Urteil des BGH vom 23.01.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 174/01
Verkündet am:
23. Januar 2002
Heinekamp
Justizobersekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
_____________________
VVG § 63; SVS/RVS Nr. 4.1
Entstehen dem Versicherungsnehmer zusätzliche Aufwendungen deshalb, weil er
die von ihm geschuldete Leistung zunächst nicht ordnungsgemäß erbracht hat,
stellen diese keine Rettungskosten im Sinne der Nr. 4.1 SVS/RVS dar.
BGH, Urteil vom 23. Januar 2002 - IV ZR 174/01 - OLG Bremen
LG Bremen
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, den Richter Seiffert, die Richterin Ambrosius, den
Richter Wendt und die Richterin Dr. Kessal-Wulf auf die mündliche Ver-
handlung vom 23. Januar 2002
für Recht erkannt:
Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des 2. Zi-
vilsenats des Hanseatischen Oberlandesgerichts in Bre-
men vom 7. Juni 2001 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Revisionsverfahrens.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Klägerin, ein Speditionsunternehmen, nimmt die Beklagte als
Speditionsversicherer auf Ersatz von Aufwendungen in Anspruch. Dem
zwischen den Parteien geschlossenen Versicherungsvertrag liegt der
Speditions- und Rollfuhrversicherungsschein (SVS/RVS) in der Fassung
von 1994 zugrunde.
Die Klägerin wurde im Juli 1997 von der ungarischen Firma R. be-
auftragt, zu festen Kosten 70 Tonnen aus Ma. stammenden schwarzen
Pfeffer in H. auf Einwegpaletten zu verladen und per LKW nach M. zu
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transportieren. Dort sollte die Ware in der Bestrahlungsanlage der Firma
Ga. entkeimt werden, um anschließend zur Endempfängerin nach B. ver-
bracht und in handelsüblichen Mengen abgefüllt und verpackt zu wer-
den. Die Palettenmaße waren mit 1,20 x 1,00 x 1,95 m vorgegeben; die
Pfeffersäcke durften nicht über die Palettenränder hinausstehen. Für die
Entladung des Sackgutes in H. und das Aufpacken auf die Paletten be-
diente sich die Klägerin der C. S. GmbH & Co KG. Den Transport nach
M. übernahm die R. G. GmbH. Anläßlich der Anlieferung bei der Firma
Ga. am 24. und 25. Juli 1997 wurde festgestellt, daß die Außenmaße der
Paletten überschritten waren, so daß diese nicht in die Bestrahlungsan-
lage paßten. Da die ungarische Endempfängerin Schadensersatzansprü-
che wegen drohender Produktionsausfälle ankündigte, sollte die Liefe-
rung nicht bis zum 8. August 1997 bei ihr eintreffen, wurde die Ware auf
Veranlassung der Klägerin abgeladen, nach Zwischenlagerung in soge-
nannte Big Bags umgefüllt und in den richtigen Maßen palettiert. Sie
konnte anschließend die Bestrahlungsanlage durchlaufen und rechtzeitig
in B. angeliefert werden. Für die Umverpackung stellte die R. G. GmbH
der Klägerin 46.316,40 DM in Rechnung, die die Klägerin gegenüber der
Beklagten unter Berufung auf Nr. 4 SVS/RVS geltend macht. Die Klausel
lautet:
"4.1
Die Versicherer ersetzen zusätzlich
die Aufwendungen zur Abwendung und Minderung eines
ersatzpflichtigen Schadens, soweit sie den Umständen
nach geboten waren, § 63 Versicherungsvertragsgesetz
(VVG);
4.2
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vom Spediteur oder Zwischenspediteur aus Anlaß einer
Fehlleitung aufgewendete Beförderungsmehrkosten ein-
schließlich notwendiger anderer Kosten, sofern sie zur
Verhütung eines ersatzpflichtigen Schadens erforderlich
waren."
Das Landgericht hat der Klage unter Abzug eines Eigenanteils
gemäß Nr. 15.1 SVS/RVS in Höhe von 41.316,40 DM stattgegeben. Die
Berufung der Beklagten hat zur vollen Klagabweisung geführt. Mit der
zugelassenen Revision erstrebt die Klägerin die Wiederherstellung des
landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat keinen Erfolg.
