Urteil des BGH vom 17.05.2004

BGH (auf lebenszeit, rechtliches gehör, antragsteller, zulassung, rechtspflege, interesse, rechtsmittel, antrag, beschwerde, gefahr)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ (B) 48/03
vom
17. Mai 2004
in dem Verfahren
Antragsteller und Beschwerdeführer,
gegen
Antragsgegnerin und Beschwerdegegnerin,
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat durch die Vorsitzende
Richterin Dr. Deppert, den Richter Dr. Ganter, die Richterin Dr. Otten und den
Richter Dr. Ernemann sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt, Dr. Schott und
Dr. Wosgien
am 17. Mai 2004
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluß
des 1. Senats des Anwaltsgerichtshofes des Landes Nordrhein-
Westfalen vom 21. März 2003 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen und
der Antragsgegnerin die ihr im Beschwerdeverfahren entstande-
nen notwendigen außergerichtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert für das Beschwerdeverfahren wird auf
50.000 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller legte am 16. Februar 1965 die zweite juristische
Staatsprüfung ab und war seit dem 18. März 1965 als Richter beim Amtsgericht
und Landgericht M. tätig, zuletzt seit dem 1. August 1980 als Vorsitzender
Richter einer Kammer für Handelssachen am Landgericht M. . Mit Ablauf
des 30. September 2001 schied er aus Altersgründen aus dem Richterdienst
aus. Im August 2002 beantragte er zur Rechtsanwaltschaft und als Rechtsan-
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walt bei dem Amtsgericht und dem Landgericht M. zugelassen zu wer-
den. Die Antragsgegnerin wies den Antrag mit Bescheid vom 12. September
2002 unter Berufung auf die vorherige Anstellung des Antragstellers als Richter
auf Lebenszeit in dem Bezirk des Landgerichts M. (§ 20 Abs. 1 Nr. 1
BRAO) zurück.
Den hiergegen gestellten Antrag auf gerichtliche Entscheidung hat der
Anwaltsgerichtshof durch Beschluß vom 21. März 2003 zurückgewiesen. Dage-
gen wendet sich der Antragsteller mit seiner sofortigen Beschwerde.
II.
Das Rechtsmittel ist zulässig (§ 42 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 4 BRAO), bleibt je-
doch in der Sache ohne Erfolg.
1. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Antragsteller - wie er behauptet -
dadurch in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt worden ist, daß der
Anwaltsgerichtshof seinen erst nach dem Beschlußdatum eingegangenen
Schriftsatz vom 20. März 2003 bei der Entscheidungsfindung nicht berücksich-
tigt hat. Ein diesbezüglicher Verfahrensmangel könnte dem Rechtsmittel näm-
lich nicht zum Erfolg verhelfen. Der Senat entscheidet als Beschwerdegericht in
dem für Angelegenheiten der freiwilligen Gerichtsbarkeit geltenden Verfahren
(§ 42 Abs. 5 und 6 BRAO). Er ermittelt als Tatsacheninstanz den Sachverhalt in
eigener Verantwortung; auf Verfahrensfehler in der Vorinstanz kommt es damit
grundsätzlich nicht an. Durch die Anhörung des Antragstellers im Beschwerde-
verfahren wird eine etwaige Verletzung des rechtlichen Gehörs im Verfahren
vor dem Anwaltsgerichtshof geheilt (BGH, Beschl. vom 13. Oktober 2003
- AnwZ(B) 36/02).
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2. Die tatbestandlichen Voraussetzungen des Versagungsgrundes des
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO sind vorliegend erfüllt. Diese Bestimmung ist - wie der
Senat bereits in einer früheren Entscheidung im einzelnen ausgeführt hat (vgl.
Beschl. vom 13. Januar 2003 - AnwZ(B) 59/01, NJW 2003, 965, bestätigt durch
Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 13. März 2003 (1 BvR 450/03) -
durch die Neufassung des § 78 ZPO entgegen der Auffassung des Antragstel-
lers weder obsolet geworden, noch bestehen gegen ihre Verfassungsmäßigkeit
Bedenken.
3. Die Antragsgegnerin hat auch das ihr nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO
eingeräumte Ermessen nicht rechtsfehlerhaft ausgeübt (§ 39 Abs. 3 BRAO).
Diese Vorschrift soll im Interesse der Rechtspflege der (abstrakten) Gefahr vor-
beugen, daß Rechtsuchende den Eindruck gewinnen könnten, der als Anwalt
bei einem bestimmten Gericht Zugelassene sei in der Lage, bei Wahrnehmung
der Interessen seiner Auftraggeber - zum Schaden von dessen Gegnern -, per-
sönliche Beziehungen zu Richtern und Beamten dieses Gerichts aus seiner
früheren dienstlichen Tätigkeit nutzbar zu machen (BGHZ 56, 142, 143). Die
Zulassung soll daher bei Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des
§ 20 Abs. 1 Nr. 1 BRAO nur dann erteilt werden, wenn besondere Umstände
vorliegen, aus denen sich ergibt, daß kein vernünftig denkender Rechtsuchen-
der auf den Gedanken kommen kann, derartige persönliche Beziehungen könn-
ten im Rahmen der künftigen Anwaltstätigkeit des Bewerbers eine Rolle spie-
len. Hiervon kann vorliegend jedoch bereits in Anbetracht der mehr als dreißig-
jährigen richterlichen Tätigkeit des Antragstellers beim Amts- und Landgericht
M. , davon allein über zwanzig Jahre in der herausgehobenen Position eines
Vorsitzenden Richters beim Landgericht, nicht die Rede sein. Das diesbezügli-
che Vorbringen des Antragstellers vermag eine andere Beurteilung nicht zu
rechtfertigen. Seine Erklärung, er wolle keine eigene Kanzlei eröffnen, sondern
sich als Pensionär in den Räumlichkeiten seiner Verfahrensbevollmächtigten
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nur wenige Stunden am Tage hauptsächlich mit Streitfällen aus dem Handels-
und Gesellschaftsrecht befassen und dabei "nur in ganz geringem Umfang"
forensisch tätig werden, ist - ungeachtet ihrer fehlenden Rechtsverbindlichkeit -
nicht geeignet, den Anschein unsachlicher Einflüsse auf die Rechtspflege in der
Öffentlichkeit auszuräumen. Schließlich sind auch Umstände, die die Entschei-
dung der Antragsgegnerin als unverhältnismäßig oder unzumutbar erscheinen
lassen könnten, vom Antragsteller weder dargelegt worden noch sonst ersicht-
lich. Dem Interesse des Antragstellers, "nach über 40 Jahren richterlicher Tätig-
keit die dabei gewonnenen Erkenntnisse und Erfahrungen nicht verkümmern zu
lassen", ließe sich auch ohne die angestrebte Zulassung als Rechtsanwalt bei
dem Amts- und Landgericht M. Rechnung tragen.
Deppert
Ganter
Otten
Ernemann
Salditt
Schott
Wosgien