Urteil des BGH vom 07.04.2006

BGH (eintritt des versicherungsfalles, satzung, rechtliches gehör, allgemeine geschäftsbedingungen, wert, eintritt, anwartschaft, unwirksamkeit, versicherter, bundesverfassungsgericht)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 121/06
Verkündet
am:
15.
Oktober
2008
Fritz
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat im schriftlichen Verfahren
gemäß § 128 Abs. 2 ZPO mit Schriftsatzfrist bis zum 26. September
2008 durch den Vorsitzenden Richter Terno, die Richter Seiffert, Wendt,
die Richterin Dr. Kessal-Wulf und den Richter Felsch
für Recht erkannt:
Auf die Rechtsmittel der Klägerin werden das Urteil des
20. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Hamm vom
7. April 2006 aufgehoben und das Urteil der 4. Zivil-
kammer des Landgerichts Münster vom 9. August 2005
geändert.
Es wird festgestellt, dass die von der Beklagten gemäß
ihrer Satzung vom 9. Februar 2002 erteilte Startgut-
schrift den Wert der von der Klägerin bis zum 31. De-
zember 2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Ein-
tritt des Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente
nicht verbindlich festlegt.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
Die weitergehenden Rechtsmittel der Klägerin werden
zurückgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits werden gegeneinander
aufgehoben.
Streitwert: Bis 8.000 €
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
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Die beklagte kommunale Zusatzversorgungskasse hat die Aufga-
be, Angestellten und Arbeitern der an ihr beteiligten Arbeitgeber des öf-
fentlichen Dienstes im Wege privatrechtlicher Versicherung eine zusätz-
liche Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu
gewähren. Mit Neufassung ihrer Satzung vom 9. Februar 2002 hat die
Beklagte ihr früheres Zusatzversorgungssystem rückwirkend zum 31. De-
zember 2001 (Umstellungsstichtag) umgestellt. Den Systemwechsel hat-
ten die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes im Tarifvertrag Al-
tersvorsorge-TV Kommunal vom 1. März 2002 (ATV-K) vereinbart. Damit
wurde das auf früheren tarifvertaglichen Vereinbarungen beruhende,
endgehaltsbezogene Gesamtversorgungssystem aufgegeben und durch
ein auf einem Punktemodell beruhendes Betriebsrentensystem ersetzt.
Die neue Satzung der Beklagten (zkw-S) enthält Übergangsrege-
lungen zum Erhalt von bis zur Systemumstellung erworbenen Rentenan-
wartschaften. Diese werden wertmäßig festgestellt und als so genannte
Startgutschriften auf die neuen Versorgungskonten der Versicherten
übertragen. Dabei werden Versicherte, deren Versorgungsfall noch nicht
eingetreten ist, in rentennahe und rentenferne Versicherte unterschie-
den. Rentennah ist grundsätzlich nur, wer am 1. Januar 2002 das
55. Lebensjahr vollendet hatte. Die Anwartschaften der rentennahen
Versicherten werden weitgehend nach dem alten Satzungsrecht ermittelt
und übertragen. Die Anwartschaften der rentenfernen Versicherten be-
rechnen sich demgegenüber nach den §§ 32 Abs. 1 und 4, 33 Abs. 1
Satz 1 ATV-K, 72 Abs. 1 und 2, 73 Abs. 1 Satz 1 zkw-S i.V. mit § 18
Abs. 2 des Betriebsrentengesetzes (BetrAVG). Unabhängig von ihrer Zu-
gehörigkeit zu einem rentennahen oder einem rentenfernen Jahrgang er-
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halten Beschäftigte, die am 1. Januar 2002 mindestens 20 Jahre pflicht-
versichert waren, als Startgutschrift für jedes volle Kalenderjahr der
Pflichtversicherung bis zum 31. Dezember 2001 mindestens 1,84 Ver-
sorgungspunkte (VP), bei Teilzeitbeschäftigung gemindert durch Multipli-
kation mit dem am 31. Dezember 2001 maßgebenden Gesamtbeschäfti-
gungsquotienten (§§ 9 Abs. 3 ATV-K, 35 Abs. 3 zkw-S).
