Urteil des BGH vom 23.10.2013

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
VERSÄUMNISURTEIL
VIII ZR 423/12
Verkündet am:
23. Oktober 2013
Ermel,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
HGB § 25; CISG Art. 4, Art. 7
a) Bei einem dem UN-Kaufrechtsübereinkommen (CISG) unterliegenden internatio-
nalen Warenkauf beurteilt sich ein gesetzlicher Schuldbeitritt aufgrund Firmenfort-
führung nach dem am Ort der gewerblichen Niederlassung des fortgeführten Un-
ternehmens geltenden Recht (Firmenstatut).
b) § 25 HGB ist auch dann anwendbar, wenn ein in Insolvenz befindliches Unter-
nehmen von einem Dritten außerhalb des Insolvenzverfahrens ohne Mitwirkung
des Insolvenzverwalters lediglich tatsächlich fortgeführt wird.
c) Die Verjährung des Kaufpreisanspruchs aus einem dem UN-Kaufrechts-
übereinkommen unterliegenden internationalen Warenkauf beurteilt sich nach dem
nach dem Vertragsstatut zu bestimmenden unvereinheitlichten Recht, die Verwir-
kung von Ansprüchen dagegen nach dem Einheitsrecht des CISG.
BGH, Versäumnisurteil vom 23. Oktober 2013 - VIII ZR 423/12 - OLG Stuttgart
LG Heilbronn
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Der VIII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche
Verhandlung vom 23. Oktober 2013 durch den Vorsitzenden Richter Ball, die
Richterin Dr. Milger, die Richter Dr. Achilles und Dr. Schneider sowie die
Richterin Dr. Fetzer
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 5. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 30. Januar 2012 im Kos-
tenpunkt und insoweit aufgehoben, als hinsichtlich der gegen
den Beklagten zu 1 auf eine Firmenfortführung gestützten An-
sprüche zum Nachteil der Klägerin erkannt worden ist.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zur neuen Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisions-
verfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die in Italien ansässige Klägerin schloss im Jahre 2002 mit der in
Deutschland ansässigen und Mitte des Jahres 2005 in Insolvenz gefallenen
B. I. GmbH (im Folgenden:
Schuldnerin) einen Kaufvertrag über die Lieferung von elektrischen Heizgerä-
ten. Auf den Kaufpreis von 18.195,42 € wurden in der Folgezeit 8.195,42 €
gezahlt; ein vom Beklagten zu 1 (im Folgenden: Beklagter) über den Restbe-
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trag ausgestellter Scheck wurde nicht eingelöst. Ob die Lieferung der Heiz-
geräte erfolgt ist und ob der restliche Kaufpreis später noch gezahlt worden
ist, ist zwischen den Parteien streitig.
Die Klägerin nimmt den Beklagten, der nach ihren Behauptungen sei-
nerzeit als faktischer Geschäftsführer der nach Beendigung des Insolvenz-
verfahrens im Jahre 2009 wegen Vermögenslosigkeit im Handelsregister ge-
löschten Schuldnerin fungiert hat, auf Zahlung in Höhe des restlichen Kauf-
preises von 10.000
€ nebst Zinsen in Anspruch. Dies stützt sie neben delikti-
schen Ansprüchen und einer von ihr geltend gemachten Durchgriffshaftung
darauf, dass der Beklagte im Verlauf des Insolvenzverfahrens über das Ver-
mögen der Schuldnerin deren Geschäftsbetrieb unter Verwendung des prä-
genden Firmenbestandteils "B. I. " fortgeführt habe. Ihre im Jahre
2010 erhobene Klage hat in den Vorinstanzen keinen Erfolg gehabt. Mit ihrer
vom Berufungsgericht hinsichtlich der auf eine Firmenfortführung gestützten
Ansprüche beschränkt zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Zah-
lungsbegehren im zugelassenen Umfang weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Über das Rechtsmittel ist antragsgemäß
durch Versäumnisurteil zu entscheiden, da der Beklagte in der mündlichen
Revisionsverhandlung trotz ordnungsgemäßer Ladung nicht vertreten war.
