Urteil des BGH vom 30.06.2010

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XII ZR 84/08 Verkündet
am:
30. Juni 2010
Küpferle,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
SchuldRAnpG § 23 a
Zu den Voraussetzungen einer Teilkündigung eines Nutzungsvertrages an einem
Erholungsgrundstück nach § 23 a SchuldRAnpG.
BGH, Urteil vom 30. Juni 2010 - XII ZR 84/08 - LG Neuruppin
AG
Oranienburg
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 30. Juni 2010 durch die Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richterinnen
Weber-Monecke und Dr. Vézina und die Richter Dose und Dr. Klinkhammer
für Recht erkannt:
1. Auf die Revision des Beklagten zu 2 wird das Urteil der
4. Zivilkammer des Landgerichts Neuruppin vom 21. Mai 2008
teilweise aufgehoben und insgesamt wie folgt neu gefasst:
Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Amtsgerichts
Oranienburg vom 19. Oktober 2007 wird auf deren Kosten zu-
rückgewiesen.
2. Die Kläger tragen die Kosten der Revision.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien streiten darüber, ob die von den Klägern gemäß § 23 a
Schuldrechtsanpassungsgesetz (SchuldRAnpG) erklärte Teilkündigung eines
Nutzungsvertrages über ein Erholungsgrundstück in Brandenburg wirksam ist.
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Die Kläger, die Eigentümer des im Grundbuch von B. Bl. 11 einge-
tragenen Grundstücks Gemarkung B. Flur 1, Flurstück 10/1 sind, ver-
pachteten dieses Grundstück in zwei Teilflächen. Sie schlossen am 8. Juli 1979
mit den Beklagten einen unbefristeten Pachtvertrag über eine Teilfläche des
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Grundstücks von 617,49 qm. Am selben Tag schlossen sie mit dem Vater des
Beklagten zu 2 einen unbefristeten Pachtvertrag über die andere Teilfläche des
Grundstücks von 617,83 qm. Nach § 8 Abs. 2 der gleich lautenden, vorformu-
lierten Verträge erklärten sich die Kläger bereit, nach dem Tod des Pächters
einen Vertrag mit dessen Erben abzuschließen, wenn dieser Bürger der DDR
ist und das Grundstück für persönliche Erholungsbedürfnisse nutzt.
Der Beklagte zu 2 ist Alleinerbe seines am 15. Juni 1982 gestorbenen
Vaters. Er nutzt seitdem das von ihm gepachtete Grundstück gemeinsam mit
der Beklagten zu 1.
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Mit Schreiben vom 19. Dezember 2005 erklärten die Kläger gestützt auf
§ 23 a SchuldRAnpG gegenüber den Beklagten die Kündigung des mit dem
Vater des Beklagten zu 2 abgeschlossenen Pachtvertrages vom 8. Juli 1979
und kündigten mit Schriftsatz vom 26. Februar 2007 erneut. Mit der Klage ver-
langen sie Räumung und Herausgabe.
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Das Amtsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Kläger
hat das Landgericht den Beklagten zu 2 zur Herausgabe und Räumung verur-
teilt und die Berufung im Übrigen zurückgewiesen. Mit der vom Landgericht zu-
gelassenen Revision verfolgt der Beklagte zu 2 seinen Klageabweisungsantrag
weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg.
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I.
