Urteil des BGH vom 15.02.2006

BGH (treu und glauben, freizügigkeit der arbeitnehmer, rente, berechnung, zusatzrente, arbeitgeber, egv, arbeitnehmer, satzung, eugh)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 271/02
Verkündet
am:
15.
Februar
2006
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als
Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhand-
lung vom 15. Februar 2006
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 6. Zivilkammer des
Landgerichts Karlsruhe vom 7. Juni 2002 wird auf Kosten
der Klägerin zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin verlangt von der beklagten Versorgungseinrichtung
für den öffentlichen Dienst eine höhere und dynamische Zusatzrente.
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Die 1941 geborene Klägerin war während ihres Berufslebens bei
verschiedenen Arbeitgebern tätig, unter anderem über Arbeitgeber in
Großbritannien mehrfach im Ausland. Im Zeitraum vom 1. April 1972 bis
zum 15. März 1999 war sie mit Unterbrechungen im öffentlichen Dienst
bei sieben verschiedenen Arbeitgebern beschäftigt, über die sie insge-
samt 112 Monate bei der Beklagten pflichtversichert war. Seit dem 21.
September 1999 ist sie erwerbsunfähig und bezieht eine Rente aus der
gesetzlichen Rentenversicherung. Von der Beklagten erhält sie ab dem
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1.
Oktober 1999 eine Zusatzrente für Versicherte von monatlich
131,41 DM nach § 44 der damals geltenden Satzung (VBLS a.F.).
Die Klägerin meint, der Rentenberechnungsmodus des § 44 VBLS
a.F. und die fehlende Dynamisierung würden sie im Vergleich mit Arbeit-
nehmern in der Privatwirtschaft und auch gegenüber Beziehern von Ver-
sicherungsrenten nach § 44a VBLS a.F. und Versorgungsrenten nach
§§ 40 ff. VBLS a.F. sachwidrig ungleich behandeln. Insbesondere seien
Frauen, denen es vor allem nach der Kindererziehungszeit allein schon
aufgrund ihres Alters meist nicht gelinge, wieder in den öffentlichen
Dienst einzutreten, durch § 44 VBLS a.F. verfassungswidrig und europa-
rechtswidrig diskriminiert. Außerdem werde dadurch die in Art. 39 EGV
gewährleistete Freizügigkeit der Arbeitnehmer beeinträchtigt.
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Die Klägerin begehrt deshalb festzustellen, dass die Beklagte ver-
pflichtet sei, ihr ab dem 1. Januar 2001 eine Rente auf der Grundlage
von § 18 BetrAVG (in der Fassung des Änderungsgesetzes vom 21. De-
zember 2000, BetrAVG n.F.) zu gewähren, hilfsweise ab dem 1. Oktober
1999 eine um 25 DM höhere Monatsrente, und die Rente jährlich zum
1. Juli um 1 vom Hundert zu erhöhen, soweit in diesem Jahr die Versor-
gungsrenten allgemein erhöht werden. Diese in den Vorinstanzen abge-
wiesenen Anträge verfolgt die Klägerin mit der Revision weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
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I. Nach Ansicht des Berufungsgerichts hat die Klägerin keinen An-
spruch auf eine höhere und dynamische Zusatzrente nach § 18 BetrAVG
n.F.. Die Berechnung der Rente nach § 44 VBLS a.F. und deren fehlende
Dynamisierung seien nicht zu beanstanden. Insbesondere führe die An-
wendung dieser Bestimmung zu keiner Diskriminierung von Frauen.
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II. Das Berufungsgericht hat im Ergebnis richtig entschieden. Die
Beklagte hat die Berechnung der Rente mit Recht nach § 44 VBLS a.F.
vorgenommen.
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1. a) Die Berechnung der Versicherungsrente nach § 44 VBLS a.F.
benachteiligt die Versicherten nicht entgegen dem Gebot von Treu und
Glauben unangemessen im Sinne von § 9 Abs. 1 AGBG (jetzt: § 307
Abs. 1 Satz 1 BGB) und verletzt auch nicht im Rahmen der Inhaltskon-
trolle zu beachtende Grundrechte, wie der Senat im Urteil vom
14. Januar 2004 eingehend dargelegt hat (IV ZR 56/03 - VersR 2004,
453 unter II 2 b). Den aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschiedenen Be-
diensteten wird damit ein versicherungstechnischer Gegenwert für die
geleisteten Beiträge gewährt. Den Versicherten bleibt damit in jedem Fall
eine gewisse Anwartschaft erhalten. Im Vergleich zu Arbeitnehmern au-
ßerhalb des öffentlichen Dienstes werden dadurch insbesondere Versi-
cherte begünstigt, die wie die Klägerin noch keine nach § 1 Abs. 1
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BetrAVG a.F. unverfallbare Anwartschaft erworben hatten. Schon des-
halb scheidet eine Berechnung der Versicherungsrente nach den Maß-
stäben der §§ 2 Abs. 1, 16 BetrAVG a.F. aus.
