Urteil des BGH vom 14.05.2002, 3 StR 133/02
BGH (vergewaltigung, verhalten, stpo, strafkammer, erwägung, nachweis, strafzumessung, lasten, bestand, zustimmung)
- Entschieden
- 14.05.2002
- Schlagworte
- Vergewaltigung, Verhalten, Stpo, Strafkammer, Erwägung, Nachweis, Strafzumessung, Lasten, Bestand, Zustimmung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 133/02
vom
14. Mai 2002
in der Strafsache
gegen
wegen Vergewaltigung
Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerdeführers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am
14. Mai 2002 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Hildesheim vom 9. Januar 2002 - soweit es ihn betrifft -
a) im Schuldspruch dahin klargestellt, daß das Wort "gemeinschaftlichen" entfällt,
b) im Strafausspruch mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen einer gemeinsam mit seinem jüngeren Cousin begangenen Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von
vier Jahren und sechs Monaten verurteilt.
Die Revision des Angeklagten, mit der er das Verfahren beanstandet
und die Sachrüge erhebt, hat nur zum Strafausspruch Erfolg, im übrigen ist sie
unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.
1. Ergänzend zur Antragsschrift des Generalbundesanwalts bemerkt der
Senat: Die Rüge, das Landgericht habe durch die Verlesung eines privatärztlichen Attestes gegen § 256 Abs. 1 Satz 1 StPO verstoßen, ist zulässig, aber
unbegründet. Die Verlesung des Attestes diente ersichtlich dem Nachweis der
"blauen Flecken" an den Armen und Beinen der Geschädigten, denn hinsichtlich der Vergewaltigung war der Angeklagte geständig. Die Verlesung eines
privatärztlichen Attestes über eine nicht schwere Körperverletzung ist zum
Nachweis einer solchen Körperverletzung auch dann zulässig, wenn diese in
Tateinheit mit einem weiteren Delikt - hier einer Vergewaltigung gemäß § 177
Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 Nr. 1 und 2 StGB - steht (vgl. BGHSt 33, 389, 393). Darauf,
ob die Körperverletzung dem Angeklagten in der Anklage vorgeworfen war, in
der Urteilsformel zum Ausdruck gekommen ist oder - wie hier - nur bei der
Strafzumessung Berücksichtigung findet, kommt es nicht an.
2. Der Strafausspruch hat hingegen keinen Bestand. Das Landgericht
hat zu Lasten des Angeklagten u.a. berücksichtigt, daß sich die 17-jährige Geschädigte in keiner Weise leichtfertig oder animierend gegenüber dem Angeklagten verhalten habe, vielmehr schon vor ihrer körperlichen Gegenwehr
mehrfach durch ein deutliches "Nein" zu verstehen gegeben habe, daß sie keinen sexuellen Kontakt wollte. Unberücksichtigt läßt die Strafkammer aber nicht
nur in diesem Zusammenhang, sondern bei der gesamten Strafzumessung,
daß die Geschädigte die vier 10 DM-Scheine, die der der deutschen Sprache
nicht mächtige Angeklagte ihr nach und nach auf die Hand geblättert hatte, um
sie zu einem sexuellen Kontakt zu bewegen, eingesteckt und gleichzeitig
"Danke" gesagt hatte. Zwar hatte die Geschädigte zuvor die durch Zeigen auf
einen hinteren Raum unterstützte Frage des Angeklagten "Ficken?" mit "Nein"
beantwortet und auch das jeweilige Hinblättern der Geldscheine mit einem lachend ausgesprochenen "Nein" quittiert. Dennoch hätte dieses widersprüchli-
che Verhalten der Geschädigten, das einerseits verbal ablehnend war, andererseits aber durch das Einstecken des Geldes Zustimmung signalisierte, der
Erörterung bedurft. Es ist nicht auszuschließen, daß der Angeklagte das Verhalten - jedenfalls zunächst - als Zeichen eines möglicherweise doch vorhandenen Einverständnisses verstanden haben könnte. Zwar konnte er bei dem
eigentlichen Vergewaltigungsgeschehen wegen der erheblichen körperlichen
Gegenwehr des Tatopfers nicht mehr von einem Einverständnis ausgehen. Jedoch trifft die zu Lasten des Angeklagten angestellte Erwägung, das Tatopfer
habe sich weder leichtfertig noch animierend verhalten, in dieser Allgemeinheit
nicht zu.
Vor dem Hintergrund dieses ambivalenten Verhaltens der Geschädigten
ist es auch nicht rechtsbedenkenfrei, wenn die Strafkammer dem Angeklagten,
der sich zur Tatzeit erst seit zweieinhalb Monaten in Deutschland aufhielt, ein
"durchaus sozialschädliches Frauen- bzw. Mädchenbild" anlastet, das von der
Vorstellung geprägt sei, daß mittel- oder westeuropäische Mädchen, die
abends alleine ausgingen oder gegenüber Jungen oder Männern nicht die gleiche Zurückhaltung pflegten wie kurdische Mädchen, "leichte Mädchen" und
deshalb in sexueller Hinsicht zugänglicher seien. Auch legt die Erwägung, der
Angeklagte habe "nicht nur die Hemmschwelle, dem Opfer überhaupt sexuelle
Gewalt anzutun, sondern auch die erheblich weitergehende Hemmschwelle,
die fortdauernde und heftige Gegenwehr des Opfers zu überwinden" überschreiten müssen, die Besorgnis nahe, das Landgericht habe dem Angeklagten
schulderhöhend angelastet, daß er überhaupt eine Vergewaltigung begangen
hat.
Die Strafzumessungserwägungen des Urteils insgesamt geben zudem
Anlaß zu dem Hinweis, daß der Tatrichter auch bei der Darstellung seiner
Strafzumessungserwägungen um Sachlichkeit bemüht sein und moralisierende
Wendungen vermeiden sollte, da sie die Gefahr von Mißverständnissen begründen und den Bestand des Urteils gefährden können.
Tolksdorf Rissing-van Saan Winkler
von Lienen Richter am Bundesgerichtshof
Becker ist infolge Urlaubs an
der Unterschrift gehindert.
Tolksdorf