Urteil des BGH vom 10.05.2006

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XII ZB 267/04
vom
10. Mai 2006
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
ZPO § 233 Fd
Wird ein fristgebundener Schriftsatz per Telefax übermittelt, muss sich die im
Rahmen der Ausgangskontrolle gebotene Überprüfung des Sendeberichts auch
darauf erstrecken, ob die zutreffende Faxnummer des Empfangsgerichts ange-
wählt wurde (st. Rspr., vgl. BGH Beschluss vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 -
FamRZ 2004, 1275 f. m.N.).
Ergab sich die Faxnummer des Gerichts nicht aus in der Handakte befindlichen
Schreiben dieses Gerichts und hatte der Rechtsanwalt es zulässigerweise einer
ausreichend ausgebildeten und zuverlässigen Kanzleiangestellten überlassen,
die Faxnummer des Gerichts (hier: anhand einer Internet-Telefonbuchseite der
Telekom) zu ermitteln und in den Schriftsatz einzufügen, darf sich die Kontrolle
des Sendeberichts nicht darauf beschränken, die darin ausgedruckte Faxnum-
mer mit der zuvor in den Schriftsatz eingefügten Faxnummer zu vergleichen.
Der Abgleich hat vielmehr anhand des zuvor verwendeten oder eines anderen,
ebenso zuverlässigen Verzeichnisses zu erfolgen, um nicht nur Fehler bei der
Eingabe, sondern auch schon bei der Ermittlung der Faxnummer oder ihrer
Übertragung in den Schriftsatz aufdecken zu können (Fortführung von Senats-
beschluss vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ 2005, 1534 f.).
BGH, Beschluss vom 10. Mai 2006 - XII ZB 267/04 - OLG Karlsruhe
LG
Konstanz
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Der XII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 10. Mai 2006 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Hahne, die Richter Sprick, Fuchs, Dr. Ahlt und die
Richterin Dr. Vézina
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluss des Oberlandesge-
richts Karlsruhe - 19. Zivilsenat in Freiburg - vom 16. Dezember
2004 wird auf Kosten der Klägerin verworfen.
Beschwerdewert: 93.982 €
Gründe:
I.
Am 30. September 2004 legte die Klägerin durch ihre zunächst beauf-
tragten zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten Berufung gegen das ihr am
31. August 2004 zugestellte Urteil des Landgerichts ein, mit dem ihre Klage auf
Feststellung des Fortbestehens eines Mietvertrages abgewiesen worden war.
Auf ihren am 29. Oktober 2004 beim Oberlandesgericht eingegangenen Antrag
wurde die Frist zur Begründung der Berufung bis zum 30. November 2004 ver-
längert.
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Mit Schriftsatz vom 30. November 2004 zeigten die jetzigen zweitinstanz-
lichen Prozessbevollmächtigten der Klägerin an, diese nunmehr zu vertreten,
und begründeten die Berufung. Dieser Schriftsatz ging am selben Tag per Fax
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beim Landgericht Freiburg und nach Weiterleitung am Mittwoch, dem
1. Dezember 2004, bei den Freiburger Zivilsenaten des Oberlandesgerichts ein.
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Auf gerichtlichen Hinweis vom 1. Dezember 2004 beantragte die Kläge-
rin, ihr gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist Wiedereinset-
zung in den vorigen Stand zu gewähren. Eine Angestellte der Kanzlei ihres
zweitinstanzlichen Prozessbevollmächtigten W. habe im Anschluss an die ihr
erteilte Weisung, die Faxnummer der Zivilsenate in Freiburg des Oberlandesge-
richts Karlsruhe zu ermitteln und in den Schriftsatz einzufügen, versehentlich
die Faxnummer des Landgerichts eingesetzt und den Schriftsatz dorthin über-
mittelt, wie sich aus den anwaltlich versicherten Angaben des Rechtsanwalts
W. im Wiedereinsetzungsgesuch und der ihm beigefügten eidesstattlichen Ver-
sicherung der Angestellten L. ergebe. Die Verwechslung beruhe darauf, dass
sie eine Internet-Seite der Telekom aufgerufen und dabei versehentlich die eine
Zeile über dem Oberlandesgericht aufgeführte Nummer des Landgerichts abge-
lesen habe.
Das Oberlandesgericht wies das Wiedereinsetzungsgesuch der Klägerin
durch Beschluss zurück und verwarf die Berufung zugleich als unzulässig. Ge-
gen diesen Beschluss richtet sich die Rechtsbeschwerde der Klägerin.
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II.
1. Die nach §§ 574 Abs. 1 Nr. 1, 522 Abs. 1 Satz 4, 238 Abs. 2 ZPO
statthafte Rechtsbeschwerde der Klägerin ist nicht zulässig, weil die Vorausset-
zungen des § 574 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.
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2. Das Berufungsgericht hat das Wiedereinsetzungsgesuch zurückge-
wiesen und infolge dessen die Berufung verworfen, weil die Versäumung der
Berufungsbegründungsfrist auf einem der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzu-
rechnenden Organisationsverschulden ihres Prozessbevollmächtigten beruhe.