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Das Berufungsgericht, dessen Urteil in ZOV 2008, 155 veröffentlicht ist,
hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
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Über das an den Vater des Beklagten zu 2 verpachtete Grundstück sei
nach dessen Tod konkludent ein inhaltsgleicher Pachtvertrag zwischen den
Klägern und dem Beklagten zu 2 abgeschlossen worden. Dieser Vertrag sei
jedenfalls durch die Kündigung der Kläger vom 26. Februar 2007 zum
31. Oktober 2007 beendet worden. Denn die Kläger seien gemäß § 23 a Abs. 1
SchuldRAnpG zur Teilkündigung berechtigt gewesen. Das Pachtverhältnis um-
fasse in Bezug auf den Beklagten zu 2 eine Fläche von über 1.000 qm. Dem
stehe nicht entgegen, dass er sein Nutzungsrecht aus zwei Verträgen ableite
und dass an einem dieser beiden Verträge auch seine Ehefrau, die Beklagte
zu 1, als Pächterin beteiligt sei. Entscheidend sei vielmehr die wirtschaftliche
Betrachtung des Nutzungsverhältnisses über die gesamte Fläche. Denn der
zum Schutz des Eigentümers eingeführte § 23 a Abs. 1 SchuldRAnpG knüpfe
das Teilkündigungsrecht entscheidend an den Umstand, dass ein Pächter sein
vertragliches Nutzungsrecht an einer überdurchschnittlich großen Fläche aus-
übe. Eine einschränkende Auslegung dieser Vorschrift dahin, dass bei zusam-
menhängenden, in getrennten Verträgen an einen Vertragspartner verpachteten
Grundstücken, deren Gesamtfläche 1.000 qm übersteige, nur die Größe jedes
einzelnen Grundstücksteils zugrunde gelegt werden dürfe, sei unter dem Ge-
sichtspunkt der Verfassungskonformität der Regelung nicht zulässig. Mit dem
Eigentumsgrundrecht aus Art. 14 GG sei es nicht vereinbar, den Eigentümer in
den Fristen des § 23 SchuldRAnpG von der Nutzung eines großen Grundstücks
gänzlich auszuschließen, obwohl bei einer Teilkündigung eines abtrennbaren
Teils dem Nutzer noch eine so große Teilfläche verbleibe, dass er die bisherige
Nutzung ohne unzumutbare Einbußen fortsetzen könne. Der auf der Grundlage
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des Beschlusses des Bundesverfassungsgerichts vom 14. Juli 1999 (BVerfG
1 BvR 995/95) mit § 23 a SchuldRAnpG gefundene Interessenausgleich zwi-
schen Pächter und Eigentümer sei grundsätzlich nicht davon abhängig, aus
welcher vertraglichen Konstellation der Pächter sein Nutzungsrecht an einem
großen Grundstück herleite. Die Belastung des Eigentums sei nicht deshalb
geringer, weil die Grenze von 1.000 qm erst durch separaten Vertrag über ei-
nen zweiten Grundstücksteil überschritten werde.
Auch führe der Umstand, dass bezüglich der beiden Nutzungsverträge
auf Pächterseite nur eine personelle Teilidentität bestehe, nicht zu einer Unter-
schreitung der in § 23 a SchuldRAnpG festgelegten Grenze. So wenig die Be-
teiligung einer Personenmehrheit auf Nutzerseite Einfluss auf das Erreichen
dieser Grenze habe, so wenig führe die gemischt gemeinschaftlich/einseitige
Nutzung zu einer Anhebung der Grenze.
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II.
Diese Ausführungen halten einer rechtlichen Überprüfung in einem ent-
scheidenden Punkt nicht stand.
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1. Das Berufungsgericht geht in revisionsrechtlich nicht zu beanstanden-
der Weise und von den Parteien nicht angegriffen davon aus, dass zwischen
dem Beklagten zu 2 als Alleinerbe seines Vaters und den Klägern ein Pachtver-
trag mit dem gleichen Inhalt zustande gekommen ist, wie er zwischen seinem
Vater und den Klägern bestand.
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2. Zu Unrecht nimmt das Berufungsgericht jedoch an, die Kläger hätten
den Vertrag wirksam gemäß § 23 a SchuldRAnpG gekündigt.
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Nach § 23 a Abs. 1 SchuldRAnpG kann der Grundstückseigentümer den
Vertrag über ein Nutzungsrecht an einem Erholungs- und Freizeitgrundstück,
das sich nach dem Vertrag auf eine Fläche von mindestens 1.000 qm erstreckt,
abweichend von § 23 SchuldRAnpG hinsichtlich einer Teilfläche kündigen, so-
weit dem Nutzer mindestens eine Gesamtfläche von 400 qm verbleibt und der
Nutzer die bisherige Nutzung ohne unzumutbare Einbußen fortsetzen kann.
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Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichts kann §
23
a Abs.
