Urteil des BGH vom 07.03.2007

BGH: verordnung, warschauer abkommen, begriff, fluggast, nichtbeförderung, verspätung, flugzeug, flughafen, kommission, anwendungsbereich

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Gericht:
OLG Frankfurt 19.
Zivilsenat
Entscheidungsdatum:
Aktenzeichen:
19 U 212/06
Dokumenttyp:
Beschluss
Quelle:
Normen:
Art 234 EG, Art 3 Abs 1 Buchst
a EGV 261/2004, Art 5 Abs 1
Buchst c EGV 261/2004, Art 7
Abs 1 Buchst c EGV 261/2004
Luftbeförderungsvertrag: Vorlage an den Europäischen
Gerichtshof zu der Frage, ob unter "ein Flug" i.S.d. Art. 3
Abs. 1 lit.a. EGV 261/2004 der Hin- und Rückflug oder nur
der Hin- oder Rückflug zu verstehen ist
Leitsatz
Dem Europäischen Gerichtshof wird folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:¶
Ist die Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine gemeinsame
Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste im Fall der
Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von Flügen und zur
Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 dahin auszulegen, dass „ein Flug“ die
Flugreise vom Abflugsort zum Zielort und zurück jedenfalls dann umfasst, wenn Hin-
und Rückflug gleichzeitig gebucht werden?¶
Tenor
[Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde
vom Gericht nicht mitgeteilt.]
Gründe
Dem Europäischen Gerichtshof wird folgende Frage zur Auslegung des
Gemeinschaftsrechts gemäß Art. 234 EG zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist die Bestimmung des Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004
des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Februar 2004 über eine
gemeinsame Regelung für Ausgleichs- und Unterstützungsleistungen für Fluggäste
im Fall der Nichtbeförderung und bei Annullierung oder großer Verspätung von
Flügen und zur Aufhebung der Verordnung (EWG) Nr. 295/91 dahin auszulegen,
dass „ein Flug“ die Flugreise vom Abflugsort zum Zielort und zurück jedenfalls
dann umfasst, wenn Hin- und Rückflug gleichzeitig gebucht werden?.
1. Die Beklagte ist ein Luftfahrtunternehmen mit Hauptniederlassung in den
Vereinigten Arabischen Emiraten. Sie ist kein Luftfahrtunternehmen mit einer
gültigen Betriebsgenehmigung, die von einem Mitgliedstaat gemäß der
Verordnung (EG) Nr. 2407/92 des Rates vom 23.07.1992 über die Erteilung von
Betriebsgenehmigungen an Luftfahrtunternehmen erteilt wurde. Der Kläger, der in
Deutschland seinen Wohnsitz hat, buchte in Deutschland bei der Beklagten als
ausführendem Luftfahrtunternehmen eine Flugreise vom 06.03.2006 bis
13.03.2006 von Düsseldorf über Dubai nach Manila und zurück. Für die Rückreise
war der Flug EK 335 am 12.03.2006 um 23:55 Uhr ab Manila über Dubai nach
Düsseldorf gebucht. Infolge technischer Probleme wurde der Rückflug annulliert.
Der Rückflug erfolgte am 14.03.2006 um 11:30 Uhr ab Manila. Der Kläger kam am
14.03.2006 gegen 22:30 Uhr in Düsseldorf an. Er verlangt von der Beklagten
wegen der Annullierung des gebuchten Rückflugs eine Ausgleichszahlung in Höhe
von 600,-- EUR gemäß Art. 7 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c der genannten
Verordnung. Art. 7 Abs. 1 lautet:
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Verordnung. Art. 7 Abs. 1 lautet:
„Ausgleichsanspruch (1) Wird auf diesen Artikel Bezug genommen, so erhalten
die Fluggäste Ausgleichszahlungen in folgender Höhe:
a) 250,-- EUR bei allen Flügen über eine Entfernung von 1.500 km oder
weniger, b) 400,-- EUR bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine
Entfernung von mehr als 1.500 km und bei allen anderen Flügen über eine
Entfernung zwischen 1.500 km und 3.500 km, c) 600,-- EUR bei allen nicht unter
Buchstabe a) und b) fallenden Flügen.“
Art. 5 hat folgenden Wortlaut:„Annullierung (1) Bei Annullierung eines Fluges
werden den betroffenen Fluggästen
a) ...
b) ...
c) vom ausführenden Luftfahrtunternehmen ein Anspruch auf
Ausgleichszahlungen gemäß Art. 7 eingeräumt, es sei denn…“.
