Urteil des BGH vom 22.02.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 359/03
Verkündet am:
22. Februar 2005
Herrwerth,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
_____________________
KAGG §§ 19, 20
Zu den Anforderungen an Verkaufsprospekte von Kapitalanlagegesellschaf-
ten.
BGH, Urteil vom 22. Februar 2005 - XI ZR 359/03 - OLG Frankfurt am Main
LG Frankfurt am Main
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Ver-
handlung vom 22. Februar 2005 durch den Vorsitzenden Richter Nobbe,
die Richter Dr. Joeres und Dr. Wassermann, die Richterin Mayen und
den Richter Dr. Appl
für Recht erkannt:
Die Revision der Kläger gegen das Urteil des
8. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Frankfurt am
Main vom 4. November 2003 wird zurückgewiesen.
Die Gerichtskosten und die außergerichtlichen Kosten
der Beklagten in der Revisionsinstanz werden dem
Kläger zu 1) zu 27%, dem Kläger zu 2) zu 58% und
der Klägerin zu 3) zu 15% auferlegt. Ihre eigenen au-
ßergerichtlichen Kosten haben die Kläger selbst zu
tragen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger nehmen die beklagte Kapitalanlagegesellschaft auf Er-
stattung für den Erwerb von Anteilscheinen gezahlter Beträge in An-
spruch.
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Die Beklagte legte am 22. Dezember 1999 den J. -
Fonds auf. Die Kläger erwarben von der Depotbank der Beklagten am
6. April, 29. Juni und 8. September 2000 Anteile zum Preis von 23.917 €,
43.008,66 € und 132.596,46 €. Der Kläger zu 2) gab der Beklagten seine
Anteile im April 2001 zum Preis von 38.689,28 € zurück. Vor dem Erwerb
hatte der Kläger zu 1) den auf dem Stand von November 1999 befindli-
chen Verkaufsprospekt erhalten; hinsichtlich der anderen Kläger ist dies
streitig. In dem Prospekt werden die Anlageziele und -grundsätze u.a.
wie folgt beschrieben:
"Der J. -Fonds investiert in erfolgreiche in- und aus-
ländische Unternehmen. Das Anlageziel des Fonds ist langfristiges
Kapitalwachstum. Die Auswahl der für das Sondervermögen zu
erwerbenden Aktien erfolgt überwiegend nach qualitativen Kriteri-
en. Hierzu zählen beispielsweise eine führende Marktposition des
Unternehmens, technologischer Vorsprung, überzeugendes, krea-
tives Management sowie zukunftsweisende, innovative Produkte
und Unternehmensstrategien. Bei der Auswahl der Anlagewerte
stehen neben der aktuellen Unternehmensbewertung die Perspek-
tive sowie die Wachstumschancen von innovativen Unternehmen
im Vordergrund.
Das Fondsmanagement unterscheidet in strategische und taktische
Investments. Langfristig orientierte strategische Investments im
Sondervermögen erfolgen ausschließlich aufgrund unserer sorgfäl-
tigen Analyse, Unternehmensbesuchen vor Ort sowie kontinuierli-
chem Meinungsaustausch mit dem Management der Unternehmen.
Im Rahmen kurzfristig ausgerichteter taktischer Investments nutzt
das Fondsmanagement Kursschwankungen verschiedener Einzel-
unternehmen und Branchentrends. Quantitative Kriterien wie z.B.
historisches und künftig erwartetes Gewinnwachstum oder relative
Stärke sowie die Charttechnik spielen eine untergeordnete Rolle.
Der Fonds strebt als Anlageziel die Erwirtschaftung eines Vermö-
genszuwachses in erster Linie durch die Auswahl der Einzeltitel
(Aktienselektion) an und nur sehr eingeschränkt durch Verände-
rungen des Investitionsgrades.
