Urteil des BGH vom 03.07.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
1 StR 3/07
vom
3. Juli 2007
Nachschlagewerk: ja
BGHSt: ja (nur I und II 1 bis 3)
Veröffentlichung: ja
____________________________________
StPO § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4
Zur Begründung der Beschuldigteneigenschaft durch die Art und Weise einer
Vernehmung (im Anschluss an BGHSt 38, 214).
BGH, Urt. vom 3. Juli 2007 - 1 StR 3/07 - LG Waldshut-Tiengen
in der Strafsache
gegen
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wegen Totschlags
- 3 -
Der 1. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 3. Juli 2007,
an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesgerichtshof
Nack
und die Richter am Bundesgerichtshof
Dr. Wahl,
Dr. Boetticher,
Dr. Kolz,
Dr. Graf,
Bundesanwalt
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt und
Rechtsanwalt
als Verteidiger,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers T. R. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter der Nebenklägerin H. ,
Rechtsanwalt
als Vertreter des Nebenklägers S. R. ,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
für Recht erkannt:
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1. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landge-
richts Waldshut-Tiengen vom 10. Mai 2006 mit den Feststellun-
gen aufgehoben.
2. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft wird das vorbezeichne-
te Urteil mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben,
a) soweit der Angeklagte wegen Totschlags an J.
H. verurteilt worden ist,
b) im Gesamtstrafenausspruch.
3. Im Umfang der Aufhebungen wird die Sache zu neuer Verhand-
lung und Entscheidung, auch über die Kosten der Rechtsmittel,
an eine Schwurgerichtskammer des Landgerichts Freiburg zu-
rückverwiesen.
Von Rechts wegen
Gründe:
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Totschlags in zwei Fällen
zu lebenslanger Gesamtfreiheitsstrafe verurteilt; von der Feststellung der be-
sonderen Schuldschwere hat es abgesehen. Opfer der Taten waren seine Ehe-
frau G. H. und seine Tochter J. H. . Wegen des Tot-
schlags an der Ehefrau hat das Landgericht eine Freiheitsstrafe von elf Jahren
verhängt; den Totschlag an der Tochter hat es als besonders schweren Fall
bewertet (§ 212 Abs. 2 StGB) und deswegen auf eine lebenslange Freiheits-
strafe erkannt.
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Der Angeklagte wendet sich mit der auf eine Verfahrensrüge und die
Sachbeschwerde gestützten Revision gegen seine Verurteilung. Die Staatsan-
waltschaft greift das Urteil mit der zu Ungunsten des Angeklagten eingelegten,
auf die Sachrüge gestützten Revision - beschränkt - insoweit an, als der Ange-
klagte "bezüglich der Tötung seiner Tochter J. H. wegen Tot-
schlags und nicht wegen Mordes verurteilt" und "die besondere Schwere der
Schuld nicht festgestellt" worden ist. Beide Rechtsmittel haben Erfolg. Aller-
dings führt die Revision der Staatsanwaltschaft entgegen ihrem Antrag auch zur
Aufhebung der wegen der Tötung von J. H. verhängten Einzelstra-
fe und damit der Gesamtsstrafe.
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I.
Das Landgericht hat folgende Feststellungen getroffen:
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Am 9. oder 10. Mai 2002 schlug der Angeklagte im gemeinsamen Wohn-
anwesen zunächst mehrmals mit großer Kraft einen schweren großflächigen
Gegenstand gegen den Kopf seiner Ehefrau G. H. oder stieß - nach
Eintritt der Bewusstlosigkeit - ihren Kopf mit großer Kraft gegen einen derarti-
gen Gegenstand. G. H. erlitt drei Schädelbrüche, wobei eine der
Frakturen auch durch den ungehemmten Aufprall des Kopfes infolge Bewusst-
losigkeit verursacht worden sein kann. Anschließend tötete der Angeklagte in
unmittelbarem zeitlichem Zusammenhang seine Tochter J. H. auf
eine nicht bekannte Weise. Weitere Einzelheiten des eigentlichen Tathergangs
hat das Landgericht nicht feststellen können.
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Nach den Taten versteckte er die Leichen in einem 30 Kilometer entfernt
liegenden Wald, nachdem er ihre Extremitäten mit Paketklebeband fixiert und
sie mit Folie und Textilien umwickelt hatte. Mehr als drei Jahre später, am
23. August 2005, wurden die beiden Leichen in skelettiertem Zustand entdeckt.
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- 6 -
II.
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Revision des Angeklagten:
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Die Revision des Angeklagten hat bereits mit der Verfahrensrüge Erfolg,
die Kammer habe bei der Urteilsfindung rechtsfehlerhaft die Zeugenaussagen
des Angeklagten am 26. September und 13. November 2002 verwertet, obwohl
er als Beschuldigter hätte vernommen und dementsprechend belehrt werden
müssen (Verstoß gegen § 136 Abs. 1, § 163a Abs. 4 StPO).
1. Der Rüge liegt folgendes Geschehen zugrunde:
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Der Angeklagte zeigte am 13. Mai 2002 das Verschwinden von Ehefrau
und Tochter an. Auf Grund dieser Vermisstenanzeige wurde zunächst lediglich
bei der Polizei ein "Vermisstenvorgang" geführt. Der Angeklagte wurde am
13. Mai, 16. Mai, 12. August und 26. September 2002 von Polizeibeamten als
Zeuge vernommen. Er wurde - nur - vor der Zeugenvernehmung am 26. Sep-
tember darauf hingewiesen, dass er "bei der Polizei … überhaupt nichts sagen"
und jedenfalls "keine Angaben machen brauche(…), die … (ihn) belasten könn-
ten". Bei den Vernehmungen äußerte sich der Angeklagte umfassend zur Sa-
che. Am 4. Oktober 2002 legte die Polizei den Vorgang der Staatsanwaltschaft
vor, die am 7. Oktober 2002 ein "Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt wegen
des Verdachts eines nichtnatürlichen Todesfalls" einleitete. Am 10. Oktober
2002 erfolgte eine Suchaktion mit Leichensuchhunden mit dem Einverständnis
des Angeklagten auf seinem Grundstück einschließlich des Wohnhauses. Am
13. November 2002 sagte der Angeklagte bei der Polizei nochmals ergänzend
als Zeuge zur Sache aus, ohne belehrt worden zu sein.
