Urteil des BGH vom 20.04.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
IX ZB 161/05
vom
9. März 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
ZPO §§ 240, 280 Abs. 2
Streiten die Parteien darüber, ob der Kläger einen unterbrochenen Rechtsstreit wirk-
sam aufgenommen hat, ordnet der Richter daraufhin abgesonderte Verhandlung ü-
ber die Zulässigkeit der Klage an und erlässt er ein Zwischenurteil, das nicht nur eine
wirksame Aufnahme des Verfahrens, sondern die Zulässigkeit der Klage insgesamt
bejaht, so ist diese Entscheidung wie ein Endurteil mit Rechtsmitteln anfechtbar.
BGH, Beschluss vom 9. März 2006 - IX ZB 161/05 - OLG Stuttgart
LG
Ravensburg
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Der IX. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat durch den Vorsitzenden Richter
Dr. Fischer, die Richter Raebel, Kayser, Cierniak und die Richterin Lohmann
am 9. März 2006
beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Beklagten wird der Beschluss des
7. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 20. April 2005
aufgehoben.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung, auch über die Kosten
des Rechtsbeschwerdeverfahrens, an das Berufungsgericht zu-
rückverwiesen.
Der Streitwert für das Rechtsbeschwerdeverfahren wird auf
250.670,56 € festgesetzt.
Gründe:
I.
Die Klägerin hat mit Globalabtretung vom 26. Oktober 2001 alle gegen-
wärtigen und künftigen Ansprüche aus dem Geschäftsverkehr an eine Anwalts-
sozietät - nach der Behauptung der Klägerin die Rechtsvorgängerin ihrer Pro-
zessbevollmächtigten in den Tatsacheninstanzen - sowie gleichrangig an einen
weiteren Gläubiger zur Sicherung von deren gegenwärtigen und künftigen For-
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derungen abgetreten. Zugleich wurde die Klägerin ermächtigt, die abgetretenen
Forderungen im eigenen Namen einzuziehen.
Anfang des Jahres 2003 erhob die Klägerin gegen die beklagte Stadt
Klage, die im Juli 2003 auf Leistung einer Schlusszahlung für erbrachte Werk-
leistungen in Höhe von 250.670,56 € zuzüglich Zinsen umgestellt wurde. Am
6. Oktober 2003 teilte die Klägerin der Beklagten die Abtretung dieser Forde-
rung an ihre Prozessbevollmächtigten mit. Am 25. November 2003 wurde das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Klägerin eröffnet.
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Die Klägerin ist der Auffassung, in einer Vereinbarung vom 21. Januar
2004 habe der Insolvenzverwalter alle von der Globalzession vom 26. Oktober
2001 erfassten Ansprüche der Klägerin gegen Dritte, also auch die streitgegen-
ständliche Forderung, zugunsten der Zessionare freigegeben. Diese seien mit
der Einziehung durch die Klägerin zugunsten ihrer Prozessbevollmächtigten
einverstanden. Die Klägerin hat deshalb die Fortsetzung des Rechtsstreits be-
antragt. Die Beklagte ist dem entgegengetreten.
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Das Landgericht hat abgesonderte Verhandlung und Entscheidung über
die Zulässigkeit der Klage angeordnet und durch Zwischenurteil die Klage für
zulässig erklärt. Das Oberlandesgericht hat die Berufung im Beschlusswege als
unzulässig verworfen. Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Beklagte die Auf-
hebung dieser Entscheidung.
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II.
Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft und
zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig (§ 574 Abs. 2 Nr. 2
ZPO). Sie hat auch in der Sache Erfolg.
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1. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausge-
führt: Zwar habe der Bundesgerichtshof entschieden, dass ein die Unterbre-
chung feststellendes Zwischenurteil mit der Berufung angefochten werden kön-
ne, weil die Verweigerung der Geltendmachung entsprechender Rechte gegen
den Justizgewährungsanspruch des Staates verstoße. Dies gelte aber nicht für
den hier vorliegenden umgekehrten Fall. Ein die Unterbrechung verneinendes
Zwischenurteil sei nicht selbständig anfechtbar.
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2. Diese Ausführungen greift die Rechtsbeschwerde zutreffend als
rechtsfehlerhaft an.
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Das Berufungsgericht beschreibt den Inhalt der erstinstanzlichen Ent-
scheidung unzutreffend. Das Landgericht hat nicht lediglich über die Frage ent-
schieden, ob der Rechtsstreit wirksam von der Klägerin aufgenommen worden
oder weiterhin gemäß § 240 ZPO unterbrochen ist. Vielmehr hat es nach An-
ordnung abgesonderter Verhandlung und Entscheidung die Zulässigkeit der
Klage insgesamt behandelt und nach Prüfung aller von ihm für erheblich erach-
teten Punkte bejaht. Außer der Frage einer wirksamen Aufnahme des Rechts-
streits behandelt die erstinstanzliche Entscheidung vor allem die Voraussetzun-
gen einer gewillkürten Prozessstandschaft, insbesondere eines eigenen
schutzwürdigen Interesses der Klägerin, die abgetretene Forderung geltend zu
machen.
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Damit hat das Landgericht ein Zwischenurteil erlassen, welches gemäß
§ 280 Abs. 2 ZPO in Betreff der Rechtsmittel als Endurteil anzusehen ist. Es ist
hinsichtlich seines feststellenden Inhalts selbstständig anfechtbar (vgl. BGHZ
102, 232, 234).
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3. Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen
Gründen als im Ergebnis richtig. Zwar hat die Beklagte mit der Berufung in
erster Linie nur die Feststellung begehrt, dass die Unterbrechung fortdauert. Ob
eine allein auf dieses Ziel gerichtete Berufung zulässig wäre, kann dahingestellt
bleiben; denn die Beklagte hat hilfsweise die Abweisung der Klage als unzuläs-
sig beantragt. Demzufolge hat sie den Urteilsausspruch erster Instanz insge-
samt angegriffen. Jedenfalls unter diesen Voraussetzungen kann die eingelegte
Berufung nicht als unstatthaft verworfen werden.
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III.
Der angefochtene Beschluss muss daher aufgehoben werden. Die Sa-
che ist zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen
(§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
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Fischer Raebel Kayser
Cierniak
Lohmann
Vorinstanzen:
LG Ravensburg, Entscheidung vom 30.11.2004 - 2 O 108/04 -
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 20.04.2005 - 7 U 210/04 -