Urteil des BGH vom 28.05.2002

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
XI ZR 336/01
vom
28. Mai 2002
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
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BGB §§ 249 Fb, 254 Dc
HGB § 383
a) Der Schadensersatzanspruch gegen einen Effektenkommissionär, der eine
Gelegenheit zum auftragsgemäßen Erwerb von Aktien versäumt hat, ist auf
Naturalrestitution gerichtet.
b) Zur Frage der Anwendbarkeit des § 254 Abs. 2 BGB in Fällen, in denen
der Kommittent es unterlassen hat, den Schaden durch einen Deckungs-
kauf zu mindern.
BGH, Beschluß vom 28. Mai 2002 - XI ZR 336/01 - OLG Nürnberg
LG Nürnberg-Fürth
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsitzenden
Richter Nobbe, die Richter Dr. Siol, Dr. Bungeroth, Dr. Joeres und die
Richterin Mayen
am 28. Mai 2002
beschlossen:
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Gründe:
I.
Der Kläger hat das beklagte Wertpapierdienstleistungsunterneh-
men wegen verspäteter Weiterleitung von Aufträgen zum Kauf von Akti-
en auf Schadensersatz in Anspruch genommen.
Der Kläger erteilte der Beklagten als Kommissionärin am
15. Dezember 1999 zwei tagesgültige, auf bestimmte Kurse limitierte
Aufträge zur Beschaffung von 2.000 bzw. 200 an der EASDAQ-Börse in
Brüssel gehandelten Aktien der A. C. plc. Die Aufträge wurden von der
Beklagten erst verspätet an einen an der EASDAQ zugelassenen Zwi-
schenhändler weitergeleitet und, da infolgedessen die Limits über-
schritten wurden, nicht ausgeführt.
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Nachdem der Kläger am 16. Dezember 1999 die unterbliebene
Ausführung seiner Aufträge beanstandet hatte, teilte die Beklagte ihm
am 22. Dezember 1999 mit, daß sie die Beschaffung der Aktien ablehne,
und stellte ihm anheim, einen neuen Kaufauftrag zu erteilen. In der Fol-
gezeit stieg der Aktienkurs weiter.
Das Landgericht hat die Klage auf Lieferung von 2.200 Aktien Zug
um Zug gegen Zahlung der Erwerbskosten, die bei ordnungsgemäßer
Ausführung der Aufträge am 15. Dezember 1999 angefallen wären, ab-
gewiesen. Im Berufungsverfahren hat der Kläger seinen Anspruch auf
Lieferung von Aktien weiterverfolgt und hilfsweise Schadensersatz in
Geld verlangt. Auf diesen Hilfsantrag hat das Berufungsgericht die Be-
klagte zur Zahlung der Differenz in Höhe von 18.452,99
€ zwischen den
Erwerbskosten am 15. und denen am 22. Dezember 1999 verurteilt und
die Klage im übrigen abgewiesen. Hiergegen hat sich der Kläger mit der
Revision gewandt. Während des Revisionsverfahrens hat er die Aktien
nach einem Kursverfall zu einem seinen Aufträgen vom 15. Dezember
1999 entsprechenden Preis erworben. Daraufhin haben die Parteien den
Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Der
Kläger beantragt, der Beklagten die Kosten des Rechtsstreits aufzuerle-
gen.
II.
Über die Kosten des Rechtsstreits war gemäß § 91 a Abs. 1 Satz 1
ZPO a.F. nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen
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Sach- und Streitstandes zu entscheiden. Danach waren die Kosten der
Beklagten aufzuerlegen, weil der Revision des Klägers bei Fortführung
des Verfahrens stattzugeben gewesen wäre.
Der Kläger hatte im Zeitpunkt der Rechtshängigkeit seiner Klage
gegen die Beklagte einen Anspruch wegen positiver Vertragsverletzung
oder gemäß § 385 Abs. 1 Halbs. 1 HGB (vgl. hierzu Krüger, in: Ebenroth/
Boujong/Joost, HGB § 385 Rdn. 2) auf Lieferung der Aktien Zug um Zug
gegen Zahlung der Erwerbskosten, die bei ordnungsgemäßer Ausfüh-
rung seiner Aufträge am 15. Dezember 1999 angefallen wären.
1. Die Parteien haben einen Effektenkommissionsvertrag im Sinne
der §§ 383 ff. HGB geschlossen, der die Beklagte verpflichtete, sich mit
der gebotenen Sorgfalt um den Abschluß den Aufträgen des Klägers
entsprechender Kaufverträge zu bemühen (vgl. Roth, in: Ass-
mann/Schütze, Handbuch des Kapitalanlagerechts 2. Aufl. § 11 Rdn. 78;
Kümpel, in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch 2. Aufl.
§ 104 Rdn. 117, jeweils m.w.Nachw.). Der Abschlußerfolg war nicht Ge-
genstand des Leistungsversprechens der Beklagten (vgl. Ekkenga, in:
MünchKommHGB Bd. 5 Effektengeschäft Rdn. 257).
2. Die von der Beklagten geschuldete Tätigkeit zur Herbeiführung
von Kaufverträgen ist nicht mit dem Überschreiten der vom Kläger ge-
setzten Limits unmöglich geworden. Die Beklagte hat zwar eine Gele-
genheit zum auftragsgemäßen Abschluß der Kaufverträge versäumt (vgl.
hierzu Ekkenga aaO Rdn. 377, 381), weil infolge der verzögerten Wei-
terleitung der Aufträge die vom Kläger gesetzten Limits überschritten
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wurden. Nach diesem Zeitpunkt war die Beklagte aber weiterhin ver-
pflichtet und in der Lage, die Kursentwicklung zu überwachen und bei
einem etwaigen Unterschreiten der Limits Kaufaufträge zu erteilen. Die-
se Pflicht erlosch erst mit Ablauf der vom Kläger durch Erteilung eines
tagesgültigen Auftrags gesetzten Frist (§§ 158 Abs. 2, 163 BGB; vgl.