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Wir nennen unseren Fonds "creativ", weil die Anlageentscheidun-
gen im Rahmen unseres Management-Ansatzes nicht nur auf der
fundamentalen Analyse des Geschäftsablaufes einzelner Unter-
nehmen basieren. Ein hohes Maß an Antizipationsfähigkeit für zu-
künftige Entwicklungen und die Verflechtungen zwischen Unter-
nehmen - auch grenzüberschreitend - kennzeichnet unseren Anla-
gestil. Der Erfolg des Fonds wird im wesentlichen darin bestehen,
die Zukunftschancen einzelner Unternehmen oder Branchen im
Rahmen der Globalisierung des Wirtschaftsgeschehens zu einem
möglichst frühen Zeitpunkt zu erkennen und daraus die relevanten
Anlageentscheidungen abzuleiten. Wir verstehen unseren Anlage-
prozeß als eine Kombination zwischen dem Hineindenken in die
Bedürfnisse der künftigen Gesellschaft, dem interdisziplinären
Querdenken und dem Vordenken künftiger Wachstumschancen.
Die extrem schnellen Veränderungen unseres Wirtschaftsumfeldes
im Zeitalter der vollkommenen Information können auch im Portfo-
lio-Management nicht mehr mit herkömmlichen Methoden mono-
kausaler Erklärungsmuster bewältigt werden, sondern fordern eine
interaktive Kommunikationsstruktur in Netzwerken.
Neben den vorgenannten Aktien werden im Rahmen der Anlage-
grenzen auch Aktienzertifikate, Indexzertifikate, Optionsscheine
und Genußscheine sowie weitere in Wertpapieren verbriefte Fi-
nanzinstrumente in- und ausländischer Aussteller erworben. So-
fern diese Wertpapiere Finanzinstrumente sind oder die Wertpa-
piere Finanzinstrumente enthalten, ist ihr Einsatz nur im Rahmen
des § 8 d KAGG zulässig.
Unter Beachtung der Chancen und Risiken der Anlage in Aktien
erwirbt die Gesellschaft für das Sondervermögen insbesondere
Wertpapiere, die an Börsen des In- und Auslandes amtlich zuge-
lassen, an organisierten Märkten gehandelt werden, die anerkannt
und für das Publikum offen sind und deren Funktionsweise ord-
nungsgemäß ist. Daneben werden Wertpapiere aus Neuemissio-
nen erworben, deren Emissionsbedingungen die Verpflichtung ent-
halten, die Zulassung zur amtlichen Notierung an einer Börse oder
an einem organisierten Markt zu beantragen, sofern ihre Zulas-
sung spätestens vor Ablauf eines Jahres nach der Emission er-
langt wird.
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Die Kurse der Wertpapiere eines Fonds können gegenüber
dem Einstandspreis steigen oder fallen. Dies hängt insbeson-
dere von der Entwicklung der Kapitalmärkte ab, oder von be-
sonderen Entwicklungen der jeweiligen Aussteller, die nicht
vorhersehbar sind. Auch bei sorgfältigster Auswahl der Wert-
papiere kann nicht ausgeschlossen werden, daß Verluste
durch Vermögensverfall von Ausstellern eintreten. Die Gesell-
schaft versucht jedoch, die bestehenden Risiken zu minimie-
ren und die Chancen zu erhöhen.
ES KANN KEINE ZUSICHERUNG GEMACHT WERDEN, DASS
DIE ZIELE DER ANLAGEPOLITIK ERREICHT WERDEN.
Die Beklagte führte im Vorwort ihres Halbjahresberichts zum
31. Mai 2000 aus, der Neue Markt Deutschland habe das Kerninvestment
dargestellt. In diesem Zeitpunkt hatte der Fonds sein Vermögen minde-
stens zu 53,91% in Aktien des Neuen Marktes angelegt.
