Urteil des BGH vom 07.12.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 276/06 Verkündet
am:
28. September 2007
Lesniak,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
BGHR: ja
BGB §§ 744, 745, 1010; WEG § 15
Haben Bruchteilseigentümer oder Wohnungseigentümer vereinbart, dass sie räum-
lich abgegrenzte Teile des gemeinschaftlichen Grundstücks allein, also unter Aus-
schluss der übrigen Eigentümer, als Garten nutzen dürfen, können auf das dadurch
entstandene nachbarliche Verhältnis die bundes- und landesrechtlichen Vorschriften
des Nachbarrechts entsprechend angewendet werden.
BGH, Urt. v. 28. September 2007 - V ZR 276/06 - LG Düsseldorf
AG
Düsseldorf
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 28. September 2007 durch den Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, die
Richter Dr. Klein und Dr. Lemke, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter
Dr. Roth
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 21. Zivilkammer des Landge-
richts Düsseldorf vom 7. Dezember 2006 wird auf Kosten des Klä-
gers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien sind Wohnungseigentümer in einer Reihenhausanlage. Hin-
ter den Häusern befindet sich eine Gartenfläche, die nicht zu dem gemein-
schaftlichen Eigentum im Sinne des Wohnungseigentumsgesetzes gehört, son-
dern im Bruchteilseigentum der Wohnungseigentümer steht.
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Mit notariell beurkundeter Vereinbarung vom 9. Juli 1985 wurde den ein-
zelnen Bruchteilseigentümern jeweils ein räumlich abgegrenzter Teil der Gar-
tenfläche zur alleinigen Nutzung zugewiesen. Bezüglich einer davon nicht er-
fassten Fläche vereinbarten die Bruchteilseigentümer am 21. Oktober 2001 die
Zuweisung bestimmter Teile ebenfalls zur alleinigen Nutzung. Die den Parteien
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zugeteilten Grundstücksflächen liegen nebeneinander. Sie werden durch einen
Zaun getrennt.
Der Kläger verlangt von den Beklagten die Beseitigung verschiedener
Anpflanzungen, die auf der ihnen zugeteilten Fläche nahe der dem Kläger zu-
gewiesenen Fläche stehen. Das Amtsgericht hat der Klage im Wesentlichen
stattgegeben und die Beklagten als Gesamtschuldner verurteilt, sechs Konife-
ren, eine Koreatanne und eine Tanne zu entfernen sowie einen Fliederstrauch
auf maximal 2,5 m herunterzuschneiden. Das Landgericht hat die Verurteilung
der Beklagten auf die Entfernung von drei ca. 1 m bis 1,5 m hohen Koniferen
reduziert.
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Mit der von dem Landgericht zugelassenen Revision erstrebt der Kläger
die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Urteils. Die Beklagten beantragen
die Zurückweisung des Rechtsmittels.
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Entscheidungsgründe:
I.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts sind die Vorschriften des Nach-
barrechtsgesetzes für Nordrhein-Westfalen (NachbG NW) auf das Rechtsver-
hältnis der Parteien entsprechend anzuwenden. Zwar gebe es zwischen den
zur ausschließlichen Nutzung zugewiesenen Flächen keine Grenze im Sinne
des Nachbarrechtsgesetzes; aber faktisch stelle sich die Situation so dar, als
nutzten die Reihenhauseigentümer die jeweils hinter ihren Häusern befindlichen
Flächen wie Alleineigentümer. Deshalb könne der Kläger - ohne Mitwirkung der
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übrigen Miteigentümer - von den Beklagten nach §§ 1004 BGB, 41 Abs. 1 Nr. 1
Buchst. b NachbG NW die Entfernung der drei Koniferen verlangen, welche am
nächsten zu den Reihenhäusern stünden, weil diese Bäume den vorgeschrie-
benen "Grenzabstand" nicht einhielten. Ein Anspruch des Klägers auf Entfer-
nung der übrigen Koniferen, der Koreatanne und der Tanne sowie auf Zurück-
schneiden des Fliederbusches sei nach § 47 Abs. 1 Satz 1 NachbG NW ausge-
schlossen, weil innerhalb der sechsjährigen Ausschlussfrist nach dem Anpflan-
zen dieser Gehölze keine Beseitigungsklage erhoben worden sei.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand.
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II.
1. Zu Recht nimmt das Berufungsgericht an, dass der einzelne Miteigen-
tümer den Abwehranspruch nach § 1004 BGB gegen die übrigen Miteigentümer
zwar nicht gemäß § 1011 BGB in Ansehung der ganzen Sache, wohl aber auf
Grund seines Teilrechts geltend machen kann (Senat, BGHZ 116, 392, 394 f.
m.w.N.).
