Urteil des BGH vom 19.07.2007

BGH (stpo, zeuge, kokain, menge, einlassung, aufhebung, begründung, gesamtstrafe, vernehmung, verurteilung)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
3 StR 9/08
vom
6. März 2008
in der Strafsache
gegen
wegen Bandenhandels mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge u. a.
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Der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat nach Anhörung des Beschwerde-
führers und des Generalbundesanwalts - zu 2. auf dessen Antrag - am 6. März
2008 gemäß § 349 Abs. 2 und 4 StPO einstimmig beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Hannover vom 19. Juli 2007
a) in den Fällen II. 3. und 4. der Urteilsgründe
b) im Ausspruch über die Gesamtstrafe
jeweils mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten des Rechtsmit-
tels, an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückver-
wiesen.
2. Die weitergehende Revision wird verworfen.
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen bandenmäßigen unerlaub-
ten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in zwei Fäl-
len und wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht ge-
ringer Menge in zwei Fällen zur Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und
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sechs Monaten verurteilt. Es hat festgestellt, dass der Angeklagte im November
oder Dezember 2003 einmal 100 Gramm und einmal 50 Gramm Kokain durch-
schnittlicher Qualität gewinnbringend an den Zeugen D. veräußerte. Nach
diesen Taten schlossen sich der Angeklagte, der Mitangeklagte Ö. , der
Zeuge S. und der gesondert Verfolgte A. zusammen, um künftig auf un-
bestimmte Zeit in einer Mehrzahl von Fällen größere Mengen Kokain zu erwer-
ben und gewinnbringend zu veräußern. Im Februar 2004 verkauften sie in zwei
Fällen jeweils 500 Gramm Kokain, das ihnen zuvor aus den Niederlanden nach
H. geliefert worden war, mit Gewinn an verschiedene Abnehmer weiter.
Das Landgericht hat sich von der Täterschaft des Angeklagten in den letzten
beiden Fällen im Wesentlichen aufgrund der Aussage des Zeugen S. sowie
der Einlassung des Mitangeklagten Ö. überzeugt.
Die hiergegen gerichtete Revision des Angeklagten hat mit einer - zuläs-
sig erhobenen (§ 344 Abs. 2 Satz 2 StPO) - Verfahrensrüge hinsichtlich der
Verurteilung in den Fällen des Bandenhandels Erfolg. Dies führt auch zur Auf-
hebung der Gesamtstrafe. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sin-
ne des § 349 Abs. 2 StPO.
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Der Angeklagte beanstandet zutreffend, dass das Landgericht einen Be-
weisantrag rechtsfehlerhaft zurückgewiesen hat.
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Der Verteidiger des Angeklagten hat die Vernehmung des Zeugen B.
zum Beweis dafür beantragt, dass die Angaben des Mitangeklagten Ö.
aus einer polizeilichen Vernehmung falsch seien, soweit er sich dahin eingelas-
sen habe, der Angeklagte und der Zeuge hätten in einem Hinterzimmer der
Gaststätte "M. " in H. 200 Gramm Kokain an einen Bo. und
einen C. verkauft; der Zeuge werde bekunden, dass er zu keinem Zeit-
punkt in der betreffenden Gaststätte gewesen sei, um dort Kokain zu verkaufen.
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Diesen Antrag hat das Landgericht mit der Begründung zurückgewiesen,
die behaupteten Tatsachen seien gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO für die Ent-
scheidung aus tatsächlichen Gründen ohne Bedeutung. Wenn der Zeuge die
Beweisbehauptung bestätigen sollte, sei dies zwar ein bei der Würdigung der
Einlassung des Mitangeklagten Ö. zu berücksichtigender Teilaspekt; die-
ser lasse aber keinen zwingenden Rückschluss auf dessen Glaubwürdigkeit zu.
Die Strafkammer wolle einen solchen Schluss auch nicht ziehen. Insofern sei
nämlich auch die Möglichkeit in Rechnung zu stellen, dass der benannte Zeuge
ein Interesse daran haben könnte, eigenes strafrechtlich relevantes Verhalten
zu leugnen. Gegen ihn werde wegen einer dem Beweisthema spiegelbildlichen
Tat ein strafrechtliches Ermittlungsverfahren geführt. Vor diesem Hintergrund
habe das Landgericht nicht einmal die Möglichkeit einer abschließenden Bewer-
tung, ob gegebenenfalls der Zeuge oder der Mitangeklagte Ö. bezüglich
des Beweisthemas die Wahrheit gesagt hätten.
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Mit dieser Begründung durfte der Beweisantrag nicht abgelehnt werden;
sie ist mit § 244 Abs. 3 Satz 2 StPO nicht vereinbar.
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Der Tatrichter darf eine Tatsache nur dann als bedeutungslos ansehen,
wenn zwischen ihr und dem Gegenstand der Urteilsfindung keinerlei Sachzu-
sammenhang besteht oder wenn sie trotz eines solchen Zusammenhangs
selbst im Fall ihres Erwiesenseins die Entscheidung nicht beeinflussen kann,
weil sie nur mögliche, nicht aber zwingende Schlüsse zulässt, und das Gericht
den möglichen Schluss nicht ziehen will. Dies ist vom Tatrichter in freier Be-
weiswürdigung auf der Grundlage des bisherigen Beweisergebnisses zu beur-
teilen. Allerdings darf das Gericht dabei die unter Beweis gestellte Tatsache
nicht in Zweifel ziehen oder Abstriche an ihr vornehmen; es hat diese vielmehr
so, als sei sie voll erwiesen, seiner antizipierenden Würdigung zu Grunde zu
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legen (vgl. BGHR StPO § 244 Abs. 3 Satz 2 Bedeutungslosigkeit 20, 23; Meyer-
Goßner, StPO 50. Aufl. § 244 Rdn. 56; Gollwitzer in Löwe/Rosenberg, StPO 25.
Aufl. § 244 Rdn. 222).
Hieran gemessen sind die Ausführungen des Landgerichts rechtsfehler-
haft; denn es hat zur Begründung dafür, dass der Beweistatsache für die Ent-
scheidung keine Bedeutung zukomme, darauf abgestellt, dass die Glaubwür-
digkeit des benannten Zeugen bzw. die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zweifel-
haft sei. Damit hat es die Wahrheit der Beweistatsache und den Wert des an-
gebotenen Beweismittels in Frage gestellt.
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Auf diesem Rechtsfehler beruht das Urteil, soweit der Angeklagte wegen
bandenmäßigen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht ge-
ringer Menge in zwei Fällen verurteilt worden ist. Der Senat vermag nicht aus-
zuschließen, dass das Landgericht, hätte sich die Beweisbehauptung bestätigt,
die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Mitangeklagten Ö. anders als ge-
schehen beurteilt hätte und nicht zu der Überzeugung gelangt wäre, dass der
Angeklagte diese beiden Taten begangen hat.
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Der Wegfall der Verurteilung in den beiden Fällen des Bandenhandels
führt zur Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe.
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Becker Pfister von Lienen
Hubert Schäfer