Urteil des BGH vom 16.07.2014

BGH: subjektiv, balkon, versuch, vermögensvorteil, schuldfähigkeit, könig, verschlechterungsverbot, schwurgericht, sicherheit, nichterfüllung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
5 S t R 2 9 0 / 1 4
vom
16. Juli 2014
in der Strafsache
gegen
wegen sexuellen Missbrauchs einer Schutzbefohlenen u.a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat am 16. Juli 2014 beschlossen:
1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Land-
gerichts Dresden vom 31. Januar 2014 gemäß § 349 Abs. 4
StPO mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte
im Fall 7 der Urteilsgründe (Tat vom 16. Oktober 2012)
wegen versuchten Betruges und
im Fall 11 der Urteilsgründe (Tat 2 vom 2. Novem-
ber 2012) wegen versuchter gefährlicher Körperverlet-
zung
verurteilt worden ist,
b) im Strafausspruch zu Fall 10 der Urteilsgründe (Tat 1
vom 2. November 2012) sowie im Ausspruch über die
Gesamtfreiheitsstrafe.
2. Die weitergehende Revision wird nach § 349 Abs. 2 StPO als
unbegründet verworfen.
3. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision,
an eine andere Schwurgerichtskammer des Landgerichts zu-
rückverwiesen.
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Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen sexuellen Missbrauchs von
Schutzbefohlenen in drei Fällen, versuchter gefährlicher Körperverletzung, vor-
sätzlicher Körperverletzung in vier Fällen, Betruges in zwei Fällen und versuch-
ten Betruges zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und fünf Monaten
verurteilt. Die Revision des Angeklagten hat im Umfang der Beschlussformel
Erfolg; im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).
1. Zunächst hält die Verurteilung des Angeklagten im Fall 7 der Urteils-
gründe wegen versuchten Betruges sachlich-rechtlicher Überprüfung nicht
stand.
Nach den Feststellungen besteht bei dem vielfach wegen Betruges vor-
bestraften Angeklagten eine narzisstisch-histrionisch-dissoziale Persönlich-
keitsakzentuierung; er trägt
„deutliche Züge eines Hochstaplers, für den das
Agieren und Dominieren im Augenblick ohne Rücksicht auf die Folgen in der
Zukunft im Vordergrund steht“ (UA S. 4). Am 16. Oktober 2012 bestellte der
zahlungsunfähige Angeklagte in einer Mercedes-Benz Niederlassung zwei Neu-
fahrzeuge. Dabei umfasste der Kaufpreis eines der Autos Überführungskosten
in Höhe von 620 Euro netto. Da eine Auslieferung gegen Barzahlung vereinbart
war,
„war dem Angeklagten bewusst, dass er die Fahrzeuge nicht erhalten wird“
(UA S. 25). Tatsächlich kam es aufgrund der mangelnden finanziellen Leis-
tungsfähigkeit des Angeklagten nicht zur Erfüllung der Kaufverträge. Es ent-
stand auch kein Schaden, da beide Fahrzeuge ohne Verlust und zuzüglich der
Überführungskosten verkauft werden konnten.
Bei der Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Betruges ist das
Landgericht davon ausgegangen, dass dieser zumindest billigend in Kauf
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nahm, dass der Firma Mercedes-Benz durch die vorhersehbare Nichterfüllung
des Kaufvertrages ein Schaden in Höhe der Überführungskosten entstehen
würde. Indes ist insoweit eine Bereicherungsabsicht des Angeklagten bislang
nicht ersichtlich. Eine solche liegt nur vor, wenn die Tat subjektiv auf die Erlan-
gung eines rechtswidrigen Vermögensvorteils für den Täuschenden oder einen
Dritten gerichtet ist. Vermögensvorteil ist dabei die Erhöhung des wirtschaftli-
chen Gesamtwertes des Vermögens. Soweit dem Angeklagten nach den bishe-
rigen Feststellungen bewusst war, dass er die bestellten Fahrzeuge nicht erhal-
ten würde, war aus seiner Sicht die Erlangung eines dem angenommenen
Schaden stoffgleichen Vermögensvorteils ausgeschlossen. Indes sind zu sei-
nen bislang nicht kritisch bedachten Handlungszielen weitere tragfähige Fest-
stellungen denkbar. Allerdings wird das neue Tatgericht insoweit primär eine
Verfahrensweise nach § 154 Abs. 2 StPO zu erwägen haben.
