Urteil des BGH vom 13.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
AnwZ 1/01
vom
4. März 2002
in dem anwaltsgerichtlichen Verfahren
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
ja
BRAO § 171; GG Art. 3 Abs. 1, 12 Abs. 1
Die Singularzulassung der Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof ist mit dem
Grundgesetz vereinbar.
BGH, Beschluß vom 4. März 2002 - AnwZ 1/01 -
wegen Zulassung zur Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Anwaltssachen, hat am 4. März 2002 durch
die Vorsitzende Richterin Dr. Deppert, die Richter Dr. Fischer, Basdorf und
Dr. Ganter sowie die Rechtsanwälte Prof. Dr. Salditt, Dr. Wüllrich und Dr. Frey
nach mündlicher Verhandlung
beschlossen:
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen und
dem Antragsgegner die ihm entstandenen notwendigen außerge-
richtlichen Auslagen zu erstatten.
Der Geschäftswert wird auf 25.564,59
€ festgesetzt.
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Gründe:
A.
Der Antragsteller ist seit 1977 als Rechtsanwalt zugelassen und erhielt
im Jahre 1978 die Zulassung beim Oberlandesgericht H. Er übt zudem seit
1987 das Amt des Notars aus. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2000 stellte er
beim Bundesministerium der Justiz den Antrag, ihn, ohne daß er seine beste-
henden Zulassungen aufgeben müsse, als Rechtsanwalt beim Bundesge-
richtshof in Zivilsachen zuzulassen. Das Bundesministerium der Justiz lehnte
das Gesuch mit Bescheid vom 23. März 2001 ab. Der Rechtsanwalt verfolgt
sein Begehren mit dem Antrag auf gerichtliche Entscheidung weiter.
Der Antragsteller macht geltend, er habe einen Anspruch auf Zulassung
als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen, weil er aufgrund sei-
ner Tätigkeit beim Oberlandesgericht über ausgezeichnete Kenntnisse auf dem
Gebiet des Zivilrechts verfüge und dieses in seiner ganzen Breite beherrsche.
Das in §§ 164 ff BRAO vorgesehene Zulassungsverfahren, insbesondere die in
§ 171 BRAO normierte Ausschließlichkeit der Zulassung beim Bundesgerichts-
hof, sei nicht durch hinreichende Gründe des Gemeinwohls gerechtfertigt. Die
geltende Regelung verletze ihn daher in seinem durch Art. 12 GG geschützten
Grundrecht auf freie berufliche Betätigung. Der Antragsteller verweist ferner
darauf, daß grundsätzlich jeder Rechtsanwalt bei allen obersten Bundesge-
richten, auch dem Bundesgerichtshof in Strafsachen sowie dem Bundesverfas-
sungsgericht, auftreten könne. Daher gebe es keinen sachlichen Grund im
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Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG für die beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen gel-
tende Zulassungsbeschränkung.
B.
Der Antrag auf gerichtliche Entscheidung ist nach §§ 162, 163, 170, 21
Abs. 2, 37, 39 Abs. 1 BRAO zulässig. Er ist jedoch nicht begründet.
I.
Der Antragsteller erfüllt nicht die Voraussetzungen, von denen nach
§§ 164 ff BRAO die Zulassung als Rechtsanwalt beim Bundesgerichtshof ab-
hängig ist.
1. Das Bundesministerium der Justiz, das über den Zulassungsantrag zu
entscheiden hat (§ 170 Abs. 1 BRAO), darf nach der geltenden gesetzlichen
Regelung als Rechtsanwälte beim Bundesgerichtshof nur Bewerber zulassen,
die durch den Wahlausschuß für Rechtsanwälte bei dem Bundesgerichtshof
benannt worden sind (§ 164 BRAO). Zu diesem Personenkreis gehört der An-
tragsteller nicht; denn er ist nicht in die Vorschlagslisten aufgenommen worden,
die die Bundesrechtsanwaltskammer und die Rechtsanwaltskammer beim Bun-
desgerichtshof eingereicht haben. Der Wahlausschuß kann dem Bundesmini-
sterium der Justiz nur Rechtsanwälte aus diesen Vorschlagslisten benennen
(§ 166 Abs. 1 BRAO). Der Antragsteller behauptet nicht, einen Antrag gestellt
zu haben, ihn in die Vorschlagsliste aufzunehmen.