1
SchuldRAnpG nicht dahin ausgelegt werden, dass die Voraussetzungen für
eine Teilkündigung auch dann vorliegen, wenn - wie hier - zwei Verträge mit nur
teilweise identischen Nutzern über zwei aneinandergrenzende Flächen, die zu-
sammen 1.000 qm erreichen, abgeschlossen worden sind.
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a) Nach dem Wortlaut des § 23 a Abs. 1 SchuldRAnpG und seiner Über-
schrift, die von der Kündigung einer “Teilfläche“ und von einer "Teilkündigung"
ausgehen, erfasst die Vorschrift nur die Fälle, in denen sich das Nutzungsrecht
an einer Fläche von mindestens 1000 qm aus einem Vertrag ergibt. Danach gilt
§ 23 a Abs. 1 SchuldRAnpG in den Fällen, in denen sich ein solches Recht aus
mehreren Verträgen ergibt, nicht unmittelbar.
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b) In diesen Fällen ist jedoch § 23 a SchuldRAnpG analog anwendbar,
wenn die Nutzer in den verschiedenen Verträgen identisch sind. Insoweit ent-
hält das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke und gebietet der Normzweck
eine entsprechende Anwendung.
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aa) Mit der Einfügung von § 23 a SchuldRAnpG durch das Gesetz zur
Änderung des Schuldrechtsanpassungsgesetzes vom 17. Mai 2002 (BGBl. I
S. 1580) hat der Gesetzgeber den Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
vom 14. Juli 1999 (BVerfGE 101, 54) umgesetzt.
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Das Bundesverfassungsgericht hat §
23 Abs.
1 bis 3, 5 und 6
SchuldRAnpG für mit Art. 14 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt, soweit er nicht die
Möglichkeit vorsieht, bei besonders großen Erholungs- und Freizeitgrundstü-
cken die Verträge hinsichtlich einer Teilfläche zu kündigen. Es hat u.a. ausge-
führt, § 23 SchuldRAnpG sei im Grundsatz verfassungsrechtlich nicht zu bean-
standen. Auch die Kündigungsbeschränkungen nach § 23 Abs. 2 und 3
SchuldRAnpG brächten die gegenläufigen Interessen von Grundstückseigen-
tümern und -nutzern in einen im Wesentlichen gerechten, die Belange der
Grundstückseigentümer nicht unangemessen beschränkenden Ausgleich.
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Verfassungsrechtlich keinen Bestand haben könne § 23 SchuldRAnpG
allerdings insoweit, als er dem Eigentümer für besonders große Erholungs- und
Freizeitgrundstücke nicht die Möglichkeit einer Teilkündigung eröffne (BVerfGE
101, 54, 84 ff.). Gerade wenn es dem Grundstückseigentümer grundsätzlich
zugemutet werde, im Interesse des Nutzers auf die eigene Nutzung und ander-
weitige Verwertung des eigenen Grund und Bodens unter Umständen auf Leb-
zeiten zu verzichten, sei es verfassungsrechtlich geboten, ihm den Zugang zu
einer Nutzung und Verwertung zu ermöglichen, soweit dies ohne nachhaltige
Beeinträchtigung der Nutzerinteressen oder von Gemeinwohlbelangen gesche-
hen könne. Das sei bei dem Nutzer überlassenen großen Grundstücken der
Fall, wenn Teile des Grundstücks abtrennbar und die verbleibende Grund-
stücksfläche immer noch so groß sei, dass der Nutzer auf ihr die bisherige Nut-
zung ohne unzumutbare Einbußen fortsetzen könne. Auch nach dem Recht der
Deutschen Demokratischen Republik habe bei großen Erholungsgrundstücken
und einem nur für eine Teilfläche gegebenen Nutzungsbedarf des Eigentümers
die Möglichkeit einer Grundstücksteilung und einer entsprechenden Änderung
des Nutzungsvertrags gemäß § 78 ZGB bestanden (OG NJ 1983, 507). Es sei
kein Grund erkennbar, der es rechtfertigen könne, unter der Geltung des Art. 14
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GG und des Gebots eines gerechten und angemessenen Interessenausgleichs
eine andere Bewertung der Belange vorzunehmen.
