Urteil des BGH vom 09.08.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 200/05
vom
9. August 2006
in dem Prozesskostenhilfeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
InsO §§ 61, 80 Abs. 1, § 92
Der Insolvenzverwalter ist nicht befugt, Schadensersatzansprüche der Massegläubi-
ger aus § 61 InsO gegen seinen Amtsvorgänger geltend zu machen.
BGH, Beschluss vom 9. August 2006 - IX ZB 200/05 - OLG Düsseldorf
LG Duisburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Gero Fischer und die Richter Dr. Ganter, Raebel, Dr. Kayser und Dr. Detlev
Fischer
am 9. August 2006
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 4. Zivil-
senats des Oberlandesgerichts Düsseldorf vom 22. De-
zember 2004 wird auf Kosten des Antragstellers zurückge-
wiesen.
Dem Antragsteller wird Prozesskostenhilfe für das Rechts-
beschwerdeverfahren versagt.
Gründe:
I.
Der Antragsteller ist Verwalter in dem Insolvenzverfahren über das Ver-
mögen der F. GmbH & Co. KG,
(fortan: Schuldnerin). Sein Vorgänger im Amt hatte im Rahmen der
Fortführung des Betriebs der Schuldnerin Masseverbindlichkeiten begründet,
die aus der Insolvenzmasse nicht erfüllt werden konnten. Nachdem er abberu-
fen und über sein Vermögen ebenfalls das Insolvenzverfahren eröffnet worden
war, wurden Forderungen der Massegläubiger gegen ihn aus der Betriebsfort-
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führung bei der Schuldnerin in Höhe von 193.790,61 € zur Tabelle festgestellt.
Die Antragsgegnerin ist der Haftpflichtversicherer des früheren Insolvenzverwal-
ters.
Der Antragsteller beabsichtigt, von der Antragsgegnerin gemäß § 157
VVG Ausgleich der den Massegläubigern gegen seinen Vorgänger im Amt aus
§ 61 InsO zustehenden Schadensersatzansprüche zu verlangen. Er hat des-
halb um Prozesskostenhilfe für eine entsprechende Klage nachgesucht. Das
Landgericht hat den Antrag zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde des An-
tragstellers ist ohne Erfolg geblieben. Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde
verfolgt er sein Begehren in vollem Umfang weiter.
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II.
Das gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 3 Satz 2 ZPO statthafte und
auch im Übrigen zulässige Rechtsmittel hat in der Sache keinen Erfolg.
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Das Beschwerdegericht hat ausgeführt, Prozesskostenhilfe könne dem
Antragsteller nicht bewilligt werden, weil den Massegläubigern als wirtschaftlich
Beteiligten die Aufbringung der Kosten der beabsichtigten Rechtsverfolgung
zuzumuten sei. Auch wenn die Ansprüche der Massegläubiger auf Vorgängen
zu Gunsten der Insolvenzmasse beruhten, die sich zum Vorteil der Insolvenz-
gläubiger auswirkten, handele es sich doch um normale Forderungen der Gläu-
biger, die diese einschließlich daran anknüpfender Schadensersatzforderungen
grundsätzlich selbst zu realisieren hätten.
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Diese Ausführungen halten im Ergebnis rechtlicher Nachprüfung stand.
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1. Entgegen der Auffassung des Beschwerdegerichts findet § 116 Satz 1
Nr. 1 ZPO allerdings keine Anwendung, weil der Antragsteller hier nicht als Par-
tei kraft Amtes in gesetzlicher Prozessstandschaft klagen kann. Beabsichtigt
der Insolvenzverwalter, Ansprüche geltend zu machen, die nicht zum verwalte-
ten Vermögen gehören, ist § 116 ZPO nicht einschlägig; es gelten §§ 114, 115
ZPO (OLG Hamm JurBüro 1988, 1059, 1060; Saenger/Rathmann/Pukall, ZPO,
§ 116 Rn. 4; Zöller/Philippi, ZPO 25. Aufl. § 116 Rn. 3; Stein/Jonas/Bork, ZPO
22. Aufl. § 116 Rn. 2).
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a) Bei dem Schadensersatzanspruch aus § 61 InsO wegen Nichterfül-
lung von Masseverbindlichkeiten handelt es sich um einen Individualanspruch,
der während des Insolvenzverfahrens von den geschädigten Massegläubigern
gegen den Insolvenzverwalter geltend gemacht werden kann (BGHZ 159, 104,
107 f; vgl. auch BGH, Urt. v. 27. Februar 1973 - VI ZR 118/71, WM 1973, 556,
557; v. 10. Mai 1977 - VI ZR 48/76, WM 1977, 847, 848).
