Urteil des BGH vom 28.02.2008

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZB 107/07
vom
28. Februar 2008
in dem Zwangsversteigerungsverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZVG § 98 Satz 2;
ZPO §§ 233 D, 234 B, 236 Abs. 2 C
a) Nach § 98 Satz 2 ZVG beginnt die Beschwerdefrist im Falle der Zuschlagser-
teilung auch dann mit der Verkündung des Beschlusses im Versteigerungs-
termin zu laufen, wenn sich der Bieter in dem Termin vertreten lässt und der
Vertreter über eine uneingeschränkte Verfahrensvollmacht verfügt.
b) Zur Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, wenn der Bieter bei Einlegung
der Zuschlagsbeschwerde anwaltlich vertreten war.
BGH, Beschl. v. 28. Februar 2008 - V ZB 107/07 - LG Hanau
AG
Hanau
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 28. Februar 2008 durch den
Vorsitzenden Richter Prof. Dr. Krüger, den Richter Dr. Klein, die Richterin
Dr. Stresemann und die Richter Dr. Czub und Dr. Roth
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss
der 3. Zivilkammer des Landgerichts Hanau vom 9. August 2007
wird mit der Maßgabe zurückgewiesen, dass der Wiedereinset-
zungsantrag als unzulässig verworfen wird.
Der Gegenstandswert des Rechtsbeschwerdeverfahrens beträgt
186.686,20 €.
Gründe:
I.
Am 19. April 2007 fand die öffentliche Teilungsversteigerung von zwei
Eigentumswohnungen statt, die im Miteigentum des Antragstellers und der An-
tragsgegnerin standen. In diesem Termin ließ sich die Antragsgegnerin von ih-
rem Sohn vertreten. In der dem Vollstreckungsgericht vorgelegten öffentlich
beglaubigten Vollmacht heißt es:
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"Ich bevollmächtige hiermit Herrn B. … mich
in beiden Verfahren betreffend die Zwangsversteigerung 42 K
267/04 und 42 K 268/04 … zu vertreten. Es soll auch ermächtigt
sein, für mich zu bieten, den Zuschlag für mich zu beantragen, die
Rechte aus dem Meistgebot an einen anderen abzutreten oder für
mich zu übernehmen, den auf mich entfallenden Teil des Verstei-
gerungserlöses für mich in Empfang zu nehmen, Eintragungen al-
ler Art im Grundbuch zu bewilligen und zu beantragen, Vereinba-
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rungen über das Bestehenbleiben von Rechten zu treffen, über-
haupt alle Erklärungen für mich abzugeben, die in dem Verfahren
in Betracht kommen."
Nachdem der Sohn die höchsten Einzelgebote abgegeben hatte, wurde
der Antragsgegnerin am Ende des Termins der Zuschlag erteilt.
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Mit Fax vom 16. Mai 2007 hat die mittlerweile anwaltlich vertretene An-
tragsgegnerin gegen den Zuschlagsbeschluss "Einspruch" einlegen lassen. Mit
Schriftsatz vom 26. Juli 2007 hat sie Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
beantragt. Das Landgericht hat die sofortige Beschwerde als unzulässig verwor-
fen und hierzu ausgeführt, die sofortige Beschwerde sei nicht fristgerecht einge-
legt worden. Die Zweiwochenfrist des § 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO sei bereits am
19. April 2007 in Lauf gesetzt worden (§ 98 Satz 1, 1. Alt. ZVG). Die Vorausset-
zungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand lägen nicht vor. Die
Antragsgegnerin sei nicht ohne Verschulden an einer fristwahrenden Be-
schwerdeeinlegung gehindert gewesen. Da das Vollstreckungsgericht über das
Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde nicht habe belehren müssen, scheide
auch eine Wiedereinsetzung analog § 44 Satz 2 StPO aus. Mit der zugelasse-
nen Rechtsbeschwerde verfolgt die Antragsgegnerin ihre Anträge weiter.
