefmarken-
händler erwartet werden.
bb) Der Umstand, dass sich die Beklagte selbst nicht strikt an die
von ihr vorgesehene Jahresfrist gehalten, sondern die ihr vom Kläger
und von anderen Kunden erst im Juli 2003 vorgelegten "Pfennig-
Briefmarken" noch ohne weiteres umgetauscht hat, rechtfertigt keine an-
dere rechtliche Beurteilung. Zwar konnte hierdurch der Eindruck entste-
hen, dass die Beklagte sich zumindest auch in naher Zukunft nicht an-
ders verhalten werde. Nach der allgemeinen Lebenserfahrung ist es aber
keine Seltenheit, dass ein Vertragsteil das erste Fristversäumnis des an-
deren entweder aus Kulanz oder aus vergleichbaren Gründen hinnimmt.
Ein sorgfältiger Erklärungsempfänger darf daher normalerweise nicht
darauf vertrauen, dass seinem an sich unbegründeten Anspruchsbegeh-
ren auch künftig entsprochen wird. Der Kläger handelte infolgedessen
auf eigenes Risiko, als er die Briefmarken nach Ablauf der Umtauschfrist
von Dritten erwarb und wegen des durch den Wegfall der Umtauschmög-
lichkeit hervorgerufenen Wertverlustes nur einen weit unter dem Nenn-
wert der Marken liegenden Kaufpreis zahlen musste. Davon abgesehen
kann der in seinem berechtigten Vertrauen enttäuschte Vertragspartner
grundsätzlich nur einen ihm zugefügten, hier nicht dargelegten Vertrau-
ensschaden (vgl. auch § 122 Abs. 1 BGB) ersetzt verlangen.
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III.
Die Revision des Klägers konnte demnach keinen Erfolg haben
und war deshalb zurückzuweisen.
Nobbe Müller Joeres
Wassermann Mayen
Vorinstanzen:
LG Bonn, Entscheidung vom 08.06.2004 - 10 O 93/04 -
OLG Köln, Entscheidung vom 25.11.2004 - 14 U 15/04 -
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