Nach einem starken Kursverfall der Anteilscheine vertreten die
Kläger die Auffassung, der Verkaufsprospekt sei unrichtig und unvoll-
ständig. Er weise insbesondere nicht hinreichend auf den Anlageschwer-
punkt im Neuen Markt hin. Die Kläger zu 1) und 3) nehmen die Beklagte
auf Erstattung der für den Erwerb der Anteilscheine gezahlten Beträge in
Höhe von 23.917 € und 43.008,66 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen
Rückgabe der Anteilscheine und auf Feststellung, daß die Beklagte mit
der Rücknahme der Anteilscheine in Verzug ist, in Anspruch. Der Kläger
zu 2) begehrt Erstattung der Differenz zwischen dem von ihm für den
Erwerb der Anteilscheine gezahlten Betrag und dem von der Beklagten
gezahlten Rückgabepreis, d.h. Zahlung von 93.907,18 € nebst Zinsen.
Das Landgericht (ZIP 2003, 295) hat der Klage stattgegeben. Das
Berufungsgericht (WM 2003, 2460) hat sie abgewiesen. Mit der vom Be-
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rufungsgericht zugelassenen Revision erstreben die Kläger die Wieder-
herstellung des landgerichtlichen Urteils.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist unbegründet.
I.
Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im wesentlichen wie
folgt begründet:
Ein Anspruch gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 und 2 KAGG bestehe
nicht, weil der Verkaufsprospekt keine Lücke aufweise. § 19 Abs. 2 Nr. 4
KAGG, der eine Beschreibung der Anlageziele und der Anlagepolitik des
Sondervermögens vorsehe, sei nicht verletzt. Der Verkaufsprospekt ent-
halte eine Beschreibung, die einer wesentlichen Investition in den Neuen
Markt entspreche. Er bringe zum Ausdruck, daß für den Erwerb von Akti-
en eines Unternehmens nicht nur dessen Solidität und sichere Marktposi-
tion, sondern auch Wachstumschancen und Innovationsfähigkeit von Be-
deutung seien. Daraus gehe hervor, daß die Anlagestrategie auch Un-
ternehmen einbeziehe, die hinsichtlich ihrer Entwicklung und Ertragsfä-
higkeit schwer einzuschätzen seien, und daß deshalb mit einer nicht un-
erheblichen Spekulation zu rechnen sei. Die Erläuterung des Namensbe-
standteils "Creativ" mache deutlich, daß Anlageentscheidungen nicht nur
auf der Analyse der Geschäftsabläufe einzelner Unternehmen basierten,
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sondern durch ein hohes Maß an Antizipationsfähigkeit für zukünftige
Entwicklungen gekennzeichnet seien. Der Erfolg solle im wesentlichen
darin bestehen, die Zukunftschancen einzelner Unternehmen oder Bran-
chen im Rahmen der Globalisierung des Wirtschaftsgeschehens mög-
lichst früh zu erkennen und daraus die relevanten Anlageentscheidungen
abzuleiten. Der sich aufdrängende Eindruck, daß der Fonds für eine si-
chere Geldanlage ungeeignet sei, werde durch die Bemerkung bestätigt,
das Sondervermögen solle insbesondere in Wertpapieren angelegt wer-
den, die an Börsen amtlich zugelassen seien oder an organisierten Märk-
ten gehandelt würden. Dadurch werde die Möglichkeit eröffnet, auch
ganz andere Werte, etwa Neuemissionen anzuschaffen.
Der Prospekt vermittle den Gesamteindruck, daß es sich bei dem
Fonds um eine sehr riskante Anlage handele, die erheblicher Spekulation
unterliege. Auch dem durchschnittlichen Anleger habe bei der Lektüre
klar werden müssen, daß er mit einer Investition in den Fonds ein sehr
viel höheres Risiko eingehe als beim Erwerb von Werten aus dem DAX,
und daß für den Fonds die Investition in den Neuen Markt das Gegebene
sei. Dieser habe nach dem Börsenlexikon der Gruppe Deutsche Börse
risikobereiten Investoren hochrentable Anlagemöglichkeiten mit diversifi-
zierbaren Risiken geboten. Da der Prospekt hinreichend auf diese Risi-
ken des Neuen Marktes hingewiesen habe, sei es nicht erforderlich ge-
wesen, die Bezeichnung "Neuer Markt" ausdrücklich in den Prospekt
aufzunehmen.