2. Der Kläger macht geltend, Hin- und Rückflug seien unselbständige Abschnitte
eines Fluges. Er beruft sich darauf, Zweck der Verordnung sei erklärtermaßen die
Verbesserung der Fluggastrechte, wie sich aus den Ziffern 1., 2., 10. und 12. der
Erwägungen zu dieser Verordnung ergebe.
Diese Erwägungen haben folgenden Wortlaut:
„(1) Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs sollten
unter anderem darauf abzielen, ein hohes Schutzniveau für Fluggäste
sicherzustellen. Ferner sollte den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im
Allgemeinen in vollem Umfang Rechnung getragen werden.
(2) Nichtbeförderung und Annullierung oder eine große Verspätung von Flügen
sind für die Fluggäste ein Ärgernis und verursachen ihnen große
Unannehmlichkeiten.
(10) Fluggäste, die gegen ihren Willen nicht befördert werden, sollten in der
Lage sein, entweder ihre Flüge unter Rückerstattung des Flugpreises zu stornieren
oder diese unter zufriedenstellenden Bedingungen fortzusetzen, und sie sollten
angemessen betreut werden, während sie auf einen späteren Flug warten.
(12) Das Ärgernis und die Unannehmlichkeiten, die den Fluggästen durch die
Annullierung von Flügen entstehen, sollten ebenfalls verringert werden. Dies sollte
dadurch erreicht werden, dass die Luftfahrtunternehmen veranlasst werden, die
Fluggäste vor der planmäßigen Abflugzeit über Annullierungen zu unterrichten und
ihnen darüber hinaus eine zumutbare anderweitige Beförderung anzubieten, so
dass die Fluggäste umdisponieren können. Andernfalls sollten die
Luftfahrtunternehmen den Fluggästen einen Ausgleich leisten und auch eine
angemessene Betreuung anbieten, es sei denn, die Annullierung geht auf
außergewöhnlichen Umstände zurück, die sich auch dann nicht hätten vermeiden
lassen, wenn alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen worden wären.“
Der Kläger macht weiter geltend, der Schutzzweck der Verordnung würde
unterlaufen, wollte man den Fluggast auf der Hälfte seiner Reise, nämlich vom
Abflugort der Rückreise in Richtung Heimatflughafen, des Schutzes der
Verordnung nicht teilhaft werden lassen. Dies sei umso weniger anzunehmen, als
der Fluggast durch Annullierung seines Fluges in einem ihm fremden Land
besonders des Schutzes bedürfe.
3. Die Beklagte trägt vor, Hin- und Rückflug seien als zwei jeweils getrennte Flüge
zu betrachten. Dies ergebe sich aus der der Verordnung vorgeschalteten
Erwägung Nr. 23. Diese hat folgenden Wortlaut:
„(23) Die Kommission sollte die Anwendung dieser Verordnung analysieren
und insbesondere beurteilen, ob ihr Anwendungsbereich auf alle Fluggäste
ausgeweitet werden sollte, die mit einem Reiseunternehmen oder einem
Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft in einer Vertragsbeziehung stehen und
von einem Flughafen in einem Drittstaat einen Flug zu einem Flughafen in einem
Mitgliedstaat antreten.“
Die Erwägung zeige, dass der Verordnungsgeber Flugstrecken, die ihren Anfang
außerhalb der EU nähmen, nicht habe regeln wollen. Die Verordnung enthalte
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außerhalb der EU nähmen, nicht habe regeln wollen. Die Verordnung enthalte
Regelungen bezüglich der Rechte der Fluggäste bei Nichtbeförderung, Annullierung
und Verspätung von Flügen. In diesen sei jeweils die Bezeichnung „Flug“ als
Teilstrecke gemeint. Die Fassungen der Verordnung in englischer, französischer,
niederländischer und spanischer Sprache stellten jeweils auf das Abfliegen bzw.
Abreisen ab. Auch die von der Kommission herausgegebene offizielle Information
für Fluggäste auf Plakaten und Handzetteln stelle auf das Verständnis des Fluges
als jeweils selbständige Einheit ab.
