Urteil des BGH vom 13.07.2006

BGH (stpo, befangenheit, prüfung, abgrenzung zu, begründung, sache, ablehnung, gesellschaft, untreue, beihilfe)

5 StR 154/06
BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
vom 13. Juli 2006
in der Strafsache
gegen
1.
2.
3.
wegen Untreue u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 13. Juli 2006
beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten R. W. wird
das Urteil des Landgerichts Lübeck vom 14. Novem-
ber 2005 nach § 349 Abs. 4 StPO mit den Feststellungen
aufgehoben, soweit es diesen Angeklagten betrifft.
2. Die Revisionen der Angeklagten K. W. und
L. gegen das genannte Urteil werden
nach § 349 Abs. 2 StPO als unbegründet verworfen. Die-
se Angeklagten tragen die Kosten ihrer Rechtsmittel.
3. Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zu neuer Ver-
handlung und Entscheidung, auch über die Kosten des
Rechtsmittels des Angeklagten R. W. , an ei-
ne andere Wirtschaftsstrafkammer des Landgerichts zu-
rückverwiesen.
G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten R. W. wegen
Untreue in vier Fällen, davon in einem Fall in Tateinheit mit vorsätzlich unter-
lassener Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens, und wegen
Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt.
Die Angeklagte K. W. hat es wegen Beihilfe zur Untreue in Tat-
einheit mit Beihilfe zur vorsätzlich unterlassenen Beantragung der Eröffnung
des Insolvenzverfahrens zu einer Freiheitsstrafe von zehn Monaten, den An-
geklagten L. wegen Beihilfe zur Untreue in zwei Fällen,
davon in einem Fall in Tateinheit mit Begünstigung und mit Beihilfe zur vor-
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sätzlich unterlassenen Beantragung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens
zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und zehn Monaten verurteilt;
die Vollstreckung der beiden letztgenannten Strafen hat das Landgericht zur
Bewährung ausgesetzt.
1. Die mit Verfahrens- und Sachrügen begründeten Revisionen
der Angeklagten K. W. und L. sind aus den
von der Bundesanwaltschaft in ihrer Antragsschrift benannten Gründen un-
begründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO. Dies gilt auch unter Berücksich-
tigung der ergänzenden Ausführungen dieser Angeklagten im Anschluss an
den Antrag der Bundesanwaltschaft. Insbesondere lässt die – revisionsrecht-
lich nur eingeschränkt überprüfbare – Beweiswürdigung des Landgerichts
Rechtsfehler nicht erkennen, weil die von der Kammer gezogenen Schlüsse
angesichts des Gesamtzusammenhangs der Feststellungen jedenfalls mög-
lich sind. Auch die vornehmlich dem Tatrichter obliegende Strafzumessung
hält revisionsgerichtlicher Überprüfung stand. Das vom Angeklagten
L. gerügte Absehen von weiterer Strafmilderung nach bereits erfolgter
Strafrahmenverschiebung erfolgte ersichtlich in Berücksichtigung der hierzu
einschlägigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (vgl. Trönd-
le/Fischer, StGB 53. Aufl. § 266 Rdn. 80 m.w.N.). Angesichts des komplexen
Sachverhalts war der seit Eröffnung des Tatvorwurfs verstrichene Zeitraum
nicht so erheblich, dass eine Strafmilderung wegen rechtsstaatswidriger Ver-
fahrensverzögerung hätte erfolgen müssen.
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2. Die Revision des Angeklagten R. W. hat mit ei-
ner Verfahrensrüge Erfolg.