Eine solche Verpflichtung ergebe sich auch nicht aus dem Gebot
des § 19 Abs. 2 Nr. 4 KAGG, etwaige Beschränkungen der Anlagepolitik
anzugeben. Es sei nicht festzustellen, daß die Beklagte ihre Anlagepoli-
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tik nicht nur anfangs, sondern auf Dauer auf den Neuen Markt habe kon-
zentrieren wollen. Daß der Fonds im Jahr 2000 zu 53,91% und im Mai
2001 zu ca. 70% in W erte des Neuen Marktes investiert habe, genüge
dafür nicht, weil die Zusammensetzung des Fonds sich in der Zwischen-
zeit grundlegend gewandelt habe. Investitionsschwerpunkte seien heute
neben dem Nasdaq asiatische Märkte, nicht aber der Tec-Dax, wie es bei
einer Festlegung auf deutsche Innovations- und Technologiewerte nach
Schließung des Neuen Marktes zu erwarten gewesen wäre. Die von den
Klägern angeführten Äußerungen des Fondsmanagers seien ebenfalls
keine ausreichenden Anzeichen für eine von vornherein geplante, dauer-
hafte Beschränkung auf Werte des Neuen Marktes.
Zur Angabe lediglich vorübergehend gebildeter Anlageschwerpunk-
te sei die Beklagte weder gemäß § 19 Abs. 2 Nr. 4 KAGG noch gemäß
§ 19 Abs. 4 KAGG verpflichtet gewesen. Nach § 19 Abs. 4 KAGG seien
die Angaben von wesentlicher Bedeutung zwar auf dem neuesten Stand
zu halten. Dies bedeute aber nicht, daß eine Kapitalanlagegesellschaft
die vorübergehende Bildung bzw. Änderung tatsächlicher Anlageschwer-
punkte stets in ihren Verkaufsprospekt aufnehmen müsse. Ein Anspruch
gemäß § 20 Abs. 1 KAGG entfalle somit, weil die Angaben im Verkaufs-
prospekt nicht unrichtig oder unvollständig seien.
Da die Beklagte die Kläger im Verkaufsprospekt ordnungsgemäß
informiert habe, seien weder Ansprüche aufgrund der allgemeinen zivil-
rechtlichen Prospekthaftung noch gemäß § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 31
Abs. 2 Nr. 2 WpHG bzw. § 264 a StGB gegeben.
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II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung stand.
1. Die Kläger haben gegen die Beklagte keine Ansprüche gemäß
§ 20 Abs. 1 KAGG, weil der Verkaufsprospekt, wie das Berufungsgericht
rechtsfehlerfrei angenommen hat, keine unrichtigen oder unvollständigen
Angaben, die für die Beurteilung der Anteilscheine von wesentlicher Be-
deutung sind, enthält.
a) aa) Zu den wesentlichen Angaben gehört u.a. die Darstellung
der Anlageziele und der Anlagepolitik gemäß § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4
KAGG. Deren Beschreibung muß einem durchschnittlichen Anleger, nicht
einem flüchtigen Leser (so aber Schäfer BKR 2003, 78) ein richtiges Ge-
samtbild (vgl. BGH, Urteil vom 12. Juli 1982 - II ZR 175/81, W M 1982,
862; Schödermeier/Baltzer, in: Brinkhaus/Scherer, KAGGAuslInvestmG,
§ 20 KAGG Rdn. 5) von den Anlagegegenständen, ihren Risiken und
Auswirkungen auf die finanzielle Beurteilung der Anlage vermitteln (Baur,
Investmentgesetze 2. Aufl. § 19 KAGG Rdn. 31; Schödermeier/Baltzer,
in: Brinkhaus/Scherer, KAGGAuslInvestmG, § 19 KAGG Rdn. 28). Je
spezialisierter die Anlagepolitik ist, desto umfassender ist über die Aus-
wirkungen einer nur eingeschränkten Risikomischung aufzuklären
(Beckmann, in: Beckmann/Scholtz/Vollmer, Investment § 19 KAGG
Rdn. 14).
bb) Diesen Anforderungen genügt der Verkaufsprospekt der Be-
klagten.