Inhaltlich beruht das Urteil indessen nicht auf der Säumnis des Beklagten,
sondern auf einer Sachprüfung (vgl. BGH, Urteil vom 4. April 1962 - V ZR
110/60, BGHZ 37, 79, 81 ff.).
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I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, so-
weit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen ausgeführt:
Der Klägerin stünden gegen den Beklagten weder deliktische Ansprü-
che zu noch komme eine Durchgriffshaftung für die Verbindlichkeiten der
Schuldnerin in Betracht. Ebenso wenig ergebe sich ein gegen den Beklagten
gerichteter Anspruch der Klägerin auf den gemäß Art. 53 CISG zu zahlenden
Restkaufpreis aus dem Gesichtspunkt einer Firmenfortführung. Eine solche
im UN-Kaufrecht nicht geregelte und deshalb nach dem deutschen Fir-
menstatut der Schuldnerin zu beurteilende Haftung sei deshalb zu verneinen,
weil der insoweit maßgebliche § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB hier aufgrund des bei
Unternehmensfortführung bereits eröffneten Insolvenzverfahrens nicht an-
wendbar sei.
Zwar stelle sich der vom Beklagten unter dem Namen "B. I. "
und der Internetadresse "www.b. .de" aufgenommene Betrieb seines
Einzelunternehmens als Fortführung der bisherigen Firma der Schuldnerin
dar, da dieser Bestandteil deren Firma geprägt habe. Ebenso komme es in
Betracht, die Tätigkeit des Beklagten als Fortführung des Handelsgeschäfts
der Schuldnerin anzusehen. Hierfür reiche es aus, dass ein Betrieb von ei-
nem neuen Inhaber in seinem wesentlichen Bestand unverändert weiterge-
führt werde, also der Tätigkeitsbereich, die innere Organisation und die
Räumlichkeiten ebenso wie Kunden- und Lieferantenbeziehungen jedenfalls
im Kern beibehalten und/oder Teile des Personals übernommen würden. Un-
ter diesen Vorzeichen spreche vieles für eine Firmenfortführung, weil der Be-
klagte für im Wesentlichen gleiche Leistungen bis 2007 die gleichen Räum-
lichkeiten und bis heute die gleichen Telekommunikationsanschlüsse ge-
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nutzt, den Kernbestandteil der Firma "B. I. " übernommen, wenigs-
tens einen Mitarbeiter der Schuldnerin übernommen und nach dem Bericht
des Insolvenzverwalters mit Gerätschaften weiter "gewurschtelt" habe, die
teilweise zur Insolvenzmasse gehört hätten.
Gleichwohl scheide eine Anwendung des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB mit
Rücksicht auf die Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen
des Unternehmens der Schuldnerin aus. Denn nach der Rechtsprechung des
Bundesgerichtshofs stünde die Anwendung dieser Bestimmung im Wider-
spruch zur Aufgabe des Insolvenzverwalters, die Vermögensgegenstände
des Schuldners zu verwerten und dabei im Interesse der Gläubiger den
höchstmöglichen Erlös zwecks anschließender Verwertung zu erzielen. Die-
ses Ziel, die realisierbaren Vermögenspositionen zur Masse zu ziehen und
die Insolvenzgläubiger mit möglichst hoher Quote gleichmäßig zu befriedi-
gen, wäre in den seltensten Fällen erreichbar, wenn die Werthaltigkeit der
Masse dadurch geschmälert wäre, dass ein Unternehmensnachfolger eine
unmittelbare Inanspruchnahme durch Gläubiger von Insolvenzforderungen
befürchten müsste und der Insolvenzverwalter deshalb in aller Regel darauf
beschränkt wäre, eine Verwertung des Schuldnervermögens durch Zerschla-
gung durchzuführen. Dementsprechend komme § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB an-
gesichts des Umstandes, dass der Beklagte den von ihm unter der Bezeich-
nung "B. I. " geführten Geschäftsbetrieb erst im Jahre 2006 und da-
mit nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufgenommen habe, nicht zur
Anwendung.
