Urteil des BGH vom 13.05.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IV ZR 217/08
vom
13. Mai 2009
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
MB/KK 94 §§ 1 (1) a) 1. Alt., 4 (3)
Die Batteriekosten für ein Hörgerät (hier: Cochlea Implantat) sind nach den
MB/KK 94 nicht erstattungsfähig. Die reinen Betriebskosten sind insbesonde-
re weder Kosten der ärztlichen Behandlung noch Reparaturkosten für Hilfsmit-
tel. Tarifvertraglichen Regelungen für eine Kostenerstattung bei Herzschritt-
machern ist ein allgemeines Leistungsversprechen zur Übernahme von Ener-
giekosten für einen Geräteeinsatz nicht zu entnehmen.
BGH, Hinweisbeschluss vom 13. Mai 2009 - IV ZR 217/08 - LG Lüneburg
AG Lüneburg
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt, die Richterin Dr. Kessal-Wulf
und den Richter Felsch
am 13. Mai 2009
beschlossen:
Die Parteien werden darauf hingewiesen, dass der Senat
beabsichtigt, die Revision gegen das Urteil des 5. Zivil-
senats des Landgerichts Lüneburg vom 26. August 2008
durch Beschluss nach § 552 a ZPO zurückzuweisen.
Gründe:
1. Die Voraussetzungen für eine Zulassung liegen insgesamt nicht
vor.
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a) Grundsätzliche Bedeutung i.S. von § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1
ZPO kommt einer Rechtssache nicht schon deshalb zu, weil die Ent-
scheidung von der Auslegung einer Klausel in Allgemeinen Versiche-
rungsbedingungen abhängt. Erforderlich ist weiter, dass deren Ausle-
gung über den konkreten Rechtsstreit hinaus in Rechtsprechung und
Rechtslehre oder in den beteiligten Verkehrskreisen umstritten ist (BGH,
Beschluss vom 10. Dezember 2003 - IV ZR 319/02 - r+s 2004, 166 unter
II 2) und dass die Rechtssache damit eine Rechtsfrage im konkreten Fall
als entscheidungserheblich, klärungsbedürftig und klärungsfähig aufwirft
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und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an der einheitli-
chen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt (BGHZ 154, 288,
291; 152, 182, 191).
Das ist nach den hier zugrunde liegenden MB/KK und TB/KK für
die Frage, ob die Kosten für Batterien eines Cochlea-Implantats vom
Versicherer zu erstatten sind, nicht der Fall. Anderes vermag auch das
Berufungsurteil oder die Revisionsbegründung nicht aufzuzeigen.
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b) Gleiches gilt für den vom Berufungsgericht in Betracht gezoge-
nen Zulassungsgrund zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung
gemäß § 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 ZPO. Eine entscheidungserhebli-
che Divergenz, die Anlass zur Zulassung der Revision geben könnte, ist
mit dem bloßen Hinweis auf eine Entscheidung des LG München I, das
"offensichtlich … anders entschieden hat", weder dargetan noch sonst
ersichtlich.
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2. Der Senat hat - was auch die Revision nicht verkennt - das den
vereinbarten Krankheitskostenversicherungsschutz des Klägers bestim-
mende Vertragskonzept bestehend aus dem geschlossenen Versiche-
rungsvertrag, den zugrunde gelegten Versicherungsbedingungen, den
diese ergänzenden Tarife mit Tarifbedingungen sowie den gesetzlichen
Vorschriften (§ 1 Abs. 3 MB/KK) grundsätzlich gebilligt (vgl. Senatsurteile
vom 19. Mai 2004 - IV ZR 29/03 - VersR 2004, 1035 und 18. Januar
2006 - IV ZR 244/04 - VersR 2006, 497; vgl. auch Senatsurteil vom
27. Oktober 2004 - IV ZR 141/03 - VersR 2005, 64 und Beschluss vom
11. Februar 2009 - IV ZR 28/08 - VersR 2009, 533). Der begehrte Batte-
riekostenersatz ist von dem darin festgelegten vertraglichen Leistungs-
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versprechen offensichtlich nicht erfasst; weiterer höchstrichterlicher Klä-
rung bedarf es dafür nicht.