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(1) Die Ansicht des Berufungsgerichts, der Prospekt vermittele ei-
nem durchschnittlichen Anleger den Eindruck, der Fonds sei als sichere
Geldanlage ungeeignet, es handele sich um eine sehr riskante Anlage,
die erheblicher Spekulation unterliege, ist, anders als die Revision meint,
nicht zu beanstanden. Der Anleger wird auf den Seiten 4 und 5 des Pro-
spekts unter der Überschrift "Anlageziel und Anlagegrundsätze" ausrei-
chend darüber informiert, daß der Fonds das Anlageziel "langfristiges
Kapitalwachstum" insbesondere auch durch spekulative Ausnutzung von
Kursschwankungen, durch sehr stark zukunftsorientierte Investitionen in
(noch) nicht börsennotierte Wertpapiere sowie in Neuemissionen errei-
chen will. Daß dem Fonds zur Erreichung des Anlageziels auch der Ab-
schluß hochspekulativer Wertpapieroptionsgeschäfte, Wertpapiertermin-
kontrakte, Finanzterminkontrakte und sogar von OTC-Geschäften mit
dem ihnen eigenen Liquiditäts- und Kontrahentenrisiko erlaubt sein soll-
te, ergibt sich deutlich aus den Seiten 6-10 des Prospekts, die auch auf
die mit solchen Geschäften verbundenen hohen Risiken hinweisen. Für
einen durchschnittlichen Anleger konnte danach nicht zweifelhaft sein,
daß es sich bei dem Fonds um eine hochspekulative risikoreiche Anlage
handelt.
(2) Der Verkaufsprospekt bringt ferner zum Ausdruck, daß die An-
lagepolitik der Beklagten auch den Erwerb am Neuen Markt gehandelter
Aktien umfaßte. Der Neue Markt wurde an der Frankfurter Wertpapier-
börse als Marktsegment angeboten, in dem junge, innovative Wachs-
tumsunternehmen, die meist nur mit wenigen, neuen Produkten und
Dienstleistungen am W ettbewerb teilnahmen, Risikokapital aufnehmen
konnten. Er ermöglichte Anlegern Investitionen in Aktien mit einem er-
heblichen Risiko und einer entsprechend erhöhten Gewinnchance (Se-
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nat, Urteil vom 13. Juli 2004 - XI ZR 178/03, W M 2004, 1774, 1777, für
BGHZ vorgesehen). Daß die Anlagepolitik der Beklagten sich auf den
Erwerb solcher Aktien erstreckte, bringt der Prospekt, wie das Beru-
fungsgericht rechtsfehlerfrei erkannt hat, deutlich zum Ausdruck, indem
er als Kriterien für die Anlage des Sondervermögens u.a. zukunftswei-
sende, innovative Produkte und Unternehmensstrategien sowie Wachs-
tumschancen von innovativen Unternehmen nennt. Schon der Name des
"Creativ-Fonds" deutet, wie der Prospekt im einzelnen und für den
durchschnittlichen Anleger verständlich erläutert, darauf hin, daß sein
Erfolg u.a. von dem frühzeitigen Erkennen der Zukunftschancen einzel-
ner Unternehmen oder Branchen und dem Vordenken künftiger Wachs-
tumschancen abhängt.