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2. Nach § 171 BRAO darf ein Rechtsanwalt bei dem Bundesgerichtshof
nicht zugleich bei einem anderen Gericht der Zivilgerichtsbarkeit zugelassen
sein. Der Antragsteller möchte demgegenüber der Rechtsanwaltschaft bei dem
Bundesgerichtshof angehören, ohne seine Zulassung als Rechtsanwalt beim
Oberlandesgericht Hamm und seinen Beruf als Notar aufgeben zu müssen.
II.
Der Antragsteller meint, ihm sei außerhalb des in §§ 164 ff BRAO vorge-
sehenen Verfahrens die Zulassung beim Bundesgerichtshof zu erteilen, weil
das in § 171 BRAO normierte Verbot der Simultanzulassung mit Art. 12 Abs. 1
GG, 3 Abs. 1 GG nicht vereinbar sei. Deshalb sei die Sache gemäß Art. 100
Abs. 1 GG dem Bundesverfassungsgericht vorzulegen. Damit kann er keinen
Erfolg haben.
1. Durch die Vorschrift des § 171 BRAO wird zwar in die Berufsfreiheit
des Rechtsanwalts eingegriffen. Die Einschränkung erfaßt jedoch, da sie nur
die Vertretung in zivilrechtlichen Revisionen vor dem BGH betrifft, nicht die Be-
rufswahl, sondern enthält, wie der Senat in ständiger Rechtsprechung ent-
schieden hat (BGH, Beschl. v. 14. Mai 1975 - AnwZ 7/75, S. 11; v. 10. Mai
1978 - AnwZ 11/78, S. 12; v. 23. Juni 1980 - AnwZ 2/80, S. 16; v. 28. Februar
1983 - AnwZ 37/82, BRAK-Mitt. 1983, 135, 136; ebenso BVerfG, Beschl. v.
24. März 1982 - 1 BvR 278/75 u.a.), lediglich eine Berufsausübungsregelung.
Das Bundesverfassungsgericht hat das in dem früheren § 25 BRAO enthaltene
Verbot der Simultanzulassung beim Oberlandesgericht ebenfalls als Ein-
schränkung der Berufsausübung gewertet (BVerfGE 103, 1, 10). § 171 BRAO
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enthält im Vergleich dazu keine weitergehenden oder anders gearteten Ein-
schränkungen.
2. Gesetzliche Regelungen der Berufsausübung sind zulässig, wenn sie
durch hinreichende Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt sind, das ge-
wählte Mittel zur Erreichung des verfolgten Zwecks geeignet und auch erfor-
derlich ist und bei einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs
und dem Gewicht der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbar-
keit noch gewahrt ist (BVerfGE 93, 362, 369; 103, 1, 10). Die angegriffene Re-
gelung genügt diesen verfassungsrechtlichen Anforderungen. Sie dient in be-
sonderem Maße einer sachgerechten Beratung der Parteien sowie der Erhal-
tung der Funktionsfähigkeit der höchstrichterlichen Rechtsprechung in Zivilsa-
chen. Eine andere Lösung, die diese Ziele ohne Einschränkung der Simultan-
zulassung ebensogut erreicht, ist nicht ersichtlich. Der insoweit bestehende
Unterschied zur Vertretung vor den übrigen obersten Gerichten des Bundes
beruht auf sachlich vertretbaren Gründen im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG.
a) Infolge der Singularzulassung werden die Parteien beim Bundesge-
richtshof von Rechtsanwälten vertreten, die mit den zivilprozessualen Anforde-
rungen des Revisionsrechts aus ständiger Praxis vertraut und zugleich in alle
materiellen Rechtsgebiete eingearbeitet sind, auf die sich die Zuständigkeit
des Bundesgerichtshofs erstreckt.