4. Das Amtsgericht hat der Klage stattgegeben und zur Begründung seiner
Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
Der Begriff „Flug“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung umfasse Hin-
und Rückflug. Diese Bestimmung lautet wie folgt:
„Anwendungsbereich (1) Diese Verordnung gilt
a. für Fluggäste, die auf Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedsstaats, das den
Bestimmungen des Vertrages unterliegt, einen Flug antreten;“
Das gelte jedenfalls dann, wenn beide Flugabschnitte gleichzeitig gebucht seien.
Dies habe zur Folge, dass der Kläger – auch wenn nur der Rückflug von Manila
nach Düsseldorf annulliert worden sei – den „Flug“ im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a
der Verordnung in Düsseldorf angetreten habe. Eine andere Auslegung dieser
Vorschrift führe dazu, dass ein Fluggast mit einer gespaltenen Rechtslage
hinsichtlich seiner Rechte als Fluggast konfrontiert wäre. Bezüglich des Hinflugs
hätte sich im vorliegenden Fall der Kläger auf die Verordnung berufen können, er
wäre aber gehalten gewesen, seine Rechte hinsichtlich des annullierten Rückflugs
nach den Gesetzes des Drittstaates zu verfolgen. Diese Spaltung des Rechts
hinsichtlich einer einheitlich gebuchten Beförderungsleistung sei nach Auffassung
des erkennenden Gerichts von dem Verordnungsgeber nicht gewollt.
5. Die Beklagte hat gegen das Urteil des Amtsgerichts Frankfurt am Main Berufung
zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main eingelegt.
6. Der vom Kläger geltend gemachte standardisierte Ausgleichsanspruch ergibt
sich weder aus den Bestimmungen des nationalen Rechts noch aus den
Bestimmungen des Übereinkommens von Montreal. Deshalb hängt die
Entscheidung über den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf
Ausgleichszahlung von 600,-- EUR von der Beantwortung der Frage ab, ob der vom
Kläger bei der Beklagten gebuchte, von dieser annullierte Rückflug EK 335 am
12.03.2006 um 23:55 Uhr ab Manila nach Düsseldorf Teil des Fluges war, den der
Kläger am 06.02.2006 in Düsseldorf angetreten hatte.
7. Ein Anspruch nach Art. 7 Abs. 1 lit. c i.V.m. Art. 5 Abs. 1 lit. c der Verordnung
(EG) Nr. 261/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates ergibt sich für den
Kläger nur dann, wenn die Verordnung auf den annullierten Rückflug Anwendung
findet.
8. Nach Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung gilt diese für Fluggäste, die auf
Flughäfen im Gebiet eines Mitgliedstaates, das den Bestimmungen des Vertrages
unterliegt, einen Flug antreten. Entscheidend ist nach dieser Bestimmung nicht, ob
der Fluggast den Flug mit einem Flugzeug eines Luftfahrtunternehmens der
Gemeinschaft oder eines Drittstaates antritt. Es kommt vielmehr darauf an, dass
der Flug auf einem Flughafen im Gebiet eines Mitgliedstaates angetreten wird, das
den Bestimmungen des Vertrages unterliegt.
9. Zur Frage, ob Hinflug und Rückflug jeweils als getrennte Flüge oder als
unselbständige Abschnitte einer einzigen Flugreise zu betrachten sind, liegen nach
Inkrafttreten der Verordnung nur wenige Entscheidungen vor. Von den hierzu
bisher ergangenen Entscheidungen sind, soweit ersichtlich, nur zwei in der
deutschen Fachpresse veröffentlicht worden. Während das Landgericht Frankfurt
am Main entschieden hat, dass ein sich als einheitliche Flugreise darstellender Hin-
und Rücktransport zum und vom Urlaubsort als ein im Gebiet eines Mitgliedsstaats
angetretener Flug anzusehen ist (RRa 2007 S. 38), vertritt das Amtsgericht Berlin
Mitte die Auffassung, dass Hin- und Rückflug nicht als einheitlicher Flug angesehen