Da hiermit die wesentlichen Eigenschaften und besonderen Risi-
ken der am Neuen Markt gehandelten Aktien bezeichnet sind, war die
ausdrückliche Erwähnung des Marktsegments "Neuer Markt" im Ver-
kaufsprospekt nicht erforderlich. Die Revision beruft sich für ihre gegen-
teilige Auffassung ohne Erfolg darauf, daß sowohl gemäß § 19 Abs. 2
Satz 3 Nr. 4 KAGG als auch gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie
85/611/EWG des Rates der Europäischen Gemeinschaften zur Koordi-
nierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften betreffend bestimmte
Organismen für gemeinsame Anlagen in Wertpapieren (OGAW) vom
20. Dezember 1985 (ABl. EG 1985, Nr. L 375 S. 3), deren Umsetzung
§ 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 KAGG dient, alle erforderlichen Angaben im
Prospekt selbst und nicht in zusätzlich heranzuziehenden Unterlagen,
etwa einem Börsenlexikon, enthalten sein müssen. Diesem Erfordernis
genügt der Prospekt, weil er selbst, wie das Berufungsgericht rechtsfeh-
lerfrei ausführt, die Anlagepolitik so beschreibt, daß sie auch Investitio-
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nen am Neuen Markt ohne weiteres umfaßt. Das vom Berufungsgericht
zitierte Börsenlexikon enthält ersichtlich nicht einen - im Prospekt selbst
fehlenden - Teil der Beschreibung der Anlagepolitik der Beklagten, son-
dern eine Erläuterung des Begriffs des Neuen Marktes. Darin sieht das
Berufungsgericht zu Recht einen Beleg für seine Auffassung, daß die im
Prospekt dargelegte Anlagepolitik sich auch auf Investitionen in den
Neuen Markt erstreckt.
(3) Der fehlende ausdrückliche Hinweis auf einen schwerpunktmä-
ßigen Erwerb am Neuen Markt gehandelter Aktien und die mit dieser
(teilweisen) Konzentration auf ein Marktsegment verbundenen Risiken
verstößt nicht gegen das Gebot des § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 KAGG, et-
waige Beschränkungen bezüglich der Anlagepolitik darzustellen. Entge-
gen der Auffassung der Revision mußte im Prospekt eine schwerpunkt-
mäßige Investition in ein bestimmtes Marktsegment nicht angegeben
werden, weil nach den rechtsfehlerfreien Ausführungen des Berufungs-
gerichts die Absicht, die Anlagepolitik dauerhaft auf den Neuen Markt zu
konzentrieren, nicht feststellbar ist.
An dieser Feststellung war das Berufungsgericht durch die gegen-
teilige Feststellung des Landgerichts, die Beklagte habe von Beginn an
und dauerhaft die Absicht verfolgt, einen wesentlichen Anlageschwer-
punkt in Aktien des Neuen Marktes zu setzen, nicht gehindert. Nach
§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die von dem erstin-
stanzlichen Gericht festgestellten Tatsachen nur gebunden, soweit nicht
konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit
der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb
eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte, die die Bin-
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dung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen ent-
fallen lassen, können sich insbesondere aus Verfahrensfehlern ergeben,
die dem Landgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen
sind (BGH, Urteil vom 12. März 2004 - V ZR 257/03, W M 2004, 845, 846,
für BGHZ vorgesehen, m.w.Nachw.). Ein solcher Verfahrensfehler liegt
vor, wenn die Beweisaufnahme oder die Beweiswürdigung des Landge-
richts unvollständig sind (Ball, in: Musielak, ZPO 4. Aufl. § 529 Rdn. 8).
Dies ist hier, wie die Beklagte in ihrer Berufungsbegründung zu
Recht gerügt hat, der Fall, weil das Landgericht die dauerhafte Absicht
der Beklagten, einen wesentlichen Anlageschwerpunkt in Aktien des
Neuen Marktes zu setzen, festgestellt hat, ohne den von der Beklagten
für ihren gegenteiligen Vortrag als Zeugen benannten Fondsmanager zu
vernehmen. Statt dessen hat sich das Landgericht zur Begründung sei-
ner Feststellung u.a. auf ein Zeitungsinterview des Fondsmanagers be-
zogen, ohne sich gemäß § 286 Abs. 1 Satz 2 ZPO damit auseinanderzu-
setzen, daß dieses Gespräch etwa 18 Monate vor der Emission des
Fonds stattgefunden hatte. Angesichts dieser Verfahrensfehler konnte
das Berufungsgericht ohne Bindung an die landgerichtlichen Feststellun-
gen entscheiden, daß eine von Beginn an und dauerhaft verfolgte Ab-
sicht der Beklagten, einen wesentlichen Anlageschwerpunkt in Aktien
des Neuen Marktes zu setzen, nicht feststellbar ist. Die Begründung die-
ser Feststellung ist rechtsfehlerfrei. Insbesondere ist es entgegen der
Auffassung der Revision rechtlich nicht zu beanstanden, daß das Beru-
fungsgericht, anders als das Landgericht, die Entwicklung der Zusam-
mensetzung des Sondervermögens bis zum Schluß der mündlichen Ver-
handlung in seine Würdigung einbezogen und als Indiz gegen die fragli-
che Absicht der Beklagten gewertet hat.