aa) Die dem Rechtsanwalt in der Revisionsinstanz obliegenden Aufga-
ben unterscheiden sich deutlich von denjenigen, die in den Vorinstanzen zu
erbringen sind. Dort muß der Rechtsanwalt zunächst gemeinsam mit dem
Mandanten klären, welches Ziel dieser verfolgt, den Sachverhalt ermitteln, die
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notwendigen Beweismittel sammeln und prüfen, ob das erhaltene Material ge-
eignet ist, den angestrebten Erfolg in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht zu
erreichen. Im Prozeß hat der Anwalt dann das rechtserhebliche Vorbringen
seines Auftraggebers vollständig und verständlich darzustellen und die rechtli-
chen Gesichtspunkte aufzuzeigen, die die Interessen der von ihm vertretenen
Partei stützen (vgl. BGH, Urt. v. 20. Juni 1996 - IX ZR 106/95, NJW 1996,
2929, 2931 f; v. 2. April 1998 - IX ZR 107/97, NJW 1998, 2048, 2049; Zugehör,
Anwaltshaftung Rn. 535 f, 668 f). Darüber hinaus muß der Instanzanwalt sich
mit dem Vortrag der Gegenseite auseinandersetzen, bei der Beweisaufnahme
mitwirken und das Beweisergebnis würdigen. Der Revisionsanwalt hat demge-
genüber beim Berufungsurteil sowie bei dem ihm zugrundeliegenden gerichtli-
chen Verfahren anzusetzen. Seine Hauptaufgabe besteht darin, diese auf
Rechtsfehler zu untersuchen und vorhandene Mängel überzeugend aufzuzei-
gen bzw. dem Gegner, der sich auf solche Fehler beruft, mit rechtlichen Argu-
menten entgegenzutreten. Diese spezielle Aufgabe wird von den Rechtsan-
wälten besser gemeistert, die sich unabhängig vom bisherigen Verlauf des
Rechtsstreits neu in die Sache einarbeiten. Nicht wenige Revisionen haben
deshalb Erfolg, weil der beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt
erstmals einen Gesichtspunkt herausgearbeitet hat, der bisher nicht oder nur
wenig beachtet wurde.
bb) Die beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte vermögen
eine solche, besonders qualifizierte Kenntnisse im Verfahrensrecht sowie der
aktuellen Rechtsprechung der einzelnen Zivilsenate voraussetzende Leistung
- abgesehen von ihrer persönlichen fachlichen Befähigung - deshalb zu erbrin-
gen, weil sie von vielen Aufgaben entlastet sind, die den Alltag des in der In-
stanz tätigen Rechtsanwalts prägen. Bei ihnen fallen in der Regel keine zeit-
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aufwendigen Arbeiten zur Sachverhaltsaufklärung, Beweiserhebung und Her-
stellung einvernehmlicher Lösungen an. Besprechungen sind wesentlich selte-
ner notwendig; viele Revisionsmandate lassen sich schon nach Aktenlage
sachgerecht bearbeiten. Diese Eingrenzung des Aufgabenkreises auf die Be-
arbeitung von Rechtsfragen erleichtert es den beim Revisionsgericht zugelas-
senen Rechtsanwälten, sich mit der gesamten Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs in Zivilsachen und den daraus erkennbaren Tendenzen besonders
intensiv zu befassen. Diese Art der Spezialisierung gibt dem Rechtsuchenden
eine deutlich höhere Gewähr, daß seine Belange sachgerecht wahrgenommen
werden. Da es in der Revision um Rechtsfragen geht, zu deren Klärung eine
rechtsunkundige Partei regelmäßig nichts beizutragen vermag, kommt dem
Umstand, daß sie dort nicht den ihr persönlich vertrauten Anwalt beauftragen
kann, nur untergeordnete Bedeutung zu. Jede vernünftig abwägende Partei
wird vielmehr hauptsächlich darauf Wert legen, in letzter Instanz von einem in
Revisionssachen besonders sachkundigen Rechtsanwalt vertreten zu sein.
cc) Es entspricht auch dem Interesse des Mandanten, daß der beauf-
tragte Rechtsanwalt ihm von der Durchführung eines aussichtslosen Rechts-
mittels, das ihm unnötige Kosten verursacht, abrät. Seit Jahren wird beim Bun-
desgerichtshof etwa ein Viertel der eingelegten Revisionen zurückgenommen;
in den letzten fünf Jahren handelte es sich jeweils um mehr als 1.000 Sachen.
