Urteil des BGH vom 22.07.2003

BGH (stgb, schuldfähigkeit, strafkammer, sucht, krankenhaus, unterbringung, sache, stv, stpo, geld)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
4 StR 199/03
vom
22. Juli 2003
in der Strafsache
gegen
wegen Betruges u.a.
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Der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Generalbun-
desanwalts und des Beschwerdeführers am 22. Juli 2003 gemäß § 349 Abs. 2
und 4 StPO beschlossen:
1.
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Siegen vom 5. Februar 2003 im Maßre-
gelausspruch mit den Feststellungen, einschließlich
derjenigen zur erheblich verminderten Schuldfähigkeit,
aufgehoben.
2.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landge-
richts zurückverwiesen.
3.
Die weiter gehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Betrugs in Tateinheit mit
Urkundenfälschung in 53 Fällen unter Einbeziehung von Einzelstrafen aus ei-
ner früheren Verurteilung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von zwei Jahren zehn
Monaten, sowie wegen Betrugs in 15 weiteren Fällen, davon in zwölf Fällen in
Tateinheit mit Urkundenfälschung, zu einer weiteren Gesamtfreiheitsstrafe von
zwei Jahren acht Monaten verurteilt. Außerdem hat es die Unterbringung des
Angeklagten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Gegen das
Urteil wendet sich der Angeklagte mit seiner Revision, mit der er die Verletzung
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sachlichen Rechts rügt. Das Rechtsmittel hat zum Maßregelausspruch Erfolg;
im übrigen ist es unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
Die Voraussetzungen für die Unterbringung in einem psychiatrischen
Krankenhaus sind nicht rechtsfehlerfrei dargetan. § 63 StGB verlangt, daß die
erhebliche Minderung der Schuldfähigkeit positiv festgestellt ist (st. Rspr.
BGHSt 34, 22, 26). Dies ergeben die Urteilsgründe nicht.
Das Landgericht hat, dem Gutachten des forensisch-psychiatrischen
Sachverständigen folgend, angenommen, die Steuerungsfähigkeit des Ange-
klagten sei bei Begehung der Taten im Sinne des § 21 StGB erheblich vermin-
dert gewesen, da bei ihm "das psychiatrische Krankheitsbild des pathologi-
schen Spielens" vorliege. Die Straftaten habe der Angeklagte begangen, um an
Geld für Automatenglücksspiele zu gelangen.
Abgesehen davon, daß das Landgericht nicht mitteilt, was der Sachver-
ständige unter "pathologischem Spielen" versteht, bedeutet dieser in der wis-
senschaftlichen Diskussion verwendete Begriff jedenfalls nicht ohne weiteres,
daß derjenige, der damit behaftet ist, schon allein deshalb eine krankhafte see-
lische Störung oder eine schwere andere seelische Abartigkeit im Sinne des
§ 20 StGB aufweist (BGHR StGB § 21 seelische Abartigkeit 7, 8; vgl. Kröber,
Forensia 1987, S. 113 ff.; Schumacher in Festschrift für Sarstedt S. 361 ff.;
Venzlaff/Foerster Psychiatrische Begutachtung 3. Aufl. S. 269 ff.; Rasch in StV
1991, 126, 129 f.; Kellermann in NStZ 1996, 335 f.). Maßgebend ist vielmehr,
inwieweit das gesamte Erscheinungsbild des Täters (bei Zugrundelegung der
in der vorgenannten Literatur aufgezeigten Beurteilungskriterien) psychische
Veränderungen der Persönlichkeit aufweist, die, wenn sie nicht pathologisch
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bedingt sind, als andere seelische Abartigkeit in ihrem Schweregrad den
krankhaften seelischen Störungen gleichwertig sind (vgl. BGHSt 34, 22, 24,
25). Dies zugrundegelegt ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs
eine erhebliche Verminderung der Steuerungsfähigkeit beim pathologischen
Spielen nur ausnahmsweise dann gegeben, wenn die Sucht zu schwersten
Persönlichkeitsveränderungen geführt oder der Täter bei Beschaffungstaten
unter starken Entzugserscheinungen gelitten hat (BGHR StGB aaO 7, 17; BGH
NStZ 1999, 448, 449; BGH StV 1993, 241).
Dies hat die Strafkammer nicht dargetan.
Das Landgericht hat weder nachvollziehbare Feststellungen zum Verlauf
der Sucht getroffen, noch hat es dargelegt, welche schwerwiegenden Persön-
lichkeitsveränderungen beim Angeklagten auf seine Spielleidenschaft zurück-
zuführen sind. Zwar geht das Landgericht rechtsfehlerfrei davon aus, daß der
Angeklagte während des Tatzeitraums (von Mai bis Juli 2000 und ab März
2001 bis Mai 2002) nahezu täglich an Automaten spielte und das Glücksspiel
mit Geld, das er aus seinen Straftaten erlangte, bestritt. Allein dieser äußere
Zusammenhang zwischen der Spielleidenschaft des Angeklagten und seiner
Straffälligkeit vermag indes eine strafrechtlich relevante Beeinträchtigung sei-
ner Schuldfähigkeit nicht zu belegen. Nach den Feststellungen der Strafkam-
mer wurde der Angeklagte nämlich bereits 1983 erstmals wegen Diebstahls
verurteilt und trat seither in kurzen Zeitabständen vielfach und massiv wegen
Eigentums- und Vermögensdelikten in Erscheinung. Von 1986 bis April 2000
verbüßte er mehr als zehn Jahre Strafhaft. Abgesehen davon, daß das Urteil
widersprüchliche Angaben zu dem Zeitpunkt enthält, zu welchem der Ange-
klagte mit dem Automatenglücksspiel begonnen haben soll (nach der Haftent-
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lassung im Januar 1990 - UA 3 -; Mitte der 80iger Jahre - UA 7/18 -), ist nach
den bisherigen Feststellungen jedenfalls nicht auszuschließen, daß er bereits
zur Begehung erheblicher Straftaten neigte, bevor er an Automaten zu spielen
begann. Es ist deshalb nicht fernliegend, daß beim Angeklagten unabhängig
von seiner Spielleidenschaft eine Verfestigung strafrechtlich relevanten Ver-
haltens eingetreten ist. Auch hiermit hat sich die Strafkammer bei der Beurtei-
lung der Schuldfähigkeit des Angeklagten nicht auseinandergesetzt.
Der Maßregelausspruch kann deshalb nicht bestehen bleiben. Der Se-
nat kann nicht in der Sache selbst dahin entscheiden, daß die Maßregelanord-
nung entfällt. Angesichts der bisher unzureichenden Prüfung durch das Land-
gericht ist nicht mit der nötigen Sicherheit auszuschließen, daß sich noch Fest-
stellungen treffen lassen, die die Maßregelanordnung tragen können.
Der aufgezeigte Rechtsfehler berührt zwar die Schuldfähigkeitsbeurtei-
lung durch das Landgericht, läßt aber gleichwohl den Strafausspruch unbe-
rührt; denn durch die Annahme der Voraussetzungen des § 21 StGB ist der
Angeklagte bei der Strafzumessung nicht beschwert.
Die Vorsitzende Richterin am Maatz Athing
Bundesgerichtshof Dr. Tepperwien
ist infolge Urlaubs verhindert zu
unterschreiben.
Maatz
Ernemann Sost-Scheible