Urteil des BGH vom 12.05.2005

BGH (stgb, opfer, geld, schwerer fall, staatsanwaltschaft, erpressung, vorschlag, annahme, strafe, herausgabe)

5 StR 473/05
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 8. März 2006
in der Strafsache
gegen
wegen schweren Raubes u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom
8. März 2006, an der teilgenommen haben:
Vorsitzende Richterin Harms,
Richter Häger,
Richter Basdorf,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum
als
beisitzende
Richter,
Staatsanwältin
als
Vertreterin
der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt
als
Verteidiger,
Justizhauptsekretärin Na. ,
Justizangestellte R.
als
Urkundsbeamtinnen
der
Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das Urteil des
Landgerichts Berlin vom 12. Mai 2005 dahingehend abgeän-
dert, dass der Angeklagte L. des schweren Raubes in Tat-
einheit mit gefährlicher Körperverletzung und erpresseri-
schem Menschenraub schuldig ist.
Die weitergehende Revision der Staatsanwaltschaft wird
verworfen.
Die Staatskasse trägt die Kosten der Revision der Staatsan-
waltschaft und die dem Angeklagten L. hierdurch entstan-
denen notwendigen Auslagen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
Das Landgericht hat den zur Tatzeit 21-jährigen Angeklagten
L. sowie den knapp zwei Jahre jüngeren Angeklagten H. wegen
schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig
gesprochen. Den Angeklagten L. hat es zu einer Freiheitsstrafe von drei
Jahren sechs Monaten, den Mitangeklagten H. – unter Einbeziehung
früherer Jugendstrafen – zu einer Jugendstrafe von drei Jahren und drei Mo-
naten verurteilt. Gegen dieses Urteil wendet sich die Staatsanwaltschaft mit
ihrer Revision zu Ungunsten des Angeklagten L. , die vom Generalbundes-
anwalt vertreten wird. Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zu einer Kor-
rektur des Schuldspruchs; im Übrigen bleibt sie ohne Erfolg.
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I.
Nach den Feststellungen des Landgerichts hielten sich die An-
geklagten am 6. Januar 2005 in der B. -Bar am Brunsbüttler Damm in Ber-
lin-Spandau auf. In dieser Gaststätte saß auch der später geschädigte
He. mit zwei Begleitern an einem gesonderten Tisch. Der Angeklagte
L. , von imposanter und furchteinflößender Statur, kam an den Tisch der
drei und forderte: „Jetzt legt jeder von euch zehn Euro auf den Tisch, sonst
gibt’s richtig Stress“. Hierzu waren diese nicht bereit. Der Mitangeklagte
H. machte dem Geschädigten He. den Vorschlag, mit ihm auf die
Toilette zu gehen, um dort alles in Ruhe zu besprechen. Der Angeklagte L.
folgte auf ein Zeichen des Mitangeklagten. Nachdem sich die Angeklagten
kurz verständigt hatten, schlugen sie beide im Bereich der Herrentoilette mit
der flachen Hand und mit der Faust dem Geschädigten He. mehrfach ins
Gesicht und forderten vom ihm die Herausgabe seiner Wertsachen.
He. erlitt schmerzhafte Prellungen im Gesicht, blutete aus der Nase und
Oberlippe; zudem brach ein Stück eines Schneidezahns ab. Der Mitange-
klagte H. bedrohte den Geschädigten im Anschluss an die Miss-
handlungen mit einem Teleskopschlagstock, den ihm vorher der Angeklagte
L. gereicht hatte. Der Geschädigte, der innerhalb des Lokals keine Hilfe
mehr erwartete, nachdem die Angeklagten zwischenzeitlich einen seiner Be-
gleiter und den Wirt „abgewimmelt“ hatten, erklärte den Angeklagten, er habe
kein Geld bei sich, könne aber welches am Geldautomaten abheben. Er
wusste dabei, dass er das Tageslimit für sein Konto bereits ausgeschöpft
hatte, hoffte aber, auf diese Weise den Angeklagten entkommen zu können.
Die Angeklagten, die dem Geschädigten einschärften, sich unauffällig zu
verhalten, folgten dem Geschädigten zum Geldautomaten am Spandauer
Rathaus, wobei sie für ein kurzes Stück den Bus benutzten. Am Geldautoma-
ten misslang wegen des bereits erschöpften Tageslimits ein dreimaliger Ver-
such des Geschädigten, Geld abzuheben. Daraufhin nahmen die Angeklag-
ten dem Opfer Bargeld in Höhe von etwa 100 Euro sowie das Handy weg,
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was der Geschädigte aus Angst vor weiteren Misshandlungen geschehen
ließ.
II.