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a) Dies geht auf folgendes Verfahrensgeschehen zurück:
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Der Verurteilung des Angeklagten R. W. liegt im
Kern der Vorwurf zugrunde, er habe sich als geschäftsführender Alleingesell-
schafter der M -P. - gesell-
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schaft (nachfolgend: M. -P. ) spätestens im Januar 2001 dazu
entschlossen, die Geschäftstätigkeit der Gesellschaft einzustellen, in Aus-
höhlungsabsicht ein Gesellschafterdarlehen in Höhe von 2 Mio. DM entge-
gen einem Rangrücktritt zurückzuführen sowie der Gesellschaft rechtswidrig
weitere liquide Mittel zu entziehen. In Ausführung dieses Plans entzog der
Angeklagte nach den Feststellungen des Landgerichts durch Auszahlung
erheblicher Bankguthaben der Gesellschaft das Stammkapital und führte ihre
Zahlungsunfähigkeit herbei, so dass Fremdgläubiger mit Forderungen von
insgesamt rund 3,2 Mio. DM ausfielen; zudem verkaufte er später auf eigene
Rechnung Waren der Gesellschaft und vereinnahmte die Erlöse. Der Ange-
klagte verteidigte sich u. a. damit, dass er zu den Auszahlungen an sich be-
rechtigt gewesen sei, weil er bezüglich seines Gesellschafterdarlehens nie
einen Rangrücktritt erklärt habe und einen das Darlehen übersteigenden Be-
trag von 100.000 DM als vorweggenommene Gewinnausschüttung habe
vereinnahmen dürfen.
Die Verteidigung des Angeklagten stellte in der Hauptverhand-
lung mehrere Beweisanträge, in denen jeweils behauptet wurde, dass En-
de 2000/Anfang 2001 fällige Zahlungsforderungen (u. a. aus Retourendiffe-
renzen) gegen andere bestanden hätten. Mit zwei Beschlüssen vom 26. Sep-
tember 2005 lehnte die Kammer die Beweisanträge – überwiegend wegen
tatsächlicher Bedeutungslosigkeit – ab. Im Rahmen der Begründung heißt es
u. a.:
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„Wie die angebliche Retourendifferenzforderung in der Han-
dels- oder gar in der Steuerbilanz zu behandeln und zu bewerten ist, interes-
siert für die Untreuevorwürfe aus Fall 15 der Anklage im Hinblick auf die
Auszahlung der 1.350.000 DM entgegen dem Rangrücktritt und aus den Fäl-
len 16 und 17 der Anklage sowie für den Insolvenzverschleppungsvorwurf
nicht… Es bleibt dabei, dass der Angeklagte W. auch die weiteren
100.000 DM aus der M. -P. ohne Rechtsgrund und nicht etwa als Bi-
lanzgewinnvorschuss entnommen hat… Selbst wenn die Zeugen Sch
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und K diese in ihr Wissen gestellten Behauptungen bestätigen würden,
ändert dies nichts daran, dass der Angeklagte W. die Verkaufserlöse im
Zeitraum Juli bis September 2001 ohne Rechtsgrund privat vereinnahmt hat
und damit die M. -P. schädigte. Auch für den Untreuevorwurf im Fall 15
sind diese Behauptungen ohne Belang. Selbst wenn sich der Angeklagte W.
nicht bereits im Februar 2001, sondern erst im Juli 2001 dazu entschied, die
in den Rechnungen vom 14.02.2001 und 21.02.2001 enthaltenen DVDs und
Videos auf eigene Rechnung zu verkaufen, ändert dies im Rahmen der Ge-
samtschau aller maßgeblichen Indizien nichts an dem Schluss der Kammer,
dass sich der Angeklagte W. deutlich vor dem 22.01.2001 dazu ent-
schied, den Betrieb der M. -P. einzustellen und die M. -P. zu liqui-
dieren und nach seiner Gesamtstrategie die M. -P. beginnend mit den
ersten Auszahlungen ab dem 22.01.2001 auszuhöhlen… Daneben kommt
dem glaubhaft gestandenen Abverkauf von 2.770 DVDs und Videos unter
der Firma der V am 14.02.2001 an das Pressezentrum Lübeck entschei-
dende Bedeutung zu, mithin zwei Tage, bevor sich der Angeklagte W.
