Urteil des BGH vom 05.07.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
XI ZR 395/07 Verkündet
am:
23. September 2008
Herrwerth,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR ja
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BGB § 199 Abs. 1 Nr. 2
Eine Bank als Bürgschaftsgläubiger trifft nach Fälligkeit der Bürgschaftsforde-
rung die Obliegenheit, die ihr bei Abschluss des Bürgschaftsvertrages ange-
gebene Anschrift des Bürgen zeitnah auf ihre Richtigkeit zu überprüfen.
BGH, Urteil vom 23. September 2008 - XI ZR 395/07 - OLG Schleswig
LG Flensburg
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Der XI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhand-
lung vom 23.
September 2008 durch den Vorsitzenden Richter
Dr. h.c. Nobbe sowie die Richter Dr. Müller, Dr. Joeres, Dr. Grüneberg
und Maihold für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des
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Zivilsenats des Schleswig-Holsteinischen Oberlan-
desgerichts in Schleswig vom 5. Juli 2007 aufgehoben
und das Urteil der 2. Zivilkammer des Landgerichts
Flensburg vom 12. Januar 2007 abgeändert.
Der Beklagte wird neben dem Hauptschuldner E.
A. verurteilt, an die Klägerin 38.858,18 € zuzüg-
lich Zinsen in Höhe von 8.121,38 € für die Zeit vom
25. Januar 2001 bis zum 23. Dezember 2004 und weite-
re Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jewei-
ligen Basiszinssatz auf 38.858,18 € seit dem 30. April
2005 zu zahlen.
Im Übrigen werden die Klage abgewiesen und die
Rechtsmittel der Klägerin zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
1
Die Klägerin, eine Bank, nimmt den Beklagten aus einer Bürg-
schaft in Anspruch. Der Beklagte erhebt die Einrede der Verjährung.
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Die Klägerin gewährte dem Sohn des Beklagten (im Folgenden:
Hauptschuldner) am 18. Juni 1993 einen Kredit über 136.000 DM. Mit
Urkunde vom selben Tag übernahm der Beklagte eine selbstschuldneri-
sche Bürgschaft bis zum Betrag von 76.000 DM für sämtliche bestehen-
den und künftigen Ansprüche der Klägerin gegen den Hauptschuldner.
Nachdem der Hauptschuldner auf das Darlehen keine Zahlungen mehr
geleistet hatte, kündigte die Klägerin spätestens im Jahr 2001 das Dar-
lehen, das noch in einer den Bürgschaftsbetrag übersteigenden Höhe
offensteht. Erst mit Schreiben vom 23. Dezember 2004 nahm die Kläge-
rin den Beklagten aus der Bürgschaft in Anspruch.
Am 28. Dezember 2004 hat die Klägerin beim zuständigen Amts-
gericht den Erlass eines Mahnbescheides über 38.858,18 € nebst Zinsen
und vorgerichtlicher Mahnkosten gegen den Beklagten beantragt. Da die-
ser an der von der Klägerin angegebenen Anschrift nicht mehr wohnhaft
war, konnte ihm der am 4. Januar 2005 erlassene Mahnbescheid zu-
nächst nicht zugestellt werden. Nach zwei weiteren erfolglosen Zustell-
versuchen an von der Klägerin benannten anderen Adressen hat sie erst
am 27. April 2005 die zutreffende Anschrift des Beklagten mitgeteilt,
woraufhin ihm der Mahnbescheid am 30. April 2005 zugestellt worden ist.
Nachdem der Beklagte hiergegen Widerspruch erhoben hatte, hat das
Amtsgericht die Klägerin am 10. Mai 2005 hierüber benachrichtigt und
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einen weiteren Gerichtskostenvorschuss eingefordert. Dieser ist nebst
der Anspruchsbegründung am 27. Dezember 2005 eingegangen.
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Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebe-
gehren weiter.
Entscheidungsgründe:
Die Revision ist im Wesentlichen begründet.
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I.
Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung im
Wesentlichen ausgeführt:
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Die Bürgschaftsforderung sei verjährt. Maßgeblich sei die dreijäh-
rige Verjährungsfrist gemäß §§ 195, 199 BGB i.V. mit Art. 229 § 6 Abs. 1
und 4 EGBGB, die am 1. Januar 2002 begonnen habe. Die Verjährung
der Bürgschaftsforderung beginne mit der Fälligkeit der Hauptforderung,
die im Jahr 2001 eingetreten sei. Zu diesem Zeitpunkt sei der Klägerin
die Person des Beklagten und seine Zahlungsverpflichtung aus der
selbstschuldnerischen Bürgschaft bekannt gewesen. Die Verjährung, die
am 31. Dezember 2004 geendet hätte, sei durch die Einreichung des
Mahnantrags am 28. Dezember 2004 zwar rechtzeitig gehemmt worden.