Über 90 % der Rücknahmen erfolgen vor Einreichung der Revisionsbegrün-
dung. Nach Angaben aus Anwaltskreisen kommt noch eine erhebliche Zahl von
Aufträgen hinzu, in denen schon die Einlegung der Revision unterbleibt, weil
der beim Bundesgerichtshof zugelassene Rechtsanwalt davon abgeraten hat
(vgl. Gross, AnwBl. 2001, 20; Nirk, Sonderheft für Hermann Weber S. 43, 46 f;
Winte, ZRP 1999, 387, 390 f). Gleichzeitig üben die Rechtsanwälte damit eine
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für die höchstrichterliche Rechtsprechung bedeutsame Filterfunktion aus. In-
dem sie verhindern, daß sich der Bundesgerichtshof mit aussichtslosen
Rechtsmitteln befassen muß, tragen sie wesentlich dazu bei, daß er sich in
stärkerem Maße der Fortbildung des Rechts und Grundsatzfragen der Rechts-
ordnung widmen kann.
Der Antragsteller macht geltend, der simultan zugelassene Anwalt werde
aufgrund des Auftretens vor verschiedenen Gerichten neueren Entwicklungen
in der Rechtsprechung früher begegnen und neuen Erwägungen gegenüber
aufgeschlossen sein. Diese Betrachtungsweise verkennt, daß die nur am Bun-
desgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte wegen der im Vergleich kleinen
Zahl ständig und besonders intensiv mit den Fragen konfrontiert werden, die
durch die Entscheidungen der Instanzgerichte in allen Teilen der Bundesrepu-
blik in grundsätzlicher Hinsicht oder im Zusammenhang mit der Fortbildung des
Rechts aufgeworfen werden. Dieser umfassende Überblick fördert die Aufgabe
und die Effizienz des Revisionsgerichts. So stehen den Richtern beim Bundes-
gerichtshof und den dort zugelassenen Rechtsanwälten besonders kompetente
Gesprächspartner gegenüber, wobei im Einzelfall gerade auch deren Spezial-
wissen auf Gebieten bedeutsam werden kann, die nicht zum Zuständigkeitsbe-
reich des jeweils erkennenden Senats gehören. Die Singularzulassung fördert
somit maßgeblich die Qualität der Rechtsprechung. Sie hat darüber hinaus in
erheblichem Umfang dazu beigetragen, daß der Bundesgerichtshof den durch
die Vereinigung Deutschlands angestiegenen Geschäftsanfall ohne eine Ver-
mehrung der Zivilsenate, was der Wahrung der Rechtseinheitlichkeit abträglich
gewesen wäre, bis heute bewältigt hat.
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b) Vergleichbar positive Wirkungen für die Rechtspflege am höchsten
deutschen Zivilgericht lassen sich auf anderem Wege nicht erreichen. Insbe-
sondere belegt der Umstand, daß bei keinem anderen obersten Bundesgericht
eine spezielle Anwaltschaft eingerichtet ist, nicht, daß auf die Singularzulas-
sung beim Bundesgerichtshof ohne Nachteile für wesentliche Belange des
Gemeinwohls verzichtet werden kann.
aa) Das Bundesministerium der Justiz hat im Dezember 1995 eine
Kommission zur Ausarbeitung von Vorschlägen zur Neuregelung des Rechts
der Rechtsanwaltschaft bei dem Bundesgerichtshof eingesetzt. Diese Kommis-
sion sollte überprüfen, ob das bestehende System der besonderen Anwalt-
schaft beim Bundesgerichtshof noch zeitgemäß ist. Der Kommission gehörten
Ministerialbeamte, Vertreter der Anwaltschaft sowie ein Richter am Bundesge-
richtshof an. Die Kommission kam in ihrem vom Bundesministerium der Justiz
im Jahre 1998 herausgegebenen Bericht nach Anhörung der Vertreter der
obersten Bundesgerichte zu dem Ergebnis, daß zur Verbesserung des Rechts-
schutzes der Beteiligten auch bei den übrigen obersten Gerichtshöfen des
Bundes eine spezielle Anwaltschaft wünschenswert wäre, weil die Qualität der
Prozeßvertretung dort verbesserungsbedürftig erscheint (Kommissionsbericht,
S. 29 f). So ergab sich nach den Ermittlungen der Kommission bei den Nicht-
zulassungsbeschwerden, daß beim Bundessozialgericht vier Fünftel, beim
Bundesarbeitsgericht ungefähr die Hälfte und beim Bundesverwaltungsgericht
sowie beim Bundesfinanzhof jeweils etwa ein Drittel der Nichtzulassungsbe-
schwerden wegen schwerwiegender formeller oder inhaltlicher Mängel unzu-
lässig waren. Darüber hinaus wurde von Praktikern, die in jenen Gerichtsbar-
keiten tätig sind, beanstandet, nicht selten seien die materiellrechtlichen
Kenntnisse der vor dem Revisionsgericht auftretenden Prozeßbevollmächtigten
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unzureichend (vgl. Schlichter BRAK-Mitt. 1994, 2, 3 f; Weigel BRAK-Mitt. 1995,
1, 3). In dem Kommissionsbericht wird demgemäß von einer Freigabe der Ver-
tretung in Revisionsverfahren vor den Zivilsenaten des Bundesgerichtshofs
abgeraten (S. 31).
