Urteil des BGH vom 27.01.2004

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
VI ZB 33/03
vom
27. Januar 2004
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ:
nein
BGHR: ja
ZPO §§ 574 Abs. 1 Nr. 2, 567
Hat die allgemeine Zivilabteilung den "Antrag" auf Abgabe an das Familiengericht
desselben Amtsgerichts abgelehnt, so ist dieser Beschluß unanfechtbar. Die vom
Beschwerdegericht gleichwohl zugelassene Rechtsbeschwerde ist nicht statthaft.
BGH, Beschluß vom 27. Januar 2004 - VI ZB 33/03 - LG Frankfurt/Main
AG Frankfurt/Main
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat am 27. Januar 2004 durch die
Vorsitzende Richterin Dr. Müller, den Richter Wellner, die Richterin Diederich-
sen sowie die Richter Stöhr und Zoll
beschlossen:
Die Rechtsbeschwerde gegen den Beschluß der 9. Zivilkammer
(Einzelrichter) des Landgerichts Frankfurt am Main vom 25. März
2003 wird auf Kosten des Klägers als unzulässig verworfen.
Der Gegenstandswert für das Beschwerdeverfahren beträgt 125
Gründe:
I.
Der Kläger verlangt von der Beklagten ein angemessenes Schmerzens-
geld und materiellen Schadensersatz, weil diese ihn am Umgangsrecht mit sei-
nen Kindern gehindert und ihn dabei verletzt habe.
Er hat Klage beim Amtsgericht erhoben. Mit Schriftsatz vom 20. Oktober
2002 stellte er den Antrag auf Verweisung an das Familiengericht. Diesen An-
trag wies die allgemeine Zivilabteilung mit Beschluß vom 20. November 2002
zurück, da es sich nicht um eine familienrechtliche Angelegenheit handele. Die
sofortige Beschwerde hat das Landgericht durch den angefochtenen Beschluß
als unzulässig verworfen, weil dieser gemäß § 281 ZPO unanfechtbar sei. Die
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Unanfechtbarkeit folge zwar nicht unmittelbar aus dieser Vorschrift, weil sich
aus ihrem Gesamtzusammenhang und Sinn und Zweck ergebe, daß sie nur
den Verweisungsbeschluß meine, der die Unzuständigkeit ausspreche und das
zuständige Gericht bezeichne. Die Unanfechtbarkeit ergebe sich aber aus dem
allgemeinen Gesichtspunkt, daß es im Falle der Nichtverweisung durch Be-
schluß an einer rechtsmittelfähigen Entscheidung fehle. Maßnahmen des Ge-
richts, die der endgültigen Entscheidung vorausgingen und den allgemeinen
Verfahrensgang beträfen, seien nämlich nicht selbständig anfechtbar.
Mit der vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde ver-
folgt der Kläger seinen Antrag auf Verweisung an das Familiengericht weiter.
II.
Die Rechtsbeschwerde ist trotz der Zulassung durch das Beschwerdege-
richt unzulässig.
1. Nach § 574 Abs. 1 Nr. 2 ZPO ist zwar grundsätzlich gegen einen Be-
schluß die Rechtsbeschwerde statthaft, falls das Beschwerdegericht sie in dem
Beschluß zugelassen hat. Trotz des weit gefaßten Gesetzeswortlauts gilt dies
aber nicht für alle derartigen Beschlüsse. Eine Rechtsbeschwerde ist vielmehr
unzulässig, wenn das Gesetz eine Anfechtung der Entscheidung ausschließt. In
diesem Fall bleibt sie auch bei irriger Rechtsmittelzulassung unanfechtbar. Die
Bindungswirkung des § 574 Abs. 3 Satz 2 ZPO tritt nämlich nur hinsichtlich des
Vorliegens eines Zulassungsgrundes nach § 574 Abs. 2 ZPO ein, eröffnet aber
nicht ein gesetzlich nicht vorgesehenes Rechtsmittel (vgl. Senatsbeschluß vom
8. Oktober 2002 - VI ZB 27/02 - NJW 2003, 211; BGH, Beschlüsse vom
12. September 2002 - III ZB 43/02 - VersR 2003, 482, 483; vom 1. Oktober
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2002 - IX ZB 271/02 - NJW 2003, 70; vom 8. Mai 2003 - I ZB 40/02 - WRP
2003, 895).