Die nach dem 1. Januar 1947 geborene und somit einem renten-
fernen Jahrgang zugehörige, bei der Beklagten pflichtversicherte Kläge-
rin und die Beklagte streiten über die Zulässigkeit der Systemumstellung,
die Wirksamkeit der Übergangsregelung für rentenferne Versicherte und
die Höhe der der Klägerin erteilten Startgutschrift von 61,12 Versor-
gungspunkten (das entspricht einem Wert von monatlich 264,66 €). Die
Klägerin hält die ihr erteilte Startgutschrift aus mehreren rechtlichen
Gründen für unwirksam und die Beklagte für verpflichtet, ihr bei Eintritt
des Versicherungsfalles eine Betriebsrente mindestens in Höhe des ge-
ringeren Betrages zu gewähren, wie er sich unter Zugrundelegung der
bis zum 31. Dezember 2001 gültigen (alten) Satzung der Beklagten zu
diesem Zeitpunkt oder zum Zeitpunkt des Eintritts des Versicherungsfal-
les ergebe. Darüber hinaus erstrebt sie eine Verpflichtung der Beklagten,
bei der Ermittlung der Startgutschrift bestimmte, in verschiedenen Kla-
geanträgen näher konkretisierte Berechnungselemente zugrunde zu le-
gen. Die Beklagte verweist darauf, dass sie ihren Versicherten mit Blick
auf mehrere beim Bundesgerichtshof anhängige Revisionsverfahren
betreffend die im Wesentlichen vergleichbare Satzungsumstellung der
Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (VBL) verbindlich zuge-
sagt habe, sie werde darauf verzichten, sich auf Ausschlussfristen oder
Verjährung zu berufen, bis nach höchstrichterlicher Klärung feststehe, ob
eine Neugestaltung der Startgutschriftberechnung durch die Tarifpartner
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erforderlich werde. Insoweit fehle der Klägerin das Feststellungsinteres-
se. Im Übrigen stützt sie ihren Antrag auf Klagabweisung unter anderem
darauf, dass die beanstandete Übergangsregelung für rentenferne Versi-
cherte auf eine im Tarifvertrag vom 1. März 2002 von den Tarifvertrags-
parteien getroffene Grundentscheidung zurückgehe, die mit Rücksicht
auf die in Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie der ohnehin ein-
geschränkten rechtlichen Überprüfung standhalte. Im Übrigen wahre die
erteilte Startgutschrift den verfassungsrechtlich geschützten Besitzstand
der Klägerin.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klä-
gerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der Revision ver-
folgt die Klägerin ihr Rechtsschutzbegehren weiter, hilfsweise begehrt
sie die Feststellung, dass die ihr erteilte Startgutschrift den Wert der bis
zum 31. Dezember 2001 erlangten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des
Versicherungsfalles zu leistende Betriebsrente nicht verbindlich festlege.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision der Klägerin hat nur teilweise Erfolg.
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I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dass den Anträgen der
Klägerin, soweit sie darauf gerichtet seien, eine Unwirksamkeit der bis-
herigen Startgutschrift festzustellen, im Hinblick auf die oben genannte,
gegenüber allen Versicherten abgegebene Zusicherung der Beklagten
das Feststellungsinteresse fehle. Danach stünden die nach derzeitigem
Satzungsrecht errechneten Startgutschriften unter dem Vorbehalt einer
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möglichen Satzungsänderung nach erfolgter höchstrichterlicher Klärung,
und zwar unabhängig davon, ob ein einzelner Versicherter Klage erho-
ben habe oder nicht. Insoweit drohten der Klägerin bis zur höchstrichter-
lichen Klärung der in den Rechtsstreiten gegen die VBL (als die größte
Zusatzversorgungsanstalt im Bundesgebiet) aufgeworfenen Rechtsfra-
gen keine Nachteile.