a) Der Versuch der Revision, diese Aufwendungen als erstattungs-
fähige Behandlungskosten i.S. von § 1 (1) Satz 1 Nr. 2 a 1. Alt. MB/KK
anzusehen, geht fehl. Dieses Leistungsversprechen bezieht sich für den
durchschnittlichen Versicherungsnehmer erkennbar nach ständiger, ein-
hellig anerkannter Rechtsprechung auf ärztliche Behandlungsmaßnah-
men zum Zwecke der Heilung, Besserung oder auch nur Linderung eines
Leidens (vgl. nur Senatsurteile vom 10. Juli 1996 - IV ZR 133/95 - VersR
1996, 1224 unter II 2 und 17. Dezember 1986 - IVa ZR 78/85 - VersR
1987, 278 unter II 3; jeweils m.w.N.), die zudem einen entsprechenden
Vergütungsanspruch des behandelnden Arztes oder Krankenhauses vor-
aussetzen, nicht aber auf Leistungen, die nicht in direktem Zusammen-
hang mit ärztlichem Handeln stehen, für deren Ersatz dagegen der Ver-
einbarungsvorbehalt in der zweiten Alternative dieser Klausel gilt (vgl.
statt aller Bach/Moser, PKV 2. Aufl. § 1 MB/KK Rdn. 3 ff., 12 ff; Bach/
Moser/Schoenfeldt/Kalis, PKV 3. Aufl. § 4 MB/KK Rdn. 29 m.v.w.N.).
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Wie auch die Revision einräumt, betrifft das Ersatzbegehren des
Klägers dagegen Kosten für die Energieversorgung eines technischen
Gerätes, um dessen Betriebsbereitschaft sicher zu stellen. Dass dies
keine Aufwendungen für ein ärztliches Handeln sind, liegt auf der Hand.
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Der von der Revision demgegenüber gezogene Vergleich zum
Herzschrittmacher greift nicht. Eine Ausdehnung des in dem Tarif 201
- Krankenhauskostentarif für Ärzte - unter I a Unterpunkt 7 gesondert
aufgenommenen Leistungsversprechens für Herzschrittmacher auf die
Energieversorgungskosten von -
jedweden
- medizinischen Geräten
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- jedenfalls aber dem Cochlea-Implantat -, erschließt sich einem um Ver-
ständnis bemühten Versicherungsnehmer gerade nicht. Die Sach- und
Rechtslage ist insoweit leicht erkennbar völlig verschieden. Die Teilim-
plantierung dieses medizinischen Gerätes ändert daran nichts. Aus der
Sonderregelung für Herzschrittmacher dürfte sich dem Versicherungs-
nehmer vielmehr der Schluss aufdrängen, dass ohne eine solche Rege-
lung eine Leistungsübernahme nicht vereinbart ist. Ein allgemeines Leis-
tungsversprechen zur Übernahme von Energiekosten für einen Geräte-
einsatz kann der durchschnittliche Versicherungsnehmer der Leistungs-
zusage für Herzschrittmacher keinesfalls entnehmen.
