Urteil des BGH vom 17.11.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
V ZR 74/05
vom
17. November 2005
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
TreuhG § 11 Abs. 2; EGBGB Art. 233 § 2a Abs. 9
VerkFlBerG §§ 3, 9 Abs. 1
Hat eine Kapitalgesellschaft nach § 11 Abs. 2 TreuhG am 1. Juli 1990 das Ei-
gentum an einem Grundstück erlangt, ist damit die Eigentumslage endgültig
geklärt; für eine spätere Bereinigung der Rechtsverhältnisse nach §
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VerkFlBerG und somit für einen Anspruch des Grundstückseigentümers gegen
den öffentlichen Nutzer auf Zahlung des Moratoriumszinses (Art. 233 § 2a
Abs. 9 EGBGB) bzw. des vorläufigen Nutzungsentgelts (§ 9 Abs. 1 VerkFlBerG)
ist kein Raum.
BGH, Beschl. v. 17. November 2005 - V ZR 74/05 - OLG Jena
LG Mühlhausen
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 17. November 2005 durch
den Vorsitzenden Richter Prof.
Dr.
Krüger, die Richter Dr. Lemke und
Dr. Schmidt-Räntsch, die Richterin Dr. Stresemann und den Richter Dr. Czub
beschlossen:
Die Beschwerden gegen die Nichtzulassung der Revision in dem
Urteil des 5. Zivilsenats des Thüringer Oberlandesgerichts in Jena
vom 15. März 2005 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin
33 % und der Beklagte 67 %. Die durch die Nebenintervention
verursachten Kosten trägt die Klägerin zu 33 % und der Streithel-
fer des Beklagten zu 67 %.
Der Gegenstandswert des Beschwerdeverfahrens beträgt
442.538,04 €.
Gründe:
I.
Die Klägerin verlangt von dem Beklagten Nutzungsersatz und Ersatz
nicht gezogener Nutzungen hinsichtlich eines Grundstücks in
M. /Thüringen. Es war Volkseigentum; Rechtsträger war die Stadt
M. . Von 1977 bis 1979 errichtete der V. M.
auf dem Grundstück ein Gebäude, welches ab 1978 von der
I. genutzt wurde. 1984 ging die Rechtsträgerschaft an
dem Grundstück auf den V. über. Zum 1. Juli 1990 erlangte die Klägerin
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das Grundstückseigentum nach §
11 Abs.
2 TreuhG; sie wurde am
1. Oktober 1992 in das Grundbuch eingetragen.
Die Nutzung des Grundstücks durch die nach dem 3. Oktober 1990
von dem Streithelfer des Beklagten weitergeführte I. endete
Ende 1992. Vom 1. Januar 1993 bis zum 31. Januar 1995 nutze der Beklag-
te das Grundstück unentgeltlich als medizinische Fachschule.
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Am 2. November/10. Dezember 1992 schlossen die Parteien eine
Vereinbarung über die Wärme- und Wasserversorgung des Gebäudes ab
dem 1. Januar 1993.
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Am 14./21. Januar 1993 regelten der Streithelfer des Beklagten, die
I. und der Rechtsvorgänger des Beklagten in einer Verein-
barung die weitere Nutzung des Grundstücks durch den Rechtsvorgänger
des Beklagten. Die Beteiligten gingen davon aus, dass der Streithelfer Ei-
gentümer des Grundstücks war.
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Das Landgericht hat der auf die Verurteilung des Beklagten zur Zah-
lung von 601.700,19 € nebst Zinsen gerichteten Klage in Höhe von
508.918,76 € (Nutzungsersatz vom 1. Januar 1993 bis 6. März 1996) nebst
Zinsen stattgegeben. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberlandes-
gericht die Verurteilung auf 294.919,51 € nebst Zinsen reduziert.
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Gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil haben
beide Parteien Beschwerde eingelegt.
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II.
