Urteil des BGH vom 04.07.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 335/02
Verkündet am:
9. Oktober 2003
Fahrner,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
ZPO § 263
Der Streitgegenstand einer Werklohnklage ändert sich nicht dadurch, daß eine neue
Schlußrechnung vorgelegt wird (Bestätigung von BGH, Urteil vom 4. Juli 2002 –
VII ZR 103/01).
ZPO § 296
Es handelt sich nicht um neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im Sinne der prozeß-
rechtlichen Präklusionsvorschriften, wenn eine Partei im Laufe des Verfahrens die
materiell-rechtlichen Voraussetzungen für den Anspruch erst schafft und alsdann in
den Prozeß einführt.
BGH, Urteil vom 9. Oktober 2003 - VII ZR 335/02 - KG
LG Berlin
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 9. Oktober 2003 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler und die
Richter Prof. Dr. Thode, Dr. Kuffer, Prof. Dr. Kniffka und Bauner
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 4. Zivilsenats des
Kammergerichts vom 10. September 2002 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Beru-
fungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger verlangt von den Beklagten Zahlung restlichen Werklohns.
Er wurde von den Beklagten im Jahre 1994 unter Geltung der VOB/B mit
den Bauleistungen für die Gewerke Maurer- und Betonarbeiten, Trockenbauar-
beiten sowie Innen- und Außenputzarbeiten in drei selbständigen Verträgen
beauftragt. Die Putzarbeiten wurden zu einem Pauschalpreis, die anderen Ar-
beiten zu Einheitspreisen vergeben. Die Beklagten kündigten die Verträge im
Jahre 1998. Zu diesem Zeitpunkt waren die Beton- und Maurerarbeiten fertig-
gestellt. Der Kläger rechnete seine Leistungen mit Schlußrechnung vom
18. Juni 1998 ab, die von den Beklagten nicht bezahlt wurde.
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Das Landgericht hat die auf Zahlung von 84.077,92 DM gerichtete Klage
nach mündlicher Verhandlung vom 31. Januar 2001 abgewiesen. Es hat die
Schlußrechnung teilweise nicht als prüfbar, teilweise als sachlich nicht ge-
rechtfertigt angesehen.
Im Juni 2002 übersandte der Kläger den Beklagten eine zwischenzeitlich
erstellte erneute Schlußrechnung, die er am 1. August 2002 im Berufungsver-
fahren zu den Akten reichte. Die Berufungsverhandlung war nach Eingang der
Berufungsbegründung vom 9. August 2001 auf den 30. August 2002 terminiert.
Das Berufungsgericht hat die Berufung zurückgewiesen und die Revision
zugelassen, da sich die höchstrichterliche Rechtsprechung mit der Frage, ob
bzw. gegebenenfalls wann in der Geltendmachung einer neuen Schlußrech-
nung eine Klageänderung zu sehen sei, bislang - soweit ersichtlich - nicht be-
schäftigt habe.
Der Kläger verfolgt im Revisionsverfahren sein Begehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die Schlußrechnung vom 18. Juni
1998 sei bezüglich aller Leistungen nicht prüfbar gewesen. Die Einführung der
neuen Schlußrechnung im Berufungsverfahren stelle eine Klageänderung dar.
Dieser hätten die Beklagten nicht zugestimmt. Sie sei auch nicht sachdienlich.
Unabhängig davon sei der Vortrag als neues Angriffsmittel gemäß
§§ 527, 296 Abs. 1 ZPO als verspätet zurückzuweisen, weil er die Entschei-
dung verzögert hätte. Der Kläger sei wegen der vom Landgericht geäußerten
Bedenken gegen die Prüfbarkeit der Schlußrechnung gehalten gewesen, das
neue Vorbringen bereits in der Berufungsbegründung geltend zu machen.
II.
1. Die Revision ist gemäß § 542, § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO zulässig, weil
das Berufungsgericht sie im angegriffenen Urteil zugelassen hat. Da die münd-
liche Verhandlung, auf die das Berufungsurteil ergangen ist, nach dem
1. Januar 2002 stattgefunden hat, richtet sich die Zulässigkeit der Revision
nach der Zivilprozeßordnung in der ab dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung
(§ 26 Nr. 7 EGZPO).