Dieser dürfe die Telefax-Übermittlung eines fristwahrenden Schriftsatzes zwar
im Rahmen einer die nötige Sicherheit gewährleistenden Büroorganisation einer
ausreichend ausgebildeten, zuverlässigen und - wenn nötig - hinreichend über-
wachten Anwaltsgehilfin überlassen und brauche die von ihr ermittelte Fax-
nummer auch dann, wenn sie vor der Unterzeichnung des Schriftsatzes in die-
sen eingefügt wurde, nicht selbst auf ihre Richtigkeit zu überprüfen. Die Kläge-
rin habe jedoch nicht vorgetragen, geschweige denn glaubhaft gemacht, dass in
der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten eine allgemeine Büroanweisung zur
Ausgangskontrolle von per Fax zu übermittelnden fristwahrenden Schriftsätzen
bestehe, die auch - wie erforderlich - gewährleiste, dass die Übermittlung an die
richtige Faxnummer des Empfängers erfolgt sei.
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Dies lässt Rechtsfehler nicht erkennen und entspricht auch im zuletzt
genannten Punkt der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes,
derzufolge ein Anwalt grundsätzlich verpflichtet ist, für eine Büroorganisation zu
sorgen, die eine Überprüfung der durch Telefax übermittelten fristgebundenen
Schriftsätze auch auf die Verwendung der zutreffenden Empfängernummer hin
gewährleistet, und zwar dergestalt, dass bei der erforderlichen Ausgangskon-
trolle in der Regel ein Sendebericht ausgedruckt und entsprechend - d.h. auch
auf die Richtigkeit der verwendeten Empfängernummer - überprüft werden
muss (BGH, Beschluss vom 18. Mai 2004 - VI ZB 12/03 - FamRZ 2004, 1275 f.
m.N.).
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a) Hier hat die Klägerin zwar glaubhaft gemacht, dass die Büroangestell-
te L. nach der Übermittlung der Berufungsbegründung einen Sendebericht aus-
gedruckt und Rechtsanwalt W. vorgelegt hat, der ihn kontrollierte.
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Dem ist aber bereits nicht zu entnehmen, dass Rechtsanwalt W. auch
überprüft hat, ob es sich bei der aus dem Sendebericht ersichtlichen Faxnum-
mer um diejenige des Oberlandesgerichts handelte. Nach seiner eigenen Dar-
stellung hat er sich (nur) den Sendebericht vorlegen lassen und sich von der
"störungsfreien Übermittlung" überzeugt. Dies lässt es möglich erscheinen,
dass er sich nur vergewissert hat, ob der Sendebericht den Vermerk "OK" auf-
wies. Nach Darstellung der Büroangestellten L. wurde ihm das Sendeprotokoll
hingegen zusammen mit der Berufungsbegründungsschrift vorgelegt, und seine
Kontrolle bezog sich auf deren "vollständigen Versand", so dass angesichts
dieser detaillierteren Darstellung davon ausgegangen werden kann, dass
Rechtsanwalt W. auch die Seitenzahl überprüft hat. War dies der Fall, mag
auch die Vermutung nahe liegen, dass Rechtsanwalt W. zugleich auch die Fax-
nummer des Sendeberichts mit der auf dem Schriftsatz angegebenen Fax-
nummer verglichen hat.
Auch die Rechtsbeschwerde lässt dies dahinstehen und weist - insoweit
zutreffend - darauf hin, dass ein etwaiges Unterlassen der vorstehend genann-
ten Überprüfung für die Versäumung der Frist jedenfalls nicht ursächlich gewe-
sen wäre, weil die Faxnummern auf dem Sendebericht und dem Schriftsatz tat-
sächlich übereinstimmten und ein Vergleich nicht zur Aufdeckung des Fehlers
hätte führen können.
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Mit dieser Begründung lässt sich ein der Klägerin nach § 85 Abs. 2 ZPO
zuzurechnendes Anwaltsverschulden aber nicht ausräumen:
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b) Ob in der Kanzlei der Prozessbevollmächtigten der Klägerin überhaupt
allgemeine Büroanweisungen zur Ausgangskontrolle existierten, ist dem Wie-
dereinsetzungsgesuch nicht zu entnehmen. Hatte er selbst es übernommen,
das Sendeprotokoll im Rahmen der Ausgangskontrolle zu prüfen, durfte er sich
dabei nicht auf den Vergleich der Faxnummern im Sendebericht und im Schrift-
satz beschränken. Denn die Ausgangskontrolle muss sich auch darauf erstre-
cken, dass die Übermittlung an den richtigen Empfänger erfolgt ist (Senatsbe-
schluss vom 20. Juli 2005 - XII ZB 68/05 - FamRZ 2005, 1534 f.). Der Vergleich
dieser beiden Faxnummern ist aber nur geeignet, einen Fehler bei der Eingabe
der Nummer in das Faxgerät aufzudecken, nicht aber sicherzustellen, dass die
im Schriftsatz angegebene Faxnummer zutreffend ermittelt wurde. Insoweit
kommt es - entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde - auch nicht dar-
auf an, wie hoch die Verwechslungsgefahr bei dem zur Ermittlung herangezo-
genen Verzeichnis war, und welche Vorkehrungen gegebenenfalls zu treffen
sind, wenn die Ermittlung der Empfängernummer dem Büropersonal überlassen
wird.