Die weiteren Anträge der Klägerin hat das Berufungsgericht für
unbegründet erachtet. Mit Rücksicht auf die Tarifautonomie der Tarifver-
tragsparteien, deren Entscheidung mit der Satzung der Beklagten umge-
setzt worden sei, habe die Klägerin weder Anspruch auf die Festsetzung
eines bestimmten Wertes der Anwartschaft oder der Startgutschrift, noch
sei es zulässig, die Beklagte an einen bestimmten Berechnungsmodus
zu binden. Die von der Klägerin begehrten Feststellungen etwa zur Min-
destleistung nach der alten Satzung, der dem fiktiven Nettoarbeitsentgelt
zugrunde zu legenden Lohnsteuerklasse oder hinsichtlich einer Dynami-
sierung der Startgutschrift liefen auf eine Korrektur der Entscheidung der
Tarifvertragsparteien hinaus, die den Gerichten nicht zustehe. Auch bei
einer unterstellten Unwirksamkeit der Startgutschriftenregelung bleibe es
allein Sache der Tarifpartner, über die Ausgestaltung der Zusatzversor-
gung neu zu entscheiden.
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II. Soweit das Berufungsgericht das Feststellungsinteresse der
Klägerin verneint hat, kann dem nicht gefolgt werden. Die Klägerin be-
gehrt insoweit die Feststellung, dass die ihr erteilte Startgutschrift un-
wirksam ist, mithin den Wert der bis zum Umstellungsstichtag erworbe-
nen Rentenanwartschaft aus mehreren rechtlichen Gründen nicht ver-
bindlich festlegt. Insoweit geht der Streit um das Bestehen eines Rechts-
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verhältnisses i.S. von § 256 Abs. 1 ZPO. Die Klägerin hat auch ein recht-
liches Interesse an einer alsbaldigen gerichtlichen Feststellung, denn mit
Erteilung der Startgutschrift hat die Beklagte zum Ausdruck gebracht,
dass der in der Startgutschrift ausgewiesene Wert ihrer Auffassung nach
die von der Klägerin bis zum Umstellungsstichtag erworbene Rentenan-
wartschaft zutreffend beschreibt.
Das Feststellungsinteresse der Klägerin wird nicht durch die Zusa-
ge der Beklagten beseitigt, sie werde auf die Einrede der Verjährung und
die Berufung auf alle Ausschlussfristen verzichten und die Startgutschrif-
ten in der Schwebe halten, bis eine höchstrichterliche Klärung in den die
Satzung der VBL betreffenden Verfahren mit gleicher Problematik her-
beigeführt sei, und sie werde sodann eine einheitliche Berechnung der
Startgutschriften entsprechend den höchstrichterlichen Vorgaben anstre-
ben. Zum einen tritt eine prozessuale Bindungswirkung der Entscheidun-
gen in den vorgenannten Verfahren zwischen den Parteien des vorlie-
genden Rechtsstreits nicht ein. Zum anderen kann aber auch die von der
Beklagten abgegebene Erklärung das Feststellungsinteresse der Kläge-
rin nicht erschöpfen. Das ergibt sich schon daraus, dass nach dieser Er-
klärung völlig unbestimmt ist, in welchem Umfang die Beklagte letztlich
bereit sein wird, die von der Klägerin geltend gemachten Gründe für die
Unwirksamkeit der Startgutschrift zu akzeptieren. Eine Anerkenntniswir-
kung geht von der Erklärung der Beklagten nicht aus. Vielmehr ist sie le-
diglich bereit, die Ergebnisse aus anderen Rechtsstreiten auf die Start-
gutschrift der Klägerin zu übertragen. Das kann das schutzwürdige Inte-
resse der Klägerin an einer gerichtlichen Klärung des sie betreffenden
Rechtsverhältnisses aber schon deshalb nicht beseitigen, weil sie keine
Möglichkeit hat, in den die VBL betreffenden Verfahren rechtliches Gehör
zu erhalten oder diese anderweitig zu beeinflussen.
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Es kommt hinzu, dass der Senat inzwischen in seinem Urteil vom
14. November 2007 (IV ZR 74/06 - BGHZ 174, 127 ff.) festgestellt hat,
dass die von der VBL dem dortigen rentenfernen Versicherten erteilte
Startgutschrift den Wert seiner bis zum Umstellungsstichtag erworbenen
Anwartschaft auf eine bei Eintritt des Versicherungsfalles zu leistende
Betriebsrente nicht verbindlich festlegt. Er hat dabei die Einwände des
dortigen Klägers gegen die Wirksamkeit der Startgutschrift überwiegend
nicht durchgreifen lassen und ihm nur in einem Punkt Recht gegeben.