An die Zulassung ist der Senat gemäß § 543 Abs. 2 Satz 2 ZPO gebun-
den, obwohl ein Zulassungsgrund nicht gegeben ist (nachstehend 2. a.).
Das für die prozessuale Beurteilung des Berufungsverfahrens maßge-
bende Recht richtet sich nach der Zivilprozeßordnung in der bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Fassung, weil die mündliche Verhandlung vor
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dem Landgericht vor dem 1. Januar 2002 geschlossen worden ist (§ 26 Nr. 5
EGZPO). Auf das Schuldverhältnis findet das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis
zum 31. Dezember 2001 geltenden Fassung Anwendung (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB).
2. Die Revision beanstandet zu Recht, daß das Berufungsgericht in der
Vorlage einer neuen Schlußrechnung eine Klageänderung sieht (a). Rechts-
fehlerhaft ist ferner die Hilfserwägung, das Vorbringen zur neuen Schlußrech-
nung im Schriftsatz vom 1. August 2002 unterliege wegen Verspätung der Zu-
rückweisung (b).
a) Die vom Berufungsgericht als rechtsgrundsätzlich angesehene Frage
ist vom Bundesgerichtshof entschieden. Nach den Urteilen vom 4. Juli 2002
(VII ZR 103/01, ZfBR 2002, 787 = BauR 2002, 1588 = NZBau 2002, 614) und
vom 28. September 2000 (VII ZR 57/00, BauR 2001, 124, 125 = ZfBR 2001,
34 = NZBau 2001, 146) ändert sich der Streitgegenstand nicht dadurch, daß
eine neue Schlußrechnung erstellt wird. Der prozessuale Anspruch wird be-
stimmt durch den Klageantrag und den Lebenssachverhalt, aus dem der Kläger
die begehrte Rechtsfolge herleitet. Dazu zählen alle Tatsachen, die bei einer
natürlichen, vom Standpunkt der Parteien ausgehenden Betrachtungsweise zu
dem durch den Vortrag des Klägers zur Entscheidung gestellten Tatsachen-
komplex gehören, die der Kläger zur Stützung seines Rechtsschutzbegehrens
dem Gericht unterbreitet.
Der Kläger verlangt in beiden Instanzen seinen Werklohnanspruch in
Höhe von 84.077,92 DM aus den Verträgen über die Maurer- und Betonarbei-
ten, die Trockenbauarbeiten sowie die Innen- und Außenputzarbeiten. Daran
hat sich nichts dadurch geändert, daß er im Berufungsverfahren am 1. August
2002 eine neue Schlußrechnung vorgelegt hat.
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b) Das Berufungsurteil wird auch nicht von der Hilfserwägung getragen,
die Einführung der neuen Schlußrechnung sei als verspäteter Vortrag gemäß
§§ 527 Abs. 1, 296 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.
Innerhalb der am 9. August 2001 endenden Berufungsbegründungsfrist
konnte der Vortrag schon deswegen nicht erfolgen, weil zu diesem Zeitpunkt
die überarbeitete neue Schlußrechnung nicht vorlag. Der Kläger war aus pro-
zessualen Gründen nicht gehindert, eine neue Schlußrechnung zu erstellen und
im Berufungsrechtszug in den Prozeß einzuführen. Es handelt sich nicht um
neue Angriffs- und Verteidigungsmittel im prozeßrechtlichen Sinne, wenn eine
Partei im Laufe des Verfahrens die materiell-rechtlichen Voraussetzungen für
den Anspruch erst schafft und alsdann in den Prozeß einführt. Denn die pro-
zeßrechtlichen Präklusionsvorschriften sollen die Partei anhalten, zu einem be-
reits vorliegenden Tatsachenstoff rechtzeitig vorzutragen. Sie haben nicht den
Zweck, auf eine beschleunigte Schaffung der materiell-rechtlichen Anspruchs-
voraussetzungen hinzuwirken.
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War aus Rechtsgründen die zunächst erstellte Rechnung nicht prüfbar,
war die Forderung nicht fällig. Die anschließende Erstellung einer prüfbaren
Schlußrechnung hatte materiell-rechtlich die Wirkung, die Fälligkeit des An-
spruchs herbeizuführen. Der diesbezügliche Vortrag konnte nicht aus prozes-
sualen Gründen zurückgewiesen werden.
Dressler
Thode
Kuffer
Kniffka
Bauner