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Als am 8. März 2003 ein Ledermäppchen mit Plastikkarten der Ehefrau in
der Nähe des Anwesens des Angeklagten aufgefunden wurde, leitete die
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Staatsanwaltschaft mit Verfügung vom 10. März 2003 gegen ihn ein Ermitt-
lungsverfahren wegen Mordes in zwei Fällen ein. Am 21. März 2003 wurde er
als Beschuldigter vernommen; nach Beschuldigtenbelehrung, allerdings ohne
dass auf die Nichtverwertbarkeit früherer Aussagen hingewiesen wurde (sog.
qualifizierte Belehrung), machte er ergänzende Angaben zur Sache. Weil weite-
re Ermittlungen keine hinreichend sicheren Erkenntnisse über den Tod oder
den Verbleib der beiden Frauen erbrachten, wurde das Verfahren am 3. Juni
2004 nach § 170 Abs. 2 StPO eingestellt.
Nachdem die beiden Leichen - die der Ehefrau eingewickelt in einen aus
dem gemeinsamen Haushalt stammenden Teppich - entdeckt worden waren,
erging nach Wiederaufnahme der Ermittlungen am 26. August 2005 Haftbefehl
gegen den Angeklagten, auf Grund dessen seit demselben Tag Untersu-
chungshaft gegen ihn vollzogen wird. Bei einer Beschuldigtenvernehmung am
29. August 2005 sagte der Angeklagte nach - nicht qualifizierter - Belehrung er-
neut ergänzend aus.
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In der Hauptverhandlung, die am 27. Februar 2006 begann, machte der
Angeklagte lediglich Angaben zu seinen persönlichen Verhältnissen und zu sei-
nem Lebenslauf; zur Sache ließ er sich nicht ein. Die Verteidigung widersprach
rechtzeitig der Verwertung der Aussagen des Angeklagten unter anderem vom
26. September und 13. November 2002, da der Angeklagte als Beschuldigter
hätte belehrt werden müssen. Die Schwurgerichtskammer wies den Wider-
spruch zurück.
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2. Die Revision macht geltend, dass der Angeklagte bei den Zeugenaus-
sagen vom 26. September und 13. November 2002 aus Sicht der Verneh-
mungsbeamten "längst" Beschuldigter gewesen sei. Im Zentrum des Revisions-
vorbringens steht dabei die Vernehmung am 26. September 2002; die Beschul-
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digteneigenschaft ergebe sich hier aus den zuvor bei den Ermittlungen gewon-
nenen Erkenntnissen sowie aus dieser Vernehmung selbst.
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Zur Zeit der Vernehmung seien die Ehefrau und die Tochter des Ange-
klagten schon mehr als viereinhalb Monate lang verschwunden gewesen. Von
der Polizei eingeleitete umfangreiche Suchmaßnahmen seien erfolglos geblie-
ben. Nach den polizeilichen Erkenntnissen hätten die Vermissten keinen Kon-
takt zu Verwandten oder Freunden aufgenommen; auf dem Giro- und dem Kre-
ditkartenkonto der Ehefrau seien keine Bewegungen zu verzeichnen gewesen.
Die Vernehmung sei von Vorhalten und Fragen geprägt, aus denen her-
vorgehe, dass der Vernehmungsbeamte "nicht nur im Sinne eines subjektiven
'Gefühls'", sondern "auf der Grundlage des aktuellen Ermittlungsstands einer-
seits davon überzeugt war, dass G. und J. H. tot waren, und
andererseits, dass der Angeklagte mit dem Tod der beiden 'in Zusammenhang'
stand". Der Vernehmungsbeamte habe auch zum Ausdruck gebracht, dass er
die Angaben des Angeklagten insbesondere insoweit für nicht glaubhaft halte,
als dieser Erinnerungsdefizite für die Tage nach dem Verschwinden behauptet
habe.
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3. Die Verwertung der Aussagen des Angeklagten vom 26. September
und 13. November 2002 durch das Landgericht ist auf Grund der fehlenden Be-
lehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2, § 163a Abs. 4 StPO rechtsfehlerhaft. Denn
der Angeklagte erlangte mit der Vernehmung am 26. September 2002 und mit
der anschließenden Suchmaßnahme auf seinem Anwesen den Status eines
Beschuldigten.
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a) Der § 136 StPO zugrunde liegende Beschuldigtenbegriff vereinigt sub-
jektive und objektive Elemente. Die Beschuldigteneigenschaft setzt - subjektiv -
den Verfolgungswillen der Strafverfolgungsbehörde voraus, der sich - objektiv -
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in einem Willensakt manifestiert (vgl. BGHSt 38, 214, 228; BGH NJW 1997,
1591; Rogall in SK-StPO 41. Lfg. vor § 133 Rdn. 33; vgl. auch § 397 Abs. 1
AO). Wird gegen eine Person ein förmliches Ermittlungsverfahren eingeleitet,
liegt darin ein solcher Willensakt. Andernfalls beurteilt sich dessen Vorliegen
danach, wie sich das Verhalten des ermittelnden Beamten nach außen, insbe-
sondere in der Wahrnehmung des davon Betroffenen darstellt (BGHSt aaO).