I. Das Berufungsgericht hat der Klägerin einen Aufwendungser-
satzanspruch mit folgender Begründung versagt: Ein solcher Anspruch
setze voraus, daß die Aufwendungen zur Abwendung und Minderung ei-
nes "ersatzpflichtigen" Schadens getroffen worden seien. Es müsse also
ein Schaden eingetreten sein oder gedroht haben, der von dem vom
Versicherer übernommenen Risiko gedeckt werde. Gegenstand des ver-
sicherten Verkehrsvertrages sei zwar auch die Verpackung des Trans-
portgutes (Nr. 1.1 SVS/RVS) gewesen. Versichert sei dabei aber nicht
das Eigeninteresse der Klägerin als Frachtführerin, sondern allein das-
jenige des Eigentümers oder sonstigen Wareninteressenten. Dieser ha-
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be deshalb keinen Schaden erlitten, weil die Klägerin eine von ihr zu
vertretende Leistungsstörung des Frachtvertrages behoben und durch
die Umverpackung die vertraglich geschuldete, für eine Behandlung in
der Sterilisationsanlage geeignete äußere Beschaffenheit des Trans-
portguts hergestellt habe. Die dadurch bewirkte Abwendung eines Scha-
dens beim Versicherten sei lediglich eine Reflexwirkung der Erfüllung
der vertraglichen Leistungspflicht und deshalb keine objektive, auf die
Vermeidung eines Versicherungsschadens gerichtete Rettungshandlung
im Sinne von Nr. 4.1 SVS/RVS i.V. mit § 63 VVG. Besondere, über die
gewöhnlichen Kosten einer vertraglich geschuldeten Umverpackung hin-
ausgehende Aufwendungen zur Schadensabwehr seien nach dem eige-
nen Vortrag der Klägerin nicht entstanden.
II. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
1. Die Speditionsversicherung nach dem SVS/RVS ist eine Scha-
densversicherung (BGHZ 49, 160, 165; Koller, Transportrecht 4. Aufl.
2000 § 29 ADSp Rdn. 2; Voit in Prölss/Martin, 26. Aufl. Nr. 2 SVS/RVS
Rdn. 2, 3). Gegenstand des Versicherungsvertrages sind Verkehrsver-
träge, also Speditions-, Fracht- und Lagerverträge, unter Einschluß der
im Speditionsgewerbe üblichen Vereinbarungen, so z.B. auch über die
Verpackung und das Ver- und Entladen von Gütern (Nr. 1.1 SVS/RVS).
Die Versicherung wird gemäß Nr. 2 SVS/RVS für fremde Rechnung ge-
nommen und ersetzt nach den §§ 39, 41a ADSp a.F. die Haftung des
Spediteurs, auch soweit er die Rechte und Pflichten eines Frachtführers
(§§ 413, 429 ff. HGB a.F.) hat (vgl. BGH, Urteil vom 6. Dezember 1990
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- I ZR 138/89 - VersR 1991, 480 unter II 3 a; Schmidt, VersR 1986, 629,
630). Versichert ist in dem durch Nr. 3 SVS/RVS näher beschriebenen
Umfang das Interesse, daß den Versicherten aus dem Transport oder im
Zusammenhang damit kein Sach- oder Vermögensschaden trifft (vgl.
BGHZ 49, 160, 165; Voit, aaO Rdn 3). Nach Nr. 2 SVS/RVS versichert
sind neben dem Auftraggeber des Spediteurs oder Frachtführers auch
sonstige Dritte, denen das versicherte Interesse zum Zeitpunkt des
Schadensereignisses zugestanden hat. Das sind solche Wareninteres-
senten, die zu dem beförderten Gut derart in rechtlicher Beziehung ste-
hen, daß sie im Versicherungsfall aufgrund dieser rechtlichen Beziehung
einen Nachteil erleiden (Koller, aaO Ziff. 1 SpV Rdn. 2).
2. a) Das Berufungsgericht hat keine näheren Feststellungen dazu
getroffen, ob die in Budapest ansässige Endempfängerin als Warenin-
teressentin anzusehen ist. Zugunsten der Klägerin ist daher für das Re-
visionsverfahren zu unterstellen, daß die Empfängerin der Ware Versi-
cherte gemäß Nr. 2 SVS/RVS gewesen ist. Ihr ist jedoch kein Vermö-
gensschaden im Sinne der Nr. 3.1.3 SVS/RVS entstanden. Denn die
Klägerin hat durch die von ihr veranlaßte Umverpackung sichergestellt,
daß die Ware in M. bestrahlt werden und danach fristgerecht in U. ein-
treffen konnte.
b) Das Berufungsgericht ist zu Recht davon ausgegangen, daß die
Klägerin die ihr daraus erwachsenen Aufwendungen nicht erstattet ver-
langen kann. Zwar sieht Nr. 4.1 SVS/RVS vor, daß Aufwendungen zur
Abwendung eines ersatzpflichtigen Schadens zu ersetzen sind. Darunter
fallen jedoch - auch unter Berücksichtigung des in Bezug genommenen
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§ 63 VVG - nicht die Aufwendungen, die beim Versicherungsnehmer ent-
stehen, um die seinem Auftraggeber geschuldete Leistung vertragsge-
mäß zu erbringen.