nach seiner nicht glaubhaften Einlassung einen Bilanzgewinnvorschuss von
100.000 DM errechnet haben will und über seine damalige Lebensgefährtin
War. und seinen ‚Abwickler’ L. ohne Rechtsgrund weitere
450.000 DM aus der M. -P. entnommen hat.“
Am nächsten Tag lehnte der Angeklagte W. die an den
Beschlüssen beteiligten Berufsrichter wegen der Besorgnis der Befangenheit
ab. Zur Begründung des Ablehnungsantrags stellte er wesentlich darauf ab,
dass er die Besorgnis der Befangenheit nicht in der seines Erachtens rechts-
fehlerhaften Behandlung der Beweisanträge sehe, sondern dass die Argu-
mentation und Wortwahl der Beschlussbegründung aus seiner Sicht eine
endgültige Festlegung der Richter zu seinen Lasten nahe lege. Zum Beleg
führte der Ablehnungsantrag Teile der oben zitierten Beschlussbegründung
an.
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Diesen Ablehnungsantrag beschied die Kammer unter Mitwir-
kung der abgelehnten Richter einstimmig als unzulässig gemäß § 26a Abs. 1
Nr. 2 StPO. Die angegebene Begründung sei – auch unter Berücksichtigung
der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 2. Juni 2005 (2 BvR
625 und 638/01) – aus zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung
eines Ablehnungsgesuchs völlig ungeeignet, was dem Fehlen einer Begrün-
dung im Sinne von § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO gleichstehe. Denn vermeintlich
oder tatsächlich rechtsfehlerhafte Entscheidungen in der Hauptverhandlung
könnten für sich genommen die Besorgnis der Befangenheit nicht begrün-
den, wenn nicht Umstände hinzuträten, die nach den konkreten Umständen
des Einzelfalls die Besorgnis der Befangenheit zu begründen vermochten.
Der Befangenheitsantrag enthalte nur eine „Formalbegündung“. Das Ableh-
nungsgesuch werde allein aus der Begründung von Beschlüssen hergeleitet,
mit denen Beweisanträge zurückgewiesen worden seien, und aus dem Ab-
lehnungsantrag ergebe sich nicht der behauptete „eklatante“ Verstoß gegen
strafprozessuale Regeln. Die Begründungen der Beschlüsse, die sich – wie
strafprozessual geboten – eingehend nach zehn Verhandlungstagen mit der
Sach- und Rechtslage mit der nötigen Klarheit auseinandersetzten, ließen
bei einem besonnenen Angeklagten nicht die Besorgnis der Befangenheit
aufkommen. Gerügte Formulierungen seien in ähnlichen Passagen aus ei-
nem früheren Beschluss der Kammer unbeanstandet geblieben.
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b) Der absolute Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO liegt vor.
Die Rüge ist – wie die Bundesanwaltschaft in ihrem Terminsantrag näher
ausgeführt hat – zulässig erhoben. Sie ist auch begründet. Bei dem angegrif-
fenen Urteil haben Richter mitgewirkt, nachdem ein gegen sie gerichtetes
Ablehnungsgesuch mit Unrecht verworfen wurde. Wie die Bundesanwalt-
schaft zutreffend ausgeführt hat, durfte die Strafkammer vorliegend nicht
nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO verfahren (aa). Das Landgericht hat damit
auch die Grenzen dieser Norm in einer im Hinblick auf die Anforderungen
des Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbaren Weise überschritten,
weshalb das Urteil gemäß § 338 Nr. 3 StPO aufgehoben werden muss (bb).
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aa) Das Befangenheitsgesuch war vorliegend nach § 27 StPO
zu behandeln, damit sich die abgelehnten Richter nicht zum „Richter in eige-
ner Sache“ machten.