Überlegungen, auch bei den übrigen obersten Bundesgerichten eine
besondere Rechtsanwaltschaft einzurichten, sind allein mit der Begründung
verworfen worden, dieses Ziel lasse sich mangels wirtschaftlicher Tragfähigkeit
der Tätigkeit nicht verwirklichen (vgl. Kommissionsbericht, S. 29 f). Wie in dem
Bericht dargelegt wird, liegt bei den anderen obersten Bundesgerichten die
Zahl der anfallenden Verfahren deutlich niedriger als bei den Zivilsenaten des
Bundesgerichtshofs. Außerdem ist zu berücksichtigen, daß in den Verfahren
der allgemeinen und besonderen Verwaltungsgerichtsbarkeit die Behörden
keinen Rechtsanwalt einschalten müssen, wodurch sich die Zahl der für
Rechtsanwälte zur Verfügung stehenden Mandate weiter verringert. Die Ver-
hältnisse in Strafsachen sind wegen der unterschiedlichen Verfahrensgrund-
sätze nicht vergleichbar.
bb) Demgegenüber hat sich beim Bundesgerichtshof in den letzten Jah-
ren keine einzige zivilrechtliche Revision feststellen lassen, die aus von dort
zugelassenen Rechtsanwälten zu vertretenden formellen oder inhaltlichen
Mängeln als unzulässig verworfen worden ist. Zwar kennt das bis zum
31. Dezember 2001 in Zivilsachen geltende Revisionsrecht das Verfahren der
Nichtzulassungsbeschwerde nicht. § 554 Abs. 3 ZPO a.F. stellt jedoch hohe
Anforderungen an den Inhalt der Revisionsbegründung; schon nach dieser
Vorschrift ist im Regelfall eine Darlegung erforderlich, ob der Rechtssache
grundsätzliche Bedeutung zukommt. Daher ist zu erwarten, daß die beim Bun-
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desgerichtshof zugelassenen Rechtsanwälte alsbald mit den von § 544 ZPO
n.F. gestellten Anforderungen vertraut und in der Lage sein werden, in diesem
Bereich Mängel, wie sie ausweislich des Kommissionsberichts in den übrigen
Gerichtsbarkeiten festgestellt worden sind, zu vermeiden. Gerade im Hinblick
auf die nach neuem Recht erweiterte Zuständigkeit des Bundesgerichtshofs
(vgl. § 133 GVG i.V.m. §§ 542 ff, 574 ff ZPO) wird einer sachgerechten Bewäl-
tigung der dem Rechtsanwalt in dritter Instanz obliegenden besonderen rechtli-
chen Aufgaben erhöhte Bedeutung zukommen. Dies gilt insbesondere für den
großen Bereich der Rechtsbeschwerden, die nunmehr zum Bundesgerichtshof
gelangen können und in ihren formalen und inhaltlichen Anforderungen weit-
gehend den Revisionen angeglichen sind (vgl. § 574 ZPO). Demzufolge läßt
sich absehen, daß bei einer Anwaltszulassung, wie sie der Antragsteller er-
strebt, die Funktionsfähigkeit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nur
durch eine beträchtliche Erhöhung der Zahl der Richter - was die Gewährlei-
stung einer einheitlichen Rechtsprechung wesentlich erschweren würde - oder
durch eine deutliche Einschränkung der gerade erst gewährten Rechtsmittel-
möglichkeiten aufrechterhalten werden könnte. Beides entspräche nicht den
schutzwürdigen Belangen der Rechtsuchenden.
cc) Schließlich liegt ein wesentlicher Grund für die Besonderheit der
gemäß § 162 BRAO eingerichteten Rechtsanwaltschaft beim Bundesgerichts-
hof in dem Umfang und der Bedeutung der Zivilgerichtsbarkeit innerhalb der
Gesamtrechtsordnung. Der Zivilgerichtsbarkeit ist der bei weitem größte
- durch die Zuständigkeit für Entschädigungsansprüche gegen den Staat sich
weit ins öffentliche Recht erstreckende - Rechtsbereich zugewiesen worden.