BGHZ 99, 288, 291).
3. Die Beklagte hat ihre Pflicht, die erteilten Kommissionsaufträge
sorgfältig auszuführen, verletzt. Sie hat im Berufungsverfahren selbst
eingeräumt, die Aufträge des Klägers erst verspätet an einen Zwischen-
händler weitergeleitet zu haben. Infolgedessen konnten sie wegen Über-
schreitung der vom Kläger gesetzten Limits nicht mehr ausgeführt wer-
den. Da die Beklagte die verspätete Weiterleitung zu vertreten hat,
schuldete sie dem Kläger Schadensersatz.
4. Der Anspruch war gemäß § 249 Satz 1 BGB auf Naturalrestituti-
on gerichtet. Der Kläger war so zu stellen, wie er gestanden hätte, wenn
die Beklagte ordnungsgemäß erfüllt hätte (vgl. für Ansprüche wegen po-
sitiver Vertragsverletzung: BGH, Urteil vom 16. März 1993 - VIII ZR
261/92, NJW 1994, 1653, 1654 und für § 385 Abs. 1 Halbs. 1 HGB: Krü-
ger aaO Rdn. 3). Ihm stand mithin ein Anspruch auf Lieferung der Aktien
Zug um Zug gegen Zahlung der bei ordnungsgemäßer Ausführung seiner
Aufträge aufzuwendenden Erwerbskosten zu.
5. Der Schadensersatzanspruch war, anders als das Berufungsge-
richt meint, nicht gemäß § 254 Abs. 2 Satz 1 BGB herabzusetzen. Die
Frage, ob der Kläger es schuldhaft unterlassen hat, den Schaden durch
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Abschluß eines Deckungskaufs am 22. Dezember 1999 zu mindern, oder
ob ihm dies wegen der nicht vorhersehbaren weiteren Kursentwicklung
unzumutbar war (vgl. hierzu Senat, Urteil vom 24. Juli 2001 - XI ZR
164/00, WM 2001, 1716, 1717; OLG Köln WM 1989, 1529, 1531 f.), be-
darf keiner Entscheidung. Jedenfalls ergibt die - auch im Rahmen des
§ 254 Abs. 2 Satz 1 BGB gebotene (Senat, Urteil vom 24. Juli 2001
aaO) - Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge beider
Parteien, daß der Anspruch des Klägers nicht wegen eines Mitverschul-
dens zu mindern war.
a) Die Abwägung ist zwar grundsätzlich dem Tatgericht vorbehal-
ten und kann vom Revisionsgericht nur eingeschränkt überprüft werden
(BGHZ 98, 148, 158; BGH, Urteil vom 6. Dezember 1983 - VI ZR 60/82,
WM 1984, 126). Im vorliegenden Fall hat das Berufungsgericht aber
rechtsfehlerhaft überhaupt keine Abwägung vorgenommen, sondern ge-
meint, der dem Kläger entgangene Vermögenszuwachs aufgrund des
Kursanstiegs nach dem 22. Dezember 1999 sei keine der Verletzungs-
handlung der Beklagten zurechenbare Folge.
b) Der Senat kann die unterlassene Abwägung aufgrund der vom
Berufungsgericht festgestellten Tatsachen nachholen. Danach war der
Anspruch des Klägers nicht zu mindern.
aa) Allein das Verhalten der Beklagten war ursächlich dafür, daß
überhaupt ein Schaden entstanden ist. Hätte die Beklagte die Aufträge
des Klägers rechtzeitig weitergeleitet, hätte dieser keinen Nachteil erlit-
ten. Dieses Versäumnis wirkt um so schwerer, als die Beklagte in ihrer
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Werbung "schnellste Abwicklung" von Aufträgen verspricht und in Aus-
sicht stellt, Aufträge "in Sekunden direkt in den Börsensaal" zu bringen.
bb) Auch das Ausmaß, das der Schaden durch die weitere Kurs-
entwicklung angenommen hat, ist ganz überwiegend von der Beklagten
verschuldet worden. Sie hat sich trotz der Beanstandung des Klägers
vom 16. Dezember 1999 rechtswidrig und grob schuldhaft geweigert, den
Kläger schadlos zu stellen, obwohl sie nach ihrem vorangegangenen
Fehlverhalten die Rechtslage besonders sorgfältig prüfen und ihre
Pflicht, dem Kläger Schadensersatz zu leisten, unbedingt erkennen
mußte (vgl. Senatsurteil vom 24. Juli 2001 - XI ZR 164/00, WM 2001,
1716, 1717). Demgegenüber ist ein etwaiges Mitverschulden des Klä-
gers, der am 22. Dezember 1999 vor dem weiteren Kursanstieg keinen
Deckungskauf getätigt hat, nur als verhältnismäßig gering zu beurteilen.
Er war bei seinem Verlangen, von der Beklagten schadlos gestellt zu
werden, im Recht. Eine Minderung seines Schadensersatzanspruches
war deshalb nicht gerechtfertigt.
Nobbe Siol Bungeroth
Joeres Mayen