Urteil des BGH vom 31.05.2000

BGH (verhältnis zu, strafkammer, wirtschaftliches interesse, ehemann, sohn, mittäterschaft, beihilfe, opfer, mord, befehl)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
2 StR 542/99
vom
31. Mai 2000
in der Strafsache
gegen
wegen Beihilfe zum Mord
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Der 2. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 31. Mai 2000,
an der teilgenommen haben:
Richter am Bundesgerichtshof
Niemöller
als Vorsitzender,
die Richter am Bundesgerichtshof
Detter,
Dr. Bode,
die Richterin am Bundesgerichtshof
Dr. Otten,
der Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Ernemann
als beisitzende Richter,
Staatsanwältin
als Vertreterin der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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Die Revision der Staatsanwaltschaft gegen das Urteil des Land-
gerichts Aachen vom 23. März 1999 wird verworfen.
Die Kosten des Rechtsmittels und die der Angeklagten N. im
Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen fallen
der Staatskasse zur Last.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Beihilfe zum Mord zu einer
Freiheitsstrafe von zehn Jahren verurteilt. Mit ihrer Revision rügt die Staatsan-
waltschaft die Verletzung sachlichen Rechts; sie erstrebt die Verurteilung der
Angeklagten wegen mittäterschaftlicher Beteiligung an dem Mord, den der im
selben Verfahren zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilte Mitangeklagte
begangen hat. Das Rechtsmittel wird vom Generalbundesanwalt vertreten;
es hat keinen Erfolg.
1. Das Landgericht hat im wesentlichen folgenden Sachverhalt festge-
stellt:
Im Verlauf des 15. November 1997 beschloß , die Angeklagte im
Wohnhaus ihrer Familie aufzusuchen. Die Angeklagte lebte dort mit ihrem
Ehemann , dem späteren Tatopfer, und dem 20-jährigen Sohn
zusammen. Welche Absicht mit seinem Besuch verfolgte, hat die Kammer
nicht festzustellen vermocht; offen geblieben ist auch, ob der Besuch in vorauf-
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gegangenen Telefonaten zwischen ihm und der Angeklagten verabredet wor-
den war.
Die Angeklagte war 1976 mit eine Beziehung eingegangen, die
- wiewohl sexuelle Kontakte spätestens 1990 geendet hatten - mit Unterbre-
chungen bis zuletzt fortbestand. Obgleich ihr 1977 geborener Sohn aus
einer anderen Verbindung stammte, hatte sie versichert, er sei der Vater.
war stolz auf seinen vermeintlichen Sohn. Der Ehemann, inzwischen arg-
wöhnisch geworden, hatte die Angeklagte zur Rede gestellt, die jedoch stets
beteuerte, das Kind sei von ihm. Gleichwohl war es danach zu einer vorüber-
gehenden Trennung der Eheleute gekommen. Nach einiger Zeit hatten sie sich
aber wieder versöhnt. Ende 1977 war die Angeklagte mit zu ihrem Mann
zurückgekehrt. Im Zusammenhang damit hatte ihr Mann zuhause aufge-
sucht und ihn mit vorgehaltener Pistole aufgefordert, die Angeklagte in Ruhe zu
lassen. Auch war er zweimal zufällig begegnet; einmal hatte er ihn dabei
mit dem Tode bedroht, falls er das Land nicht verlasse. hingegen suchte
Kontakt zu seinem vermeintlichen Sohn und traf mit ihm 1997 drei Mal zusam-
men.
Als am Tatabend gegen 22.30 Uhr am Hause der Eheleute
ankam, fand er die Eingangstüre verschlossen; er ging zur Terrasse und
schaute ins Wohnzimmer, wo der Ehemann der Angeklagten auf einer Couch
vor dem laufenden Fernseher schlief. Die Angeklagte bedeutete ihm von dort
aus mit Gesten, über den Kellerabgang nach unten zu kommen. gelangte
in den Keller und traf dort die Angeklagte. Hier faßte er unter nicht näher be-
kannten Umständen den Entschluß, den schlafenden Ehemann der Angeklag-
ten zu töten. Ein konkretes Motiv hierfür hat die Kammer nicht feststellen kön-
nen: für sie steht lediglich fest, daß dieser Entschluß etwas mit dem Sohn
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und dem Verhältnis zu tun hat, in dem die Angeklagten zueinander und zu den
anderen Beteiligten standen. befahl der Angeklagten, ihm ein Messer und
einen Mantel zu holen; auch sagte er, sie solle den Mund halten und nicht te-
lefonieren. Die Angeklagte, die seine Absicht erkannt hatte, war ängstlich und
zitterte, holte jedoch die verlangten Sachen und händigte sie
aus. Dabei versuchte sie noch, ihn von der Tat abzuhalten; er meinte da-
zu jedoch, sie solle verschwinden, und gab ihr Ohrfeigen. Daraufhin ging sie
ins erste Obergeschoß. , der inzwischen den Mantel angezogen hatte, be-
trat nun das Wohnzimmer. Unmittelbar danach erwachte der Ehemann, der
dort - mit Kopf und Oberkörper in Richtung Tür liegend - auf der Couch ge-
schlafen hatte; er richtete sich halb auf, wandte sich um und fragte , was er
denn hier wolle. stach sofort auf ihn ein und tötete ihn mit zahlreichen
Messerstichen. Die Angeklagte, inzwischen hinzugekommen, griff noch in
den Arm, um ihn von weiteren Stichen abzuhalten, woraufhin dieser sie aber
beiseite schob und weiter zustach.
