Urteil des BGH vom 24.01.2006, X ARZ 446/05
BGH (zpo, begründung, sitz, gerichtsstand, verweisung, sache, bezirk, prüfung, geschäftsführer, wohnsitz)
- Entschieden
- 24.01.2006
- Schlagworte
- Zpo, Begründung, Sitz, Gerichtsstand, Verweisung, Sache, Bezirk, Prüfung, Geschäftsführer, Wohnsitz
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ARZ 446/05
vom
24. Januar 2006
in dem Gerichtsstandsbestimmungsverfahren
Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 24. Januar 2006 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis und die Richter Scharen, Keukenschrijver,
Asendorf und Dr. Kirchhoff
beschlossen:
Als zuständiges Gericht wird das Amtsgericht Heidelberg bestimmt.
Gründe:
1Die Schuldnerin ist eine GmbH mit Sitz in H. . Für sie wurde mit
Wirkung vom 21. Juli 2005 ein neuer Geschäftsführer bestellt, der für die
Schuldnerin mit Antrag vom 16. August 2005 Insolvenzantrag gestellt hat und
gleichzeitig beantragt hat, das Verfahren an das für den Wohnsitz des - neuen -
Geschäftsführers örtlich zuständige Insolvenzgericht B. zu
verweisen. Zur Begründung hat die Schuldnerin ausgeführt, sie habe den Geschäftsbetrieb eingestellt, die Geschäftsräume in E. im Bezirk des
Amtsgerichts H. aufgegeben und die Geschäftsunterlagen nach B.
verbracht, um dort unter Einschaltung einer Wirtschaftsberatungsgesellschaft
prüfen zu lassen, ob ein Fortbestand möglich sei, und andernfalls die Abwicklung unter Einschluss eines Insolvenzverfahrens vorzunehmen.
2Das Amtsgericht H. hat sich mit Beschluss vom 19. August 2005
für örtlich unzuständig erklärt und das Insolvenzverfahren an das Amtsgericht
B. verwiesen.
3Das Amtsgericht B. hat sich mit Beschluss vom
26. August 2005 für örtlich nicht zuständig erklärt und das Verfahren zur Bestimmung der Zuständigkeit dem Oberlandesgericht Karlsruhe vorgelegt.
4Das Oberlandesgericht Karlsruhe möchte das Amtsgericht B.
als zuständiges Gericht bestimmen. Es sieht sich hieran jedoch durch
Entscheidungen anderer Oberlandesgerichte (BayObLG NJW-RR 2004, 986;
OLG Celle NZI 2004, 258, 259; OLG Stuttgart OLGR 2004, 184, 186; OLG
Schleswig NZI 2004, 264) gehindert. Es hat deshalb die Sache dem Bundesgerichtshof vorgelegt.
5II. Die Vorlage ist zulässig (§ 36 Abs. 3 ZPO).
6Das Oberlandesgericht Karlsruhe würde sich mit der von ihm beabsichtigten Entscheidung in Widerspruch zu den zitierten Beschlüssen der Oberlandesgerichte Celle, Stuttgart, Schleswig und des Bayerischen Obersten Landesgerichts setzen. Diese haben entschieden, dass ein die örtliche Zuständigkeit
an den Wohnsitz des Geschäftsführers der GmbH anknüpfender Verweisungsbeschluss willkürlich und deshalb nicht bindend sei, wenn eine Veräußerung
der Geschäftsanteile und die Abberufung des alten sowie die Ernennung des
neuen Geschäftsführers in unmittelbarem zeitlichen Zusammenhang mit der
Stellung des Insolvenzantrags stünden und das Verfahren damit das Gepräge
einer "gewerbsmäßigen Firmenbestattung" habe. In solchen Fällen komme für
die Durchführung des Insolvenzverfahrens eine Zuständigkeit des Insolvenzgerichts, bei dem der neu bestellte Geschäftsführer seinen Sitz habe, nicht in Be-
tracht, weil es sich um eine rechtsmissbräuchliche Zuständigkeitserschleichung
handele. Das vorlegende Oberlandesgericht Karlsruhe hält hingegen eine solche Verweisung für jedenfalls nicht willkürlich.
7III. Zuständiges Gericht ist das Amtsgericht H. .