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b) Der Antragsteller ist nicht gemäß § 92 InsO befugt, den Schaden, der
den Massegläubigern durch die Betriebsfortführung entstanden ist, geltend zu
machen. Der auf den Vertragsschluss mit dem früheren Insolvenzverwalter be-
ruhende finanzielle Nachteil der Neugläubiger betrifft nur diese persönlich, nicht
dagegen die Gesamtheit der Gläubiger. Daher fehlt ein Bezug dieses An-
spruchs zur Insolvenzmasse. Da Ziel der beabsichtigten Klage nicht eine Anrei-
cherung der Masse ist, fehlt dem Antragsteller insoweit die gesetzliche Prozess-
führungsbefugnis.
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2. Es kann dahingestellt bleiben, ob die Klage gegen die Antragsgegnerin
aufgrund gewillkürter Prozessführungsbefugnis zulässig ist; denn die Bewilli-
gung von Prozesskostenhilfe für eine solche Klage kommt nicht in Betracht.
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Macht ein Prozessbeteiligter im Wege der Prozessstandschaft oder der
Inkassozession ein fremdes Recht oder das wirtschaftliche Interesse eines Drit-
ten im eigenen Namen geltend, so kommt es für die Gewährung von Prozess-
kostenhilfe grundsätzlich sowohl auf die Person des unmittelbar Prozessbetei-
ligten als auch auf die des Dritten an, in dessen rechtlichem oder wirtschaftli-
chem Interesse der Rechtsstreit geführt wird (BGHZ 96, 151, 153; BGH, Beschl.
v. 20. Dezember 1984 - IX ZR 132/84, KostRsp. ZPO § 114 Nr. 100; v.
16. September 1991 - VIII ZR 264/90, VersR 1992, 594). Bei den vom Amtsvor-
gänger des Antragstellers geschädigten Massegläubigern handelt es sich um
Unternehmen und öffentlich-rechtliche Körperschaften, die die Kosten der Pro-
zessführung nach ihren wirtschaftlichen Verhältnissen ohne Zweifel selbst auf-
bringen können.
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3. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde bedarf es keiner
Vorlage an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes.
Der Beschluss des Bundesfinanzhofs vom 9. Dezember 2004 (ZInsO 2005,
1216) betraf einen Rechtsstreit, den der Insolvenzverwalter im Rahmen der ihm
obliegenden Befugnisse als gesetzlicher Prozessstandschafter führen konnte,
so dass sich die Gewährung von Prozesskostenhilfe nach § 116 Satz 1 Nr. 1
ZPO richtete.
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III.
Da es auf die Rechtsfrage, die das Oberlandesgericht veranlasst hat, die
Rechtsbeschwerde zuzulassen, nicht ankommt und die Entscheidung auch
nicht auf der Beantwortung schwieriger Rechts- oder Tatfragen beruht, kann
dem Antragsteller keine Prozesskostenhilfe bewilligt werden (§ 114 Satz 1
ZPO). Die Zulassung der Rechtsbeschwerde durch das Beschwerdegericht hin-
dert den Senat nicht an einer abweichenden und zutreffenden Beurteilung der
Schwierigkeit und Grundsätzlichkeit (vgl. BGH, Beschl. v. 11. September 2002
- VIII ZR 235/02, NJW-RR 2003, 130, 131; v. 30. Januar 2004 - IXa ZB 299/03,
BGHReport 2004, 853, 854).
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Dr. Gero Fischer
Dr. Ganter
Raebel
Dr. Kayser
Dr. Detlev Fischer
Vorinstanzen:
LG Duisburg, Entscheidung vom 06.09.2004 - 12 O 55/04 -
OLG Düsseldorf, Entscheidung vom 22.12.2004 - I-4 W 66/04 -