Eine Haftung des Beklagten aus § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB sei auch
nach Beendigung des Insolvenzverfahrens nicht aufgelebt. Insoweit sei zwar
durch die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs geklärt, dass ein erst
nach Firmenfortführung eröffnetes Insolvenzverfahren der Haftung aus § 25
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Abs. 1 Satz 1 HGB selbst dann nicht entgegenstehe, wenn das erworbene
Unternehmen bei Fortführung bereits zahlungsunfähig oder überschuldet
gewesen sei. Umgekehrt komme ein Aufleben der Haftung bei einer während
der Insolvenz erfolgten Firmenfortführung aber auch nicht in Betracht, weil
dies die entgegenstehenden Verwertungsaussichten des Insolvenzverwalters
im Rahmen eines Insolvenzverfahrens unzulässig schmälern würde. Diese
Sperrwirkung bestehe selbst dann, wenn der Fortführung - wie hier - kein
Erwerbsvorgang, sondern eine eigenständige Neugründung mit einer (im
Kern) gleichen Firma wie der des insolventen Unternehmens zugrunde liege.
Denn durchgängiges Prinzip der typisierenden Vorschrift des § 25 Abs. 1
Satz 1 HGB sei die Anknüpfung an Merkmale, die für den Rechtsverkehr
sichtbar seien, so dass es konsequent sei, allein auf die aus dem Handelsre-
gister ersichtliche Tatsache des Eröffnungsbeschlusses abzustellen und die
Anwendung dieser Bestimmung ab Insolvenzeröffnung generell auszuschlie-
ßen.
Bei dieser Sachlage komme es auf die vom Beklagten erhobene Ver-
jährungseinrede sowie den Einwand der Verwirkung nicht mehr an. Diese
griffen allerdings auch nicht durch, weil entgegen der Auffassung des Land-
gerichts hier die Verjährungsvorschriften des italienischen Rechts mit der
dort in Art. 2946 CC vorgesehenen zehnjährigen Verjährungsfrist zur An-
wendung kämen und es für eine Verwirkung an jeglichem Anknüpfungspunkt
für einen zu Gunsten des Beklagten persönlich wirkenden Vertrauenstatbe-
stand fehle.
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II.
Diese Beurteilung hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Denn das
Berufungsgericht ist zu Unrecht davon ausgegangen, dass eine auf § 25
Abs. 1 Satz 1 HGB gestützte Haftung des Beklagten für den von der Schuld-
nerin zu zahlenden Kaufpreis schon deshalb auszuscheiden habe, weil zum
Zeitpunkt der von ihm in Betracht gezogenen Fortführung des Handelsge-
schäfts der Schuldnerin bereits das Insolvenzverfahren über deren Vermö-
gen eröffnet war.
1. Zutreffend hat das Berufungsgericht allerdings für die auf eine Fir-
menfortführung gestützte Haftung des Beklagten unvereinheitlichtes deut-
sches Recht und damit § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB für anwendbar erachtet.
Zwar finden auf den zwischen der Klägerin und der Schuldnerin geschlosse-
nen Warenkauf die Bestimmungen des UN-Kaufrechtsübereinkommens
(CISG) und nicht das sonst gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1
EGBGB aF als Vertragsstatut heranzuziehende unvereinheitlichte italieni-
sche Recht Anwendung (Art. 3 Abs. 2 Satz 1 EGBGB aF, Art. 1 Abs. 1
Buchst. a CISG). Denn der von der Klägerin gegen den Beklagten geltend
gemachte Kaufpreisanspruch (Art. 53 CISG) beruht nicht auf einer vom Be-
klagten nach Maßgabe von Art. 14 ff. CISG originär eingegangenen Ver-
pflichtung, sondern darauf, dass der Beklagte die in der Person der Schuld-
nerin begründeten kaufvertraglichen Pflichten nachträglich übernommen ha-
ben soll. Diese Frage behandelt das UN-Kaufrechtsübereinkommen, das
nach Art. 4 Satz 1 CISG ausschließlich den Abschluss des Kaufvertrages
und die aus ihm erwachsenden Rechte und Pflichten des Verkäufers und des
Käufers regelt, nicht. Sie ist vielmehr nach Maßgabe des nach den Regeln
des internationalen Privatrechts zu bestimmenden nationalen Rechts zu be-
antworten.