Nach Auffassung des Berufungsgerichts kann die Klägerin von dem
Beklagten nach § 988 BGB den Ersatz der vom 1. Januar 1993 bis zum
31. Januar 1995 gezogenen Nutzungen verlangen. Die Klägerin sei seit dem
1. Juli 1990 Eigentümerin des Grundstücks, der Beklagte seit dem 1. Januar
1993 unentgeltlicher Besitzer. Er habe kein Recht zum Besitz gehabt. Eine
vertragliche Regelung über die Nutzung des Grundstücks existiere nicht. Ein
Besitzrecht nach Art. 233 § 2 a Abs. 9 EGBGB habe der Beklagte nicht ge-
habt, weil er das Grundstück erst seit dem 1. Januar 1993 genutzt habe und
er sich auf die vorhergehende Nutzung durch seinen Streithelfer nicht beru-
fen könne. Zwar folge das nicht aus dem Umstand, dass zwei verschiedene
öffentlich-rechtliche Körperschaften als Schulträger aufgetreten seien; aber
der Streithelfer habe seine Nutzung aufgegeben, und der Beklagte habe ei-
ne neue Schule eröffnet. Investitionen oder Dispositionen, die ein schutz-
würdiges Vertrauen auf den Fortbestand der Grundstücksnutzung schaffen
könnten, habe der Beklagte nicht getroffen. Ab dem 1. Februar 1995 schulde
der Beklagte keinen Nutzungsersatz, weil er nicht bösgläubig im Sinne von
§ 990 Abs. 1 BGB gewesen sei. Er habe sich aufgrund der Vereinbarung mit
seinem Streithelfer vom 14./21. Januar 1993 für zum Besitz berechtigt gehal-
ten; später habe er sein vermeintliches Besitzrecht von dem erwarteten posi-
tiven Ausgang des erst 1998 zu seinen Ungunsten ausgegangenen Vermö-
genszuordnungsverfahrens abgeleitet.
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III.
Die Nichtzulassungsbeschwerden sind zulässig, bleiben in der Sache
jedoch ohne Erfolg, weil keine Zulassungsgründe vorliegen.
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1. Entgegen der Auffassung der Klägerin stellen sich hinsichtlich des
von dem Berufungsgericht verneinten Anspruchs auf Nutzungsersatz für die
Zeit ab dem 1. Februar 1995 keine entscheidungserheblichen Fragen von
grundsätzlicher Bedeutung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO); insoweit ist
auch keine Entscheidung des Revisionsgerichts zur Fortbildung des Rechts
(§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 1 ZPO) oder zur Sicherung einer ein-
heitlichen Rechtsprechung (§ 543 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alternative 2 ZPO)
erforderlich. Das Berufungsgericht ist nämlich nicht davon ausgegangen,
dass der Beklagte bei der Erlangung des Besitzes am 1. Januar 1993 bös-
gläubig im Sinne von § 990 Abs. 1 BGB gewesen und erst später gutgläubig
geworden sei. Vielmehr ist der angefochtenen Entscheidung zu entnehmen,
dass das Berufungsgericht den Beklagten von dem Zeitpunkt seiner Besitz-
erlangung an für gutgläubig hinsichtlich seines Besitzrechts gehalten hat.
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2. Auch unter dem von der Klägerin hervorgehobenen Gesichtspunkt,
ob der Tatrichter im Einzelfall zu prüfen habe, worüber sich der Besitzer ge-
irrt habe und ob der konkrete Irrtum grob gewesen sei, ist keine Entschei-
dung des Revisionsgerichts zur Rechtsfortbildung oder zur Sicherung einer
einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Das Berufungsgericht hat nicht,
wie die Klägerin meint, nur auf die schwierige Rechtslage im Allgemeinen
abgestellt; es ist auch hinreichend konkret auf die hier zu beurteilende Situa-
tion eingegangen.
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3. Der Beklagte macht erfolglos geltend, dass die grundsätzliche Fra-
ge zu klären sei, ob der Moratoriumstatbestand des Art. 233 § 2a Abs. 9
EGBGB voraussetze, dass die öffentliche Körperschaft, die ein Grundstück
zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben nutze, es selber bereits am
3. Oktober 1990 in gleicher Weise genutzt habe. Diese Frage stellt sich hier
nicht, weil der vorliegende Sachverhalt nicht von Art. 233 § 2a Abs. 9
EGBGB erfasst wird.