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(1) Richtig ist allerdings der Ausgangspunkt der Kammer. Die
Gleichsetzung eines Ablehnungsgesuchs, dessen Begründung aus zwingen-
den rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsgesuchs völlig
ungeeignet ist, mit einem Ablehnungsgesuch ohne Angabe eines Ableh-
nungsgrundes (§ 26a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 StPO) ist grundsätzlich und auch
aus verfassungsrechtlicher Sicht unbedenklich (BGHSt 50, 216, 220; BVerfG
– Kammer – StraFo 2006, 232, 234). Entscheidend für die Abgrenzung zu
„offensichtlich unbegründeten“ Ablehnungsgesuchen, die von § 26a Abs. 1
Nr. 2 StPO nicht erfasst werden, sondern nach § 27 StPO zu behandeln sind,
ist die Frage, ob das Ablehnungsgesuch ohne nähere Prüfung und losgelöst
von den konkreten Umständen des Einzelfalls zur Begründung der Besorgnis
der Befangenheit gänzlich ungeeignet ist (BVerfG – Kammer – StraFo 2006,
232, 235). Jenseits dieser bloß formalen Prüfung darf sich der abgelehnte
Richter nicht durch Mitwirkung an einer näheren inhaltlichen Prüfung der Ab-
lehnungsgründe im Rahmen von Entscheidungen nach § 26a Abs. 1 Nr. 2
StPO zum „Richter in eigener Sache“ machen (BVerfG – Kammer – aaO).
Die Auslegung des Ablehnungsgesuchs muss darauf ausgerichtet sein, es
seinem Inhalt nach vollständig zu erfassen und gegebenenfalls wohlwollend
auszulegen, um nicht im Gewande der Zulässigkeitsprüfung in eine Begrün-
detheitsprüfung einzutreten (BVerfG – Kammer – aaO).
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(2) Danach ist die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs
unbedenklich, das lediglich damit begründet worden ist, der Richter sei an
einer Vorentscheidung zu Lasten des Angeklagten beteiligt gewesen (BGHSt
50, 216, 221; vgl. auch Leitsatzentscheidung des Senats vom 29. Juni 2006
– 5 StR 485/05). Dies gilt namentlich auch für die Ablehnung von Beweisan-
trägen (BGHSt 50, 216, 221). Gerade die Zurückweisung eines Beweisan-
trags wegen Bedeutungslosigkeit gemäß § 244 Abs. 3 Satz 2 Variante 2
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StPO gebietet es, die Tatsachen anzugeben, aus denen sich ergibt, warum
die unter Beweis gestellte Tatsache, wenn sie erwiesen wäre, die Entschei-
dung des Gerichts nicht beeinflussen könnte (BGHR StPO § 244 Abs. 3
Satz 2 Bedeutungslosigkeit 26 m.w.N.). Die damit einhergehende Mitteilung
einer auch für den Angeklagten nachteiligen Beweiswürdigung des Gerichts
vor Urteilsverkündung ist prozessimmanent und demnach vom Angeklagten
hinzunehmen. Beweiswürdigende sachliche Erwägungen – seien sie auch
geeignet, eine den Schuldvorwurf begründende Subsumtion erkennen zu
lassen – können für sich nicht zum Gegenstand eines zulässigen Befangen-
heitsantrags erhoben werden. Darauf beschränkte Gesuche können daher
nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO beschieden werden.