Ebenso wenig verfängt die Überlegung der Revision, eine Kosten-
übernahme rechtfertige sich aus der Funktionsweise des Cochlea-Im-
plantats, das Hörvermögen durch Stimulierung des Hörnervs mit elektri-
schen Impulsen wiederherzustellen, was es von den in Nr. 2 d) TB/KK zu
§ 4 (3) MB/KK geregelten Hilfsmitteln unterscheide. Dabei wird überse-
hen, dass das Cochlea-Implantat nicht etwa die Funktionsfähigkeit des
kranken Organs "Ohr" wiederherstellen - wie die Revision meint -, son-
dern lediglich für den krankheitsbedingten Ausfall der Haarzellen durch
die Umwandlung von Schallwellen in elektrische Impulse und deren Wei-
terleitung an den Hörnerv einen gewissen Ausgleich schaffen soll. Damit
unterfällt das Cochlea-Implantat den Hilfsmitteln, die - wie die Revision
wiederum zutreffend wiedergibt - nach der Rechtsprechung des Senats
gerade dadurch gekennzeichnet sind, dass sie körperliche Defekte über
längere Zeit auszugleichen suchen und damit unmittelbar eine Ersatz-
funktion für ein krankes Organ wahrnehmen sollen, ohne dessen Funkti-
onsfähigkeit wiederherzustellen (Senatsurteil vom 19. Mai 2004 aaO un-
ter II 2 b). Der Ausfall der Flimmerhärchen ist irreparabel; durch das
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Cochlea-Implantat kann er weder geheilt oder auch nur gelindert werden.
Diese Grunderkrankung wird nicht behandelt oder therapiert.
Eine
Kostenerstattung
scheidet unter diesem Gesichtspunkt aus.
Streitfragen bestehen darüber in Rechtsprechung und Literatur nicht.
Auch die Revision vermag nichts Gegenteiliges aufzuzeigen.
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b) Schließlich führt auch ihre Hilfserwägung zu keinem anderen
Ergebnis: Ordnet man das Cochlea-Implantat den in Nr. 2 d) TB/KK zu
§ 4 (3) MB/KK aufgezählten Hilfsmitteln zu, scheidet eine Kostenerstat-
tung ebenfalls aus. Zwar drängt sich für den durchschnittlichen Versiche-
rungsnehmer bei unbefangener Betrachtung auf, das Cochlea-Implantat
als (aufwendungsersatzfähiges) Hörgerät im Sinne dieser Klausel zu
verstehen. Die Energiekosten (Batterien) sind in dieser abschließenden
Regelung jedoch nicht aufgeführt. Sie können ersichtlich auch nicht als
Reparaturkosten verstanden werden; das medizinische Gerät "Cochlea-
Implantat" weist keinen reparaturfähigen Defekt auf, wenn lediglich für
die den Betrieb erst ermöglichende Energie gesorgt werden muss. Dass
dies bei dem Cochlea-Implantat in kurzen Zeitabständen zu geschehen
hat, ändert daran nichts.
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c) Die Ausgrenzung dieser Betriebskosten gefährdet weder den
Vertragszweck noch benachteiligt es den Versicherungsnehmer entge-
gen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen. Durch diese
Einschränkung wird der Versicherungsvertrag nicht in dem Sinne ausge-
höhlt, dass er in Bezug auf das zu versichernde Risiko zwecklos würde.
Eine Tarifkalkulation mit vertretbarer Prämiengestaltung, der solche Be-
grenzungen dienen sollen, liegt auch im Interesse des einzelnen Versi-
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cherungsnehmers (vgl. dazu nur Senatsurteil aaO unter II 3 b bb;
Bach/Moser/Schoenfeldt/Kalis aaO § 4 MB/KK Rdn. 43).
d) Ob im Einzelfall nach den Grundsätzen von Treu und Glauben
gemäß § 242 BGB eine Erstattungspflicht für an sich nicht vorgesehene
Hilfsmittel geboten sein kann, um einen Leistungsanspruch des Versi-
cherungsnehmers zu begründen, kann offen bleiben. Der Vortrag der in-
soweit darlegungs- und beweispflichtigen Klägerseite genügt dafür nicht.
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Die Parteien erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum
10. Juni 2009
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Hinweis:
worden.
Vorinstanzen:
AG Lüneburg, Entscheidung vom 19.03.2008 - 9 C 630/07 -
LG Lüneburg, Entscheidung vom 26.08.2008 - 5 S 23/08 -