Urteil des BGH vom 12.06.2007, VI ZR 196/06
BGH (rechtliches gehör, objektiv, vorhersehbarkeit, vergleich, zoll, abschluss, folge, zpo, sache, verhandlung)
- Entschieden
- 12.06.2007
- Schlagworte
- Rechtliches gehör, Objektiv, Vorhersehbarkeit, Vergleich, Zoll, Abschluss, Folge, Zpo, Sache, Verhandlung
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZR 196/06
vom
12. Juni 2007
in dem Rechtsstreit
Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 12. Juni 2007 durch die Vizepräsidentin Dr. Müller, den Richter Dr. Greiner, die Richterin Diederichsen und
die Richter Pauge und Zoll beschlossen:
Auf die Nichtzulassungsbeschwerde der Klägerin wird das Urteil
des 7. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena vom
9. August 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten des Verfahrens der Nichtzulassungsbeschwerde,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Gegenstandswert: 21.000,00 €
Gründe:
11. Die Klägerin wurde im Jahre 1995 bei einem von einem Versicherungsnehmer der Beklagten allein verschuldeten Verkehrsunfall verletzt. Sie
erlitt ein Schleudertrauma an der Halswirbelsäule mit der Folge einer dauernden Minderung der Erwerbsfähigkeit von 15 %. Die Beklagte zahlte wegen der
Unfallfolgen zunächst einen Betrag von 5.000 DM. Am 18. September 1996
schlossen die Parteien einen Abfindungsvergleich, in dem sich die Beklagte
verpflichtete, zur Abfindung aller Schadensersatzansprüche der Klägerin weitere 3.000 DM zu zahlen. Der Vergleich enthält folgende Zusatzvereinbarung:
2"Vorbehalten bleiben weitere immaterielle Ansprüche, für den Fall einer
Verschlechterung der Beschwerden, sowie Auslagen zur Wahrnehmung erforderlicher Heilbehandlungen. BGH-Rechtsprechung (VersR 80, 975)."
3In der Folgezeit verschlimmerte sich der Gesundheitszustand der Klägerin. Im Jahre 2002 wandte sie sich wegen einer deutlichen Verschlechterung
ihrer Beweglichkeit an die Beklagte. Eine Begutachtung ihres Gesundheitszustands ergab, dass es aufgrund des Unfalls zu einem Bandscheibenvorfall gekommen war, der erstmals auf einem MRT-Bild vom 6. Januar 1997 zu erkennen war und der erhebliche Zusatzbeschwerden, insbesondere in Form deutlicher Funktionsbeeinträchtigungen der Halswirbelsäule mit einer Verminderung
der Beweglichkeit um die Hälfte auslöste. Weitere Folge des Unfallgeschehens
und der körperlichen Beeinträchtigung der Klägerin sind psychologische Beschwerden infolge einer neurotischen Fehlverarbeitung des Unfalls. Die Klägerin ist zu einer Berufstätigkeit nicht mehr in der Lage und leidet unter Depressionen. Bei ihr liegt eine ausgeprägte somatoforme Störung vor.
Die Klägerin hat Ersatz weiteren immateriellen Schadens begehrt und 4
behauptet, die heute vorhandenen Beschwerden seien bei Abschluss des Vergleichs objektiv nicht vorhersehbar gewesen. Die Beklagte hat die Einrede der
Verjährung erhoben.
5Das Landgericht hat der Klage stattgegeben und die Auffassung vertreten, die in dem Vergleich getroffene Zusatzvereinbarung sei dahin auszulegen,
dass Ansprüche wegen einer Verschlechterung der Gesundheitsbeschwerden
von der Abgeltung ausgenommen werden sollten. Der weitergehende Schadensersatzanspruch sei auch nicht verjährt. Die Klägerin habe erst mit Vorlage
des Gutachtens vom 25. August 2003 Kenntnis von dem gesamten Ausmaß
ihres Gesundheitsschadens und der Ursächlichkeit des Unfalls hierfür erfahren.
Zum Zeitpunkt des Vergleichsabschlusses seien die später eingetretenen
Schadensfolgen nicht vorhersehbar gewesen.
6Mit der Berufung hat die Beklagte die Auslegung der Zusatzvereinbarung
angegriffen und geltend gemacht, die nunmehr vorhandenen Verletzungsfolgen
seien vorhersehbar gewesen. Die Klägerin hat das erstinstanzliche Urteil verteidigt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen und zur Begründung u.a. ausgeführt, nach der Zusatzvereinbarung
des Vergleichs könne die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld nur unter den
Voraussetzungen beanspruchen, die der Bundesgerichtshof in dem zitierten
Urteil aufgestellt habe. Danach müsse es sich um Verletzungsfolgen handeln,
die bei der ursprünglichen Bemessung des immateriellen Schadens noch nicht
eingetreten waren oder mit deren Eintritt nicht oder nicht ernstlich zu rechnen
gewesen sei. Zwischen den Parteien sei nunmehr aber unstreitig, dass die von
der Klägerin erlittenen Verletzungsfolgen objektiv vorhersehbar gewesen seien.
7Das Berufungsgericht hat die Revision nicht zugelassen. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der Nichtzulassungsbeschwerde.
2. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg und führt gemäß § 544 8
Abs. 7 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und zur Zurückverweisung
des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung
verletzt den Anspruch der Klägerin auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1
GG.
9Mit Erfolg macht die Nichtzulassungsbeschwerde geltend, die Feststellung des Berufungsgerichts, zwischen den Parteien sei nunmehr unstreitig,
dass die Verletzungsfolgen objektiv vorhersehbar gewesen seien, beruhe auf
einer Gehörsverletzung der Klägerin. Diese hat entgegen der Auffassung des
Berufungsgerichts nämlich nicht unstreitig gestellt, dass die Verschlechterung
ihres Gesundheitszustands bei Vergleichsabschluss vorhersehbar gewesen sei.
Das Landgericht ist in seinem Urteil zu der Auffassung gelangt, Vorhersehbarkeit habe nicht vorgelegen. Die Klägerin hat in erster Instanz obsiegt und in der
Berufungsinstanz das landgerichtliche Urteil verteidigt. Aus dem Umstand, dass
sie die von der Beklagten in der Berufungsbegründung wiederholte Behauptung
der Vorhersehbarkeit nicht bestritten hat, folgt deshalb nicht, dass die Klägerin
diesen Vortrag unstreitig stellen wollte (vgl. BGH, Urteil vom 2. Juli 1986
- IVb ZR 37/85 - FamRZ 1986, 1085, 1086; BVerfG NJW 2000, 131), zumal ihre
Klage bei anzunehmender Vorhersehbarkeit wegen dann eingetretener Verjährung keinerlei Aussicht auf Erfolg mehr gehabt hätte.
10Da nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei
der gebotenen Klärung der Frage, ob die Verletzungsfolgen bei Abschluss des
Vergleichs objektiv vorhersehbar gewesen sind, zu einer anderen Beurteilung
des Falles gekommen wäre, war das Urteil aufzuheben und die Sache an das
Berufungsgericht zurückzuverweisen. Dieses wird bei der neuen Verhandlung
und Entscheidung auch das weitere Vorbringen der Klägerin im Revisionsrechtszug zu berücksichtigen haben.
113. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller Greiner Diederichsen
Pauge Zoll
Vorinstanzen: LG Gera, Entscheidung vom 24.02.2006 - 4 O 2028/04 - OLG Jena, Entscheidung vom 09.08.2006 - 7 U 289/06 -