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a) Es besteht in der internationalen Rechtspraxis weitgehende Über-
einstimmung, dass sich die Voraussetzungen, Wirkungen und Folgen einer
Schuldübernahme und eines Schuldbeitritts allein nach dem hierfür anwend-
baren nationalen Recht beurteilen (Staudinger/Magnus, BGB, Neubearb.
2013, Art. 4 CISG Rn. 57 mwN). Das hat erst recht zu gelten, wenn ein
Schuldbeitritt, wie er in § 25 HGB geregelt ist, nicht auf vertraglicher Verein-
barung beruht, sondern bei Erfüllung bestimmter Voraussetzungen nachträg-
lich kraft Gesetzes eintritt (vgl. BGH, Urteile vom 8. Mai 1989 - II ZR 237/88,
WM 1989, 1219 unter 3 b; vom 5. März 1974 - VI ZR 240/73, WM 1974, 395,
396; vom 26. November 1964 - VII ZR 75/63, BGHZ 42, 381, 384; RGZ 135,
104, 107 f.; ebenso zum gesetzlichen Forderungsübergang von Ansprüchen
aus der CMR BGH, Urteil vom 12. Februar 1998 - I ZR 5/96, WM 1998, 2077
unter II 1 b aa).
b) Für die Haftung des Erwerbers aus einer Firmenfortführung für Ver-
bindlichkeiten des fortgeführten Unternehmens ist nach - jedenfalls für die
hier maßgebliche Zeit vor Inkrafttreten der Rom-Verordnungen - allgemeiner
Auffassung nicht an das - vorliegend italienische - Vertragsstatut, das dazu
in Art. 2560 Abs. 2 CC eigene Regeln enthält (dazu Merkt/Dunckel, RIW
1996, 533, 536), sondern an das Recht am Ort der gewerblichen Niederlas-
sung des fortgeführten Unternehmens als dem Firmenstatut anzuknüpfen.
Denn allein dieses Recht ist berufen, über einen kraft Gesetzes eintretenden
Übergang von Rechten und Pflichten aus einem in seinem Geltungsbereich
ansässigen Handelsgeschäft im Falle der Fortführung durch einen Dritten zu
entscheiden (MünchKommBGB/Kindler, 5. Aufl., IntGesR Rn. 253; Merkt/
Dunckel, aaO S. 542; Freitag, ZHR 174 [2010], 429, 431 f.; jeweils mwN).
Das führt angesichts der in Deutschland gelegenen Niederlassung der
Schuldnerin kollisionsrechtlich zur Anwendbarkeit von § 25 HGB.
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2. Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht jedoch, soweit es
eine Anwendbarkeit des § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB für Firmenfortführungen
ausschließen will, die - wie hier - nach Eröffnung eines Insolvenzverfahrens
über das Vermögen des fortgeführten Unternehmens erfolgen.
a) § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB, wonach derjenige, der ein unter Lebenden
erworbenes Handelsgeschäft unter der bisherigen Firma fortführt, für alle im
Betrieb des Geschäfts begründeten Verbindlichkeiten des früheren Inhabers
haftet, greift nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ein, wenn
zwar der Unternehmensträger wechselt, das Unternehmen selbst aus Sicht
des maßgeblichen Verkehrs aber in seinem wesentlichen Bestand unverän-
dert unter der alten Firmenbezeichnung fortgeführt wird. Das setzt voraus,
dass neben einer (Weiter-)Verwendung zumindest von prägenden Bestand-
teilen der bisherigen Firma auch der Tätigkeitsbereich, die innere Organisati-
on und die Räumlichkeiten ebenso wie Kunden- und Lieferantenbeziehungen
jedenfalls im Kern beibehalten und/oder Teile des Personals übernommen
werden und auf diese Weise dem Verkehr eine nach außen in Erscheinung
tretende Unternehmenskontinuität vermittelt wird, die den tragenden Grund
für die Erstreckung der Haftung auf den Erwerber bildet (BGH, Urteile vom
28. November 2005 - II ZR 355/03, WM 2006, 434 unter 1 a; vom 24. Sep-
tember 2008 - VIII ZR 192/06, WM 2008, 2273 Rn. 12 f., 19; vom 5. Juli 2012
- III ZR 116/11, WM 2012, 1482 Rn. 18; jeweils mwN). Ob dieser in den Au-
gen des Verkehrs auf eine ungebrochene Kontinuität des bisherigen Unter-
nehmens hindeutenden Fortführung ein rechtsgeschäftlicher, derivativer Er-
werbsvorgang zugrunde liegt, ist dabei unmaßgeblich; ausreichend für ein
Eingreifen der Fortführungshaftung ist vielmehr bereits die bloße Tatsache
der Geschäftsfortführung unabhängig davon, ob zwischen dem alten und
dem neuen Inhaber zum Zwecke der Fortführung des Unternehmens be-
stimmte Abreden getroffen sind oder ob die zu prüfende Fortführung - wie
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hier - lediglich tatsächlich erfolgt ist (BGH, Urteile vom 10. Oktober 1985
- IX ZR 153/84, WM 1985, 1475 unter a; vom 28. November 2005 - II ZR
355/03, aaO; vom 24. September 2008 - VIII ZR 192/06, aaO Rn.13; jeweils
mwN).
b) Das Berufungsgericht hat anhand dieser Maßstäbe den vom Be-
klagten aufgenommenen Betrieb eines Einzelunternehmens unter dem Na-
men "B. I. " als Fortführung der bisherigen Firma (§ 17 Abs. 1 HGB)
der Schuldnerin angesehen. Ferner hat das Berufungsgericht, ohne dies al-
lerdings - nach seinem Standpunkt folgerichtig - abschließend zu entschei-
den, in Betracht gezogen, in der Tätigkeit des Beklagten auch sonst eine tat-
sächliche Fortführung des Handelsgeschäfts der Schuldnerin zu sehen, weil
auch hierfür nach den Umständen vieles spreche. Bei der danach revisions-
rechtlich zu unterstellenden Unternehmensfortführung hätte das Berufungs-
gericht eine Haftung des Beklagten aus § 25 Abs. 1 Satz 1 HGB für die in
Rede stehende Kaufpreisforderung nicht allein daran scheitern lassen dür-
fen, dass die Fortführung erst nach der im Sommer 2005 erfolgten Eröffnung
des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Schuldnerin erfolgt ist.
Denn eine derart weitgehende Einschränkung des Anwendungsbereichs von
§ 25 HGB ist nicht veranlasst.
