Urteil des BGH vom 14.10.2008

BGH (bundesrepublik deutschland, genehmigung, arzneimittel, verordnung, erzeugnis, antrag, wirkung, zulassung, bundespatentgericht, inverkehrbringen)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
X ZB 5/08
vom
14. Oktober 2008
in der Rechtsbeschwerdesache
betreffend die Schutzzertifikatsanmeldung 196 75 048.2
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Der X. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 14. Oktober 2008 durch
den Vorsitzenden Richter Dr. Melullis, den Richter Keukenschrijver, die Richte-
rin Mühlens und die Richter Dr. Bergmann und Gröning
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des 14. Senats
(Technischen Beschwerdesenats) des Bundespatentgerichts vom
7. Dezember 2007 wird auf Kosten der Rechtsbeschwerdeführerin
zurückgewiesen.
Der Wert des Gegenstands der Rechtsbeschwerde wird auf
25.000,-- € festgesetzt.
Gründe:
I. Die Rechtsbeschwerdeführerin ist Inhaberin des unter anderem mit
Wirkung für das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland erteilten euro-
päischen Patents 0 496 835 (Grundpatents), mit der Bezeichnung "Methode
und Zusammensetzung zur Behandlung solider Tumoren", das acht Patentan-
sprüche umfasst. Wegen der Wiedergabe des Patentanspruchs 1 wird auf den
angefochtenen Beschluss des Bundespatentgerichts verwiesen.
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Am 20. Dezember 1996 hat die Rechtsbeschwerdeführerin den Antrag
gestellt, ihr ein ergänzendes Schutzzertifikat für das Erzeugnis "C. , Wirk-
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stoff: Doxorubicin Hydrochlorid" zu erteilen. Sie hat den Antrag auf das oben
bezeichnete Grundpatent und auf die Genehmigung mit der Zulassungsnummer
EU … bzw. EU …
vom 21.
Juni 1996 für das Arzneimittel
"C. " als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Bundesrepu-
blik Deutschland gestützt. Diesen Antrag hat die Anmelderin im Verfahren vor
dem Bundespatentgericht dahin abgeändert, dass ein ergänzendes Schutzzerti-
fikat erteilt werden solle für das Erzeugnis "Doxorubicin-Hydrochlorid/Doxo-
rubicin-Sulfat, verkapselt in Liposomen mit oberflächlich gebundenem Polyäthy-
lenglycol, insbesondere Metoxipolyäthylenglycol".
Das Deutsche Patent- und Markenamt hat diesen Antrag zurückgewie-
sen, da als erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses
nicht die Zulassung vom 21. Juni 1996, sondern die Zulassung für Doxorubicin-
Hydrochlorid aus dem Jahr 1987 zu sehen sei.
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Gegen diese Entscheidung hat die Rechtsbeschwerdeführerin Be-
schwerde eingelegt. Sie hat ihren Antrag auf Erteilung eines ergänzenden
Schutzzertifikats mit dem Erzeugnis "Doxorubicin-Sulfat" weiterverfolgt.
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Die Beschwerde ist erfolglos geblieben. Mit ihrer vom Bundespatentge-
richt zugelassenen Rechtsbeschwerde verfolgt die Rechtsbeschwerdeführerin
ihr Eintragungsbegehren weiter.
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II. Die Rechtsbeschwerde ist kraft Zulassung statthaft (§ 16 a Abs. 2 i.V.
mit § 100 Abs. 1 PatG) und auch im Übrigen zulässig, jedoch in der Sache nicht
begründet.
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1. Das Grundpatent schützt, wie das Bundespatentgericht zutreffend an-
genommen hat, auch Doxorubicin-Sulfat (Art. 3 Buchst. a der Verordnung
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Nr. 1768/92 (EWG) des Rates über die Schaffung eines ergänzenden Schutz-
zertifikats über Arzneimittel). Es liegt auch eine arzneimittelrechtliche Genehmi-
gung für das Inverkehrbringen von Doxorubicin-Sulfat vor (Art. 3 Buchst. b der
Verordnung). Sowohl aus der arzneimittelrechtlichen Genehmigung als auch
aus der Beschreibung des Grundpatents ergibt sich, dass Doxorubicin mit Hilfe
von Ammoniumsulfat in die Liposomen aufgenommen wird. Dabei wird Doxoru-
bicin-Sulfat erzeugt.