Die Hemmung habe aber gemäß § 204 Abs. 2 BGB am 10. November
2005 geendet, nachdem die Klägerin das Verfahren sechs Monate nicht
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mehr betrieben habe und es dadurch in Stillstand geraten sei. Aufgrund
dessen sei der Bürgschaftsanspruch verjährt, bevor die Klägerin das
Verfahren am 27. Dezember 2005 weiter betrieben habe.
II.
Diese Ausführungen halten rechtlicher Überprüfung in einem we-
sentlichen Punkt nicht stand. Die Forderung der Klägerin aus § 765
Abs. 1 BGB ist nicht verjährt.
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1. Die Frist für die Verjährung der Bürgschaftspflicht des Beklagten
beträgt nach der für das Verjährungsrecht geltenden Überleitungsvor-
schrift in Art. 229 § 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 4 Satz 1 EGBGB gemäß § 195
BGB in der seit dem 1. Januar 2002 geltenden Fassung drei Jahre. Diese
Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB mit dem Schluss des Jahres, in
dem der Bürgschaftsanspruch der Klägerin entstanden ist und der Gläu-
biger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person
des Schuldners Kenntnis erlangt hat oder ohne grobe Fahrlässigkeit hät-
te erlangen müssen.
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2. Das Berufungsgericht hat rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass der
Anspruch aus der selbstschuldnerischen Bürgschaft des Beklagten
- mangels abweichender Vereinbarung der Parteien - mit Fälligkeit der
gesicherten Forderung entstanden ist. Wie der Senat nach Erlass
des Berufungsurteils entschieden (Urteile vom 29.
Januar 2008
- XI ZR 160/07, WM 2008, 729, 731 f. Tz. 22 ff., für BGHZ 175, 161 vor-
gesehen, vom 11. März 2008 - XI ZR 81/07, Tz. 9 ff. und vom 8. Juli
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2008 - XI ZR 230/07, WM 2008, 1731, 1732 Tz. 18) und im Einzelnen
begründet hat, kommt es für den Beginn der Verjährungsfrist nicht auf
die Geltendmachung der Bürgschaftsverpflichtung durch den Gläubiger
an. Die Ausführungen der Revision geben zu einer abweichenden Beur-
teilung keinen Anlass. Dass - worauf die Revision unter Bezugnahme auf
§ 497 Abs. 3 Satz 3 BGB hinweist - die Bürgschaftsforderung vor der ge-
sicherten Forderung verjähren kann, beruht auf dem getrennten Schick-
sal beider Forderungen nach deren Fälligkeit und stellt weder eine Folge
des Verjährungsbeginns der Bürgschaftsforderung mit Fälligkeit der ge-
sicherten Forderung noch eine Besonderheit beim Verbraucherdarlehen
dar, sondern kann allgemein z.B. durch eine Hemmung der Verjährung
nur gegenüber dem Schuldner der gesicherten Forderung eintreten.
3. Rechtsfehlerhaft ist hingegen die Auffassung des Berufungsge-
richts, auch die - erforderlichen (Senat BGHZ 171, 1, 7 ff. Tz. 19 ff.) -
subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB hätten im Hin-
blick auf die Person des Schuldners bereits im Jahr 2001 vorgelegen.
Dies war vielmehr erst zu einem späteren Zeitpunkt der Fall, weshalb die
Verjährung frühestens mit Ablauf des 31. Dezember 2005 geendet hätte
und daher durch das Weiterbetreiben des Verfahrens am 27. Dezember
2005 rechtzeitig gehemmt wurde.
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a) Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu § 852
BGB a.F., die zur Auslegung des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB herangezogen
werden kann, liegt die erforderliche Kenntnis von der Person des
Schuldners im Allgemeinen vor, wenn dem Gläubiger die Erhebung einer
Klage Erfolg versprechend, wenn auch nicht risikolos, möglich ist (Se-
natsurteil vom 3. Juni 2008 - XI ZR 319/06, WM 2008, 1346, 1349 Tz. 27
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m.w.Nachw.). Hierzu bedarf es u.a. der Kenntnis von Namen und An-
schrift des Schuldners (BGH, Urteile vom 16.