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bb) Mit § 23 a SchuldRAnpG wollte der Gesetzgeber diesen vom Bun-
desverfassungsgericht geforderten Interessenausgleich herstellen. Den Fall,
dass der Eigentümer einer mindestens 1.000 qm großen Grundstücksfläche
diese in mehrere Flächen aufteilt und in mehreren Verträgen demselben Nutzer
überlässt, hat der Gesetzgeber nicht bedacht.
Dieser Sachverhalt, bei dem der Nutzer aus mehreren selbständigen
Verträgen die gleichen Nutzungsrechte an einer Gesamtfläche von mindestens
1.000 qm herleitet, ist im Ergebnis dem Sachverhalt gleichzustellen, den § 23 a
SchuldRAnpG regelt. Es ist deshalb davon auszugehen, dass der Gesetzgeber
bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen
hätte leiten lassen wie beim Erlass des § 23 a SchuldRAnpG, zu dem gleichen
Abwägungsergebnis gelangt wäre.
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c) Das gilt allerdings nicht für den Fall, dass keine Personenidentität zwi-
schen den Nutzern der beiden verpachteten Teilflächen besteht, sondern ein
Nutzer - wie hier der Beklagte zu 2 - aus mehreren Verträgen unterschiedliche
Nutzungsrechte an den verschiedenen Teilflächen hat. In diesen Fällen fehlt es
an einer Vergleichbarkeit mit dem in § 23 a SchuldRAnpG geregelten Sachver-
halt. Auch gebieten Normzweck und Interessenlage dann keine entsprechende
Anwendung dieser Vorschrift.
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§ 23 a SchuldRAnpG bezweckt den Interessenausgleich zwischen dem
Eigentümer eines besonders großen Erholungsgrundstücks und dem Nutzer
eines solchen Grundstücks. Dem Nutzer soll ein Teil des Grundstücks genom-
men werden können, wenn die verbleibende Grundstücksfläche ihm die Fort-
setzung der bisherigen Nutzung ohne unzumutbare Einbußen ermöglicht
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(BVerfGE 101, 54, 85). Wird dem Nutzer - wie hier dem Beklagten zu 2 - die
Teilfläche gekündigt, an der ihm das alleinige Nutzungsrecht zusteht und ver-
bleibt ihm danach noch eine Teilfläche, die er nur gemeinsam mit einem Dritten
nutzen darf, so wird sein bisheriges alleiniges Nutzungsrecht an der einen Teil-
fläche nicht eingeschränkt, es wird vielmehr beendet. Der Nutzer kann insoweit
die bisherige Nutzung nicht fortsetzen. Sein durch das Nutzungsrecht des Drit-
ten beschränktes Nutzungsrecht an der anderen Teilfläche kann diesen Verlust
nicht aufwiegen.
Eine solche Aufgabe des durch § 23 SchuldRAnpG gewährleisteten Be-
standsschutzes des Nutzers ist zugunsten des Rückerlangungsinteresses des
Eigentümers verfassungsrechtlich nicht geboten. Nur in den Fällen, in denen
der Nutzer an einer Gesamtfläche von mindestens 1.000 qm ein gleichartiges
Nutzungsrecht hat und nach Abtrennung einer Teilfläche die verbleibende Flä-
che immer noch so groß ist, dass er auf ihr die bisherige Nutzung ohne unzu-
mutbare Einbußen fortsetzen kann, verlangen Art. 14 GG und das Gebot eines
gerechten und angemessenen Interessenausgleichs, dem Eigentümer die Mög-
lichkeit einer Teilkündigung einzuräumen (BVerfGE 101, 54, 85).
III.
Da den Klägern somit kein Teilkündigungsrecht bezüglich des mit dem
Beklagten zu 2 allein bestehenden Nutzungsvertrages zusteht, war das Beru-
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fungsurteil aufzuheben, soweit es den Beklagten zu 2 zur Räumung und Her-
ausgabe verurteilt hat und die Berufung auch insoweit zurückzuweisen.
Hahne Weber-Monecke Vézina
Dose Klinkhammer
Vorinstanzen:
AG Oranienburg, Entscheidung vom 19.10.2007 - 24 C 15/07 -
LG Neuruppin, Entscheidung vom 21.05.2008 - 4 S 194/07 -