Nach der Tat versuchten , ein von fremder Hand
verübtes Verbrechen vorzutäuschen. Die Angeklagte fuhr dann im PKW ihres
Sohnes mit davon, ließ ihn im Laufe der Fahrt aussteigen, parkte den
Wagen an anderer Stelle, stieg in den Kofferraum und schloß ihn von innen,
um sich später als angebliches Opfer eines von anderen Tätern verübten Ver-
brechens "befreien" zu lassen.
2. Die Strafkammer wertet den Beitrag der Angeklagten zu dem von
verübten Heimtückemord als Beihilfe. Die Angeklagte habe während des
gesamten Geschehens ausschließlich "auf Befehl" und nicht aus eige-
nem Antrieb gehandelt. habe ihr gedroht und Ohrfeigen gegeben. Sie ha-
be vor der Tat noch versucht, ihn an der Ausführung zu hindern, und ihm bei
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der Tat in den Arm gegriffen, um ihn von weiteren Stichen auf das schon töd-
lich verletzte Opfer abzuhalten. Diese Umstände begründeten Zweifel daran,
ob sie die Tat als eigene gewollt habe. Nicht ausschließbar sei, daß sie sich
dem Tötungswillen untergeordnet habe. Hinweise auf ein wirtschaftliches
Interesse am Tod ihres Ehemanns hätten sich nicht ergeben. Auch ihre schwie-
rige persönliche Situation, gekennzeichnet durch das Problem der Vaterschaft
ihres Sohnes und ihr langjähriges Verhältnis zu , sei kein nachweislich be-
stimmendes Moment für ihren Entschluß gewesen, bei der Tatausführung
zu unterstützen. Die verworrenen Verhältnisse hätten in dieser oder ähnlicher
Weise bereits seit Jahren bestanden - ein konkreter Anlaß, sie gerade zur Tat-
zeit durch Tötung des Ehemanns aufzulösen, sei nicht ersichtlich. Hiernach
gebe es auch unter dem Gesichtspunkt des Interesses am Taterfolg keine hin-
reichend sicheren Anhaltspunkte dafür, daß die Angeklagte die Tötung ihres
Mannes als eigene Tat gewollt habe.
3. Auf der Grundlage der getroffenen Feststellungen ist die Wertung, die
Angeklagte sei nur Gehilfin, nicht aber Mittäterin des von verübten Mor-
des, rechtsfehlerfrei. Die Strafkammer hat bei der Abgrenzung zwischen Bei-
hilfe und Mittäterschaft den zutreffenden Maßstab zugrunde gelegt.
a) Rechtlich ist insbesondere nicht zu beanstanden, daß die Strafkam-
mer - obwohl die Tatumstände in mancher Hinsicht auf eine von beiden Ange-
klagten schon im Vorfeld gemeinsam geplante Tat hindeuten - festgestellt hat,
habe sich erst am Tatort spontan zur Tötung des Opfers entschlossen; sie
hat sich hierbei auf das von bei seiner polizeilichen Vernehmung vom 14.
Januar 1998 abgelegte Geständnis gestützt, in dem er dies so dargestellt hat-
te, und sie hat nachvollziehbar und rechtsfehlerfrei begründet, daß und warum
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sie dieses Geständnis - im Gegensatz zu späteren, die Angeklagte weniger
belastenden Angaben - in vollem Umfang für glaubhaft hält.
b) Auf dieser Grundlage ist die Beweiswürdigung des Tatgerichts aber
auch im übrigen frei von Rechtsfehlern. Die Rügen der Revision greifen nicht
durch. Die Beschwerdeführerin beanstandet, die Strafkammer habe bei der
Würdigung der subjektiven Tatseite wesentliche, zur Annahme einer Mittäter-
schaft zwingende Beweistatsachen außer acht gelassen oder widersprüchlich
bewertet. Dem kann nicht gefolgt werden. Im einzelnen gilt:
(1) Es ist kein Widerspruch, daß die Strafkammer einerseits davon aus-
geht, die Angeklagte habe niemals befürchtet, werde ihr etwas antun, an-
dererseits aber feststellt, sie habe bei der Tat ausschließlich "auf Befehl"
gehandelt; der Beweggrund dafür, einem Befehl zu gehorchen, braucht nicht
die Angst vor drohender Mißhandlung zu sein, sondern kann auch in der Be-
fürchtung vielfältiger anderer Nachteile bestehen.