Aus den neuen Regelungen des Betriebsrentenrechts durch das
Erste Gesetz zur Änderung des Gesetzes zur Verbesserung der betrieb-
lichen Altersversorgung vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I 1914) und das
Altersvermögensgesetz vom 26. Juni 2001 (BGBl. I 1310) kann die Klä-
gerin - was die Revision nicht verkennt - wegen der Übergangsregelun-
gen in §§ 30d, 30f BetrAVG n.F. keine weitergehenden Ansprüche herlei-
ten. Das ist auch nach der mit Wirkung vom 1. Januar 2001 in Kraft ge-
tretenen neuen Satzung der Beklagten nicht der Fall. Zu einer rückwir-
kenden Neuregelung der Zusatzversorgung des öffentlichen Dienstes
waren der Gesetzgeber und die Beklagte auch nach der Rechtsprechung
des Bundesverfassungsgerichts nicht verpflichtet (vgl. BVerfGE 98, 365,
402 f. und VersR 2000, 835, 837 f.).
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Der Forderung des Bundesverfassungsgerichts nach einer Dyna-
misierung der Zusatzrente (VersR 2000, 835, 838) hat die Beklagte
durch ihre neue Satzung hinreichend Rechnung getragen, wie der Senat
im Urteil vom 14. Januar 2004 ausgeführt hat (aaO unter II 2 c). Seit dem
1. Januar 2002 werden nach §§ 76 Abs. 2, 39 VBLS n.F. auch Versiche-
rungsrenten einmal jährlich zum 1. Juli um 1% erhöht.
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b) Die Klägerin wird durch die Berechnung der Rente nicht verfas-
sungswidrig als Frau diskriminiert. Ihre Mutterschutzzeiten lagen nach
dem Rentenbescheid der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte in
den Jahren 1966 und 1967. Es ist nichts dafür vorgetragen oder ersicht-
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lich, dass sie wegen der Kindererziehung daran gehindert war, längere
Zeit und bis zum Eintritt der Erwerbsunfähigkeit bei einem an der Beklag-
ten beteiligten Arbeitgeber tätig zu sein. Insbesondere ist dies nicht er-
kennbar für die sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungszeiten bei
anderen Arbeitgebern zwischen April 1977 und September 1990.
Deshalb liegt auch der von der Revision gerügte Verstoß gegen
das im europäischen Gemeinschaftsrecht normierte Gebot der Gleichbe-
handlung von Männern und Frauen nicht vor. Der Grundsatz des glei-
chen Entgelts aus betrieblichen Systemen der sozialen Sicherheit deckt
ohnehin nur Leistungen ab, die für Beschäftigungszeiten nach dem
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Mai 1990 gewährt werden (EuGH NZA 2005, 347
f.; EuGH,
Rs. C-262/88, Barber, Slg. 1990, I-1889, 1955 f. Rdn. 40 ff.).
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c) § 44 VBLS a.F. verletzt nicht das durch Art. 39, 42 EGV (Art. 48,
51 EGV a.F.) gewährleistete Recht der Arbeitnehmer auf Freizügigkeit.
Für den Anspruch auf die satzungsmäßige Zusatzrente ist es unerheb-
lich, welche Staatsangehörigkeit der Versicherte besitzt und ob er bei ei-
nem Arbeitgeber in einem anderen Mitgliedsstaat beschäftigt war. Auch
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die Tätigkeit bei einem in Deutschland ansässigen Arbeitgeber kann ei-
nen Anspruch nur begründen, wenn der Arbeitnehmer über den Arbeit-
geber bei der Beklagten pflichtversichert ist.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
AG Karlsruhe, Entscheidung vom 12.10.2001 - 2 C 259/01 -
LG Karlsruhe, Entscheidung vom 07.06.2002 - 6 S 24/01 -