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2. Rechtlich nicht zu beanstanden ist auch die weitere Annahme des Be-
rufungsgerichts, dass die Vorschriften über Grenzabstände für Pflanzen des
Nachbarrechtsgesetzes für Nordrhein-Westfalen (§§ 40 ff. NachbG NW) ent-
sprechend anwendbar sind.
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a) Bei der Wohnungseigentümergemeinschaft ist es nahezu unbestritten,
dass bei Streitigkeiten zwischen Wohnungseigentümern über die Bepflanzung
unmittelbar benachbarter Gartenteile, an denen jeweils einem der Eigentümer
ein Sondernutzungsrecht zusteht, nachbarrechtliche Vorschriften entsprechen-
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de Anwendung finden; danach sind in diesen Fällen auch die in dem jeweiligen
Bundesland geltenden nachbarrechtlichen Bestimmungen über die Grenzab-
stände von Bäumen und Sträuchern und ihren Rückschnitt sowie über Aus-
schlussfristen für die Geltendmachung von Beseitigungsansprüchen heranzu-
ziehen (vgl. BayObLG WE 1988, 23; ZMR 1988, 23; KG ZMR 1996, 149; OLG
Köln ZMR 1997, 47, 48; OLG Hamm ZMR 2003, 372; OLG München OLG-
Report 2006, 213; Staudinger/Bub [2005], § 22 WEG Rdn. 145; Weitnauer,
WEG, 9. Aufl., § 15 Rdn. 27; Horst, Rechtshandbuch Nachbarrecht, 2. Aufl.,
Rdn. 2041; Schmid, DWE 1987, 74, 76; a.A. KG WE 1987, 197). Das folgt dar-
aus, dass auf Grund der Aufteilung der im Gemeinschaftseigentum stehenden
Gartenfläche durch die Einräumung von Sondernutzungsrechten zwischen den
Wohnungseigentümern als Nutzungsberechtigten im Hinblick auf die Gartenbe-
pflanzung eine ähnliche Interessenlage wie zwischen Grundstücksnachbarn
besteht.
b) Für die hier bestehende Bruchteilseigentümergemeinschaft gilt grund-
sätzlich nichts anderes. Die Benutzung der Gartenfläche durch die Eigentümer
ist u.a. wie folgt geregelt: "Die einzelnen Hausgärten sind durch eine einheitli-
che Anpflanzung von Liguster- oder Hainbuchenhecken, Höhe rd. 170 cm, ab-
zugrenzen." Das ergibt sich aus einer als Anlage zu den Kaufverträgen, mit de-
nen die Eigentümer im Jahr 1983 (auch) die Gartenfläche erworben haben, ge-
nommenen Vorgabe der unteren Denkmalbehörde vom 14. Dezember 1982.
Daraus und aus dem Umstand, dass später räumlich abgegrenzte Teile der
Gartenfläche den Bruchteilseigentümern durch die Gewährung des Allein-
gebrauchs (§§ 744, 745, 1010 BGB) zur alleinigen Nutzung überlassen wurden
und zumindest die den Parteien zugewiesenen Flächen inzwischen durch einen
Zaun voneinander getrennt werden, ergibt sich, dass die Bruchteilseigentümer
im Hinblick auf "ihre" Teilflächen tatsächlich wie Alleineigentümer angesehen
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werden sollen. Deshalb besteht zwischen ihnen ein nachbarschaftsähnliches
Verhältnis, welches die entsprechende Anwendung nachbarrechtlicher Vor-
schriften rechtfertigt.
3. Ohne Erfolg rügt die Revision, dass das Berufungsgericht auch die
Vorschrift in § 47 Abs. 1 Satz 1 NachbG NW für entsprechend anwendbar hält,
nach welcher der Anspruch auf Beseitigung einer Anpflanzung, mit der ein ge-
ringerer als der in den §§ 40 bis 44 und 46 NachbG NW vorgeschriebene
Grenzabstand eingehalten wird, ausgeschlossen ist, wenn der Nachbar nicht
binnen sechs Jahren nach dem Anpflanzen Klage auf Beseitigung erhoben hat.