Dabei ist zwischen verschiedenen Ermittlungshandlungen wie folgt zu differen-
zieren:
Strafprozessuale Eingriffsmaßnahmen, die nur gegenüber dem Beschul-
digten zulässig sind, sind Handlungen, die ohne weiteres auf den Verfolgungs-
willen der Strafverfolgungsbehörde schließen lassen (Rogall aaO Rdn. 23).
Aber auch Eingriffsmaßnahmen, die an einen Tatverdacht anknüpfen, begrün-
den grundsätzlich die Beschuldigteneigenschaft des von der Maßnahme betrof-
fenen Verdächtigen, weil sie regelmäßig darauf abzielen, gegen diesen wegen
einer Straftat strafrechtlich vorzugehen; so liegt die Beschuldigtenstellung des
Verdächtigen auf der Hand, wenn eine Durchsuchung nach § 102 StPO dazu
dient, für seine Überführung geeignete Beweismittel zu gewinnen (vgl. BGH
NJW 1997, 1591, 1592; Hanack in Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 136
Rdn. 4). Anders liegt es bei Vernehmungen. Bereits aus §§ 55, 60 Nr. 2 StPO
ergibt sich, dass im Strafverfahren auch ein Verdächtiger im Einzelfall als Zeu-
ge vernommen werden darf, ohne dass er über die Beschuldigtenrechte belehrt
werden muss (vgl. BGHSt 10, 8, 10; 17, 128, 133; Hanack aaO; Rogall aaO
Rdn. 11; ferner BVerfG [Kammer], Beschl. vom 8. Dezember 2005 - 2 BvR
1513/05). Der Vernehmende darf dabei auch die Verdachtslage weiter abklä-
ren; da er mithin nicht gehindert ist, den Vernommenen mit dem Tatverdacht zu
konfrontieren, sind hierauf zielende Vorhalte und Fragen nicht zwingend ein hin-
reichender Beleg dafür, dass der Vernehmende dem Vernommenen als Be-
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schuldigten gegenübertritt. Der Verfolgungswille kann sich jedoch aus dem Ziel,
der Gestaltung und den Begleitumständen der Befragung ergeben.
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Ergibt sich die Beschuldigteneigenschaft nicht aus einem Willensakt der
Strafverfolgungsbehörden, kann - abhängig von der objektiven Stärke des Tat-
verdachts - unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der Beschuldigtenrechte
gleichwohl ein Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2
StPO vorliegen. Ob die Strafverfolgungsbehörde einen solchen Grad des Ver-
dachts auf eine strafbare Handlung für gegeben hält, dass sie einen Verdächti-
gen als Beschuldigten vernimmt, unterliegt ihrer pflichtgemäßen Beurteilung. Im
Rahmen der gebotenen sorgfältigen Abwägung aller Umstände des Einzelfalls
kommt es dabei darauf an, inwieweit der Tatverdacht auf hinreichend gesicher-
ten Erkenntnissen hinsichtlich Tat und Täter oder lediglich auf kriminalistischer
Erfahrung beruht. Falls jedoch der Tatverdacht so stark ist, dass die Strafverfol-
gungsbehörde andernfalls willkürlich die Grenzen ihres Beurteilungsspielraums
überschreiten würde, ist es verfahrensfehlerhaft, wenn dennoch nicht zur Be-
schuldigtenvernehmung übergegangen wird (vgl. BGHSt 37, 48, 51 f.; 38, 214,
228; BGH NJW 1994, 2904, 2907; 1996, 2663; 1997, 1591; NStZ-RR 2002, 67
[bei Becker]; 2004, 368; Beschl. vom 25. Februar 2004 - 4 StR 475/03).
Andererseits kann der Umstand, dass die Strafverfolgungsbehörde - zu-
mal bei Tötungsdelikten - erst bei einem konkreten und ernsthaften Tatverdacht
zur Vernehmung des Verdächtigen als Beschuldigten verpflichtet ist, für ihn
auch eine schützende Funktion haben. Denn der Vernommene wird hierdurch
nicht vorschnell mit einem Ermittlungsverfahren überzogen, das erhebliche
nachteilige Konsequenzen für ihn haben kann.
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b) Gemessen an diesen Grundsätzen ist es zwar nicht zu beanstanden,
dass Staatsanwaltschaft und Polizei die Verdachtslage dahingehend beurteil-
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ten, dass noch keine zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte für einen ernst-
haften Tatverdacht auf ein Tötungsdelikt des Angeklagten vorhanden waren
(nachfolgend aa). Jedoch zeigten die Ermittlungsbeamten bei der Vernehmung
am 26. September 2002 und danach ein Verhalten, aus welchem sich für den
Angeklagten ergab, dass sie ihm als Beschuldigten begegneten (nachfolgend
bb).
aa) Nach der dienstlichen Stellungnahme des Sitzungsvertreters der
Staatsanwaltschaft vom 6. März 2006 gingen Staatsanwaltschaft und Polizei bis
zum Auffinden des Kartenmäppchens am 8. März 2003 - also bei sämtlichen
Zeugenvernehmungen - davon aus, dass "noch keine Tatsachen vorlagen, die
einen konkreten und ernsthaften Verdacht gegen den Angeklagten begründet
hätten". Diese Beurteilung entsprach dem Stand der Ermittlungen. Denn die Er-
kenntnisse in dem Vermisstenfall erschöpften sich weitgehend darin, dass
G. und J. H. schon längere Zeit - am 26. September 2002
seit mehr als viereinhalb Monaten - "spurlos" verschwunden waren. Dies gilt
namentlich für die erfolglosen Suchaktionen, den ausbleibenden Kontakt zu
Verwandten und Freunden sowie die fehlenden Kontenbewegungen. Auf der
anderen Seite lagen Hinweise vor, die gegen einen Tatverdacht sprachen; so
hatten sich etwa Personen bei der Polizei gemeldet, welche die Vermissten
noch nach ihrem Verschwinden gesehen haben wollten.