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Da die Beklagte nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen des
Berufungsgerichts nicht das Anlageziel verfolgte, einen Schwerpunkt in
einem bestimmten Marktsegment zu setzen, bedarf die Frage, ob ein sol-
ches Anlageziel gemäß Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 85/611/EWG des
Rates der Europäischen Gemeinschaften vom 20. Dezember 1985 (ABl.
EG 1985, Nr. L 375 S. 3) i.V. mit dem Anhang Schema A Ziffer 1.15 in
Verkaufsprospekten anzugeben ist, entgegen der Auffassung der Revisi-
on keiner Entscheidung.
(4) Rechtlich nicht zu beanstanden ist ferner die Auffassung des
Berufungsgerichts, weder § 19 Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 KAGG noch § 19
Abs. 4 KAGG gebiete die Angabe lediglich vorübergehend gebildeter,
tatsächlicher Anlageschwerpunkte.
Die Anlagepolitik des Fonds war nach den rechtsfehlerfreien Fest-
stellungen des Berufungsgerichts von Anfang an auf Investitionen in
wachstumsorientierte, innovative Unternehmen ohne Festlegung auf be-
stimmte Märkte, Segmente, Branchen oder Länder gerichtet. Dies bedeu-
tet indes nicht, daß das Sondervermögen gleichmäßig auf die vorhande-
nen Märkte, Segmente, Branchen und Länder verteilt wird. Die Gewinn-
orientierung des Fonds hat vielmehr zur Folge, daß unterschiedliche wirt-
schaftliche Gegebenheiten und Renditeaussichten zu einer stärkeren
bzw. schwächeren Berücksichtigung einzelner Märkte, Segmente, Bran-
chen oder Länder führen können. Daraus ergeben sich Anlageschwer-
punkte, die bei Veränderungen der wirtschaftlichen Gegebenheiten und
Gewinnchancen jederzeit wieder aufgelöst oder verlagert werden kön-
nen. Da diese vorübergehenden faktischen Anlageschwerpunkte sich
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erst im Verlauf der Geschäftstätigkeit des Fonds bilden und nicht selbst
Gegenstand der Anlagepolitik sind, müssen sie weder gemäß § 19
Abs. 2 Satz 3 Nr. 4 KAGG im Verkaufsprospekt angegeben noch gemäß
§ 19 Abs. 4 KAGG auf dem neuesten Stand gehalten werden.
b) Die Revision rügt ohne Erfolg, das Berufungsgericht habe sich
unter Verstoß gegen § 547 Nr. 6 ZPO nicht mit der vom Landgericht of-
fengelassenen Frage, ob der Prospekt aus anderen Gründen unvollstän-
dig sei, und dem diesbezüglichen Vortrag der Kläger auseinanderge-
setzt. § 547 Nr. 6 ZPO ist u.a. dann verletzt, wenn das Berufungsurteil
auf ein selbständiges Angriffs- oder Verteidigungsmittel im Sinne des
§ 146 ZPO nicht eingeht und dieses zur Begründung bzw. Abwehr der
Klage nicht ohnehin ungeeignet ist (BGH, Urteil vom 30. Mai 2000
- VI ZR 276/99, W M 2000, 2393, 2394; Ball, in: Musielak, ZPO 4. Aufl.