aa) Allerdings hat das Berufungsgericht richtig gesehen, dass § 25
Abs. 1 Satz 1 HGB mit der darin angeordneten Fortführungshaftung bei Un-
ternehmensveräußerungen durch den Insolvenzverwalter einschränkend
ausgelegt werden muss und keine Anwendung finden kann, wenn der Insol-
venzverwalter aus der Insolvenz heraus ein zur Masse gehörendes Unter-
nehmen ganz oder in seinem wesentlichen Kern durch Veräußerung an ei-
nen Dritten verwertet. Denn in solch einem Fall geriete eine Fortsetzungshaf-
tung in einen unauflöslichen Widerspruch zu der dem Insolvenzverwalter
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durch das Insolvenzrecht zugewiesenen und bei Eingreifen einer Fortfüh-
rungshaftung zumindest erschwerten Aufgabe, ein sanierungsfähiges Unter-
nehmen nach Möglichkeit nicht zu zerschlagen, sondern es im Interesse der
Gläubiger an einer schnellst- und bestmöglichen Verwertung der Masse etwa
im Ganzen zu veräußern (BGH, Urteile vom 11. April 1988 - II ZR 313/87,
BGHZ 104, 151, 153 f. mwN; vom 4. November 1991 - II ZR 85/91, WM
1992, 55 unter II 2; vom 24. September 2008 - VIII ZR 192/06, aaO Rn. 22;
Beschluss vom 9. November 2006 - IX ZA 27/06, juris Rn. 1; BAG, NJW
2007, 942). Zudem käme es in diesem Fall bei einer Fortsetzungshaftung
auch zu einer systemwidrigen Bevorzugung einzelner hierdurch begünstigter
Insolvenzgläubiger unter Benachteiligung der übrigen Insolvenzgläubiger, die
sich angesichts einer dadurch zu erwartenden Erlösschmälerung mit einer
geringeren Verteilungsmasse zu begnügen hätten (BAG, aaO S. 942 f.
mwN).
bb) Die durch diese Besonderheiten des Insolvenzverfahrens beding-
ten Gesichtspunkte treffen aber auf die Fortführung eines überschuldeten
Unternehmens außerhalb eines Insolvenzverfahrens nicht zu. Nach der
Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist deshalb die Anwendbarkeit von
§ 25 Abs. 1 HGB nicht ausgeschlossen, wenn ein Handelsunternehmen von
einem Sequester (§ 105 KO) oder einem vorläufigen Insolvenzverwalter
(§ 21 Abs. 2 Nr. 1 InsO) erworben wird, ohne dass sich daran die Eröffnung
eines Konkurs- oder Insolvenzverfahrens anschließt (BGH, Urteil vom
11. April 1988 - II ZR 313/87, aaO). Gleiches gilt in Fällen, in denen der Un-
ternehmenserwerb einem mangels einer die Verfahrenskosten deckenden
Masse nicht eröffneten Konkurs- oder Insolvenzverfahren nachfolgt (BGH,
Urteil vom 4. November 1991 - II ZR 85/91, aaO) oder in denen schon vor
Eröffnung eines Insolvenzverfahrens das Unternehmen des späteren
Schuldners von einem Dritten in seinem wesentlichen Bestand unverändert
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fortgeführt wird (BGH, Urteile vom 28. November 2005 - II ZR 355/03, aaO
unter 2; vom 24. September 2008 - VIII ZR 192/06, aaO).
Nichts anderes gilt hier. Denn die Gesichtspunkte, die in Fällen einer
Unternehmensfortführung aus der Insolvenzmasse heraus zu einer ein-
schränkenden Auslegung des § 25 HGB geführt haben, um einen Wider-
spruch zu gegenläufigen insolvenzrechtlichen Wertungen zu vermeiden, tref-
fen nicht auf den Fall zu, dass ein in Insolvenz befindliches Unternehmen von
einem Dritten außerhalb des Insolvenzverfahrens lediglich tatsächlich fortge-
führt wird, ohne dass diese Fortführung vom Insolvenzverwalter abgeleitet
ist. Weder kollidiert in solch einem Fall eine Fortführungshaftung des Erwer-
bers mit den aus § 159 InsO folgenden Verwertungspflichten des Insolvenz-
verwalters noch folgt aus der lediglich tatsächlichen Unternehmensfortfüh-
rung die beschriebene Gefahr einer ungleichmäßigen Befriedigung aller In-
solvenzgläubiger. Der vom Berufungsgericht hervorgehobene Gesichtspunkt
eines quasi stichtagsbezogenen Ausschlusses jeglicher Fortführungshaftung
nach Insolvenzeröffnung findet in der Rechtsprechung des Bundesgerichts-
hofs zur Rechtfertigung einer einschränkenden Auslegung des § 25 HGB
keine Stütze.
