Urteil des BGH vom 21.05.2007

BGH (schwerer fall, strafzumessung, stgb, bewertung, bestand, stpo, schuldspruch, gewicht, umfang, freiheitsstrafe)

5 StR 315/08
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 4. September 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Totschlags
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 4. September 2008
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des
Landgerichts Bremen vom 21. Mai 2007 nach § 349
Abs. 4 StPO im Strafausspruch aufgehoben.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO
als unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels, an eine andere Schwurgerichtskammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags zu einer
Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat
mit der Sachrüge zum Strafausspruch Erfolg, zum Schuldspruch ist sie un-
begründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
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Nach den Feststellungen des Landgerichts tötete der Angeklagte sei-
nen Mitbewohner, den Vater seiner bisherigen Lebensgefährtin, indem er ihm
u. a. einen etwa sieben Zentimeter tiefen Messerstich in die Brust versetzte.
Dabei war der Angeklagte aufgrund des Zusammenwirkens einer Alkoholin-
toxikation und einer posttraumatischen Belastungsstörung in seiner Steue-
rungsfähigkeit erheblich vermindert.
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1. Der Schuldspruch hält revisionsrechtlicher Überprüfung stand. Die
teilweise missverständlichen und sich nicht stets deckenden Ausführungen
zum psychischen Zustand des Angeklagten bei der Tat und dessen rechtli-
cher Einordnung beschweren den Angeklagten nicht. Jedenfalls der Aus-
schluss der Schuldunfähigkeit ist tragfähig belegt.
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2. Der Strafausspruch kann jedoch nicht bestehen bleiben. Die Straf-
zumessung des Landgerichts weist sowohl bei der Strafrahmenbestimmung
als auch bei der konkreten Strafzumessung Fehler auf.
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a) Das Landgericht hat die Annahme eines minder schweren Falls im
Sinne des § 213 2. Alt. StGB abgelehnt. Dies hat es maßgeblich mit dem
fehlenden Anlass für die massive Vorgehensweise, dem „gesamten verhee-
renden Tatbild“ und der Folgen für die Hinterbliebenen des Getöteten be-
gründet.
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Im Hinblick auf das Erfordernis einer umfassenden Gesamtwürdigung
aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände (BGHR StGB
vor § 1/minder schwerer Fall Gesamtwürdigung 8 und Prüfungspflicht 1) be-
gegnet es schon Bedenken, dass das Landgericht bei der Prüfung, ob die
Tat als minder schwerer Fall zu bewerten ist, nicht auch weitere bei der
Strafzumessung im engeren Sinne berücksichtigte zugunsten des Angeklag-
ten sprechende Umstände, wie z. B. die bedrängte persönliche Lebenssitua-
tion, in seine Erwägungen einbezogen hat. Zudem lassen die Urteilsgründe
die Bewertung der sich aus den Feststellungen zum unmittelbaren Nachtat-
geschehen ergebenden Reue und Betroffenheit über die Tat vermissen.
Jedenfalls aber kann die Strafrahmenwahl keinen Bestand haben, weil
das Landgericht bei der für die Ablehnung des milderen Strafrahmens ent-
scheidenden Bewertung der Handlungsintensität unerörtert gelassen hat, ob
und gegebenenfalls in welchem Maße das brutale Vorgehen gerade durch
die verminderte Schuldfähigkeit beeinflusst war. Denn in dem Umfang, in
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dem das „verheerende Tatbild“ und die massive Vorgehensweise auf die er-
heblich verminderte Schuldfähigkeit zurückgehen, dürfen sie ihm nicht un-
eingeschränkt zum Vorwurf gemacht und straferschwerend angelastet wer-
den (vgl. BGHR StGB § 21 Strafzumessung 1 bis 5). Eine Erörterung drängte
sich auch deswegen auf, weil der Angeklagte vor der Tat noch nicht wegen
gewalttätigen Verhaltens auffällig geworden war. Der Senat kann nicht aus-
schließen, dass das Landgericht der Art der Tatausführung ein zu großes
Gewicht bei der Strafrahmenwahl beigemessen hat.
b) Aber auch die Begründung der konkreten Strafzumessung weist für
sich genommen Rechtsfehler auf.
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Die strafschärfende Bewertung des Umstands, das Opfer habe den
Angeklagten nicht angegriffen, lässt besorgen, dass das Landgericht das
Fehlen eines möglichen Milderungs- oder gar eines unrechtsausschließen-
den Rechtfertigungsgrundes dem Angeklagten angelastet hat (vgl. BGH, Be-
schluss vom 13. September 2007 – 5 StR 305/07; BGH StV 1995, 584). Die
strafschärfende Gewichtung des Tatmotivs kann ebenfalls keinen Bestand
haben, da dies im Widerspruch zu den Feststellungen steht, wonach die Be-
weggründe des Angeklagten nicht geklärt werden konnten. Angesichts der
nicht geringes Gewicht aufweisenden Strafmilderungsgründe vermögen die
zusätzlich angeführten belastenden Umstände jedenfalls nicht die Verhän-
gung einer Strafe aus dem oberen Bereich des nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB
gemilderten Strafrahmens zu rechtfertigen.
3. Da der Strafausspruch aufgrund von Begründungs- und Wertungs-
fehlern keinen Bestand hat, konnten die zugrunde liegenden Feststellungen
bestehen bleiben. Das neue Tatgericht ist nicht gehindert, weitergehende
Feststellungen zu treffen, sofern sie den bisherigen nicht widersprechen.
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Wie vom Generalbundesanwalt ausgeführt, wird zu berücksichtigen
sein, dass das Verfahren nach Urteilsverkündung bis zum Eingang der Akten
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beim Generalbundesanwalt aus im Verantwortungsbereich der Justiz liegen-
den Gründen verzögert worden ist. Nach Ermittlung von Art und Ausmaß
dieser rechtsstaatswidrigen Verzögerung wird der Verstoß gegen Art. 6
Abs. 1 Satz 1 MRK dadurch zu kompensieren sein, dass ein Teil der ver-
hängten Freiheitsstrafe für vollstreckt zu gelten hat (vgl. BGH NJW 2008,
860).
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Schneider Dölp