Urteil des BGH vom 10.05.2001

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 356/00
Verkündet am:
10. Mai 2001
Seelinger-Schardt,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGB § 397
Das Angebot auf Abschluß eines Erlaßvertrags muß unmißverständlich erklärt wer-
den.
BGH, Urteil vom 10. Mai 2001 - VII ZR 356/00 - OLG Frankfurt
LG Gießen
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 10. Mai 2001 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Ullmann und die
Richter Dr. Haß, Hausmann, Dr. Kuffer und Dr. Kniffka
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des 10. Zivilsenats
des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 4. August 2000
aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin macht aus abgetretenem Recht der A. GmbH Werklohnan-
sprüche aus verschiedenen Bauaufträgen der Beklagten geltend.
Die A. GmbH erstellte im Herbst 1997 die Schlußrechnungen über die
Bauvorhaben und verlangte noch 424.404,27 DM. Die Klägerin informierte die
Beklagte am 5. November 1997 über die Abtretung der Forderungen unter
Hinweis darauf, daß deshalb mit schuldbefreiender Wirkung nur an sie gezahlt
werden könne. Mit Schreiben vom 19. Januar 1998 teilte die Beklagte mit, daß
die Restverbindlichkeit nach dem Ergebnis ihrer Rechnungsprüfung nach Ab-
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zug der vertraglichen Sicherheitseinbehalte lediglich 146.954,41 DM betrage.
Sie wies darauf hin, daß die V. GmbH aus einem verlängerten Eigentumsvor-
behalt ebenfalls Ansprüche auf Zahlung geltend gemacht habe. Gleichzeitig
forderte sie die Klägerin auf, ihr durch übereinstimmende Erklärung aller An-
spruchsteller aufzugeben, wie die von ihr errechnete Restverbindlichkeit zu
verteilen sei. Sie werde sonst den Betrag von 146.954,41 DM hinterlegen. Die
A. GmbH legte am 24. Januar neue Schlußrechnungen vor, die unter Berück-
sichtigung des vorab abgezogenen Sicherheitseinbehalts noch eine Forderung
von 327.817,78 DM ergaben und forderte die Beklagte zur Zahlung an die Klä-
gerin auf.
Die V. GmbH teilte am 29. Januar 1998 im Einverständnis mit der Kläge-
rin mit, daß an sie noch 63.504,01 DM zu zahlen seien und die darüber hin-
ausgehenden Beträge mit schuldbefreiender Wirkung an die Klägerin gezahlt
werden könnten. Die Beklagte erbat daraufhin eine Stellungnahme der Kläge-
rin, daß sie mit einer Verteilung der Restverbindlichkeit von 63.504,01 DM an
die V. GmbH und 83.450,40 DM an sie einverstanden sei und die Auszahlung
mit schuldbefreiender Wirkung an die Beteiligten erfolge. Die Klägerin erklärte
sich mit der quotalen Aufteilung der Schuld zur Vermeidung des Hinterle-
gungsverfahrens einverstanden. Mit Schreiben vom 2. Februar 1998 erwiderte
die Beklagte, sie verstehe das Schreiben der Klägerin so, daß nunmehr die
Zahlung in der von der Beklagten vorgeschlagenen Weise erfolgen und mit
schuldbefreiender Wirkung gezahlt werden könne. Sollte die Beklagte von der
Klägerin nichts anderes hören, ginge sie von deren Einverständnis und der
daraus resultierenden Schuldbefreiung für ihre Gesellschaft aus. Die Klägerin
reagierte nicht. Die Zahlungen erfolgten.
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Mit der Klage verlangt die Klägerin noch 165.248,57 DM Vergütung für
die Leistungen der A. GmbH. Sie legt ihrer Berechnung die Schlußrechnungen
vom 24. Januar 1998 zugrunde und hat die sich aus dem verlängerten Eigen-
tumsvorbehalt der V. GmbH ergebenden Forderungen in Höhe von
79.082,81 DM, die Zahlung von 83.450,40 DM sowie Sicherheitseinbehalte von
40.510,99 DM von vornherein abgezogen. Letztere macht sie gesondert zur
Zahlung Zug um Zug gegen Stellung einer Bankbürgschaft geltend.
Die Beklagte hat sich unter anderem auf den Standpunkt gestellt, mit der
Zahlung von 83.450,40 DM an die Klägerin und 63.504,01 DM an die V. GmbH
seien sämtliche Ansprüche aus den Bauvorhaben erledigt. Das Landgericht ist
dem gefolgt und hat die Klage abgewiesen. Die Berufung ist erfolglos geblie-
ben. Mit der Revision verfolgt die Klägerin die Zahlungsansprüche weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Beru-
fungsurteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
I.
Das Berufungsgericht meint, die Parteien hätten auf der Grundlage des
Schriftwechsels Ende Januar/Anfang Februar 1998 eine Vereinbarung getrof-
fen, nach deren Inhalt der Streit über weitere Forderungen mit der Zahlung der
Beklagten über insgesamt 146.954,41 DM erledigt gewesen sei. Die Beklagte
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habe in ihren Schreiben deutlich gemacht, daß die Zahlung an die Klägerin,
wie auch an die andere Gläubigerin, mit schuldbefreiender Wirkung habe er-
folgen sollen. Das sei nicht anders zu verstehen gewesen, als daß dadurch auf
die Beklagte keine weiteren Forderungen zukommen sollten. Unerheblich sei,
daß die A. GmbH noch am 24. Januar 1998 auf Bezahlung der neuen Rech-
nungen bestanden habe. Die A. GmbH sei dazu nicht autorisiert gewesen, da
sie infolge der Abtretung nicht Forderungsinhaberin gewesen sei. Wenn die
Klägerin eine Schuldbefreiung nicht gewollt haben sollte, hätte sie spätestens
auf das Schreiben vom 2. Februar 1998 reagieren müssen.