3. Das Berufungsurteil erweist sich auch nicht aus anderen Gründen
als richtig. Denn das Berufungsgericht hat die Klageforderung mit Recht we-
der als verjährt noch als verwirkt angesehen.
a) Für die Beurteilung einer Verjährung des geltend gemachten Kauf-
preisanspruchs nach Art. 53 CISG hat sich das Berufungsgericht rechtsfeh-
lerfrei auf die Vorschriften des unvereinheitlichten italienischen Rechts ge-
stützt und danach einen Verjährungseintritt verneint.
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aa) Die Frage einer Anspruchsverjährung wird, wie nicht zuletzt auch
Art. 3 des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom
11. April 1980 über Verträge über den internationalen Warenkauf sowie zur
Änderung des Gesetzes zu dem Übereinkommen vom 19. Mai 1956 über
den Beförderungsvertrag im internationalen Straßengüterverkehr (CMR) vom
5. Juli 1989 (BGBl. II S. 586) zeigt, nach nahezu einhelliger Auffassung mit
Recht nicht zu den in Art. 4 Satz 1 CISG beschriebenen Regelungsmaterien
des UN-Kaufrechtsübereinkommens gezählt (Staudinger/Magnus, aaO,
Art. 4 Rn. 38 mwN). Da weder Italien noch Deutschland zu den Vertragsstaa-
ten des Übereinkommens über die Verjährung beim internationalen Waren-
kauf vom 14. Juni 1974 gehören, bestimmt sich die Frage einer Verjährung
gemäß Art. 32 Abs. 1 Nr. 4 EGBGB aF nach dem Vertragsstatut und damit
gemäß Art. 28 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 EGBGB aF nach dem für den
Sitz der Klägerin maßgeblichen unvereinheitlichten italienischen Recht.
bb) Das italienische Recht bestimmt in Art. 2934 Abs. 1 CC, dass je-
des Recht durch Verjährung erlischt, wenn es der Berechtigte während der
im Gesetz bestimmten Zeit nicht ausübt. Nach Art. 2935 CC beginnt die Ver-
jährung von jenem Tag an zu laufen, an dem das Recht geltend gemacht
werden kann, hier also mit Fälligkeit der im Jahre 2002 begründeten Kauf-
preisforderung (Asam, RIW 1992, 798, 800). Zur ordentlichen Verjährung,
der auch Kaufpreisansprüche aus Warenlieferungen unterfallen (Asam, aaO
S. 801), sieht Art. 2946 CC vor, dass Ansprüche durch Verjährung nach Ab-
lauf von 10 Jahren erlöschen. Zugleich besagt Art. 2943 CC, dass die Ver-
jährung durch Zustellung eines Schriftstücks unterbrochen wird, mit welchem
ein (gerichtliches) Erkenntnisverfahren eingeleitet wird, was Art. 2945 Abs. 1,
2 CC dahin ergänzt, dass mit dem Eintritt der Unterbrechung eine neue Ver-
jährungsfrist zu laufen beginnt, und zwar im Falle eines gerichtlichen Er-
kenntnisverfahrens erst dann, wenn das Urteil, mit dem das Verfahren abge-
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schlossen wird, in Rechtskraft erwächst. Danach ist eine Verjährung des
Kaufpreisanspruchs der Klägerin aufgrund der im Jahre 2010 erfolgten Kla-
geerhebung in Deutschland nicht eingetreten (vgl. Stürner, RIW 2006, 338,
340 f. mwN).
