Urteil des BGH vom 24.05.2006
Leitsatzentscheidung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 95/06
vom
15. März 2007
in der Zwangsversteigerungssache
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZVG §§ 30, 33
Die Einstellung des Verfahrens nach § 30 ZVG kann auch noch nach dem Schluss
der Versteigerung bis zur vollständigen Verkündung des Zuschlags bewilligt werden,
hat dann allerdings zur Folge, dass der Zuschlag zu versagen ist (§ 33 ZVG).
BGH, Beschl. v. 15. März 2007 - V ZB 95/06 - LG Dresden
AG Dresden
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 15. März 2007 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde des Erstehers gegen den Beschluss
der 13. Zivilkammer des Landgerichts Dresden vom 24. Mai
2006 wird zurückgewiesen.
Gründe:
I.
Auf Antrag der Gläubigerin wurde die Zwangsversteigerung eines Grund-
stücks der Schuldner angeordnet. Im Zwangsversteigerungstermin blieb der
Ersteher der Meistbietende. Nachdem die Rechtspflegerin den Schluss der
Versteigerung verkündet, die anwesenden Beteiligten über den Zuschlag ange-
hört und mit der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses begonnen hatte, wurde
sie von dem Vertreter der Gläubigerin mit der Frage unterbrochen, warum der
Zuschlag nicht nach § 85a Abs. 1 ZVG versagt werde. Die Rechtspflegerin ver-
wies auf § 85a Abs. 3 ZVG, worauf der Gläubigervertreter erklärte, er bewillige
die Einstellung des Verfahrens nach § 30 ZVG. Nach Erörterung der Sach- und
Rechtslage wurde der Zuschlagsbeschluss auch im Übrigen verkündet.
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Auf die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat das Landgericht den
Zuschlag versagt. Mit der von dem Landgericht zugelassenen Rechtsbe-
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schwerde erstrebt der Ersteher die Wiederherstellung des Zuschlagsbeschlus-
ses. Die Gläubigerin beantragt die Zurückweisung des Rechtsmittels.
II.
Das Beschwerdegericht ist der Auffassung des Vollstreckungsgerichts
entgegen getreten, für die Abgabe von Erklärungen und Anträgen sei während
der Verkündung des Zuschlagsbeschlusses kein Raum mehr. Aus § 33 ZVG
folge, dass die Einstellung des Verfahrens nach § 30 ZVG auch noch nach dem
Schluss der Versteigerung bewilligt werden könne. Dies gelte jedenfalls bis zur
vollständigen Verkündung des Tenors des Zuschlagsbeschlusses.
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III.
1. Die nach § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und auch im
Übrigen zulässige (§ 575 ZPO) Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Mit Recht
ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass das Vollstreckungsgericht
den Zuschlag hätte versagen müssen.
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a) Nach § 33 ZVG kann die Einstellung gemäß § 30 ZVG auch noch
nach dem Schluss der Versteigerung (§ 73 Abs. 2 ZVG) bewilligt werden, hat
dann allerdings zur Folge, dass der Zuschlag zu versagen ist. Die Möglichkeit
der Einstellung endet erst mit der vollständigen Verkündung des Zuschlags.
Erst dann ist das Objekt der Zwangsversteigerung nach §§ 87, 89 f. ZVG der
Disposition des betreibenden Gläubigers im Interesse einer eindeutigen dingli-
chen Zuordnung entzogen (vgl. Stöber, Zwangsversteigerungsgesetz, 18. Auf-
lage, § 30 Anm. 2.12 und § 87 Anm. 3.7.; ebenso für den Fall der Rücknahme
des Versteigerungsantrags aaO § 29 Anm. 2.7 m.w.N.).