Versicherungsbedingungen sind so auszulegen, wie sie ein
durchschnittlicher Versicherungsnehmer bei verständiger Würdigung,
aufmerksamer Durchsicht und Berücksichtigung des erkennbaren Sinn-
zusammenhangs verstehen muß (BGHZ 123, 83, 85). Die Klägerin hat
die Speditionsversicherung abgeschlossen, um sich gegenüber Auftrag-
geber und sonstigen Wareninteressenten auf die Haftungsbefreiung ge-
mäß § 41a ADSp a.F. berufen zu können. Nr. 2 SVS/RVS bestimmt aus-
drücklich, daß die Versicherung für fremde Rechnung genommen wird.
Dieser auf fremde Interessen gerichtete Zweck der Versicherung wider-
spricht einem Verständnis der Nr. 4 SVS/RVS dahin, daß der Versiche-
rungsnehmer die Kosten einer - zunächst fehlgeschlagenen - Vertrags-
erfüllung vom Versicherer ersetzt verlangen kann. Denn durch die ord-
nungsgemäße Erbringung der vertraglichen Leistung und die Herbeifüh-
rung des dem Auftraggeber geschuldeten Erfolgs wird regelmäßig ein
sonst ersatzpflichtiger Schaden abgewendet. Könnte der Versicherungs-
nehmer die Kosten, die zur Behebung einer in seinen Verantwortungsbe-
reich fallenden Leistungsstörung erforderlich sind, vom Versicherer er-
setzt verlangen, liefe dies auf eine Versicherung eigener Interessen hin-
aus, zu der der Versicherer ausweislich der vereinbarten Bedingungen
grundsätzlich nicht bereit ist. Vielmehr können allein unter den Voraus-
setzungen der Nr. 4.2 SVS/RVS bestimmte Aufwendungen - nämlich
Beförderungsmehrkosten - ersetzt verlangt werden, die Folge einer ver-
traglichen Nicht- oder Schlechterfüllung sind (vgl. Oeynhausen, Spediti-
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onsversicherung und Allgemeine Deutsche Spediteurbedingungen
(1989), S. 46; Schmidt, aaO S. 632). Unter diese vertragliche Bestim-
mung fallen die von der Klägerin geltend gemachten Aufwendungen je-
doch unstreitig nicht.
Nur bei einem solchen Verständnis der Klausel in Nr. 4.1 SVS/RVS
bekommt zudem die nachfolgende Regelung in Nr. 4.2 Sinn. Der Versi-
cherer verspricht darin dem Versicherungsnehmer den Ersatz der aus
Anlaß einer Fehlleitung aufgewendeten Beförderungsmehrkosten ein-
schließlich notwendiger anderer Kosten, sofern sie zur Verhütung eines
ersatzpflichtigen Schadens erforderlich waren. Dieses besondere Dek-
kungsversprechen wäre überflüssig, wenn der Versicherer ohnehin die
Mehrkosten für die Nachbesserung der vertraglich geschuldeten Lei-
stung zu tragen hätte. Die Regelung hat daher erkennbar Ausnahmecha-
rakter (Voit, aaO Nr. 4 SVS/RVS Rdn. 2). Das Verbringen der Ware an
den vertraglich vereinbarten Ort ist originäre Vertragspflicht des Fracht-
führers, für die er die vorgesehene Vergütung als Gegenleistung erhält.
Der Frachtvertrag ist Werkvertrag, der nicht die Dienste des Frachtfüh-
rers zum Gegenstand hat, sondern das Eintreffen der Ware am bestim-
mungsgemäßen Ziel (Staudinger/Peters, [2000] Vorbem. zu §§ 631 ff.
BGB Rdn. 28, 72). Wie der vertraglich geschuldete Erfolg herbeigeführt
wird, ist Sache des Frachtführers. Ist die selbst oder über einen Erfül-
lungsgehilfen (§ 278 BGB) erbrachte Beförderungsleistung nicht ord-
nungsgemäß, gehen die aufgrund eines erneuten Erfüllungsversuchs
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entstehenden Kosten zu seinen Lasten. Der aus der Nicht- oder
Schlechterfüllung des Vertrages erwachsene Eigenschaden ist nicht ver-
sichert.
Terno Seiffert Ambrosius
Wendt Dr. Kessal-Wulf