§ 547 Rdn. 15 und 18). Ob diese Voraussetzungen hier vorliegen, kann
nicht geprüft werden.
Die Revision hat es, wie die Revisionserwiderung zutreffend gel-
tend macht, versäumt, die erhobene Verfahrensrüge ordnungsgemäß
auszuführen. Nach § 557 Abs. 3 Satz 2, § 551 Abs. 3 Nr. 2 b ZPO bedarf
es insoweit der Bezeichnung der Tatsachen, aus denen sich die Verfah-
rensverletzung ergeben soll, unter Angabe der Fundstellen in den
Schriftsätzen der Tatsacheninstanzen (BGHZ 14, 205, 209 f.; Stein/
Jonas/Grunsky, ZPO 21. Aufl. § 551 Rdn. 11; Zöller/Gummer, ZPO
25. Aufl. § 551 Rdn. 14). Der angeblich übergangene Vortrag wird in der
Revisionsbegründung überhaupt nicht wiedergegeben. Diese beschränkt
sich insoweit vielmehr auf eine Bezugnahme auf das Urteil des Landge-
richts. In diesem ist das Vorbringen der Kläger lediglich kurz zusammen-
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gefaßt. Ob es zur Begründung der Klage geeignet, insbesondere ausrei-
chend substantiiert ist, so daß sich das Berufungsgericht damit hätte be-
fassen müssen, ist dem Urteil des Landgerichts, das nicht auf bestimmte
Fundstellen in den erstinstanzlichen Schriftsätzen der Kläger verweist,
nicht zu entnehmen.
c) Da mithin davon auszugehen ist, daß der Verkaufsprospekt kei-
ne unrichtigen oder unvollständigen Angaben enthält, braucht über die
weiteren Anspruchsvoraussetzungen gemäß § 20 Abs. 1 KAGG, insbe-
sondere die Frage der Kausalität, nicht entschieden zu werden.
2. Mangels unrichtiger oder unvollständiger Prospektangaben
kommen Ansprüche aufgrund der allgemeinen zivilrechtlichen Prospekt-
haftung und aus § 823 Abs. 2 BGB i.V. mit § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2
WpHG bzw. § 264 a StGB von vornherein nicht in Betracht. Die Streitfra-
gen, ob die Grundsätze der allgemeinen Prospekthaftung neben § 20
Abs. 1 KAGG anwendbar sind (vgl. dazu Baur, Investmentgesetze
2. Aufl. § 20 KAGG Rdn. 33) und ob § 31 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 WpHG ein
Schutzgesetz i.S. des § 823 Abs. 2 BGB ist (vgl. dazu Koller, in: Ass-
mann/Schneider, WpHG 3. Aufl. Rdn. 17 vor § 31), bedürfen danach kei-
ner Entscheidung.
3. Für eine Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Gemein-
schaften gemäß Art. 234 EG besteht kein Anlaß, weil die von der Revisi-
on formulierten Vorlagefragen sämtlich nicht entscheidungserheblich
sind. Ob Art. 28 Abs. 1 der Richtlinie 85/611/EWG des Rates der Euro-
päischen Gemeinschaften vom 20. Dezember 1985 (ABl. EG 1985,
Nr. L 375 S. 3) Prospektangaben, die nicht aus sich heraus verständlich
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sind, zuläßt und die Angabe des Anlageziels, einen Schwerpunkt in ei-
nem bestimmten Marktsegment zu setzen, erfordert, bedarf keiner Ent-
scheidung. Der Verkaufsprospekt der Beklagten ist, wie dargelegt, aus
sich heraus verständlich. Das Anlageziel, einen Schwerpunkt in einem
bestimmten Marktsegment zu setzen, hat die Beklagte nicht verfolgt. Die
weitere von der Revision angeführte Vorlagefrage betrifft die Kausalität,
auf die es für die Entscheidung nicht ankommt.
III.
Die Revision war demnach als unbegründet zurückzuweisen.
Nobbe Joeres Wassermann
Mayen Appl