Die Revision der Staatsanwaltschaft führt zu einer Korrektur
des Schuldspruchs; sie bleibt aber im Übrigen ohne Erfolg.
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1. Entgegen der Auffassung des Landgerichts erfüllt das Ver-
halten der Angeklagten den Tatbestand des erpresserischen Menschenrau-
bes (§ 239a StGB). Das Landgericht hätte die Angeklagten deshalb wegen
schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und er-
presserischem Menschenraub schuldig sprechen müssen.
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a) Der Tatbestand des erpresserischen Menschenraubes setzt
ein Entführen oder ein Sich-Bemächtigen eines Menschen voraus. Nach
ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs liegt im – auch bei zwei
Mittätern gegebenen – „Zwei-Personen-Verhältnis“ (Täter-Opfer) ein Sich-
Be-mächtigen vor, wenn der Täter die physische Herrschaft über einen ande-
ren erlangt, wobei weder eine Ortsveränderung erforderlich ist, noch der Tat-
bestand der Freiheitsberaubung erfüllt sein muss (BGHR StGB § 239a Abs.
1 Sich-Bemächtigen 6, 7). Allerdings verlangt das Vorliegen einer Bemächti-
gungssituation, dass diese im Blick auf die erstrebte Erpressungshandlung
eine eigenständige Bedeutung hat; sie setzt weiterhin eine gewisse Stabili-
sierung der Beherrschungslage voraus, die dann durch den Täter ausgenutzt
werden soll. Beide Kriterien dienen nach der Rechtsprechung des Bundesge-
richtshofs (vgl. BGHSt 40, 350 ff.) dazu, vor allem bei Zwei-Personen-
Verhältnissen den Anwendungsbereich der §§ 239a, 239b StGB von demje-
nigen klassischer Delikte mit Nötigungselementen wie den §§ 177, 253, 255
StGB abzugrenzen (BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sich-Bemächtigen 4, 8).
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b) Ein Sich-Bemächtigen im Sinne dieser Bestimmung liegt al-
lerdings nicht bereits in dem Veranlassen des Geschädigten, ihnen zur Her-
rentoilette zu folgen, und den sich daran anschließenden Gewalthandlungen
durch die Angeklagten. Durch die Schläge und die Drohung mit dem Tele-
skopschlagstock hatten sie zwar die notwendige physische Herrschaft über
den Geschädigten erlangt. Die Angeklagten forderten jedoch bereits im un-
mittelbaren Zusammenhang mit den Schlägen die Herausgabe von Geld und
Wertsachen. Eine nach dem Tatbestand des § 239a StGB erforderliche sta-
bile (Zwischen-) Lage als Basis für weitere Nötigungen bestand deshalb nicht
(vgl. BGHR StGB § 239a Abs. 1 Sich-Bemächtigen 4).
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c) Der auf den Vorschlag des Geschädigten umgesetzte neue
Tatplan, nämlich das Abheben von Geld aus dem Geldautomaten, erfüllt je-
doch den Tatbestand des § 239a StGB. Mit dem Verlassen des Lokals ist
eine stabile Bemächtigungssituation entstanden. Diese war bedingt durch die
physische Übermacht der beiden Angeklagten und wurde zusätzlich verstärkt
durch die fortwirkende Einschüchterung aufgrund der vorangegangenen
Misshandlungen. Dabei ist es unerheblich, dass die dann realisierte Bemäch-
tigungslage auf das Opfer selbst zurückging. Sein Vorschlag, den Geldauto-
maten aufzusuchen und dort Geld von seinem Konto abzuheben, hob die
Bemächtigungslage zu seinen Lasten nicht auf. Diese Anregung bedeutete
nicht, dass He. die Angeklagten – was für sie auch offensichtlich
war – freiwillig zu dem Geldautomaten führen wollte. Vielmehr bewirkte er
nur eine Änderung der Tatausführung, die ihn zunächst vor weiteren unmit-
telbar drohenden Handlungen schützen und seine Flucht erleichtern sollte.
An der Bemächtigungslage, die zu einer Erpressung des abgehobenen Gel-
des dienen sollte, änderte dies nichts, zumal der Geschädigte während des
Verbringens zum Geldautomaten auch tatsächlich keine Gelegenheit sah,
den Angeklagten zu entkommen.
