Urteil des BGH vom 30.10.2007

Kornfeinung Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 18/06
vom
30. Oktober 2007
in dem Rechtsbeschwerdeverfahren
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
Kornfeinung
PatG § 59 Abs. 1; IntPatÜG Art. II § 8
Für den Einspruch gegen ein deutsches Patent bedarf es auch dann keines
besonderen Rechtsschutzbedürfnisses, wenn das Patent wegen des Doppel-
schutzverbots im Hinblick auf die bestandskräftige Erteilung eines europäischen
Patents keine Wirkung mehr hat.
BGH, Beschl. v. 30. Oktober 2007 - X ZB 18/06 - Bundespatentgericht
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 30. Oktober 2007 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Scharen, die Richterin
Mühlens und die Richter Prof. Dr. Meier-Beck und Gröning
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 11. Senats
(Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom
4. Mai 2006 wird auf Kosten der Patentinhaberin zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf
25.000,-- € festgesetzt.
Gründe:
I. Die Rechtsbeschwerdeführerin (Patentinhaberin) meldete am
9. November 2000 eine Erfindung betreffend eine Vorrichtung bzw. ein Verfah-
ren zur Filtration und Zugabe von Kornfeinungsmaterialien zu Metallschmelzen
beim Deutschen Patent- und Markenamt zur Erteilung eines Patents an. Ihr ist
das deutsche Patent 100 55 523 (Streitpatent) erteilt und die Erteilung ist am
18. April 2002 veröffentlicht worden.
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Unter Inanspruchnahme der Priorität dieser Patentanmeldung vom
9. November 2000 meldete die Patentinhaberin am 2. November 2001 ein
europäisches Patent an. Dieses ist - mit Wirkung auch für die Bundesrepublik
Deutschland - erteilt und der Hinweis auf die Erteilung ist am 27. April 2005 be-
kannt gemacht worden. Die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das er-
teilte europäische Patent ist fruchtlos verstrichen.
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Am 16. Juli 2002 hat die Einsprechende mit der Begründung Einspruch
gegen das Streitpatent erhoben, sein Gegenstand beruhe nicht auf einer erfin-
derischen Tätigkeit. Die Patentinhaberin hat, nachdem das im Wesentlichen
gleiche europäische Patent erteilt worden und die Einspruchsfrist ohne Einle-
gung eines Einspruchs abgelaufen ist, geltend gemacht, der Einspruch sei un-
zulässig geworden. In der Sache hat sie das Streitpatent vorsorglich beschränkt
und mit Hilfsanträgen verteidigt; wegen der Einzelheiten wird auf die Gründe
des angefochtenen Beschlusses Bezug genommen.
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Das Bundespatentgericht hat die Zulässigkeit des Einspruchs bejaht und
das Streitpatent widerrufen.
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Mit der zugelassenen Rechtsbeschwerde wendet die Patentinhaberin
sich dagegen, dass das Bundespatentgericht den Einspruch für zulässig erach-
tet hat.
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Die Einsprechende ist in der Rechtsbeschwerdeinstanz nicht vertreten.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft und auch im Übri-
gen zulässig.
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III. In der Sache bleibt das Rechtsmittel ohne Erfolg. Durch die Einlegung
der zugelassenen Rechtsbeschwerde ist die Nachprüfung des angefochtenen
Beschlusses nach Art einer Revision eröffnet (st. Rspr., vgl. zuletzt Sen.Beschl.