(2) Ebensowenig ist die Beweiswürdigung insofern widersprüchlich oder
lückenhaft, als die Strafkammer angenommen hat, die Angeklagte habe bei
"dem gesamten Tatgeschehen" unter dem von ausgehenden "Druck" ge-
standen. Daß sie freiwillig ins Haus gelassen hat, steht dem nicht entge-
gen, weil nach den getroffenen Feststellungen zu diesem Zeitpunkt noch kein
Entschluß zur Tötung gefaßt war. Daß die Angeklagte erst bedroht und
Gewalt gegen sie angewandt hat, nachdem diese schon ihren Tatbeitrag durch
Übergabe von Messer und Mantel erbracht hatte, spricht ebensowenig gegen
die Annahme, daß sie sich schon vorher - subjektiv - dem "Druck"
ausgesetzt sah, zumal festgestellt ist, daß dieser sie "in befehlendem
Ton" zur Herbeiholung der genannten Gegenstände aufgefordert hat und sie
selbst daraufhin "ängstlich war und zitterte".
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(3) Ein Widerspruch zeigt sich auch nicht in der Wertung des Umstands,
daß die Angeklagte in den Arm griff, um ihn von weiteren Stichen auf den
bereits tödlich Verletzten abzuhalten. Die Strafkammer hat einerseits festge-
stellt, daß dies Eingreifen nur dazu diente, eine weitere Verstümmelung des
schon toten Opfers zu verhindern, andererseits diese Tatsache aber bei den
Umständen aufgeführt, aus denen sie ableitet, daß die Angeklagte die Tat nicht
als eigene gewollt habe. Zur Beantwortung der Frage, ob ein Teilnehmer die
Tat als eigene will oder nicht, dürfen im Rahmen der Gesamtwürdigung aller
Umstände auch solche Verhaltensweisen gegenüber dem Opfer berücksichtigt
werden, die sich auf die Herbeiführung des tatbestandsmäßigen Erfolgs nicht
ausgewirkt haben.
(4) Die Beschwerdeführerin sieht eine Beweiswürdigungslücke darin,
daß trotz entsprechender Anzeichen nicht das Tatmotiv der Angeklagten, das
ihr Eigeninteresse belege, festgestellt worden sei. Eine Lücke ist dies aber
nicht. Die Strafkammer hat die betroffenen Umstände lediglich anders gewür-
digt, als dies die Beschwerdeführerin tut. Damit ist kein Rechtsfehler dargetan.
Das Revisionsgericht kann dem Tatrichter nicht vorschreiben, welche Schluß-
folgerungen er aus festgestellten Umständen zu ziehen hat.
(5) Dies gilt auch für die Rüge, die Strafkammer habe das Nachtatver-
halten der Angeklagten nicht unter dem Gesichtspunkt der Frage des Gehilfen-
oder Mittätervorsatzes gewürdigt. Daß die Strafkammer dieses Verhalten bei
Berücksichtigung der Gesamtumstände, die für und gegen eine Mittäterschaft
der Angeklagten sprechen, übersehen haben könnte, ist auszuschließen. Rich-
tig ist nur, daß die Strafkammer es in den Urteilsgründen nicht unter diesem
Gesichtspunkt erörtert hat. Das drängte sich aber auch nicht auf. Das umsichti-
ge Verhalten, das die Angeklagte zur Vertuschung ihrer Tatbeteiligung an den
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Tag gelegt hat, findet eine hinlängliche Erklärung auch dann, wenn es ihr nur
darum zu tun war, ihren Tatbeitrag als Gehilfin zu verdecken.
Die Rügen der Beschwerdeführerin laufen letztlich insgesamt darauf
hinaus, die tatrichterliche Beweiswürdigung durch ihre eigene zu ersetzen.
Damit kann sie jedoch nicht gehört werden. Schließlich hat die Strafkammer
auch keine überspannten Anforderungen an die für eine Verurteilung wegen
Mittäterschaft erforderliche Gewißheit gestellt. Für eine derartige Besorgnis
bieten die Urteilsgründe - auch unter Berücksichtigung bestimmter, von der
Revision überbewerteter Formulierungen (" Zweifel", " Über-
zeugung") - keinen Anhalt.
Niemöller Detter Bode
Otten Ernemann