2. Im Fall 11 der Urteilsgründe kann der Schuldspruch wegen versuchter
gefährlicher Körperverletzung nicht bestehen bleiben.
Nach den Feststellungen warf der Angeklagte von seinem Balkon im
vierten Obergeschoss eines Wohnhauses einen ca. 1,5 kg schweren Stein in
Richtung des auf der Straße gehenden Geschädigten, um seiner Forderung
„Verschwindet, Ihr Assis!“ Nachdruck zu verleihen. Dabei nahm er billigend in
Kauf, dass der Geschädigte durch den Stein getroffen und erheblich verletzt
werden könnte. Der Stein verfehlte den Geschädigten knapp. Der Angeklagte,
der auf seinem Balkon weitere Steine vergleichbarer Größe aufbewahrte, rief
dem Geschädigten z
u: „Der nächste trifft!“; weitere Steinwürfe unterblieben.
Angesichts dieser Sachlage hätte sich das Landgericht mit der Frage
auseinandersetzen müssen, ob der Angeklagte vom Versuch der gefährlichen
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Körperverletzung strafbefreiend zurückgetreten ist (§ 24 Abs. 1 Satz 1 1. Alt.
StGB). Dass insoweit
– wie der Generalbundesanwalt meint – ein fehlgeschla-
gener Versuch vorliegt, lässt sich auf der Grundlage der getroffenen Feststel-
lungen nicht mit hinreichender Sicherheit annehmen. Von einem solchen ist
auszugehen, wenn die Tat nach dem Misslingen des zunächst vorgestellten
Tatablaufs mit den bereits eingesetzten oder anderen naheliegenden Mitteln
objektiv nicht mehr vollendet werden kann und der Täter dies erkennt; gleiches
gilt, wenn eine Tatvollendung objektiv zwar noch möglich ist, der Täter diese
aber subjektiv nicht mehr für möglich hält. Maßgeblich dafür ist dessen Vorstel-
lung nach Abschluss der letzten Ausführungshandlung (st. Rspr.; vgl. nur BGH,
Urteil vom 25. Oktober 2012
– 4 StR 346/12, NStZ 2013, 156, 157; BGH, Be-
schluss vom 2. November 2007
– 2 StR 336/07, NStZ 2008, 393 mwN). Hierzu
teilt das Urteil nichts mit. Den Urteilsfeststellungen lässt sich ferner nichts zu
einer Reaktion des Geschädigten entnehmen, die etwa einen weiteren, dem
Angeklagten möglichen Steinwurf hätte aussichtslos erscheinen lassen; nach
eigenem Bekunden des Geschädigten verspürte er nach dem Steinwurf keine
Angst (UA S. 28).
3. Die Aufhebung des Schuldspruchs im Fall 11 zieht auch die Aufhe-
bung des Strafausspruchs im Fall 10 der Urteilsgründe nach sich. Tat 10 wurde
unmittelbar vor Tat 11 begangen. Das neue Tatgericht wird deshalb die not-
wendige neue Beurteilung der Schuldfähigkeit des bei beiden Taten erheblich
angetrunkenen Angeklagten (2,2
‰) nur einheitlich vornehmen können. Der mit
der Aufhebung der Schuldsprüche in den Fällen 7 und 11 verbundene Wegfall
der betreffenden Einzelstrafen, insbesondere der Einsatzstrafe im Fall 11, so-
wie der Einzelstrafe im Fall 10 zwingt zur Aufhebung der Gesamtfreiheitsstrafe.
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4. Die Sache ist erneut vor dem Schwurgericht zu verhandeln, da im
Fall 11 die Annahme eines strafbefreienden Rücktritts nicht etwa sicher ist und
bei der belegten hohen Gefährlichkeit der Tathandlung nicht auszuschließen ist,
dass sich ein neues Tatgericht von einem Tötungsvorsatz des Angeklagten
überzeugen könnte. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO)
betrifft lediglich den Strafausspruch.
Basdorf
Sander
Schneider
Dölp
König
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