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Nach alledem durften die Vernehmungsbeamten zunächst davon ausge-
hen, dass keine gesicherten Erkenntnisse gegeben waren, die einen derart
starken Tatverdacht gegen den Angeklagten begründeten, dass die Einleitung
eines Ermittlungsverfahrens von Rechts wegen geboten war. Den Strafverfol-
gungsbehörden fehlten hinreichende objektive Anhaltspunkte dafür, dass über-
haupt Straftaten vorlagen. Allein die Vorstellung, falls sich entsprechende Tat-
sachen herausstellen sollten, werde in erster Linie gegen den Angeklagten vor-
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gegangen, begründete nicht dessen Beschuldigtenstellung (vgl. in diesem Sin-
ne BGHSt 49, 29, 31 f.).
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bb) Neben der Stärke des Tatverdachts ist jedoch auch von Bedeutung,
wie sich das Verhalten des Beamten nach außen, auch in der Wahrnehmung
des Vernommenen darstellt. Hier folgt der Verfolgungswille aus dem Ziel, der
Gestaltung und den Begleitumständen der Vernehmung am 26. September
2002 und der darauf folgenden Suchmaßnahme auf dem Anwesen des Ange-
klagten:
Eine - aus der Sicht des Angeklagten zu beurteilende - Gesamtschau al-
ler relevanten Umstände ergibt, dass die Vernehmung vornehmlich dazu diente,
den Angeklagten, von dessen mutmaßlicher Täterschaft sich der Verneh-
mungsbeamte überzeugt zeigte, zu überführen. In der lediglich von kurzen
Pausen unterbrochenen fast zehnstündigen Vernehmung ging es diesem er-
kennbar insbesondere darum, den Angeklagten mit Ungereimtheiten seines
bisherigen Aussageverhaltens und zuletzt direkt mit dem Vorwurf von Tötungs-
verbrechen zu konfrontieren. Die Gestaltung der Vernehmung lässt erkennen,
dass der Vernehmungsbeamte mittels kriminalistischer Taktik einen Tatnach-
weis ermöglichen oder einen gegebenenfalls erst später möglichen Tatnach-
weis erleichtern wollte. Die Vernehmung war von Vorhalten und Fragen ge-
prägt, die erkennbar auf "Schwachstellen" in den bisherigen Aussagen zielten
und zuletzt in eindringlicher Form auf ein Geständnis hinwirkten:
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So äußerte der Vernehmungsbeamte schon zu Beginn der Vernehmung,
dass nach seiner Überzeugung G. und J. H. tot seien. Noch
in einem frühen Stadium erklärte er weiterhin, dass der Angeklagte bereits aus
der Belehrung, sich nicht selbst belasten zu müssen, erkennen könne, dass der
Vernehmungsbeamte ihm "im Zusammenhang mit dem Verschwinden von Frau
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und Kind … bis zu einem gewissen Grad Misstrauen entgegenbringe". Der An-
geklagte bekundete beispielsweise, schon kurz nachdem Ehefrau und Tochter
verschwunden gewesen seien, so "von der Rolle" gewesen zu sein, dass er
nunmehr Erinnerungslücken habe, obwohl er zuvor ausgesagt hatte, die Ehe
sei zerrüttet gewesen und seine Ehefrau habe schon früher unangekündigt
auswärts übernachtet. Daraufhin äußerte der Vernehmungsbeamte, dass er
dem Angeklagten insoweit nicht glaube ("ich glaube Ihnen kein Wort"); mit der
Geltendmachung von Erinnerungslücken wolle der Angeklagte "nur umgehen,
dass … (er) sich eventuell in Widersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungser-
gebnis verstricken" könnte. Sodann stellte der Vernehmungsbeamte zwar aus-
drücklich die vergleichsweise schwache Beweislage heraus, indem er sagte:
"Gut, Herr H. , ich kann Ihnen natürlich nicht das Gegenteil (davon) bewei-
sen, dass es bei Ihnen so war. Das kann ich natürlich nicht." Als der Angeklagte
auf den nochmaligen Vorhalt, seine Angaben seien nicht glaubhaft, so dass
sich die Frage stelle, was er "mit dem Verschwinden von der G. und der
J. zu tun" habe, auf diesen Angaben beharrte, äußerte der Verneh-
mungsbeamte jedoch auch, dass der Angeklagte sich durch sein derzeitiges
Aussageverhalten "nur noch verdächtiger" mache. Im weiteren Verlauf hielt der
Vernehmungsbeamte - vor dem Hintergrund erheblicher Probleme des Ange-
klagten mit der Zeugungsfähigkeit - ihm vor, er könnte in einem Streitgespräch
mit seiner Ehefrau erfahren haben, dass er nicht der Erzeuger seiner Tochter
sei. Um diese den Angeklagten belastende Sachverhaltsvariante "in den Griff
(zu) bekommen", forderte er die Entbindung des behandelnden Arztes von der
Schweigepflicht, die der Angeklagte auch erteilte. Schließlich wurden die Vor-
halte zunehmend eindringlicher (etwa: "Das Gewissen plagt Sie nicht?" oder
"Dass Sie uns eventuell sagen, wo die Leichen sind!"). Zuletzt forderte der Ver-
nehmungsbeamte noch die Zustimmung des Angeklagten zu einer Nachschau
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in seinem Haus und die Abgabe einer Speichelprobe für eine DNA-Analyse; mit
beidem erklärte sich dieser einverstanden.