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Denn die Ausgangskontrolle setzt, wie bereits dem Begriff Kontrolle zu
entnehmen ist, eine nochmalige, selbständige Prüfung voraus (vgl. auch BGH,
Beschluss vom 11. März 2004 - IX ZR 20/03 - BGHReport 2004, 978 f.). Die
bloße, auf Nachfrage des Anwalts abgegebene Versicherung der Angestellten,
die zutreffende Empfängernummer ermittelt und in den Schriftsatz eingesetzt zu
haben, vermag die anschließende Überprüfung dieses Vorgangs nicht zu erset-
zen. Hierzu hätte es zumindest der weiteren Versicherung der Angestellten be-
durft, die von ihr in den Schriftsatz eingesetzte Faxnummer anschließend noch
einmal mit dem verwendeten Verzeichnis abgeglichen zu haben.
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Aber selbst wenn der Auffassung der Rechtsbeschwerde zu folgen wäre,
dass eine nochmalige Überprüfung anhand des zur "Erstermittlung" benutzten
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Verzeichnisses nur dann unabdingbar sei, wenn das Risiko eines Versehens
bei der Ermittlung besonders hoch ist, ergäbe sich hier nichts anderes. In sei-
nem Beschluss vom 22. Juni 2004 (- VI ZB 14/04 - NJW 2004, 3491 f.), auf den
sich die Rechtsbeschwerde insoweit beruft, hat der Bundesgerichtshof als Bei-
spiel für ein besonders hohes Verwechslungsrisiko den Fall genannt, dass die
Empfängernummer im Einzelfall aus elektronischen Dateien herausgesucht
wird und an einem und demselben Ort mehrere Empfänger in Betracht kom-
men. Das war auch hier der Fall (Internetseite der Deutschen Telekom mit der
Auflistung der Justizbehörden in Freiburg; darunter Amts-, Land- und Oberlan-
desgericht).
Im Übrigen betraf diese Entscheidung einen Fall, in dem die abgelesene
Faxnummer offenbar unmittelbar handschriftlich in einen bereits ausgedruckten
Schriftsatz eingefügt wurde. Im vorliegenden Fall hat die Büroangestellte L. die
am Bildschirm (falsch) abgelesene Faxnummer hingegen zunächst "notiert",
d.h. handschriftlich festgehalten und sodann in den am Computer vorgefertigten
Schriftsatz eingesetzt. Das mit dieser zweifachen Übertragung verbundene hö-
here Risiko eines Übertragungsfehlers hat sich im vorliegenden Fall zwar nicht
verwirklicht, gehört aber ebenfalls zu den Umständen, die nach der zitierten
Entscheidung Anlass zur nochmaligen Überprüfung geben.
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c) Bestand hingegen eine allgemeine Anweisung, durch die die Aus-
gangskontrolle einer geschulten Fachkraft übertragen war, lässt das Wiederein-
setzungsgesuch sowohl eine Darstellung dieser Anweisung als auch Angaben
dazu vermissen, wer für die Streichung der Frist im Fristenkalender zuständig
war. Zudem hat Rechtsanwalt W. dadurch, dass er selbst den Sendebericht
kontrollierte, in die Büroorganisation eingegriffen und - mangels einer klaren
Anweisung auch für diesen Fall - eine Situation geschaffen, in der für seine An-
gestellten ungewiss war, ob sie damit ihrer gegebenenfalls bestehenden eige-
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nen Prüfungspflichten im vorliegenden Einzelfall enthoben waren oder nicht.
Auch darin ist ein Organisationsverschulden zu sehen, da nicht vorgetragen ist,
dass für einen solchen Fall eindeutige Anweisungen bestanden. Es ist nicht
auszuschließen, dass die Angestellte L. oder gegebenenfalls eine andere, mit
der Führung des Fristenbuchs betraute Angestellte den erforderlichen nochma-
ligen Abgleich des Sendeberichts mit dem bei der Erstermittlung der Faxnum-
mer verwendeten Verzeichnis oder einem anderen Verzeichnis vorgenommen
hätten, wenn Rechtsanwalt W. nicht den Eindruck vermittelt hätte, diese Aus-
gangskontrolle selbst zu übernehmen.
Hahne
Sprick
Fuchs
Ahlt
Vézina
Vorinstanzen:
LG Konstanz, Entscheidung vom 26.08.2004 - 2 O 230/04 -
OLG Karlsruhe in Freiburg, Entscheidung vom 16.12.2004 - 19 U 184/04 -