v. 17.4.2007 - X ZB 9/06, GRUR 2007, 859 - Informationsübermittlungsverfah-
ren I, zur Veröffentlichung in BGHZ 172, 108 bestimmt). Soweit in dem Um-
stand, dass das Bundespatentgericht die Rechtsbeschwerde "bezüglich der
Zulässigkeit des Einspruchs" zugelassen hat, eine Beschränkung der Rechts-
beschwerde und nicht nur der Anlass für die unbeschränkte Zulassung des
Rechtsmittels (vgl. BGHZ 88, 191, 193) gesehen werden könnte, wäre diese
unwirksam. Die Rechtsbeschwerde kann wirksam nur auf einen abtrennbaren
Teil des Verfahrensgegenstands oder einzelne Verfahrensbeteiligte begrenzt
werden (BGH aaO; Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl., § 100 Rdn. 18; Busse/
Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 100 Rdn. 16, jew. mit zahlr. Nachweisen). Bei
der Frage, ob der Einspruch (weiter) zulässig ist, handelt es sich nicht um einen
in diesem Sinne abtrennbaren Teil des Verfahrensgegenstands, sondern um
eine isolierte Rechtsfrage, auf welche die Zulassung der Rechtsbeschwerde
nicht wirksam beschränkt werden kann (BGHZ 90, 318). Die danach eröffnete
Nachprüfung deckt keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Patentinhaberin auf.
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1. Das Bundespatentgericht hat die Zulässigkeit des Einspruchs zu
Recht bejaht.
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a) Dass der von der Einsprechenden eingelegte Einspruch an sich statt-
haft ist, ergibt sich aus § 59 Abs. 1 PatG (vgl. dazu Sen.Beschl. v. 22.2.1994
- X ZB 15/92, GRUR 1994, 439 f. - Sulfonsäurechlorid) und wird von der Patent-
inhaberin auch nicht in Zweifel gezogen. Sie meint vielmehr, die Einsprechende
hätte, nachdem die Rechtsfolge aus Art. II § 8 Abs. 1 Nr. 1 IntPatÜG eingetre-
ten und das deutsche Patent wirkungslos geworden ist, ein besonderes
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Rechtsschutzbedürfnis an der Aufrechterhaltung des eingelegten Einspruchs
darzulegen gehabt. Daran fehle es. Die Einsprechende habe weder behauptet,
für den Zeitraum vor bestandskräftiger Erteilung des europäischen Patents von
der Patentinhaberin aus dem deutschen Patent in Anspruch genommen worden
zu sein, noch dass die Patentinhaberin insoweit die Geltendmachung von Rech-
ten angekündigt oder dass sie, die Einsprechende, dieses zu befürchten habe.
Auch das Bundespatentgericht habe hierzu keine konkreten Feststellungen ge-
troffen.
b) Der Auffassung der Rechtsbeschwerde kann nicht beigetreten wer-
den.
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aa) Allerdings ist nach ständiger Rechtsprechung des Senats für die
Fortsetzung des Patentnichtigkeitsverfahrens nach dem Erlöschen des Patents
wegen Zeitablaufs, Verzichts oder wegen Nichtzahlung der Jahresgebühren ein
besonderes, eigenes Rechtsschutzbedürfnis des Klägers erforderlich (vgl.
Sen.Urt. v. 19.5.2005 - X ZR 188/01, GRUR 2005, 749 - Aufzeichnungsträger;
v. 12.12.2006 - X ZR 131/02, GRUR 2007, 309 Tz. 7 - Schussfädentransport;
vgl. auch Keukenschrijver, Patentnichtigkeitsverfahren, 2.
Aufl. Rdn.
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m.w.N.).
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Diese Anforderung beruht auf der Erwägung, dass das Interesse der All-
gemeinheit an der Nichtigerklärung unberechtigter Schutzrechte nicht mehr be-
rührt wird, wenn das Patent erloschen ist (vgl. Benkard/Rogge, PatG, 10. Aufl.,
§ 22 Rdn. 35; Busse/Keukenschrijver, PatG, 6. Aufl., § 81 Rdn. 49). Aus dem
gleichen Grund kann der Einsprechende die Fortführung des Einspruchsverfah-
rens nach Erlöschen des Patents nur verlangen, wenn bei ihm ein besonderes
Rechtsschutzinteresse gegeben ist (Sen.Beschl. v. 14.2.1995 - X ZB 19/94,
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GRUR 1995, 342 f. - Tafelförmige Elemente; v. 17.4.1997 - X ZB 10/96, GRUR
1997, 615 ff. - Vornapf).