So verhält es sich hier.
2. Die Unanfechtbarkeit folgt allerdings entgegen der Auffassung des
Beschwerdegerichts nicht aus § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO. Zwar ist ein auf Grund
des § 281 ZPO ergangener Beschluß nach übereinstimmender Auffassung in
Rechtsprechung und Schrifttum auch dann grundsätzlich unanfechtbar, wenn
der Antrag auf Verweisung abgelehnt wird, wobei dies teilweise aus dem Wort-
laut des § 281 Abs. 2 Satz 2 ZPO, teilweise aus allgemeinen Grundsätzen ab-
geleitet
wird
(vgl.
OLG
Oldenburg
MDR
1992,
518;
Baum-
bach/Lauterbach/Hartmann, ZPO, 62. Aufl., § 281 Rdn. 27; MünchKomm-
ZPO/Prütting, 2. Aufl., § 281 Rdn. 41; Musielak/Foerste, ZPO, 3. Aufl., § 281
Rdn. 11;
Stein/Jonas/Leipold,
ZPO,
21. Aufl.,
§ 281
Rdn. 22b;
Tho-
mas/Putzo/Reichold, ZPO, 25. Aufl., § 281 Rdn. 11; Zöller/Greger, ZPO,
24. Aufl., § 281 Rdn. 14). § 281 ZPO findet aber nur Anwendung, wenn es um
die Klärung der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit zwischen verschiede-
nen Gerichten geht. Demgegenüber geht es hier um die Frage, ob eine allge-
meine Zivilabteilung eines Amtsgerichts ein Verfahren an das Familiengericht
desselben Amtsgerichts "verweisen" muß. Hierbei handelt es sich um eine
eventuelle Abgabe an einen anderen Spruchkörper innerhalb desselben Ge-
richts, auf die § 281 ZPO keine Anwendung findet (vgl. BGHZ 71, 264, 266 ff.
und BGH, Beschluß vom 14. Juli 1993 - XII ARZ 16/93 - NJW-RR 1993, 1282).
3. Eine Anfechtung der erstinstanzlichen Entscheidung und damit auch
des diese Entscheidung bestätigenden zweitinstanzlichen Beschlusses war
aber ausgeschlossen, weil eine Beschwerde gegen den Beschluß des Amtsge-
richts nicht gemäß § 567 Abs. 1 ZPO statthaft war. Die sofortige Beschwerde
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war nämlich weder im Gesetz ausdrücklich vorgesehen (§ 567 Abs. 1 Nr. 1
ZPO) noch handelte es sich um eine Entscheidung, durch die ein das Verfahren
betreffendes Gesuch im Sinne des § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO zurückgewiesen
worden ist.
Dies folgt daraus, daß die Entscheidung darüber, ob eine Sache an das
Familiengericht desselben Gerichts abzugeben ist, von Amts wegen zu treffen
ist, selbst wenn mit ihr zugleich ein "Gesuch" der Partei ablehnend beschieden
wird. In diesem Fall ist eine Beschwerde nach § 567 Abs. 1 Nr. 2 ZPO nicht
statthaft (vgl. Baumbach/Lauterbach/Albers, ZPO, 62. Aufl., § 567 Rdn. 4;
MünchKommZPO/Aktualisierungsbd./Lipp, 2. Aufl., § 567 Rdn. 10; Musie-
lak/Ball, ZPO, 3. Aufl., § 567 Rdn. 14; Stein/Jonas/Grunsky, ZPO, 21. Aufl.,
§ 567 Rdn. 15 ; Rosenberg/Schwab/Gottwald, ZPO, 15. Aufl., § 147 III 4a je
m.w.N.). Da es sich hier lediglich um die eventuelle Abgabe an das Familienge-
richt innerhalb desselben Gerichts handelt, geht es um die in einem solchen
Fall unmittelbar in § 621 ZPO geregelte Geschäftsverteilung zwischen einer
Zivilabteilung und dem Familiengericht innerhalb des Amtsgerichts. Die Ge-
schäftsverteilung ist jedoch von dem Spruchkörper bei Eingang einer neuen
Sache stets von Amts wegen zu beachten und zu prüfen. Wenn sich der mit der
Angelegenheit befaßte Spruchkörper nach der Geschäftsverteilung nicht für
zuständig hält, hat er das Verfahren von Amts wegen an den zuständigen
Spruchkörper abzugeben, anderenfalls die Sachbearbeitung aufzunehmen.