II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand.
Rechtsirrig nimmt das Berufungsgericht eine Einigung der Parteien dar-
über an, daß die Klägerin keine Ansprüche aus den abgetretenen Forderungen
mehr hat. Das Berufungsgericht hat Prozeßstoff übergangen und gegen das
Gebot einer interessengerechten Auslegung verstoßen. Die Auffassung, die
Beklagte habe durch ihre verschiedenen Schreiben deutlich zum Ausdruck ge-
bracht, daß es ihr um eine endgültige Erledigung der Forderungen gehe, wird
durch diese Schreiben und die ihnen zugrunde liegenden Umstände nicht be-
legt.
1. Die Beklagte hat in den Schreiben vom 19. Januar 1998 bis zum
2. Februar 1998 nicht zum Ausdruck gebracht, daß mit der Zahlung der von ihr
errechneten Restverbindlichkeit von 146.954,41 DM mögliche weitere Forde-
rungen der Klägerin ausgeschlossen sein sollten. Ein derartiger Ausschluß ist
in den Schreiben nicht erwähnt. Aus dem mehrfachen Hinweis auf die er-
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wünschte Schuldbefreiung ergibt er sich bei interessengerechter, alle Umstän-
de berücksichtigenden Auslegung nicht.
a) Das Berufungsgericht berücksichtigt nicht das Schreiben der Klägerin
vom 5. November 1997. Darin teilt diese mit, daß mit schuldbefreiender Wir-
kung nur an sie gezahlt werden könne. Die Beklagte hat auf dieses Schreiben
am 19. Januar 1998 geantwortet. Mit der Bezugnahme auf das Schreiben vom
5. November 1997, dem Hinweis auf die angemeldete Forderung der V. GmbH
und der Ankündigung der Hinterlegung wird deutlich, daß der Beklagten allein
daran gelegen war, Sicherheit in einem möglichen Prätendentenstreit zu er-
halten. So ist das Schreiben offenbar auch von den Forderungsinhabern ver-
standen worden. Eine Erklärung dahin, daß sie auf weitere Forderungen ver-
zichten wollten, enthalten die Schreiben der Prätendenten nicht. Sie haben le-
diglich den von der Beklagten zugestandenen Betrag aufgeteilt.
b) Auch die Schreiben der Beklagten vom 29. Januar 1998 und
2. Februar 1998 geben nicht zu erkennen, daß diese unter der mehrfach er-
wähnten Schuldbefreiung die Aufforderung der Klägerin zu einem Verzicht auf
etwaige weitergehende Ansprüche verstanden haben wollte.
Die Auslegung des Berufungsgerichts führt dazu, daß die Klägerin auf
Forderungen in erheblicher Höhe verzichtet hätte. Gegen dieses Verständnis
spricht schon, daß die Beklagte keinen nachvollziehbaren Grund dargelegt hat,
warum die Klägerin auf ihre restliche Forderung verzichten sollte. Eine Ge-
genleistung hat sie nicht angeboten. Sie besteht nicht in dem Verzicht der Be-
klagten auf Hinterlegung. Eine Verhandlung über die Mehrforderungen, wie sie
sich aus den Rechnungen der A. GmbH vom 24. Januar 1998 ergaben, hat
nicht stattgefunden. Gegen die Bereitschaft der Klägerin zu einem Verzicht
spricht, daß die A. GmbH noch mit Schreiben vom 24. Januar 1998 die Rech-
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nungskürzungen der Beklagten nur zum Teil anerkannt hatte und zu einer
weitaus höheren Restforderung gekommen war. Unabhängig davon, ob die A.
GmbH noch Forderungsinhaberin war, war für die Beklagte erkennbar, daß
auch die Klägerin diese Forderung unterstützte. Denn diese war als Siche-
rungszessionarin verpflichtet, die Interessen der A. GmbH zu wahren. Das be-
trifft insbesondere den vom Berufungsgericht ebenfalls bejahten Verzicht auf
die Auszahlung des Sicherheitseinbehalts. Über diesen bestand kein Streit. In
der von der Beklagten errechneten Summe von 146.954,41 DM war er nicht
enthalten. Die Beklagte hat keine Gründe dargelegt, warum die Klägerin bereit
gewesen sein sollte, zu Lasten ihrer Zedentin auf eine Forderung zu verzich-
ten, die zwischen den Parteien unstreitig, jedoch nur deshalb noch nicht fällig
war, weil die Gewährleistungsfristen noch nicht abgelaufen waren.
2. Ein Verzicht kann auch dann nicht angenommen werden, wenn die
unter Beweis gestellte Behauptung der Beklagten zutreffen sollte, ihr Mitarbei-
ter F. habe dem Mitarbeiter W. der Klägerin auf dessen Nachfrage erklärt,
die Beklagte wolle sicher gehen, daß die Angelegenheit mit der Zahlung der im
Schriftverkehr erwähnten Teilbeträge endgültig geklärt sei. Diese Erklärung
verdeutlicht ebenfalls nicht mit der nach Treu und Glauben gebotenen Klarheit,
daß die Beklagte von der Klägerin erwartete, auf einen Großteil ihrer Forde-
rung zu verzichten. Der Zeuge W. durfte die Erklärung so verstehen, daß sich
die endgültige Klärung der Angelegenheit auf die bis dahin ungewisse Forde-
rungszuständigkeit der Prätendenten bezog.
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III.
Das Berufungsurteil hat keine Feststellungen zur Höhe der Forderungen
getroffen. Die Sache ist deshalb an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
Ullmann Haß Hausmann
Kuffer Kniffka