2. Die arzneimittelrechtliche Genehmigung durch die Zulassung von C.
vom 21. Juni 1996 ist jedoch nicht die gemäß Art. 3 Buchst. d der Verord-
nung Nr. 1768/92 maßgebliche erste Genehmigung für das Inverkehrbringen
des Erzeugnisses als Arzneimittel. Anderes würde nur gelten, wenn es sich um
unterschiedliche Wirkstoffe handelte.
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Der Begriff "Wirkstoff" ist in der Verordnung nicht definiert. Nach der Ent-
scheidung des Gerichtshofs der Europäischen Gemeinschaften vom 4. Mai
2006 (C-431/04, Slg. 2006, 4089 = GRUR 2006, 694, 695 - Wirkstoffzusam-
mensetzung) ist mangels einer Definition des Begriffs "Wirkstoff" die Bedeutung
und die Tragweite dieses Begriffs unter Berücksichtigung des allgemeinen Zu-
sammenhangs, in dem er verwendet wird, und entsprechend dem Sinn, den er
nach dem gewöhnlichen Sprachgebrauch hat, zu bestimmen.
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Allerdings enthält die Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 in Art. 1 eine Defi-
nition des Begriffs "Erzeugnis". Danach ist Erzeugnis der Wirkstoff oder die
Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels. Das Arzneimittel wird dort als
ein Stoff (oder eine Stoffzusammensetzung) definiert, der als Mittel zur Heilung
oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten bezeichnet wird. Damit wird mit-
telbar der Begriff "Wirkstoff" als der Bestandteil des Erzeugnisses umschrieben,
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der als Mittel zur Heilung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten be-
zeichnet wird.
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Hierzu hat der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in seiner
Entscheidung vom 16. September 1999 (C-392/97, Slg. 1999, 5533, Tz 21 =
GRUR Int. 2000, 69 f. - Farmitalia) ausgeführt, dass das Schutzzertifikat den
Wirkstoff in allen dem Schutz des Grundpatents unterliegenden Formen erfas-
sen kann (z.B. als freie Base und deren Derivate), auch wenn in der arzneimit-
telrechtlichen Genehmigung nur bestimmte Formen des Wirkstoffs genannt
werden.
Der Senat hat daraus hergeleitet, dass eine Zertifikatserteilung für den
Wirkstoff und für dessen physiologisch annehmbaren Salze und Sulfate in Be-
tracht kommt. Es muss sich aber um verschiedene Formen desselben Wirk-
stoffs handeln, das heißt, es muss mit ihnen derselbe Heilungs- bzw. Vorbeu-
gungseffekt i.S. des Art. 1 Buchst. a Arzneimittelschutzzertifikatverordnung er-
zielt werden können (Beschl. v. 29.01.2002 - X ZB 12/01, GRUR 2002, 415 f.
- Sumatriptan). In der bereits erwähnten Entscheidung des Gerichtshofs der
Europäischen Gemeinschaften vom 4. Mai 2006 wird auf die Begründung des
Vorschlags für eine Verordnung des Rates über die Schaffung eines ergänzen-
den Schutzzertifikats für Arzneimittel verwiesen, in der es heißt: "Der Verord-
nungsvorschlag beschränkt sich auf neue Arzneimittel. Es handelt sich nicht
darum, ein Zertifikat für jedes patentierte Arzneimittel zu erteilen, für das die
Genehmigung des Inverkehrbringens vorliegt. Je Erzeugnis darf nur ein einzi-
ges Zertifikat erteilt werden, wobei es sich bei dem Erzeugnis im engeren Sinne
um einen Wirkstoff handeln muss. Werden an dem Arzneimittel unbedeutende
Änderungen vorgenommen, zum Beispiel eine neue Dosierung, die Verwen-
dung eines anderen Salzes oder Esters, eine andere pharmazeutische Form,
so wird kein neues Zertifikat erteilt". Der Gerichtshof der Europäischen Gemein-
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schaften hat daraus hergeleitet, dass ein Stoff, der keine eigene arzneiliche
Wirkung entfaltet und dazu dient, eine bestimmte Darreichungsform des Arz-
neimittels zu erreichen, nicht unter den Begriff "Wirkstoff" fällt (aaO Tz 29).