Hier entstehen mit Abstand die meisten rechtlichen Auseinandersetzungen.
Nach den vom Bundesministerium der Justiz Ende des Jahres 2000 für 1998
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herausgegebenen Zahlen gingen bei den erstinstanzlich zuständigen Gerich-
ten der ordentlichen Gerichtsbarkeit fast zwei Millionen Zivilprozeßsachen so-
wie nahezu 500.000 Familiensachen ein. In demselben Zeitraum wurden bei
den Arbeitsgerichten rund 585.000, bei den Sozialgerichten knapp 258.000, bei
den Verwaltungsgerichten etwas mehr als 200.000 und bei den Finanzgerich-
ten gut 73.000 Klagen anhängig, zusammengenommen also nur etwas mehr
als die Hälfte der neu anhängigen Zivilprozeßsachen ohne Familiensachen. Es
deutet nichts darauf hin, daß sich dieses Zahlenverhältnis in den nachfolgen-
den Jahren merklich verschoben hat oder in Zukunft verändern wird. Die Be-
deutung der Zivilgerichtsbarkeit wird auch daran sichtbar, daß es jeweils eine
auf das gesamte Gebiet der Verwaltungs-, Sozial-, Finanz- und Arbeitsge-
richtsbarkeit ausgerichtete Fachanwaltschaft gibt (vgl. § 5 FAO), die darüber
hinaus eingerichteten Fachanwälte für Familien- und Insolvenzrecht dagegen
nur einen verhältnismäßig kleinen Teil des Zivilrechts abdecken. Um dieses
vollständig zu erfassen, müßten mindestens sechs bis acht weitere Fachan-
waltschaften eingerichtet werden (vgl. zur Diskussion über neue Fachanwalts-
bezeichnungen in der Anwaltschaft Busse BRAK-Mitt. 2001, 65; Quaas BRAK-
Mitt. 2000, 211; Scharmer BRAK-Mitt. 2001, 5). Die bei den übrigen Gerichts-
barkeiten erwogene Möglichkeit, die Zulassung bei den Revisionsgerichten auf
die jeweiligen Fachanwälte zu beschränken (vgl. Kommissionsbericht S. 45),
würde daher beim Bundesgerichtshof in Zivilsachen zu keiner tragfähigen Lö-
sung führen.
dd) Im Hinblick auf alle diese Gründe ist darin, daß es die Singularzu-
lassung bei keinem obersten Bundesgericht außer dem Bundesgerichtshof in
Zivilsachen gibt, kein willkürlicher Unterschied, sondern eine sachgerechte
Differenzierung im Sinne des Art. 3 GG zu sehen.
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c) Das Bundesverfassungsgericht hat die Singularzulassung beim
Oberlandesgericht insbesondere deshalb für nicht mit der Berufsausübungs-
freiheit vereinbar erachtet, weil der Gesetzgeber selbst nicht mehr hinreichend
deutlich gemacht habe, daß er die Singularzulassung dort als ein geeignetes
und erforderliches Mittel zur Verbesserung der Rechtspflege ansehe (BVerfGE
103, 1, 13 ff). Vor allem durch die Einführung von Öffnungsklauseln für die Si-
multanzulassung in § 226 BRAO, die Zulassung von Mischsozietäten in § 59 a
BRAO sowie die Auflösung der Verknüpfung von Postulationsfähigkeit und be-
rufsrechtlicher Lokalisation in § 78 ZPO habe sich der Gesetzgeber - zuneh-
mend und deutlich seit 1990 - von seiner ursprünglichen Einschätzung des
Wertes der Singularzulassung in diesem Bereich distanziert. Die genannten
Gründe treffen jedoch auf die Singularzulassung beim Bundesgerichtshof nicht
zu.