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II.
Die gemäß § 574 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und nach
§ 575 ZPO auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist nicht begründet.
Das Beschwerdegericht hat die sofortige Beschwerde zu Recht als unzulässig
verworfen.
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1. Die Antragsgegnerin hat ihr als sofortige Beschwerde auszulegendes
Rechtsmittel nicht innerhalb der gesetzlichen Zweiwochenfrist (§ 96 ZVG i.V.m.
§ 569 Abs. 1 Satz 1 ZPO) eingelegt.
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a) Nach § 98 Satz 2 ZVG beginnt die Beschwerdefrist im Falle der Zu-
schlagserteilung für die im Versteigerungstermin oder im Verkündungstermin
anwesenden Beteiligten bereits mit der Verkündung des Beschlusses zu laufen.
Für den Fall, dass sich ein Beteiligter vertreten lässt, gilt jedenfalls dann nichts
anderes, wenn der Vertreter über eine uneingeschränkte Verfahrensvollmacht
verfügt (Stöber, ZVG, 18. Aufl., § 98 Rdn. 2.1; vgl. auch OLG Stuttgart, JurBüro
1976, 972, 974; OLG Frankfurt, Rpfleger 1977, 417, 418).
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Dass es hier so liegt, hat das Beschwerdegericht ohne Rechtsfehler an-
genommen. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde steht dem die
Überschrift in der Vollmachtsurkunde "Zwangsversteigerungsvollmacht mit Er-
mächtigung zum Bieten" nicht entgegen. In der Erklärung ist unzweideutig und
ohne jede Einschränkung von einer Vollmachterteilung für die Verfahren 42 K
267/04 und 42 K 268/04 die Rede. Sodann wird lediglich beispielhaft aufgeführt,
zu welchen Handlungen die Vollmacht "auch ermächtigt". Beschränkungen der
Vollmacht lassen sich daraus nicht herleiten. Begann danach die Zweiwochen-
frist für die Einlegung der sofortigen Beschwerde bereits mit der Verkündung
des Zuschlagsbeschlusses am 19. April 2007 zu laufen, konnte das erst am 16.
Juni 2007 eingelegte Rechtsmittel diese Frist nicht mehr wahren.
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b) Etwas anderes folgt nicht daraus, dass das Vollstreckungsgericht kei-
ne Rechtsmittelbelehrung erteilt hat. Eine solche Belehrung sieht weder das
Zwangsversteigerungsgesetz noch die grundsätzlich auch im Zwangsversteige-
rungsverfahren anwendbare Zivilprozessordnung (§ 869 ZPO) vor. Allerdings
hat der Senat eine dahingehende Verpflichtung für das frühere – von dem Ge-
setz über die Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit beherrschte –
WEG-Verfahren unmittelbar aus der Verfassung unter dem Blickwinkel des An-
spruchs der Rechtssuchenden auf einen wirkungsvollen Rechtsschutz (Art. 2
i.V.m dem Rechtsstaatsprinzip und Art. 3 Abs. 1 GG) hergeleitet (BGHZ 150,
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390, 393 ff.; ebenso für das gesamte Verfahren FGG-Verfahren nunmehr OLG
Hamm, OLGR 2003, 302 ff.). Ob eine solche Verpflichtung zur Rechtsmittelbe-
lehrung auch für das Zwangsversteigerungsverfahren anzunehmen ist, braucht
hier jedoch nicht entschieden zu werden. Unterbleibt nämlich eine von der Ver-
fahrensordnung nicht vorgesehene, aber gleichwohl von Verfassungs wegen
gebotene Rechtsmittelbelehrung, hindert dies nicht den Beginn des Laufs der
Rechtsmittelfrist. Vielmehr ist der Rechtssuchende in solchen Fällen auf den
Weg der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand verwiesen. Dabei kommt ihm
– entsprechend dem Rechtsgedanken aus § 44 Satz 2 StPO – die unwiderlegli-
che Vermutung zugute, dass ihn an der Versäumung der Rechtsmittelfrist kein
Verschulden trifft, sofern der Belehrungsmangel für die Versäumung der
Rechtsmittelfrist ursächlich geworden ist (Senat, BGHZ, aaO., 397 ff.).