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a) Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass diese Regelung mit dem Sinn
und Zweck des Gemeinschaftsverhältnisses, in welchem sich die Bruchteilsei-
gentümer befinden, nicht vereinbar ist. Zwar mögen unter dem Gesichtspunkt,
dass die zur alleinigen Nutzung zugewiesenen Flächen gemeinschaftliches Ei-
gentum aller Bruchteilseigentümer sind und demgemäß den Bindungen des
Gemeinschaftsverhältnisses unterliegen, für das Verhältnis der Bruchteilseigen-
tümer untereinander grundsätzlich weitergehende Rücksichtnahmepflichten gel-
ten als im allgemeinen Nachbarrecht. Das ist jedenfalls für gleichgelagerte Kon-
flikte zwischen den Mitgliedern einer Wohnungseigentümergemeinschaft aner-
kannt (BayObLGZ 2002, 82, 88; BayObLG WE 1988, 23; OLG Köln ZMR 1997,
47, 48; OLG Hamm ZMR 2003, 372, 373). Aber hier ist die Anlegung eines sol-
chen strengen Maßstabs nicht gerechtfertigt. Denn mit der gegenseitigen Ein-
räumung des Alleingebrauchs haben die Eigentümer nicht nur zu erkennen ge-
geben, dass sie die Rechtsverhältnisse an der Gartenfläche tatsächlich wie die
an einem real geteilten Grundstück ansehen, sondern damit zugleich auf ihre
Befugnis nach § 743 Abs. 2 BGB verzichtet, die gesamte Fläche insoweit zu
benutzen, als nicht der Mitgebrauch der übrigen Eigentümer beeinträchtigt wird.
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Da andere Nutzungsbeschränkungen weder von den Parteien vorgetragen
noch sonst ersichtlich sind, ergeben sich für die Bruchteilseigentümer aus dem
Gemeinschaftsverhältnis - anders als bei der Wohnungseigentümergemein-
schaft (vgl. § 14 WEG) - keine Pflichten, die über diejenigen zwischen Eigentü-
mern benachbarter Grundstücke hinausgehen.
b) Die entsprechende Anwendung der Vorschrift in § 47 Satz 1 NachbG
NW kann - entgegen der Auffassung der Revision - auch nicht mit der Überle-
gung verneint werden, darin sei eine landesrechtliche materielle Ausschlussfrist
enthalten, die im Bundesrecht nicht vorgesehen sei (ebenso für die Wohnungs-
eigentümergemeinschaft OLG Hamm ZMR 2003, 372, 373). Diese Ansicht ver-
kennt, dass das Bundesrecht nicht nur keine Ausschlussfrist für die Geltendma-
chung eines auf die Beseitigung von grenznahen Anpflanzungen gerichteten
Anspruchs vorsieht, sondern auch keine Grenzabstände für Bäume und Pflan-
zen vorgibt. Gleichwohl unterliegen Grundstückseigentümer den solche Rege-
lungen enthaltenden Landesnachbarrechtsgesetzen. Wenn aber - wie hier -
deren Vorschriften auf das Verhältnis von Bruchteilseigentümern, denen der
Alleingebrauch an räumlich abgegrenzten Flächen des gemeinschaftlichen
Grundstücks eingeräumt ist, entsprechend angewendet werden können, gibt es
keinen Grund dafür, die Regelung über die Ausschlussfrist davon auszuneh-
men.
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4. Ein Anspruch des Klägers auf Zurückschneiden der Gehölze, deren
Beseitigung er wegen Fristablaufs nicht mehr verlangen kann, unter dem Ge-
sichtspunkt des nachbarlichen Gemeinschaftsverhältnisses in Verbindung mit
Treu und Glauben (vgl. Senat, BGHZ 157, 33, 37) scheidet von vornherein aus.
Der Kläger hat nämlich nicht vorgetragen, dass die Folgen des Höhenwachs-
tums der beanstandeten Anpflanzungen die Nutzung der ihm zugewiesenen
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Fläche so stark beeinträchtigen, dass ein über die nachbarrechtliche Sonderre-
gelung in § 47 Satz 1 NachbG NW hinausgehender billiger Ausgleich der wider-
streitenden Interessen zwingend geboten erscheint.
5. Ebenfalls ohne Erfolg bleibt die Rüge der Revision, das Berufungsge-
richt habe den Anspruch des Klägers auf Beseitigung der Koreatanne fehlerhaft
als nach § 242 BGB ausgeschlossen angesehen. Diese Begründung in dem
Berufungsurteil ist für die insoweit erfolgte Abweisung der Klage unerheblich,
weil das Berufungsgericht zuvor rechtsfehlerfrei auch diesen Beseitigungsan-
spruch wegen Ablaufs der Ausschlussfrist (§ 47 Satz 1 NachbG NW) verneint
hat. Auf die gegen die zusätzliche Entscheidungsbegründung erhobenen Ein-
wände kommt es deshalb nicht an.
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III.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
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Krüger
Klein
Lemke
Stresemann
Roth
Vorinstanzen:
AG Düsseldorf, Entscheidung vom 31.08.2005 - 232 C 2751/03 -
LG Düsseldorf, Entscheidung vom 07.12.2006 - 21 S 400/05 -