Sollte die Beklagte entsprechend ihrer Zusage die Grundsätze jener Ent-
scheidung auf die Startgutschrift der Klägerin übertragen, so wäre deren
Begehren nur zum Teil entsprochen. Das weitergehende Feststellungs-
begehren der Klägerin kann aber nicht deshalb als unzulässig angese-
hen werden, weil es möglicherweise materiell unbegründet ist.
III. Auch im Übrigen hält das Berufungsurteil, wie sich aus dem
Senatsurteil vom 14. November 2007 (aaO) ergibt, rechtlicher Nachprü-
fung nicht in allen Punkten stand.
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1. Die Satzung der Beklagten konnte auch ohne Zustimmung der
Versicherten geändert und vom bisherigen Gesamtversorgungssystem
auf das neue Punktemodell (Betriebsrentensystem) umgestellt werden.
Denn zum einen schließt die Beklagte Gruppenversicherungsverträge ab,
bei denen nicht die einzelnen Arbeitnehmer - diese werden lediglich als
Versicherte und Bezugsberechtigte in die Gruppenversicherung einbezo-
gen -, sondern die an der Beklagten beteiligten Arbeitgeber Versiche-
rungsnehmer sind (vgl. für die Satzung der VBL: BGHZ 103, 370, 379 f.,
382; 142, 103, 106 und ständig). Zum andern enthalten Satzungen wie
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die der Beklagten wegen ihrer Abhängigkeit von tarifvertraglichen Rege-
lungen regelmäßig einen Änderungsvorbehalt (vgl. jetzt § 2 Abs. 2 Satz 2
zkw-S), der auch für bestehende Versicherungen galt und eine Zustim-
mung der Versicherten bei Satzungsänderungen nicht voraussetzt. Ge-
gen die Wirksamkeit solcher Änderungsvorbehalte, die sich nicht ledig-
lich auf die Änderung einzelner Satzungsregelungen beschränken, son-
dern auch zu einer umfassenden Systemumstellung ermächtigen (vgl. für
die Satzung der VBL: Senatsurteil vom 14. November 2007 aaO unter B I
3 = Tz. 27), bestehen keine Bedenken. Satzungsänderungen sind daher
ohne die Zustimmung des Arbeitnehmers als Versichertem möglich (vgl.
für die Satzung der VBL: Senatsurteil vom 14. November 2007 aaO unter
B I 1 = Tz. 25 m.w.N.). Für den Systemwechsel hat auch ein ausreichen-
der Anlass bestanden (vgl. für die Satzung der VBL: Senatsurteil vom
14. November 2007 aaO unter B I 2 = Tz. 26).
2. Der Schutz der im Zeitpunkt des Systemwechsels bereits beste-
henden Rentenansprüche und -anwartschaften ist durch Übergangs-
bzw. Besitzstandsregelungen sicherzustellen. Insofern hängt die Frage,
inwieweit Versicherte in ihren bis zur Umstellung erworbenen Rechten
verletzt sind, allein davon ab, inwieweit die Übergangsvorschriften diese
Rechte wahren (Senatsurteil vom 14. November 2007 aaO unter B I 3 =
Tz. 27). Für die Ermittlung der Startgutschriften rentenferner Pflichtversi-
cherter ist in den §§ 32 Abs. 1 und 4, 33 Abs. 1 Satz 1 ATV-K, 72 Abs. 1
und 2, 73 Abs. 1 Satz 1 zkw-S i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG eine Über-
gangsregelung getroffen worden. Sie zielt darauf ab, den rentenfernen
Pflichtversicherten bei der Berechnung ihrer Startgutschrift die nach dem
Betriebsrentengesetz bis zum Umstellungsstichtag unverfallbar gewor-
denen Rentenanwartschaften in das neue Betriebsrentensystem zu über-
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tragen (vgl. für die Satzung der VBL: Senatsurteil vom 14. November
2007 aaO unter B II 4 = Tz. 39).