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Wie bereits ausgeführt (vgl. oben II. 3. a), führen auf den Tatverdacht
zielende Vorhalte und Fragen nicht notwendig dazu, dass der Vernommene als
Beschuldigter zu belehren ist. Die Vorhalte und Fragen dienten hier jedoch für
den Angeklagten erkennbar zum einen dazu, neue Ermittlungsansätze gegen
ihn zu gewinnen (Schweigepflichtsentbindung; Nachschau im Haus; DNA-
Analyse) und ein Geständnis von ihm zu erlangen. Zum anderen wollte der Ver-
nehmungsbeamte Widersprüche im Aussageverhalten des Angeklagten aufde-
cken. So deutet etwa der Vorhalt, der Angeklagte wolle mit der Geltendma-
chung von Erinnerungslücken "nur umgehen, dass … (er) sich eventuell in Wi-
dersprüche zu(m) … etwaigen Ermittlungsergebnis verstricken" könnte, darauf
hin, dass es dem Vernehmungsbeamten zu diesem Zeitpunkt, sollte der Ange-
klagte - wunschgemäß - präzisere Angaben machen, insbesondere auch um
die Aufdeckung derartiger Widersprüche zum Zweck eines Tatnachweises ging.
Entgegen der bereits erwähnten Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom
6. März 2006 erfolgte somit die Befragung erkennbar gerade nicht vor dem Hin-
tergrund, "dass ein Angehöriger bei einem Vermisstenfall zu den Umständen
des Verschwindens unwahre oder unvollständige Angaben macht, die nichts mit
der Verheimlichung eines von ihm selbst begangenen Tötungsdelikt zu tun ha-
ben". Unter Berücksichtigung aller Umstände war dieses Vorgehen daher im
vorliegenden Fall mit einer Vernehmung des Angeklagten als Zeugen nicht
mehr zu vereinbaren.
Der Wille der Strafverfolgungsbehörden, gegen den Angeklagten als Be-
schuldigten vorzugehen, ergibt sich weiterhin aus der Suchmaßnahme kurze
Zeit später, zu der der Angeklagte bei der Vernehmung sein Einverständnis er-
teilt hatte. Am 10. Oktober 2002, noch vor der Vernehmung am 13. November
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2002, suchten Ermittlungsbeamte das Anwesen des Angeklagten einschließlich
des Wohnhauses mit Leichensuchhunden ab. Der Stellungnahme der Staats-
anwaltschaft zufolge sollte die Maßnahme "der Klärung der Frage (dienen), ob
die Vermissten eventuell - auf welche Weise auch immer - in dem Anwesen
selbst zu Tode gekommen sein könnten". Diese Maßnahme bezweckte daher
die Überführung des Angeklagten. Hätte sie nämlich Erfolg gehabt, wären also
auf dem Anwesen Leichen oder Leichenteile oder sonstige Hinweise dafür ge-
funden worden, dass die Vermissten dort zu Tode gekommen sein könnten, wä-
ren alle anderen Möglichkeiten als vom Angeklagten begangene Tötungsdelikte
kaum ernsthaft in Betracht gekommen. Dies gilt unabhängig davon, ob und wie
viele andere Suchaktionen nach dem Verschwinden von G. und J.
H. erfolgten. Die Beurteilung durch die Staatsanwaltschaft, dass die
Suchmaßnahme am 10. Oktober 2002 "im Erfolgsfall (erst) zu einem Anfangs-
verdacht (hätte) führen können", ist deshalb nicht vertretbar.
c) Der Verstoß gegen die Belehrungspflicht nach § 136 Abs. 1 Satz 2,
§ 163a Abs. 4 StPO wurde nicht dadurch geheilt, dass der Angeklagte am
21. März 2003 und 29. August 2005 nach ordnungsgemäßer Beschuldigtenbe-
lehrung erneut Angaben machte. Der Senat braucht hier nicht zu entscheiden,
ob und inwieweit auch ohne Hinweis auf die Nichtverwertbarkeit der früheren
Angaben (sog. qualifizierte Belehrung) eine Heilung der vorausgegangenen feh-
lerhaften Belehrung in Betracht kommt, wenn der Beschuldigte die Angaben
- pauschal - bestätigt (insoweit offen gelassen von BGHSt 47, 172, 175). Denn
die Aussagen vom 21. März 2003 und 29. August 2005 waren nur ergänzender
Natur; der Angeklagte bestätigte seine früheren Angaben indessen nicht.
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d) Da die Verteidigung der Verwertung der Aussagen des Angeklagten
vom 26. September und 13. November 2002 rechtzeitig widersprochen hat,
zog der Verstoß gegen die Pflicht zur Beschuldigtenbelehrung das Verbot einer
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Verwertung dieser Aussagen zu Beweiszwecken nach sich (st. Rspr. seit
BGHSt 38, 214). Allein die Belehrung des Angeklagten dahingehend, bei der
Polizei überhaupt nichts sagen zu müssen, und gemäß § 55 Abs. 2, § 163a
Abs. 5 StPO dahingehend, jedenfalls keine Angaben machen zu müssen, die
ihn belasten könnten, kann in aller Regel die gebotene Belehrung über das
vollumfängliche Aussageverweigerungsrecht nicht ersetzen. Hinzu kommt, dass
diese Belehrungen - anders als die Belehrung nach § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO -
keinen Hinweis auf das Recht zur Verteidigerkonsultation enthielten (vgl. in die-
sem Zusammenhang auch BGHSt 47, 172, 174).