Dezember 1997
- VI ZR 408/06, NJW 1998, 988, 989, vom 6. März 2001 - VI ZR 30/00,
NJW 2001, 1721, 1722 und vom 8. Oktober 2002 - VI ZR 182/01, NJW
2003, 288, 289, jeweils m.w.Nachw.). Dass der Klägerin die aktuelle An-
schrift des Beklagten bei Entstehung des Bürgschaftsanspruchs positiv
bekannt war, hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Hierfür ist auch
nichts ersichtlich.
b) Die Unkenntnis der Klägerin beruhte jedoch auch nicht auf gro-
ber Fahrlässigkeit.
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aa) Grob fahrlässige Unkenntnis liegt vor, wenn dem Gläubiger die
Kenntnis fehlt, weil er die im Verkehr erforderliche Sorgfalt in ungewöhn-
lich grobem Maße verletzt und auch ganz nahe liegende Überlegungen
nicht angestellt oder das nicht beachtet hat, was jedem hätte einleuchten
müssen (vgl. BGH, Urteil vom 13. Dezember 2004 - II ZR 17/03, WM
2005, 382, 384; MünchKomm/Grothe, BGB 5. Aufl. § 199 Rdn. 28; je-
weils m.w.Nachw.). Eine Bank als Bürgschaftsgläubiger hat zu beden-
ken, dass der Anspruch aus der Bürgschaft - anders als dies bei vertrag-
lichen Erfüllungsansprüchen sonst der Regelfall ist - nicht bereits mit
Vertragsabschluss, sondern erst mit der Fälligkeit der Hauptforderung
entsteht. Wegen des unter Umständen langen Zeitablaufs seit Vertrags-
schluss kann sich die Wohnanschrift des Bürgen geändert haben, ohne
dass der Bürgschaftsgläubiger davon Kenntnis erlangt hat; eine entspre-
chende Benachrichtigungspflicht des Bürgen besteht nicht. Aufgrund
dessen trifft die Bank im eigenen Interesse die Obliegenheit, sich im en-
gen zeitlichen Zusammenhang mit der Entstehung des Bürgschaftsan-
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spruchs zu vergewissern, ob die ihr bekannte Wohnanschrift des Bürgen
noch aktuell ist, und sich gegebenenfalls nach der neuen Adresse des
Bürgen zu erkundigen, sofern ihr diese nicht z.B. aus einer anderen mit
dem Bürgen bestehenden Geschäftsverbindung ohnehin bekannt ist. Mit
dem Eintritt des Sicherungsfalls besteht für die Bank Anlass, die ihr für
die notleidend gewordene Hauptforderung gewährten Sicherheiten auf
ihre Werthaltigkeit zu überprüfen. Bei einer Bürgschaft gehört hierzu
auch die Feststellung der aktuellen Anschrift des Bürgen, um ihn über-
haupt in Anspruch nehmen zu können.
bb) Nach diesen Maßstäben kann eine grob fahrlässige Unkenntnis
der Klägerin von der aktuellen Wohnanschrift des Beklagten vor dem
1. Januar 2002 nicht bejaht werden. Der Beklagte, der als Schuldner die
Darlegungs- und Beweislast für Beginn und Ablauf der Verjährung und
damit für die subjektiven Voraussetzungen des § 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB
trägt (Senat BGHZ 171, 1, 10 f. Tz. 32), hat nicht dargelegt, wann genau
im Verlauf des Jahres 2001 das Darlehen gekündigt wurde und ab wel-
chem Zeitpunkt die Klägerin daher Nachforschungen nach seiner An-
schrift anstellen musste. Darüber hinaus ist auch nicht festgestellt oder
vom Beklagten vorgetragen worden, dass diese Ermittlungen noch im
Jahr 2001 Erfolg gehabt hätten; es ist daher nicht auszuschließen, dass
die Nachfragen der Klägerin erst im Jahr 2002 erfolgreich gewesen wä-
ren.
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III.
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Das Berufungsurteil war demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Da die Sache zur Endentscheidung reif ist, hatte der Senat in der Sache
selbst zu entscheiden (§ 563 Abs. 3 ZPO) und den Beklagten unter Ab-
änderung des landgerichtlichen Urteils zur Zahlung von 38.858,18 € zu-
züglich Zinsen in Höhe von 8.121,38 € für die Zeit vom 25. Januar 2001
bis zum 23. Dezember 2004 und weiterer Zinsen in Höhe von 5 Prozent-
punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz auf 38.858,18 € seit dem
30. April 2005 zu verurteilen. Im Übrigen waren die Klage abzuweisen
und die weitergehenden Rechtsmittel zurückzuweisen.
Nobbe Müller Joeres
Grüneberg Maihold
Vorinstanzen:
LG Flensburg, Entscheidung vom 12.01.2007 - 2 O 10/06 -
OLG Schleswig, Entscheidung vom 05.07.2007 - 5 U 41/07 -