Der Gesetzgeber hat das bereits in § 100 Abs. 1 der Rechtsanwaltsord-
nung vom 1. Juli 1878 enthaltene Verbot der Simultanzulassung in die am
1. Oktober 1959 in Kraft getretene Bundesrechtsanwaltsordnung mit der Be-
gründung übernommen, das Verbot gewährleiste, daß die auf das Revisions-
verfahren spezialisierte Rechtsanwaltschaft mit den Rechtsanschauungen des
Gerichtshofes und der darauf beruhenden Auslegung und Weiterbildung des
Rechts auf das genaueste vertraut sei, sie daher die Prozeßparteien über die
Aussichten des Rechtsmittels sachgemäß beraten könne und aussichtslose
Sachen nicht in die Revisionsinstanz gelangen würden (vgl. BT-Drucks. III/120,
S. 111). Diese Erwartungen haben sich erfüllt, weshalb das Singularprinzip
beim Bundesgerichtshof seitdem unangetastet geblieben ist. Es hat sogar mit
der durch das Gesetz vom 2. September 1994 (BGBl. I S. 2278) erfolgten Ein-
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fügung des § 172 a BRAO zusätzlichen Schutz erfahren. Die Norm bestimmt,
daß Rechtsanwälte, die beim Bundesgerichtshof zugelassen sind, nur unter-
einander eine Sozietät eingehen dürfen und diese lediglich zwei Rechtsanwälte
umfassen darf (für die Zeit davor vgl. BGH, Beschl. v. 7. November 1983
- AnwZ 21/83, BRAK-Mitt. 1984, 84). Mit dieser Regelung wird die Bildung von
Mischsozietäten und Großpraxen verhindert, die den Zugang des einzelnen
Anwalts zum Betätigungsfeld des Rechtsanwalts beim Bundesgerichtshof er-
schweren und zu einer schleichenden Durchbrechung des "Vier-Augen-
Prinzips" beitragen könnten.
Im übrigen wurde mittels der schon beschriebenen Kommission einge-
hend überprüft, ob die Aufrechterhaltung der Singularzulassung beim Bundes-
gerichtshof weiterhin sachlich gerechtfertigt ist. Die Kommission ist einstimmig
zu der Beurteilung gelangt, daß die besondere Rechtsanwaltschaft bei dem
Bundesgerichtshof beibehalten werden sollte (Kommissionsbericht S. 43). Die-
se Empfehlung der Kommission hat den Gesetzgeber veranlaßt, auch in der
Folgezeit die Singularzulassung der Rechtsanwälte uneingeschränkt aufrecht-
zuerhalten. In der Begründung des Gesetzentwurfs der Bundesregierung zur
Reform des Zivilprozesses vom 8. September 2000 (BR-Drucks. 536/00,
S. 316) wird zudem besonders hervorgehoben, daß für die Nichtzulassungsbe-
schwerde, die Rechtsbeschwerde und den Antrag auf Zulassung der Sprungre-
vision auf eine Vertretung des Beschwerdeführers bzw. des Antragstellers
durch einen beim Bundesgerichtshof zugelassenen Rechtsanwalt wegen der
besonderen Sachkunde dieser Anwälte nicht verzichtet werden könne. Aus
diesem Grunde wurde von einer Übernahme des § 7 Abs. 2 EGZPO a.F., wo-
nach bis zur Entscheidung des Obersten Landesgerichts jeder bei einem
Landgericht, Oberlandesgericht oder dem Bundesgerichtshof zugelassene
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Rechtsanwalt postulationsfähig ist, abgesehen. Die überwiegende Meinung im
Schrifttum befürwortet ebenfalls die vom Antragsteller angegriffene Zulas-
sungsbeschränkung, weil sie sowohl den Interessen der Rechtsuchenden an
einer forensisch qualifizierten Rechtsberatung als auch der Sicherung der Ar-
beitsfähigkeit des Bundesgerichtshofs sowie der Qualität seiner Rechtspre-
chung nütze (vgl. Feuerich/Braun, BRAO 5. Aufl. § 162 Rn. 1 ff; § 171 Rn. 1 ff;
Isele, BRAO § 162 Anm. II B; Henssler RdA 1999, 38, 43; ders. JZ 2001, 337,
341; Krämer JZ 1994, 400; Nirk, Liber Amicorum für Rabe S. 113; ders. NJW
2001, Sonderheft für Hermann Weber, S. 43; Redeker NJW 1987, 2610, 2616;
Schimansky, Festschrift für Odersky S. 1083; H. Schneider, Ehrengabe für
Heusinger, S. 101; ders. in "Festschrift 25 Jahre Bundesgerichtshof", S. 325;
Tilmann BRAK-Mitt. 1994, 118; Weigel BRAK-Mitt. 1995, 2; Zuck NJW 2001,
2055, 2057; a.A. Birnkraut BRAK-Mitt. 1994, 194; Borchert NJ 2001, 514;
Droege NJW 2002, 175; Füßer/Schramm MDR 2001, 551; Kleine-Cosack
AnwBl. 2001, 206; Kornblum AnwBl. 2000, 654; R. Schneider AnwBl. 2001,
206, 208).