2. Die Voraussetzungen für eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand
liegen nicht vor. Der Antrag ist unzulässig.
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zweiwöchigen Frist beantragt werden, die mit dem Tag beginnt, an dem das
sein Weiterbestehen nicht mehr als unverschuldet angesehen werden kann. Bei
der Vertretung durch einen Rechtsanwalt, dessen Verschulden dem Wiederein-
setzung Beantragenden nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnen ist (Senat, Beschl.
v. 16. Juni 1994, V ZB 12/94, NJW 1994, 2299; BGH, Beschl. v. 13. Dezember
1999, II ZR 225/98, NJW 2000, 592), beginnt diese Frist daher spätestens in
dem Zeitpunkt, in dem der Anwalt bei Anwendung der unter den gegebenen
Umständen zu erwartenden Sorgfalt die eingetretene Säumnis hätte erkennen
können (vgl. nur BGH, Beschl. v. 13. Dezember 1999, aaO; Zöller/Greger, ZPO,
26. Aufl., § 234 Rdn. 5b m.w.N.); auch der Wegfall des Hindernisses vor Ablauf
einer später versäumten Notfrist setzt die Frist des § 234 ZPO in Lauf (BGH,
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Beschl. v. 31. Januar 1990, VIII ZB 44/89, NJW-RR 1990, 830 m.w.N.). Dabei
liegt es auf der Hand, dass von einem Rechtsanwalt ohne weiteres erwartet
werden muss, dass er sich bei der Einlegung eines Rechtsmittels vergewissert,
ob dieses noch innerhalb der dafür vorgesehenen Frist eingelegt werden kann
und ob – sofern eine Fristwahrung nicht mehr möglich ist – ein Wiedereinset-
zungsantrag veranlasst ist.
aa) Da zur Angabe der die Wiedereinsetzung begründenden Tatsachen
und damit zum notwendigen Inhalt eines Wiedereinsetzungsgesuchs grundsätz-
lich Sachvortrag gehört, aus dem sich ergibt, dass der Antrag rechtzeitig nach
der Behebung des Hindernisses (
Beschl. v. 16. September 2003, X ZR 37/03, BGHReport 2004, 57 m.w.N.),
scheitert das Wiedereinsetzungsgesuch vom 26. Juli 2007 schon daran, dass
entgegen weder darlegt noch glaubhaft gemacht wor-
den ist, wann der Verfahrensbevollmächtigte mit der Sache betraut worden ist
und wann er sich mit ihr erstmals befasst hat. Von einer entsprechenden Darle-
gung und Glaubhaftmachung kann nur abgesehen werden, wenn die Frist nach
Lage der Akten offensichtlich eingehalten worden ist (vgl. BGH, Beschl. v. 13.
Dezember 1999, II ZR 225/98, NJW 2000, 592 m.w.N.). Das ist hier nicht der
Fall.
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bb) Davon abgesehen ist das in der behaupteten Unkenntnis der An-
tragsgegnerin liegende Hindernis spätestens am 16. Mai 2007, dem Tag der
Einlegung des als Einspruch bezeichneten Rechtsmittels, entfallen; jedenfalls
von diesem Zeitpunkt an begann die zweiwöchige Wiedereinsetzungsfrist zu
laufen. Aus der Rechtsmittelschrift vom 16. Mai 2007 ergibt sich, dass der Ver-
fahrensbevollmächtigte der Antragsgegnerin über die Zuschlagserteilung im
Versteigerungstermin vom 19. April 2007 informiert war und damit bereits zu
diesem Zeitpunkt die Notwendigkeit der Stellung eines Wiedereinsetzungsan-
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trages unschwer hätte erkennen können. Dass der Antragsgegnerin nach ihrem
Vorbringen erst nach dem 12. Juli 2007 bekannt geworden ist, dass die Frist zur
Einlegung der sofortigen Beschwerde bereits abgelaufen war, ändert hieran
nichts.