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Entgegen der Auffassung des Erstehers ergibt sich aus § 516 Abs. 1
ZPO – danach kann die Berufung nur bis zur Verkündung des Berufungsurteils
zurückgenommen werden – nichts anderes. Dabei kann offen bleiben, ob die
Norm mit der Formulierung „bis zur Verkündung“ auf deren Beginn (so Münch-
Komm-ZPO/Rimmelspacher, Aktualisierungsband, 2. Aufl., § 516 Rdn. 10
m.w.N.) oder auf die vollständige Verkündung des gesamten Tenors abstellt (so
Hartmann, NJW 2001, 2577, 5591); nur Ersteres wäre der Rechtsbeschwerde
günstig. Jedenfalls ist zu bedenken, dass das Gesetz eine entsprechende An-
wendung von § 516 Abs. 1 ZPO zwar für die Rücknahme der Revision vorsieht
(§ 565 ZPO), nicht aber für andere Prozesshandlungen. Folgerichtig besteht
Einigkeit darüber, dass etwa die Rücknahme der Klage wirksam bis zur Beendi-
gung der Rechtshängigkeit und damit sogar zwischen den Instanzen erklärt
werden kann (vgl. nur Zöller/Greger, Zivilprozessordnung, 26. Auflage, § 269
Rdn. 8 m.w.N.).
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Vor diesem Hintergrund scheidet eine entsprechende Anwendung von
§ 516 Abs. 1 ZPO auf Konstellationen der vorliegenden Art aus. Es ist schon
nicht ersichtlich, dass das Zwangsversteigerungsgesetz eine planwidrige Rege-
lungslücke enthält. Davon abgesehen handelt es sich bei § 516 Abs. 1 ZPO um
eine Vorschrift, die nicht nur nach ihrer systematischen Stellung, sondern auch
nach Sinn und Zweck lediglich Rechtsmittelverfahren betrifft. Sie setzt eine
Endentscheidung der Vorinstanz voraus und betrifft damit die Frage, bis zu wel-
chem Zeitpunkt der Streit der Parteien endgültig noch dadurch befriedet werden
kann, dass das Endurteil der Vorinstanz infolge der Rechtsmittelrücknahme in
Rechtskraft erwächst (vgl. BT-Drucks 14/ 4722 S. 94). Dass es an einem teleo-
logisch vergleichbaren Tatbestand fehlt, wenn die Gläubigerin im Zwangsver-
steigerungsverfahren eine - ohnehin nur einstweilige - Einstellung des Verfah-
rens nach § 30 ZVG bewilligt, liegt auf der Hand.
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b) Der Umstand, dass der Gläubigervertreter die Rechtspflegerin bei der
Verkündung der Entscheidungsformel unterbrochen hat, ohne dass ihm das
Wort erteilt worden wäre, steht einer wirksamen Einstellungsbewilligung schon
deshalb nicht entgegen, weil das Vollstreckungsgericht diese Unterbrechung
nicht nach § 136 Abs. 2 Satz 1 ZPO unterbunden hat. Vielmehr ist es in eine
Erörterung der Sach- und Rechtslage über die Zulässigkeit des Antrags nach
§ 30 ZVG eingetreten, was eine Antragstellung voraussetzt.
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c) Ist nach allem von einer wirksamen Einstellungsbewilligung auszuge-
hen, kommt es auf die Gegenrüge der Gläubigerin nicht mehr an, die Rechts-
pflegerin habe bei der Anhörung der Beteiligten über den Zuschlag verfahrens-
fehlerhaft den Hinweis auf das Eingreifen von § 85a Abs. 3 ZVG (vgl. dazu
BVerfG NJW 1993, 1699 f.) unterlassen.
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2. Ein Ausspruch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens
scheidet aus, weil sich die Beteiligten bei der Zuschlagsbeschwerde und eines
sich hieran anschließenden Rechtsbeschwerdeverfahrens in der Regel nicht als
Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber stehen. Das steht einer
Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO entgegen (vgl. dazu insbesondere Senat,
Beschl. v. 25. Januar 2007, V ZB 125/05, Rdn. 7, zur Veröffentlichung be-
stimmt; ferner Beschl. v. 20. Juli 2006, V ZB 168/05, RPfleger 2006, 665, u. v.
18. Mai 2005, V ZB 142/05, WM 2006, 1727, 1730).
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Krüger Klein Stresemann
Czub Roth
Vorinstanzen:
AG Dresden, Entscheidung vom 04.08.2005 - 523 K 1848/03 -
LG Dresden, Entscheidung vom 24.05.2006 - 13 T 869/05 -