werden können (NJW-RR 2006 S. 920, 921). In der deutschen Rechtsliteratur ist
diese Frage von Schmidt („Die Bewährung der neuen Fluggastrechte in der
Praxis“, NJW 2006 S. 1841 ff., 1842; derselbe „Fluggastrechte in der Praxis“ NJW
2007 S. 261 ff.) im Sinne eines einheitlichen Fluges beantwortet worden.
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10. Das Gericht neigt dazu, jedenfalls den gleichzeitig gebuchten Hin- und Rückflug
einer Flugreise als einen Flug im Sinne von Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung
anzusehen. Es hält diese Auslegung vor allem im Licht der Ziele der Verordnung
aus dem Gesichtspunkt des Verbraucherschutzes für naheliegend. Dieser wird in
Ziffer 1 der der Verordnung vorangestellten Erwägungen hervorgehoben. Dort
heißt es u. a.: „Die Maßnahmen der Gemeinschaft im Bereich des Luftverkehrs
sollten … den Erfordernissen des Verbraucherschutzes im allgemeinen in vollem
Umfang Rechnung“ tragen. Dieser Schutzzweck ist vor dem Hintergrund des
Warschauer Abkommens und des Montrealer Übereinkommens zu sehen, die die
Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche als individuelle
Wiedergutmachung regeln, durch die Verordnung Nr. 261/2004 aber ergänzt
worden sind um eine Regelung standardisierter sofortiger Maßnahmen und
Ausgleichszahlungen zwecks Wiedergutmachung von Unannehmlichkeiten, die mit
der Annullierung eines Fluges für alle hiervon betroffenen Fluggäste verbunden
sind (Urt. d. EuGH v. 10.01.2006 in der Rechtssache C-344/04, dort Ziff. 46).
11. Zwar wird weder im Warschauer Abkommen noch im Montrealer
Übereinkommen der Begriff „Flug“ verwendet. Vielmehr wird dort auf
„internationale Beförderung“ abgestellt. In diesem Zusammenhang ist nach
überwiegender Meinung in der deutschen Rechtsliteratur anerkannt, dass bei der
sogenannten „Sukzessivbeförderung“, wenn sie als einheitliche Leistung
vereinbart wurde, wie insbesondere bei gleichzeitiger Buchung von Hin- und
Rückflug, eine internationale Beförderung anzunehmen ist (Münchner
Kommentar/Martiny, BGB, 4. Aufl., Art. 28 EGBGB, Rn. 826;
Reithmann/Martiny/Mankowski, Münchner Kommentar/HGB/Kronke Art. 1 WA 1955
Rn. 44; Soergel/von Hoffmann, BGB, 12. Aufl., Art. 28 EGBGB Rn. 397 für das
Warschauer Abkommen). Danach würde der Schutzbereich der Verordnung (EG)
Nr. 261/2004 hinter dem des Übereinkommens von Montreal zurückbleiben, wenn
der Begriff des Fluges in Art. 3 Abs. 1 lit. a der Verordnung (EG) Nr. 261/2004 nicht
dahin auszulegen ist, dass er bei gleichzeitiger Buchung von Hin- und Rückreise
die Flugreise vom Abflugsort zum Zielort und zurück erfasst.
12. Das Gericht hat Zweifel an der Richtigkeit dieser Auslegung, weil der Begriff
„Flug“ in den einzelnen Bestimmungen der Verordnung im Sinne einer Flugstrecke
von einem Ort zum Zielort verwendet wird. Im Text der Verordnung ist der Begriff
„Flug“ in den Begriffsbestimmungen des Art. 2 nicht aufgeführt. Das Wort „Flug“
wird in der Verordnung häufig verwandt. In keinem Zusammenhang legt die
Verwendung dieses Begriffs in der Verordnung die Annahme nahe, dass unter
„Flug“ etwas anderes als die von einem Flugzeug zurückgelegte Teilstrecke von
einem Ort zum jeweiligen Zielort gemeint sein könnte. Die ergibt sich bereits aus
Art. 2 lit. h. Diese Bestimmung hat folgenden Wortlaut:
„Begriffsbestimmungen
Im Sinne dieser Verordnung bezeichnet der Ausdruck
h) „Endziel“ den Zielort, auf dem am Abfertigungsschalter vorgelegten
Flugschein bzw. bei direkten Anschlussflügen den Zielort des letzten Fluges;
verfügbare alternative Anschlussflüge bleiben unberücksichtigt, wenn die
planmäßige Ankunftszeit eingehalten wird.“
Ist unter „Flug“ die gesamte per Flugzeug vom Abflugsort zum Bestimmungsort
und zurück zurückgelegte Reise zu verstehen, so gibt es nur einen Flug und keinen
„letzten“ Flug zum letzten Zielort.
Hinweis: Die Entscheidung wurde von den Dokumentationsstellen der hessischen Gerichte
ausgewählt und dokumentiert. Darüber hinaus ist eine ergänzende Dokumentation durch
die obersten Bundesgerichte erfolgt.