b) Die Zurechnung des Anwaltsverschuldens führt nicht zu Wertungswi-
dersprüchen mit der hier in Rede stehenden Heranziehung des Rechtsgedan-
ken aus § 44 Satz 2 StPO. Wie bereits dargelegt, wird fehlendes Verschulden
nur dann unwiderlegbar vermutet, wenn der Belehrungsmangel für die Versäu-
mung der Rechtsmittelfrist ursächlich geworden ist. Dieser Zusammenhang
zwischen Belehrungsmangel und Fristversäumnis erlaubt es, insbesondere die
Fälle von einer Wiedereinsetzung auszunehmen, in denen ein Beteiligter zur
effizienten Verfolgung seiner Rechte der Unterstützung durch eine Rechtsmit-
telbelehrung nicht (vgl. dazu Senat, BGHZ 150, 390, 399 m.w.N.; zur Entbehr-
lichkeit einer Rechtsmittelbelehrung in Notarsachen wegen Rechtskenntnis der
Beteiligten vgl. BGHZ 42, 390, 391 f; BGH, Beschl. v. 11. Dezember 1978, NotZ
3/78, DNotZ 1979, 373, 375; Beschl. v. 22. Juni 1981, NotZ 4/81, DNotZ 1982,
381) oder – wie hier – nicht mehr bedarf (vgl. KG, NJW-RR 2002, 1583). Zudem
hat der Senat zur Wiedereinsetzung nach § 22 Abs. 2 Satz 2 FGG bereits ent-
schieden, dass der geringeren Schutzbedürftigkeit eines anwaltlich vertretenen
Beteiligten Rechnung getragen werden kann (Beschl. v. 2. Mai 2002, aaO,
m.w.N.). Unterstellt man das Erfordernis einer Rechtsmittelbelehrung in Kons-
tellationen der vorliegenden Art, kann vor dem Hintergrund der Zurechnungs-
norm des § 85 Abs. 2 ZPO für das Wiedereinsetzungsverfahren nach der Zivil-
prozessordnung nichts anderes gelten.
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III.
Ein Ausspruch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens schei-
det aus, weil sich die Beteiligten des Zwangsversteigerungsverfahrens grund-
sätzlich nicht als Parteien im Sinne der Zivilprozessordnung gegenüber stehen.
Das steht einer Anwendung von § 97 Abs. 1 ZPO entgegen (vgl. dazu insbe-
sondere Senat, BGHZ 170, 378, 381; ferner Beschl. v. 18. Mai 2005, V ZB
142/05, WM 2006, 1727, 1730). Etwas anderes kann zwar im Verfahren der
Teilungsversteigerung gelten, wenn sich Miteigentümer mit entgegengesetzten
Interessen und Anträgen gegenüber stehen (Senatsbeschl. v. 20. Juli 2006,
V ZB 168/05, NJW-RR 2007, 143). So liegt es hier jedoch nicht, weil sich die
Antragsgegnerin lediglich in ihrer Eigenschaft als Bieterin gegen den Zuschlag
und die damit einhergehenden finanziellen Belastungen wendet. Dass sie
zugleich als Antragsgegnerin in dem Verfahren beteiligt ist, ändert hieran nichts.
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Krüger
Klein
Stresemann
Czub
Roth
Vorinstanzen:
AG Hanau, Entscheidung vom 19.04.2007 - 42 K 267/04 -
LG Hanau, Entscheidung vom 14.09.2007 - 3 T 129/07 -