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a) Bei dieser Vorschrift handelt es sich um ein besonderes, mit einem
Endzeitpunkt versehenes Moratorium, mit dem eine in der DDR begründete
öffentliche Nutzung fremder Privatgrundstücke bis zur endgültigen Bereini-
gung der Rechtsverhältnisse aufrechterhalten wird (BVerfG WM 2001, 778,
779); die Regelung knüpft an die Fälle des "rückständigen Grunderwerbs"
an, die dadurch gekennzeichnet sind, dass in der DDR Grundstücke ohne
förmliche Enteignung oder Überführung in Volkseigentum für öffentliche
Zwecke benutzt wurden (Senat, Urt. v. 18. Januar 2002, V ZR 104/01, WM
2002, 768, 771).
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b) Hier liegen die Dinge jedoch anders. Das Grundstück war seit 1952
Volkseigentum; damit scheidet ein Fall des rückständigen Grunderwerbs
aus. Die Klägerin wurde am 1. Juli 1990 Grundstückseigentümerin; damit
fehlte es in dem hier maßgeblichen Zeitraum an einer Bereinigungslage. Die
Vermögenszuordnung nach § 11 Abs. 2 TreuhG hat Vorrang vor jeder ande-
ren Bereinigung; sie ist abschließend. Das hat der Senat bereits für den An-
wendungsbereich des Sachenrechtsbereinigungsgesetzes entschieden (Urt.
v. 19. September 2003, V ZR 383/02, WM 2004, 677, 678). Für die Bereini-
gung der Rechtsverhältnisse nach dem Verkehrsflächenbereinigungsgesetz,
das das Moratorium nach Art. 233 § 2a Abs. 9 EGBGB verlängert hat, ohne
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seinen Zweck zu verändern (Senat, Urt. v. 18. Januar 2002, V ZR 104/01,
WM 2002, 768, 771), gilt nichts anderes. Wollte man Art. 233 § 2a Abs. 9
EGBGB auch in diesem Fall anwenden, beseitigte man damit die mit der
endgültigen Zuordnung verbundenen Rechtsfolgen.
c) Die entsprechende Anwendung der Norm kommt nicht in Betracht,
weil die Klägerin und ihre Rechtsvorgängerin in der DDR kein Eigentum ver-
loren haben (vgl. Senat, Urt. v. 18. Januar 2002, V ZR 104/01, WM 2002,
768, 772).
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d) Daraus folgt, dass die Eigentumslage hinsichtlich des Grundstücks
mit der erfolgten Zuordnung endgültig geklärt war. Da dem Beklagten das
Gebäude nicht zugeordnet wurde, liegt ein Eigentümer-Besitzer-Verhältnis
nach §§ 987 ff. BGB vor; der Beklagte schuldet Nutzungsentgelt nach § 988
BGB (vgl. Senat, Urt. v. 26. November 2004, V ZR 90/04, NJW-RR 2005,
743, 745).
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4. Der Beklagte macht auch erfolglos den Zulassungsgrund der Si-
cherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Hinblick auf die Verteilung
der Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich des Umfangs der Grundstücks-
nutzung geltend. Das Berufungsgericht hat keine generellen Ausführungen
zur Verteilung der Darlegungs- und Beweislast bei einem Anspruch auf
Nutzungsherausgabe gemacht, die verallgemeinerungsfähig wären, sondern
die Umstände des konkreten Falles zugrunde gelegt. Der Beklagte legt auch
keine Umstände dar, aus denen sich - eine fehlerhafte Beurteilung durch das
Berufungsgericht unterstellt - Anhaltspunkte für eine konkrete Wiederho-
lungsgefahr ergeben könnten.
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IV.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 97 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO.
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Krüger Lemke Schmidt-Räntsch
Stresemann Czub
Vorinstanzen:
LG Mühlhausen, Entscheidung vom 21.10.2003 - 6 O 501/99 -
OLG Jena, Entscheidung vom 15.03.2005 - 5 U 1099/03 -