a) Diese Übergangsregelung ist im Grundsatz nicht zu beanstan-
den (vgl. für die Satzung der VBL: Senatsurteil vom 14. November 2007
aaO vor A = Tz. 11 und unter B III 1 = Tz. 64). Das gilt auch, soweit sie
durch Festschreibung der maßgeblichen Berechnungsfaktoren zum Um-
stellungsstichtag (§§ 32 Abs. 4, 33 Abs. 1 Satz 1 ATV-K, 72 Abs. 2, 73
Abs. 1 Satz 1 zkw-S i.V. mit §§ 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2 Buchst. c, 2
Abs. 5 Satz 1 BetrAVG) - insbesondere des Arbeitsentgelts und der
Steuerklasse - zu Eingriffen in die erdiente Dynamik und damit in einen
nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes geschützten Bereich
führt (Senatsurteil vom 14. November 2007 aaO unter B III 1 d bb =
Tz. 77-79).
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Dass die Startgutschriften an einer mit der Anwendung des Alters-
faktors (§ 34 Abs. 2 und 3 zkw-S) verbundenen Verzinsung nicht teil-
nehmen, verstößt ebenfalls nicht gegen höherrangiges Recht. Denn die
Dynamisierung ist mit der Neuregelung nicht entfallen. Nach den §§ 33
Abs. 7, 19 ATV-K, 73 Abs. 7, 66 zkw-S werden die zunächst festge-
schriebenen Startgutschriften vielmehr insoweit dynamisiert, als sie Bo-
nuspunkte auslösen können, die eine tatsächliche oder fiktive Beteili-
gung an den - von der Beklagten bzw. den jeweils zehn nach der Bilanz-
summe größten Pensionskassen (vgl. § 66 Abs. 1 Satz 3 zkw-S) - erwirt-
schafteten Überschüssen darstellen. Diese von den Tarifvertragsparteien
gewählte und von der Beklagten in ihrer Satzung übernommene Dynami-
sierung ist angesichts des Anlasses und der Ziele der Systemumstellung
zumindest vertretbar und schon deshalb verfassungsrechtlich nicht zu
beanstanden. Die Tarifvertragsparteien haben insoweit ihren durch die
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Tarifautonomie eröffneten weiten Handlungsspielraum nicht überschritten
(vgl. für die Satzung der VBL: Senatsurteil vom 14. November 2007 aaO
unter B III 1 d bb bis dd = Tz. 77-81).
Eine
Verletzung
höherrangigen Rechts kann schließlich weder dar-
in gesehen werden, dass die Übergangsregelung den rentenfernen
Pflichtversicherten nach der alten Satzung zugesagte Mindestleistungen
entzieht, noch in dem Umstand, dass die nach dem alten Zusatzversor-
gungssystem bei Ermittlung der gesamtversorgungsfähigen Zeit zu be-
rücksichtigende hälftige Anrechnung so genannter Vordienstzeiten nach
der Übergangsregelung keinen Eingang in die Startgutschriften renten-
ferner Versicherter findet. Beides hat der Senat mit Blick auf die §§ 44a
und 42 Abs. 2 Satz 1 VBLS a.F. im Urteil vom 14. November 2007 näher
dargelegt (aaO unter B III 2 und 3 = Tz. 82-101). Die dortigen Grundsät-
ze lassen sich auf die Übergangsbestimmungen der neuen Satzung der
Beklagten übertragen.
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b) Ob es zulässig ist, bei der Errechnung der Startgutschrift die für
die Ermittlung der Voll-Leistung von der Höchstversorgung in Abzug zu
bringende voraussichtliche gesetzliche Rente gemäß den §§ 33 Abs. 1
Satz 1 ATV-K, 73 Abs. 1 Satz 1 zkw-S i.V. mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 2
Buchst. f BetrAVG ausschließlich nach dem bei der Berechnung von
Pensionsrückstellungen allgemein zulässigen Verfahren (dem so ge-
nannten Näherungsverfahren) zu ermitteln, oder ob dies gegen den all-
gemeinen Gleichheitssatz (Art. 3 Abs. 1 GG) verstößt, hat der Senat mit
Blick auf entsprechende Bestimmungen in der Satzung der VBL im Urteil
vom 14. November 2007 offen gelassen (aaO unter B III 4 = Tz. 102-
121).