Anders verhält es sich allerdings beim Hinzutreten besonderer
Umstände, die über die Tatsache einer negativen Vorentscheidung als sol-
cher sowie die damit notwendig verbundenen inhaltlichen Äußerungen hi-
nausgehen (vgl. BGHSt 50, 216, 221). Dies kann etwa der Fall sein, wenn
Äußerungen in Vorentscheidungen nach der Sachlage unnötige und sachlich
unbegründete Werturteile enthalten oder ein Richter sich bei einer Vorent-
scheidung in sonst unsachlicher Weise zum Nachteil des Angeklagten oder
seines Verteidigers äußert (vgl. BGHSt 50, 216, 222). Trägt der Antragsteller
neben der Vorbefassung oder Vorentscheidung und den damit notwendig
einhergehenden inhaltlichen Aussagen besondere Umstände vor und macht
sie glaubhaft, die eine inhaltliche Prüfung erfordern und den abgelehnten
Richter bei einer Beteiligung an der Entscheidung über den Ablehnungsan-
trag zum „Richter in eigener Sache“ machen würden, darf der Befangen-
heitsantrag nicht unter Mitwirkung des abgelehnten Richters nach § 26a Abs.
1 Nr. 2 StPO beschieden werden.
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(3) Dies war vorliegend der Fall. Der Angeklagte R.
W. hat seinen – im Ausdruck allerdings vielfach überschießend harsch
begründeten – Befangenheitsantrag gerade nicht maßgeblich auf die Tatsa-
che der Ablehnung seiner Beweisanträge gestützt, sondern entscheidend die
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Besorgnis einer in der Ablehnungsbegründung deutlich zum Ausdruck kom-
menden endgültigen Vorverurteilung durch die Kammer geltend gemacht. Ein
solches Ansinnen beruhte nicht auf einer völlig haltlosen Bewertung der Ab-
lehnungsbegründung (vgl. hierzu BGHSt 50, 216, 222), sondern war vielmehr
durch die getroffene Auswahl von Formulierungen aus den Ablehnungsbe-
schlüssen nicht gänzlich unschlüssig belegt. Die Kammer musste aufgrund
dieser konkreten Beanstandungen das Ablehnungsgesuch inhaltlich darauf-
hin prüfen, ob der Art der getroffenen Formulierungen eine Festlegung zum
Beweisergebnis im Sinne der Anklage zu entnehmen war, die aus Sicht ei-
nes verständigen Angeklagten die Besorgnis der Befangenheit begründen
konnte. Eine derartige inhaltliche Prüfung ist dem von der Ablehnung betrof-
fenen Richter indes gerade verwehrt (vgl. auch BVerfG – Kammer –
StraFo 2006, 232, 235).
Dem Gericht müssen zwar in jeder Lage des Verfahrens, na-
mentlich bei der Ablehnung von Beweisanträgen wegen tatsächlicher Bedeu-
tungslosigkeit, offene Worte zu einer vorläufigen Einschätzung der Beweisla-
ge und deutliche Hinweise auf das nach dem gegebenen Sachstand zu er-
wartende Verfahrensergebnis erlaubt sein (vgl. auch BGHR StPO § 24 Abs.
2 Befangenheit 4). Ein Befangenheitsgesuch, das – wie hier belegt durch
einzelne Zitate – nicht allein die Tatsache der Voreinschätzung, sondern eine
darüber hinausgehende unumstößliche Festlegung der Richter im Sinne ei-
ner Vorverurteilung beanstandet, kann indes in aller Regel nicht als aus
zwingenden rechtlichen Gründen zur Rechtfertigung eines Ablehnungsge-
suchs völlig ungeeignet angesehen werden, weil es eine inhaltliche und kei-
ne rein formale Prüfung der zur Befangenheit angebrachten Gründe erfor-
dert.
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bb) Das Landgericht hat das Befangenheitsgesuch des Ange-
klagten in einer die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG grundle-
gend verkennenden Weise nach § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO als unzulässig
verworfen. Dies begründet nach der Rechtsprechung des Senats den absolu-
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ten Revisionsgrund nach § 338 Nr. 3 StPO (BGHSt 50, 216; vgl. auch BGH
NStZ 2006, 51 m. Anm. Meyer-Goßner; BVerfG – Kammer – StraFo 2006,
232, 236; BGH, Beschluss vom 25. April 2006 – 3 StR 429/05).