4. Auf dem Rechtsfehler beruht das angegriffene Urteil (§ 337 Abs. 1
StPO). Es ist nicht auszuschließen, dass das Landgericht anders entschieden
hätte, wenn es nicht sämtliche Aussagen des Angeklagten in diesem Verfahren
für verwertbar gehalten hätte. Soweit das Landgericht seine Überzeugung von
der Schuld unter anderem darauf gestützt hat, dass das Verhalten des Ange-
klagten nach dem Verschwinden der Opfer nicht nachvollziehbar sei und seine
Angaben in dem Verfahren vage und widersprüchlich gewesen oder widerlegt
worden seien, hat es nämlich maßgebend auf die Vernehmung am 26. Sep-
tember 2002 Bezug genommen.
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5. Der aufgezeigte Mangel führt zur Aufhebung des Urteils. Die Sachbe-
schwerde kann daher auf sich beruhen. Der Senat bemerkt jedoch, dass die
Möglichkeit einer nur fahrlässigen Tötung von J. H. , deren aus-
drückliche Erörterung die Revision des Angeklagten vermisst, nach der Ge-
samtschau der Urteilsgründe nicht nahe liegend erscheint.
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III.
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Revision der Staatsanwaltschaft:
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Die Staatsanwaltschaft beanstandet zu Recht, dass die Schwurgerichts-
kammer das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht hinsichtlich der Tötung von
J. H. verneint hat.
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1. Dass der Angeklagte seine Tochter nicht in der Absicht tötete, den vo-
rausgegangenen Totschlag an seiner Ehefrau zu verdecken, hat das Landge-
richt auf zwei - teilweise ineinander greifende - Erwägungen gestützt:
a) Zum einen geht es davon aus, die Verdeckungsabsicht hätte hier "zu-
mindest eine gewisse Zeitspanne zwischen der Tötung beider Opfer" vorausge-
setzt, "in der sich der Angeklagte unter Abwägung des Für und Wider zur Be-
gehung der weiteren Tat" entschieden hätte. "Anhaltspunkte dafür, dass dem
Angeklagten eine ausreichende Zeitspanne für derartige Überlegungen blieb",
bestünden aber nicht. Vielmehr sei möglich, dass er sich "in Bruchteilen einer
Sekunde" auch zur Tötung seiner Tochter entschlossen habe.
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b) Zum anderen könne - unabhängig davon - ein sogenannter "Affekt-
übersprung" nicht ausgeschlossen werden. Nach dem Ergebnis der Beweisauf-
nahme sei jedenfalls möglich, dass J. H. während einer heftigen
ehelichen Auseinandersetzung anwesend und in diese involviert gewesen sein
könnte. Weil sie um die Vorlieben des Angeklagten für pornographische Dar-
stellungen im Internet wusste, sei es dann nahe liegend, dass sie in der für sie
extrem belastenden Situation ihre Eltern mit diesem Wissen konfrontiert, sich
erstmals in außergewöhnlicher Weise gegen den Vater aufgelehnt und für ihre
Mutter Partei ergriffen habe. Möglich sei aber auch, dass sie - mit der Gewalttat
des Vaters gegenüber der Mutter konfrontiert - geschrieen und geweint sowie
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eventuell neben ihrer Angst auch ihre Abscheu gegenüber dessen Verhalten
zum Ausdruck gebracht habe. Vor diesem Hintergrund käme ein "Affektüber-
sprung" in Betracht, obwohl der psychiatrische Sachverständige dies unter Hin-
weis auf den Altersunterschied des Opfers zum Angeklagten für fern liegend
erachtet habe. Ein derartiger "Affektübersprung" hätte darauf beruhen können,
dass dieser seine Tochter "gleichsam als eine weitere, mit seiner ihn zutiefst
kränkenden Ehefrau verbündete ('ebenbürtige') 'Gegnerin' angesehen haben"
könnte.
2. Schon für sich gesehen hält keine dieser Erwägungen sachlich-
rechtlicher Überprüfung stand; auf die Frage eines Zusammenspiels der Erwä-
gungen kann es daher nicht ankommen. Die Ausführungen zu den rechtlichen
Voraussetzungen der Verdeckungsabsicht zeigen, dass die Kammer insoweit
von einem unzutreffenden Maßstab ausgegangen ist (nachfolgend a). Soweit
die Kammer annimmt, ein "Affektübersprung" könne nicht ausgeschlossen wer-
den, ist die Beweiswürdigung nicht frei von Rechtsfehlern (nachfolgend b).
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a) Das Mordmerkmal der Verdeckungsabsicht kann auch bei einem in
einer unvorhergesehenen Augenblickssituation spontan gefassten Tötungsent-
schluss gegeben sein. Die Absicht zur Verdeckung einer anderen Tat erfordert
keine Überlegung des Täters im Sinne eines abwägenden Reflektierens über
die eigenen Ziele. Vielmehr genügt es, dass er die "Verdeckungslage" gleich-
sam "auf einen Blick" erfasst (vgl. BGHSt 35, 116; BGH NJW 1999, 1039, 1041;
Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 184 ff.; zu dem insoweit gleich zu be-
handelnden Ausnutzungsbewusstsein beim Mordmerkmal der Heimtücke vgl.
Senat NStZ-RR 2005, 264, 265), wobei in der Regel ein vorhandenes gedankli-
ches Mitbewusstsein ausreicht (BGH NJW aaO). Die Auffassung, der Annahme
von Verdeckungsabsicht stünde entgegen, dass sich der Angeklagte angesichts
der Reaktion seiner Tochter "in Bruchteilen einer Sekunde" auch zu ihrer Tö-
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- 19 -
tung entschlossen haben könnte, belegt, dass die Kammer von einem unzutref-
fenden Maßstab ausgegangen ist.