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bb) Ist das nationale Patent dagegen, wie im Streitfall, nicht erloschen,
sondern infolge der Erteilung eines europäischen Patents nach den Grundsät-
zen des Doppelschutzverbots (Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜG) wirkungslos gewor-
den, lässt sich ein weiter bestehendes Interesse der Allgemeinheit am Widerruf
des zu Unrecht erteilten deutschen Patents nicht verneinen. Das beruht auf den
im Vergleich zum Erlöschen des Patents unterschiedlichen Rechtsfolgen der
Wirkungslosigkeit.
Die rechtlichen Wirkungen des deutschen Patents werden durch die Er-
teilung des europäischen nicht vollständig beseitigt. Zwar wird das nationale
Patent nach Art. II § 8 Abs. 1 IntPatÜG von dem Zeitpunkt an wirkungslos, in
dem eine der in Nr. 1 bis 3 dieser Vorschrift genannten Voraussetzungen erfüllt
ist, sei es, dass die Frist zur Einlegung des Einspruchs gegen das europäische
Patent ergebnislos abgelaufen oder das Einspruchsverfahren unter Aufrechter-
haltung des europäischen Patents rechtskräftig abgeschlossen ist oder dass
das deutsche Patent erteilt wird und dies zeitlich nach einem der beiden vorge-
nannten Ereignisse geschieht. Das Schutzrecht bleibt jedoch als solches auch
nach Eintritt der Wirkungslosigkeit bestehen (vgl. Benkard/Rogge,
EPÜ, Art. 139 Rdn. 15 m.w.N.; Busse/Keukenschrijver PatG, 6. Aufl., Art. II § 8
IntPatÜG Rdn. 4). Das Interesse der Allgemeinheit am Widerruf eines rechtlich
(weiter) bestehenden Patents für den Fall der ungerechtfertigten Erteilung we-
gen des zwischenzeitlichen Eintritts der Rechtsfolgen aus Art. II § 8 Abs. 1
IntPatÜG kann nicht verneint werden.
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cc) Soweit im Schrifttum für die Fortsetzung des Einspruchsverfahrens
nach dem Wirkungsloswerden des deutschen Patents die Darlegung eines
schutzwürdigen Interesses am rückwirkenden Widerruf des ex nunc erlosche-
nen Patents verlangt wird (vgl. Schulte, PatG, 7. Aufl., § 59 Rdn. 42; Mes, Fest-
schrift für Rogge, GRUR 2001, 976, 979), vernachlässigt dies zudem, dass die
Frage, in welchem Umfang das europäische Patent i. S. von Art. II § 8 Abs. 1
IntPatÜG dieselbe Erfindung schützt, wie das deutsche, erst das Ergebnis einer
mitunter schwierigen Sachprüfung ist, deren Beantwortung im Rahmen der Zu-
lässigkeitsprüfung nicht mehr sachgerecht wäre.
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2. Die rechtliche Nachprüfung (zu ihrem Umfang im Rechtsbeschwerde-
verfahren Sen.Beschl. v. 14.5.1996 - X ZB 4/95, GRUR 1996, 753, 756
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Informationssignal, insoweit nicht in BGHZ 133, 18
ff.; v. 16.6.1998
- X ZB 3/97, GRUR 1998, 889, 901 - Alpinski) deckt auch sonst weder von Amts
wegen zu beachtende Verfahrensmängel noch materiellrechtliche Fehler auf.
Maßstab für die materiellrechtliche Prüfung ist nach Lage des Falles im We-
sentlichen, ob die angefochtene Entscheidung auf einer Verkennung des
Rechtsbegriffs der erfinderischen Tätigkeit beruht (vgl. Sen.Beschl. GRUR
1998, 889, 901 - Alpinski). Das ist nicht der Fall. Das Bundespatentgericht hat
die Patentfähigkeit der Erfindung in rechtlich nicht zu beanstandender Weise
verneint. Die Rechtsbeschwerde hat insoweit auch ebenso wenig konkrete Be-
anstandungen erhoben, wie sonstige Verfahrensrügen.
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 109 Abs. 1 Satz 2 PatG.
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Eine mündliche Verhandlung hat der Senat nicht für erforderlich erachtet.
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Melullis
Scharen
Mühlens
Meier-Beck
Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 04.05.2006 - 11 W(pat) 326/02 -