81. Die Voraussetzungen für die Bestimmung eines Gerichtsstands nach
§ 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO liegen vor. Sowohl das Amtsgericht H. wie das
Amtsgericht B. haben sich durch einen gemäß § 281 Abs. 2
Satz 2 ZPO unanfechtbaren Beschluss für unzuständig erklärt.
2. Das Amtsgericht H. ist für das vorliegende Insolvenzverfahren 9
zuständig.
10Die örtliche Zuständigkeit folgt aus § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO. Nach dieser
Vorschrift ist örtlich zuständig das Insolvenzgericht, in dessen Bezirk der
Schuldner seinen allgemeinen Gerichtsstand hat. Dies ist das Amtsgericht H.
, weil die GmbH dort ihren Sitz hat, § 17 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
11Allerdings sind im Interesse der Prozessökonomie und zur Vermeidung
von Zuständigkeitsstreitigkeiten und dadurch bewirkten Verzögerungen und
Verteuerungen des Verfahrens Verweisungsbeschlüsse gemäß § 281 Abs. 2
Satz 2 ZPO unanfechtbar und gemäß § 281 Abs. 2 Satz 4 ZPO für das Gericht,
an welches verwiesen wird, bindend. Dies entzieht auch einen sachlich zu Unrecht ergangenen Verweisungsbeschluss und die diesem Beschluss zugrunde
liegende Entscheidung über die Zuständigkeit grundsätzlich jeder Nachprüfung
(BGHZ 102, 338, 340; Sen.Beschl. v. 22.06.1993 - X ARZ 340/93, NJW 1993,
2810). Nach ständiger Rechtsprechung kommt einem Verweisungsbeschluss
jedoch dann keine Bindungswirkung zu, wenn er schlechterdings nicht als im
Rahmen des § 281 ZPO ergangen angesehen werden kann, etwa weil er auf
der Verletzung rechtlichen Gehörs beruht oder weil er jeder gesetzlichen
Grundlage entbehrt und deshalb als willkürlich betrachtet werden muss (BGHZ
71, 69, 72 f.; Sen.Beschl. v. 09.07.2002 - X ARZ 110/02, NJW-RR 2002, 1498).
Diese Voraussetzungen liegen hier vor.
12Das gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 InsO zuständige Amtsgericht H.
hat sich darüber hinweggesetzt, dass die Verweisung eines Rechtsstreits gemäß § 4 InsO, § 281 Abs. 1 ZPO die Unzuständigkeit des angerufenen Gerichts
voraussetzt. Eine Verweisung kommt nur in Betracht, wenn bei dem Gericht,
bei dem die Sache rechtshängig ist, kein Gerichtsstand eröffnet ist (Sen.Beschl.
v. 10.09.2002 - X ARZ 217/02, NJW 2002, 3634, 3635). Das Amtsgericht H.
hat zur Begründung seines Verweisungsbeschlusses lediglich auf die
Angaben des Geschäftsführers der Schuldnerin in dessen Verweisungsantrag
Bezug genommen. Gemäß § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO hat das Insolvenzgericht
indes von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln, die für das Insolvenzverfahren von Bedeutung sind. Gerade im Hinblick auf die oben unter II dargestellte
Rechtsprechung hatte das Amtsgericht H. Veranlassung, erst nach
sorgfältiger Prüfung entgegen der Zuständigkeitsregelung in § 3 Abs. 1 Satz 1
InsO seine örtliche Zuständigkeit zu verneinen. Das nach § 3 Abs. 1 Satz 1 zuständige Insolvenzgericht hat die zur Begründung der örtlichen Zuständigkeit
eines anderen Insolvenzgerichts vorgetragenen Umstände zu würdigen und
gegebenenfalls von Amts wegen den Sachverhalt weiter aufzuklären. Erst wenn
danach bei ihm kein Gerichtsstand eröffnet ist, kann es seine örtliche Unzuständigkeit aussprechen. Geschieht dies ohne eine solche Prüfung, so entbehrt
der Verweisungsbeschluss jeder gesetzlichen Grundlage und muss deshalb als
willkürlich betrachtet werden.
hat demnach den Rechtsstreit nicht wirksam 13 Das Amtsgericht H.
an das Amtsgericht B. verwiesen.
Melullis Scharen Keukenschrijver
Asendorf Kirchhoff
Vorinstanz:
OLG Karlsruhe, Entscheidung vom 29.11.2005 - 15 AR 47/05 -