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In dem vorgenannten Sinne ist Doxorubicin-Sulfat kein neuer Wirkstoff.
Auch die Rechtsbeschwerde stellt nicht in Abrede, dass das Mittel, das die arz-
neiliche Wirkung entfaltet, Doxorubicin ist. Sie beruft sich auf die arzneimittel-
rechtliche Genehmigung, nach der die pharmakologischen Eigenschaften von
Doxorubicin-Sulfat und Doxorubicin-Hydrochlorid verschieden seien. So hätten
Studien mit Kaninchen gezeigt, dass die Kardiotoxizität von C. im Vergleich
zu der von üblichen Doxorubicin-Hydrochlorid-haltigen Zubereitungen geringer
sei. Auch werde in dem Gutachten von Dr. F. J. M. dargestellt, dass
Doxorubicin-Sulfat verglichen mit Doxorubicin-Hydrochlorid geringere toxische
Wirkungen habe, in Tumorzellen in höherem Ausmaß als in normalen Zellen
angereichert werde und die Aktivität hinsichtlich der Verringerung des Tumor-
wachstums wesentlich höher sei. Zudem seien die chemischen Eigenschaften
von Doxorubicin-Sulfat und Doxorubicin-Hydrochlorid insofern verschieden, als
Doxorubicin-Sulfat in wässrigen Lösungen nur gering löslich sei. Dies habe zur
Folge, dass Doxorubicin-Sulfat nur sehr langsam aus den im Blutsystem zirku-
lierenden Liposomen freigesetzt werde, so dass eine lang dauernde pharmako-
logische Wirkung bei niedriger Dosierung möglich sei.
Alle diese Gesichtspunkte betreffen eine verbesserte Wirksamkeit von
Doxorubicin-Sulfat im Vergleich zu Doxorubicin-Hydrochlorid und die Verminde-
rung unerwünschter Nebenwirkungen, aber nicht die arzneiliche Wirkung als
solche, die unverändert durch den Bestandteil Doxorubicin erreicht wird. Aus-
wirkungen auf die arzneiliche Wirksamkeit sind jedoch nicht entscheidend für
die Beantwortung der Frage, ob es sich um einen anderen Wirkstoff handelt.
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Anderes ergibt sich auch nicht bei Berücksichtigung des Erwägungs-
grunds 14 der EG-Verordnung 1610/96, wie die Rechtsbeschwerde selbst vor-
trägt, ist auch dann erforderlich, dass ein neuer Wirkstoff im Vergleich zu dem
bekannten Wirkstoff vorliegt, was hier nicht der Fall ist.
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Der von der Rechtsbeschwerde angeregten Herbeiführung einer Vorab-
entscheidung durch den Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften bedarf
es nicht, denn der Senat sieht die richtige Auslegung und Anwendung des Ge-
meinschaftsrechts hier als so offenkundig an, dass für vernünftige Zweifel kein
Raum bleibt (vgl. EuGH, Urt. v. 06.10.1982 - Rs 283/81, Slg. 1982, 3415 = NJW
1983, 1257, 1258).
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III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 16 a Abs. 2 PatG i.V. mit § 109
PatG (Sen. Beschl. v. 10.06.2008 - X ZB 3/08, GRUR 2008, 692 f. - Anguss-
vorrichtung für Spritzgießwerkzeuge II). Eine mündliche Verhandlung hat der
Senat nicht als erforderlich angesehen.
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Melullis Keukenschrijver
Mühlens
Bergmann
Gröning
Vorinstanz:
Bundespatentgericht, Entscheidung vom 07.12.2007 - 14 W(pat) 14/05 -