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b) Der aufgezeigte Mangel wäre im Ergebnis unerheblich, wenn infolge
des - von der Kammer als nicht ausschließbar angenommenen - "Affektüber-
sprungs" dem Angeklagten das (gedankliche Mit-)Bewusstsein gefehlt hätte,
dass die Tötung seiner Tochter die Aufklärung der Tötung der Ehefrau er-
schwert, und er nicht in diesem Sinne zielgerichtet gehandelt hätte. Jedoch hält
die dieser Annahme zugrunde liegende Beweiswürdigung rechtlicher Überprü-
fung nicht stand.
Die Würdigung der Beweise ist Sache des Tatrichters. Ein Urteil ist je-
doch aufzuheben, wenn die Beweiswürdigung rechtsfehlerhaft ist. Dies ist etwa
dann der Fall, wenn sie widersprüchlich, unklar oder lückenhaft ist oder gegen
Denkgesetze oder gesicherte Erfahrungssätze verstößt; ferner dann, wenn der
Tatrichter an die für die Überzeugungsbildung erforderliche Gewissheit über-
spannte Anforderungen stellt (st. Rspr.; vgl. nur Senat NJW 2002, 2188, 2189;
2006, 1297, 1298; NStZ-RR 2003, 371 LS; 2005, 147 f.).
41
Gegen die Feststellungen zur Tötungsreihenfolge und zur affektbeding-
ten Enthemmung des Angeklagten ist - im Ausgangspunkt - revisionsrechtlich
nichts zu erinnern. Basierend auf einer - noch - tragfähigen Tatsachengrundla-
ge hat die Kammer insoweit namentlich aus dem Zustand der Ehe und dem
Verhältnis des Angeklagten zu seiner Tochter sowie den Persönlichkeiten der
Eheleute unter Berücksichtigung der hinsichtlich G. H. festgestellten
Tötungshandlungen mögliche Schlüsse gezogen; zwingend brauchen diese
nicht zu sein (st. Rspr.; vgl. nur Senatsurt. vom 21. Februar 2006 - 1 StR 456/05
m.w.N.).
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- 20 -
Die Beweiswürdigung zu einem die Verdeckungsabsicht ausschließen-
den "Affektübersprung" ist jedoch lückenhaft (nachfolgend aa) und lässt besor-
gen, dass das Landgericht an die für die Überzeugungsbildung erforderliche
Gewissheit überspannte Anforderungen gestellt hat (nachfolgend bb).
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44
aa) Im Zusammenhang mit dem "Affektübersprung" ist lediglich ange-
führt, dass dieser "in Unkenntnis des tatsächlichen Verlaufs und der (etwaigen)
Heftigkeit des Ehestreits nicht sicher auszuschließen" sei; auch der "befriedi-
gende" Geschlechtsverkehr, den der Angeklagte erstmals in der Nacht vom
11. auf den 12. Mai 2002 mit D. hatte, spreche nicht dagegen.
Demgegenüber bleiben die gegen eine derart starke affektive Erregung
sprechenden Umstände unerörtert. Im Zusammenhang mit der Ablehnung einer
erheblich eingeschränkten Schuldfähigkeit ist die Kammer nämlich "zu der
Überzeugung gelangt, dass weder die Persönlichkeit des Angeklagten noch die
sich aus der Ehesituation möglicherweise ergebenden Konfliktlagen noch be-
sondere tatnahe Umstände und Verhaltensweisen" für eine durch die affektive
Belastung hervorgerufenen Bewusstseinsstörung im Sinne von § 21 StGB sprä-
chen. Zudem fehlten sogenannte "konstellative Faktoren" wie etwa der Konsum
von Alkohol. Insbesondere sei aber das Nachtatverhalten zu würdigen; neben
dem Geschlechtsverkehr führt das Urteil in diesem Zusammenhang die gezielte
Beseitigung von Tatspuren, das unauffällige Verhalten bei Kontakt mit Dritten
im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit den Taten sowie die gekonnte
Darstellung eines Vermisstenfalls an. Hieraus schließt die Kammer auf "eine
(beim Angeklagten) zum Tatzeitpunkt vollständig vorhandene Einsichts- und
Steuerungsfähigkeit".
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All diese Umstände können jedoch auch für den vom Landgericht als
nicht ausschließbar erachteten "Affektübersprung" relevant sein, ohne dass sie
46
- 21 -
in diesem Zusammenhang allerdings erörtert sind. Dies wäre jedoch geboten
gewesen, nachdem das Landgericht dem Zustand affektiver Erregung für die
Ablehnung des Mordmerkmals der Verdeckungsabsicht entscheidende Bedeu-
tung beimisst.
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bb) Darüber hinaus lassen die Ausführungen im Urteil auch besorgen,
dass die Kammer überspannte Anforderungen an die Feststellung gestellt hat,
der Angeklagte habe J. H. mit Verdeckungsabsicht getötet. Insbe-
sondere gebietet der Zweifelssatz nicht, zu Gunsten des Angeklagten Tatvari-
anten - auch hinsichtlich innerer Tatsachen - zu unterstellen, für deren Vorlie-
gen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.;
vgl. nur Senatsurt. vom 11. Juli 2006 - 1 StR 188/06 m.w.N.). Das Urteil nennt
weder im Zusammenhang mit der Verdeckungsabsicht noch an anderer Stelle
Anhaltspunkte, die konkret darauf hinweisen könnten, der Zustand affektiver Er-
regung habe die Vorstellungen des Angeklagten bei der Tötung von J.
H. völlig dominieren können. Das Urteil führt sogar an, dass nach den Aus-
führungen des Sachverständigen ein "Affektübersprung" auf Grund des Alters-
unterschieds zwischen dem Angeklagten und seiner Tochter fern liege. Die
Kammer hat sich offensichtlich dieser Wertung angeschlossen; jedenfalls ist
Gegenteiliges nicht angeführt. Gleichwohl hat sie sich daran gehindert gesehen,
einen solchen "Affektübersprung … sicher" auszuschließen. Dies lässt besor-
gen, dass sie für die Überzeugungsbildung von der Notwendigkeit einer jede
denktheoretische Möglichkeit ausschließenden, von niemandem mehr anzwei-
felbaren Gewissheit ausgegangen ist (vgl. Schoreit in KK 5. Aufl. § 261 Rdn. 4
m.w.N.).