cc) Hieran ändert, wie das Berufungsgericht weiter ohne Rechtsfehler
angenommen hat, nichts, dass eine Mithaftung des Beklagten für die Kauf-
preisverpflichtung der Schuldnerin erst nachträglich durch den gemäß § 25
Abs. 1 Satz 1 HGB erfolgten Schuldbeitritt aufgrund der revisionsrechtlich zu
unterstellenden Firmenfortführung im Jahre 2006 eingesetzt hat. Denn als
Folge dieser nach dem deutschen Firmenstatut eingetretenen Mithaftung
treffen die in dem fortgeführten Unternehmen begründeten Verbindlichkeiten
den Erwerber in dem Zustand, in dem sie sich bei Geschäftsfortführung be-
finden. Die Gläubiger erhalten also nur einen neuen Schuldner, wobei die
Schuld des Erwerbers grundsätzlich den gleichen Inhalt und die gleiche Be-
schaffenheit hat wie die Schuld des bisherigen Inhabers. Dementsprechend
laufen auch die (begonnenen) Verjährungsfristen für den Erwerber in gleicher
Weise weiter wie für den originären Schuldner (RGZ 135, 104, 107 f.; Staub/
Burgard, HGB, 5. Aufl., § 25 Rn. 83; Heymann/Emmerich, HGB, 2. Aufl., § 25
Rn. 31).
b) Ebenso wenig ist es revisionsrechtlich zu beanstanden, dass das
Berufungsgericht den Kaufpreisanspruch der Klägerin im Verhältnis zum Be-
klagten nicht für verwirkt erachtet hat. Entgegen der Auffassung des Beru-
fungsgerichts beurteilt sich die Frage einer Verwirkung zwar nicht nach un-
vereinheitlichtem Recht. Die im Kern auf den in Art. 7 Abs. 1 CISG benann-
ten und in einer Reihe anderer Vorschriften für spezielle Fallgestaltungen
konkretisierten Auslegungsgrundsatz der Wahrung des guten Glaubens im
internationalen Handel zurückzuführende Frage einer Verwirkung von
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Rechtspositionen ist nach überwiegender und zutreffender Auffassung viel-
mehr im UN-Kaufrechtsübereinkommen mitgeregelt und deshalb gemäß Art.
7 Abs. 2 CISG anhand der dafür aus dem Übereinkommen herleitbaren Wer-
tungen und allgemeinen Grundsätze zu entscheiden (Staudinger/Magnus,
aaO, Art. 4 Rn. 53, Art. 7 Rn. 43; Schlechtriem/Schwenzer/Ferrari, UN-
Kaufrecht, 5. Aufl., Art. 4 Rn. 42; jeweils mwN). Anhaltspunkte dafür, dass
eine Geltendmachung des Kaufpreisanspruchs gegenüber dem Beklagten
trotz fehlenden Ablaufs der Verjährungsfrist bereits ausnahmsweise treuwid-
rig sein könnte, stellt das Berufungsgericht aber nicht fest; sie ergeben sich
- wie das Berufungsgericht mit Recht annimmt - auch nicht aus dem Vortrag
des Beklagten, der sich insoweit auf den nicht weiter unterlegten Einwand
beschränkt, dass die Klägerin ihre vermeintlichen Ansprüche ganz offensicht-
lich über Jahre hinweg nicht verfolgt habe.
III.
Nach alledem kann das Urteil des Berufungsgerichts, soweit hinsicht-
lich des Beklagten im angefochtenen Umfang zum Nachteil der Klägerin ent-
schieden worden ist, keinen Bestand haben; es ist daher insoweit aufzuhe-
ben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Rechtsstreit ist nicht zur Endentscheidung reif,
weil das Berufungsgericht - von seinem Standpunkt aus folgerichtig - keine
abschließenden Feststellungen zu der Übernahme des Unternehmens der
Schuldnerin jedenfalls in seinem Kern getroffen hat. Ebenso wenig hat sich
das Berufungsgericht bislang mit der möglicherweise gemäß Art. 58 Abs. 1
Satz 1 CISG für die Frage einer Kaufpreisfälligkeit bedeutsamen Frage der
vom Beklagten bestrittenen Zurverfügungstellung der Ware und der von ihm
behaupteten vollständigen Erfüllung der Kaufpreisschuld befasst. Der
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Rechtsstreit ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Be-
rufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
Ball
Dr. Milger
Dr. Achilles
Dr. Schneider
Dr. Fetzer
Vorinstanzen:
LG Heilbronn, Entscheidung vom 12.08.2011 - 8 O 367/10 Ka -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 30.01.2012 - 5 U 128/11 -