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Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Annahme
einer Bemächtigungssituation im Sinne des § 239a StGB auch nicht deshalb
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ausgeschlossen, weil das Opfer im Vergleich zu seiner bedrängten Situation
auf der Herrentoilette durch den gemeinsamen Weg zum Geldautomaten
nicht in eine qualifiziert schlechtere Lage gebracht worden sei. Das Landge-
richt leitet dies aus der von der höchstrichterlichen Rechtsprechung geforder-
ten eigenständigen Bedeutung der Bemächtigungssituation ab. Dem vermag
der Senat nicht zu folgen. Mit der eigenständigen Bedeutung der Bemächti-
gungslage ist – in Abgrenzung insbesondere zu den Raubdelikten – lediglich
gemeint, dass über die in jeder mit Gewalt verbundenen Nötigungshandlung
liegende Beherrschungssituation hinaus eine weitergehende Druckwirkung
auf das Opfer sich gerade auch aus der stabilisierten Bemächtigungslage
ergeben und der Täter beabsichtigen muss, die durch das Sich-Bemächtigen
des Opfers geschaffene Lage für sein weiteres erpresserisches Vorgehen
auszunutzen (BGH NStZ-RR 2004, 333, 334). Erforderlich ist eine finale Be-
ziehung zwischen der Bemächtigungslage und ihrer Ausnutzung zum Zwe-
cke der Erpressung, an deren Vorliegen hier kein ernsthafter Zweifel beste-
hen kann. Ob das Opfer aufgrund der ersten Raubattacke in einer bedrängte-
ren Lage war, ist dabei unerheblich. Entscheidend ist vielmehr, dass nun-
mehr nach dem modifizierten Tatplan die weitere Kontrolle über das Opfer
die Voraussetzung für die erstrebte Erpressung des aus dem Geldautomaten
noch zu ziehenden Betrages bilden sollte.
d) Der Annahme eines erpresserischen Menschenraubes nach
§ 239a StGB steht schließlich nicht entgegen, dass der Vermögensverlust
sich auf das in seiner Börse mitgeführte Geld und das Handy bezog. Auch
die Wegnahme dieser Vermögenswerte erfolgte unter Ausnutzung der vorher
geschaffenen Bemächtigungssituation. Die Änderung der Zielrichtung der
Wegnahmehandlung nach der fehlgeschlagenen Abhebung vom Geldauto-
maten stellt dabei eine unerhebliche Abweichung vom Kausalverlauf dar, weil
die Angeklagten von ihrem Opfer Geld und Wertsachen wollten und diese
letztlich auch erhalten haben. Da der Tatbestand der Erpressung die Raub-
handlung mit umfasst, liegt ein erpresserischer Menschenraub auch dann
vor, wenn die Bemächtigungslage für einen Raub im Sinne des § 249 StGB
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ausgenutzt wird (BGH NStZ 2002, 31, 32; NStZ-RR 2004, 333, 334). Die
Korrektur des Schuldspruchs kann der Senat selbst vornehmen, weil nicht
ersichtlich ist, wie sich der Angeklagte hiergegen hätte anders verteidigen
können.
2. Einer Aufhebung des Strafausspruchs bedarf es bei dieser
Sachverhaltskonstellation nicht, weil der Senat ausschließen kann, dass sich
die fehlerhafte Verneinung des Tatbestands des erpresserischen Menschen-
raubes nach § 239a StGB auf die verhängte Strafe ausgewirkt hat. Das
Landgericht hat nämlich zu Recht den Schwerpunkt der Tat in den Misshand-
lungen auf der Herrentoilette des Lokals gesehen, die in der Absicht erfolg-
ten, den Geschädigten zur Herausgabe von Geld und Wertsachen zu veran-
lassen. Es hat weiterhin das Sich-Bemächtigen des Opfers bei der Bemes-
sung der Strafe ersichtlich schärfend gewürdigt, insoweit aber auch rechts-
fehlerfrei mildernd berücksichtigt, dass die Idee zur Fahrt zum Geldautoma-
ten vom Opfer selbst ausgegangen ist.
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Entgegen der Auffassung der Staatsanwaltschaft lässt insbe-
sondere die vom Landgericht gegebene Begründung einer Annahme eines
minder schweren Falles keinen Rechtsfehler erkennen. Das Landgericht hat
insoweit die von der Rechtsprechung verlangte Gesamtwürdigung von Tat
und Täter sorgfältig und mit vertretbaren Erwägungen vorgenommen. Das
vom Landgericht gefundene Ergebnis hält sich innerhalb des ihm zukom-
menden Ermessensspielraums (BGHR StGB vor § 1/minder schwerer Fall
Gesamtwürdigung 7). Es ist offensichtlich, dass der Tatrichter hinsichtlich
des erpresserischen Menschenraubes gleichfalls von einem minder schwe-
ren Fall im Sinne des § 239a Abs. 2 StGB ausgegangen wäre und die Strafe
trotz unterschiedlicher Höchststrafe gleich bemessen hätte.
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3. Die umfassende Überprüfung des angefochtenen Urteils hat
keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten L. ergeben (§ 301
StPO).
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Harms Häger Basdorf
Gerhardt Raum