"Anträge" oder besser "Anregungen " der Parteien sind dafür nicht erforderlich
und haben auch keine verfahrensgestaltende Funktion. Deshalb ist eine Be-
schwerde nach § 567 ZPO gegen die von Amts wegen zu treffende Entschei-
dung des Spruchkörpers nicht statthaft, zumal anderenfalls eine Partei durch
einen „Antrag“ die gesamte Amtstätigkeit des Gerichts der Beschwerde zu-
gänglich machen könnte. Dies eröffnete nicht erwünschte Möglichkeiten zur
Verfahrensverzögerung und entspricht nicht dem Sinn und Zweck des § 567
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ZPO. Es muß daher bei dem allgemeinen Grundsatz verbleiben, dass Maß-
nahmen des Gerichts, die der Sachentscheidung vorausgehen, grundsätzlich
nicht selbständig anfechtbar sind. Bei der hier zu entscheidenden Frage hin-
sichtlich der Zuständigkeit innerhalb des Gerichts entspricht dies im übrigen
auch der in den §§ 281 Abs. 2 Satz 2, 513 Abs. 2, 545 Abs. 2, 571 Abs. 2 Satz
2, 576 Abs. 2 ZPO getroffenen Wertung des Gesetzgebers. Nur wenn zwei
Spruchkörper innerhalb eines Gerichts - etwa eine allgemeine Prozeßabteilung
und ein Familiengericht - sich durch Beschlüsse für unzuständig erklären, be-
steht ein Rechtsschutzbedürfnis dafür, diesen „negativen Kompetenzkonflikt“
entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO durch das im Rechtszuge zunächst höhere
gemeinschaftliche Gericht klären zu lassen. Eine solche Situation liegt hier je-
doch nicht vor, da die allgemeine Prozeßabteilung ihre Zuständigkeit annimmt.
4. Da die Rechtsbeschwerde nach den vorstehenden Ausführungen nicht
statthaft ist, kann der Senat abschließend entscheiden, ohne daß von Amts we-
gen eine Zurückverweisung an das Beschwerdegericht erforderlich wäre, weil
der Einzelrichter über die Beschwerde entschieden und die Rechtsbeschwerde
zugelassen hat (vgl. dazu BGH, Beschlüsse vom 13. März 2003
- IX ZB 134/02 - NJW 2003, 1254; vom 10. April 2003 - VII ZB 17/02 - MDR
2003, 949; vom 11. September 2003 - XII ZB 188/02 - NJW 2003, 3712).
Ergänzend weist der Senat noch auf folgendes hin: In dem vom Rechts-
beschwerdeführer herangezogenen Urteil vom 19. Juni 2002 hat der Bundesge-
richtshof zwar dem umgangsberechtigten Elternteil einen Schadensersatz zu-
gesprochen, wenn ihm der andere Elternteil den Umgang nicht in der vom Fa-
miliengericht vorgesehenen Art und Weise gewährt und ihm daraus Mehrauf-
wendungen entstehen. Er hat in den Entscheidungsgründen aber zugleich die
Auffassung des Berufungsgerichts gebilligt, daß es sich um ein Streitverfahren
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und nicht um eine Familiensache im Sinne des § 23b GVG handelt (vgl. BGHZ
151, 155, 157 f.).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.
Müller
Wellner
Diederichsen
Stöhr
Zoll