(1) Die Rüge nach § 338 Nr. 3 StPO muss durchgreifen, wenn
die Voraussetzungen für die Behandlung des Ablehnungsantrags als unzu-
lässig offenkundig nicht gegeben sind (Meyer-Goßner NStZ 2006, 53), also
die Entscheidung des Gerichts auf einem Fall klarer Fehlanwendung des
Gesetzesrechts beruht und daher in der Sache offensichtlich unhaltbar ist,
weshalb das Gericht bei der Rechtsanwendung Bedeutung und Tragweite
des von der Verfassung garantierten Rechts auf den gesetzlichen Richter
(Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) grundlegend verkannt hat (BGHSt 50, 216, 219
f.). Ob ein solcher Fall vorliegt, kann nur anhand der jeweiligen Umstände
des Einzelfalls beurteilt werden (BGHSt 50, 216, 220). Zudem kann im Ein-
zelfall Anlass zur Prüfung bestehen, ob das Ablehnungsgesuch nicht aus
einem anderen der in § 26a Abs. 1 StPO genannten Gründe als unzulässig
zurückzuweisen war (vgl. BGH, Beschluss vom 25. April 2006 – 3 StR
429/05; vgl. auch BVerfG
– Kammer – StraFo 2006, 232, 236).
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(2) Nach diesen Kriterien liegt hier ein absoluter Revisions-
grund nach § 338 Nr. 3 StPO vor.
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Kern des Ablehnungsgesuchs war aus hinreichend deutlich
vorgetragener Sicht des Angeklagten die näher belegte Behauptung einer
unverrückbaren Festlegung der Kammer auf ein ihm nachteiliges Beweiser-
gebnis in den Gründen und den Formulierungen der Beschlüsse, mit denen
das Landgericht die begehrten Beweiserhebungen abgelehnt hat, nicht die
Ablehnung der Beweisanträge als solche. Eine über das Ablehnungsgesuch
getroffene Entscheidung des Landgerichts, das vornehmlich auf den letzten
Gesichtspunkt abgestellt hat, hätte bei sachgerechter Behandlung eines sol-
chen Antragsbegehrens nicht ohne inhaltliche Prüfung der Berechtigung der
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vorgebrachten Ablehnungsgründe erfolgen dürfen. Indem die abgelehnten
Richter die Entscheidung selbst getroffen und damit eine inhaltliche Bewer-
tung des Ablehnungsgesuchs vorgenommen – oder sie in Nichtausschöp-
fung des Gesuchs versagt – haben, ist der Anwendungsbereich des § 26a
Abs. 1 Nr. 2 StPO in einer Weise überspannt worden, die letztlich in Hinblick
auf die Anforderungen von Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG nicht mehr vertretbar
war. In Fällen, in denen der abgelehnte Richter derart eindeutig in die inhalt-
liche Sachprüfung einsteigen muss, um das Befangenheitsgesuch vollständig
zu bescheiden, begründet die Fehlanwendung des § 26a Abs. 1 Nr. 2 StPO
letztlich den absoluten Revisionsgrund des § 338 Nr. 3 StPO.
An diesem im Blick auf Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG gebotenen
Ergebnis vermag auch die Tatsache nichts zu ändern, dass das Ableh-
nungsgesuch ohne Mitwirkung der abgelehnten Richter gemäß § 27 StPO
wohl als unbegründet zu verwerfen gewesen wäre. In diesem Rahmen hätten
die beanstandeten Formulierungen – nahe liegend nach dienstlichen Äuße-
rungen der abgelehnten Richter (§ 26 Abs. 3 StPO; vgl. dazu BGHR StPO §
338 Nr. 3 Revisibilität 1; BGH NStZ 2006, 49) – als notwendig vorläufige, für
die Ur-
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teilsfindung nicht etwa bereits verbindlich gemeinte Bewertungen im Rahmen
der Beweisantragsablehnung interpretiert werden können.
Basdorf Häger Raum
Brause Schaal