d) Der aus Gründen des Gemeinwohls erforderliche Eingriff in die Be-
rufsfreiheit ist in seiner Wirkung für den einzelnen Anwalt zumutbar. Die darin
liegende Beeinträchtigung ist nicht unverhältnismäßig, zumal da sie lediglich
die Zulassung bei einem einzigen Gericht betrifft und schon im Hinblick auf die
Zahl der in Betracht kommenden Mandate allenfalls für einige wenige Rechts-
anwälte in Deutschland zu mehr als nur geringen Einschränkungen ihrer beruf-
lichen Tätigkeit führen kann.
3. Die Singularzulassung beim Bundesgerichtshof hält, wie der Euro-
päische Gerichtshof bereits entschieden hat (EuGH, Urt. v. 25. Februar 1988
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- Rs 427/85, Slg. 1988, 1154, 1156 Tz. 44 = NJW 1988, 887), einer Überprü-
fung an den europarechtlichen Vorschriften über die Freiheit des Dienstlei-
stungsverkehrs (Art. 49, 50 EG - früher Art. 59, 60 EWG-Vertrag; Richtlinie
77/249/EWG) stand. Das französische und das belgische Recht enthalten für
die Rechtsanwaltschaft am Kassationshof eine vergleichbare Zulassungsbe-
schränkung (vgl. Kommissionsbericht S. 19 f; Gross, Die Anwaltschaft beim
französischen Kassationshof, in: Festschrift für Rudolf Nirk [1992] S. 405,
410 f). Demzufolge hat der deutsche Gesetzgeber an diesem Prinzip auch bei
Umsetzung der genannten Richtlinie des Rates der Europäischen Gemein-
schaften vom 22. März 1977 zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des
freien Dienstleistungsverkehrs der Rechtsanwälte festgehalten. § 27 Abs. 1
Satz 2 des Gesetzes über die Tätigkeit europäischer Rechtsanwälte in
Deutschland (EURAG) vom 9. März 2000 (BGBl. I S. 182) überträgt die für die
Vertretung vor dem Bundesgerichtshof geltenden Beschränkungen ausdrück-
lich in vollem Umfang auf Rechtsanwälte aus anderen EU-Mitgliedstaaten. An-
ders als bei dem Auftreten vor den Oberlandesgerichten genügt hier ein bloßer
Bearbeiterwechsel nicht (§ 27 Abs. 1 Satz 3 EURAG).
III.
Der Antragsteller greift auch das in §§ 166 bis 168 BRAO geregelte
Verfahren als verfassungswidrig an, weil nur der Anwalt sich um die Zulassung
beim Bundesgerichtshof bewerben kann, der von einer örtlichen Anwaltskam-
mer oder der Rechtsanwaltskammer beim Bundesgerichtshof vorgeschlagen
wird, und die geltende gesetzliche Regelung keine Kriterien zur Auswahl der
Rechtsanwälte und zum zahlenmäßigen Bedarf enthält (vgl. dazu Kommissi-
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onsbericht S. 24, 33 ff; Droege NJW 2002, 175, 180 f; Hartung JZ 1994, 117;
Kleine-Cosack, BRAO 3. Aufl. vor § 164 Rn. 1 ff).
Ob diese Rüge berechtigt ist, braucht der Senat indes nicht zu beurtei-
len. Selbst wenn dem Antragsteller insoweit - entgegen der bisherigen Recht-
sprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. Beschl. v. 24. März 1982,
aaO) - zu folgen wäre, könnte ihm dies nichts nützen. Da er keine Singular-,
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sondern ausschließlich eine Simultanzulassung beim Bundesgerichtshof er-
strebt, ist die gesetzliche Gestaltung des Auswahlverfahrens für die hier zu
treffende Entscheidung rechtlich nicht erheblich.
Deppert Fischer Basdorf Ganter
Salditt Wüllrich Frey