Hinsichtlich der Auswirkung einer affektiven Erregung auf das Mord-
merkmal der Verdeckungsabsicht ist - zumal bei uneingeschränkter Schuldfä-
higkeit - auch zu berücksichtigen, dass eine affektive Erregung ohnehin bei den
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- 22 -
meisten Tötungsdelikten den Normalfall darstellt (BGH NStZ-RR 2003, 8) und
für Verdeckungstötungen sogar typisch ist (vgl. BGH NJW 1999, 1039, 1041).
Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs hat ein solcher Erregungs-
zustand dementsprechend im Regelfall keinen Einfluss auf die Verdeckungsab-
sicht (vgl. BGH NJW aaO; Urt. vom 15. Januar 2004 - 3 StR 382/03; zusam-
menfassend Schneider in MünchKomm § 211 Rdn. 187).
3. Die Aufhebung der Verurteilung wegen Totschlags an J.
H. auf die Revision der Staatsanwaltschaft führt zur Aufhebung der deswe-
gen verhängten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe sowie der lebenslangen Ge-
samtfreiheitsstrafe. Mit der Aufhebung des Schuldspruchs entfällt zugleich die
Grundlage für den Strafausspruch. Eine Aufrechterhaltung der wegen der Tö-
tung von J. H. von der Schwurgerichtskammer gemäß § 212
Abs. 2 StGB verhängten lebenslangen Einzelfreiheitsstrafe und der dement-
sprechenden Gesamtfreiheitsstrafe bei gleichzeitiger Aufhebung des zu Grunde
liegenden Schuldspruchs ist nicht möglich (in vergleichbarem Sinne BGHR
StPO § 267 Abs. 2 Schuldfähigkeit 1). Ist aber die lebenslange (Gesamt-)Frei-
heitsstrafe aufzuheben, so ist für die Prüfung der Frage, ob die Kammer zu
Recht von der Feststellung besonderer Schuldschwere (§ 57a StGB) abgese-
hen hat, kein Raum mehr.
49
IV.
Der Senat macht - entsprechend auch den übereinstimmenden Anträgen
von Verteidigung und Generalbundesanwalt in der Revisionshauptverhand-
lung - von der Möglichkeit Gebrauch, die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1
Alt. 2 StPO an ein anderes Landgericht zurückzuverweisen.
50
- 23 -
V.
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Die Revision des Angeklagten hat die Frage aufgeworfen, ob für die
Aussagen des Angeklagten bei den Beschuldigtenvernehmungen am 21. März
2003 und 29. August 2005 mangels qualifizierter Belehrungen ein Beweisver-
wertungsverbot besteht. Diese Frage hätte vor allem dann Gewicht, wenn es
aus der Sicht des neuen Tatrichters wiederum auf den Inhalt der in Rede ste-
henden Aussagen ankommen sollte.
1. Eine qualifizierte Belehrung dient in erster Linie der Heilung von Ver-
stößen gegen Belehrungspflichten. War nämlich der Vernommene rechtsfehler-
haft nicht als Beschuldigter belehrt worden und erfolgt bei einer späteren Be-
schuldigtenvernehmung auch ein Hinweis auf die Unverwertbarkeit seiner frü-
heren Aussage, ist diese frühere Aussage gleichwohl verwertbar, soweit er sie
nach dem Hinweis - gegebenenfalls pauschal - bestätigt (vgl. Meyer-Goßner,
StPO 50. Aufl. § 136 Rdn. 9).
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2. Dies beantwortet für sich genommen nicht die Frage, ob die nach
- allerdings nicht qualifizierter - Beschuldigtenbelehrung gemachten Aussagen
verwertbar sind.
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a) Ist ein Beschuldigter gemäß § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO belehrt, nicht
jedoch über die Unverwertbarkeit früherer Aussagen, so hat der Verstoß hin-
sichtlich der anschließenden Aussage jedenfalls kein Gewicht, das dem Ge-
wicht eines Verstoßes gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO entspräche. Wie der
Bundesgerichtshof bereits im Zusammenhang mit anderen in ihrem Gewicht
hinter einem Verstoß gegen § 136 Abs. 1 Satz 2 StPO zurückbleibenden Feh-
lern der Vernehmenden bei Beschuldigtenvernehmungen entschieden hat, ist
dann die Verwertbarkeit der Aussage durch Abwägung im Einzelfall zu ermitteln
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- 24 -
(vgl. BGHSt 42, 170, 174; NStZ 2006, 236, 237; NStZ-RR 2006, 181, 182 f.). All
dies gilt hier entsprechend.
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b) Bei einer solchen Abwägung wäre insbesondere von Bedeutung, wie
gravierend der Verfahrensverstoß war, ob er also in bewusster oder willkürlicher
Umgehung der Belehrungspflichten erfolgte, wofür hier nichts spricht (vgl. auch
oben II. 3. b. aa). Auf der anderen Seite wäre das Interesse an der Sachaufklä-
rung einzustellen, das von dem - hier massiven - Gewicht der Tat abhängt. Die
Annahme eines Verwertungsverbots ist nach alledem - jedenfalls auf der
Grundlage der bisher erkennbaren Umstände - fern liegend.
VRiBGH Nack ist wegen
Urlaubsabwesenheit an der
Unterschrift gehindert.
Wahl Wahl Boetticher
Kolz Graf