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Die Frage bedarf auch hier keiner Entscheidung. Denn die Über-
gangsregelung für rentenferne Pflichtversicherte verstößt jedenfalls an-
derweitig gegen Art. 3 Abs. 1 GG und ist schon deshalb unwirksam (vgl.
für die Satzung der VBL: Senatsurteil vom 14. November 2007 aaO unter
B III 4 g = Tz. 120).
c)
Durchgreifenden
Bedenken gegen die Vereinbarkeit mit Art. 3
Abs. 1 GG begegnet nämlich der nach den §§ 33 Abs. 1 Satz 1 ATV-K,
73 Abs. 1 Satz 1 zkw-S i.V. mit § 18 Abs. 2 Nr. 1 Satz 1 BetrAVG der
Startgutschriftenberechnung zugrunde zu legende Versorgungssatz von
2,25% für jedes volle Jahr der Pflichtversicherung (Senatsurteil vom
14. November 2007 aaO unter B III 5 = Tz. 122-140).
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aa) Dieser Versorgungssatz führt - wie der Senat im Urteil vom
14. November 2007 im Einzelnen ausgeführt hat (aaO unter B III 5 b =
Tz. 128-139) - zu einer sachwidrigen und damit gegen Art. 3 Abs. 1 GG
verstoßenden Ungleichbehandlung innerhalb der Gruppe der rentenfer-
nen Versicherten, die selbst vom weiten Handlungsspielraum der Tarif-
vertragsparteien nicht mehr gedeckt ist. Die Ungleichbehandlung besteht
darin, dass Arbeitnehmer mit längeren Ausbildungszeiten die zum Er-
werb der Vollrente (100%) erforderlichen 44,44 Pflichtversicherungsjahre
in ihrem Arbeitsleben nicht erreichen können und deshalb von vornherein
überproportionale Abschläge hinnehmen müssen. Neben Akademikern
sind hiervon auch all diejenigen betroffen, die aufgrund besonderer An-
forderungen eines Arbeitsplatzes im öffentlichen Dienst, etwa einer ab-
geschlossenen Berufsausbildung oder eines Meisterbriefes in einem
handwerklichen Beruf, erst später in den öffentlichen Dienst eintreten
(Senatsurteil vom 14. November 2007 aaO unter B III 5 b bb (2) =
Tz. 133-138).
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bb) Der Senat war nicht gehalten, die Verfassungsmäßigkeit des
§ 18 Abs. 2 BetrAVG, auf dessen Regelungsgehalt die §§ 33 Abs. 1
Satz 1 ATV-K, 73 Abs. 1 Satz 1 zkw-S zurückgreifen, nach Art. 100
Abs. 1 Satz 1 GG im Wege der Richtervorlage vom Bundesverfassungs-
gericht überprüfen zu lassen (vgl. Senatsurteil vom 14. November 2007
aaO unter Tz. 140). Denn er hatte nicht die Verfassungsmäßigkeit der
gesetzlichen Regelung, sondern allein die im Tarifvertrag und der Sat-
zung der Beklagten getroffenen Bestimmungen zu überprüfen. Insofern
stellte sich unabhängig von der Frage der Verfassungsmäßigkeit des
§ 18 Abs. 2 BetrAVG die Frage, ob sich die Tarifvertragsparteien im Rah-
men der wegen des Systemwechsels erforderlichen Überleitung von
Rentenanwartschaften rentenferner Versicherter in das neue Betriebs-
rentenmodell auf die Übernahme der gesetzlichen Regelung des § 18
Abs. 2 BetrAVG beschränken durften oder ob sie mit Blick auf Art. 3
Abs. 1 GG den rentenfernen Versicherten einen weitergehenden Be-
standsschutz zu gewähren hatten. Insoweit kommt der gesetzlichen Re-
gelung hier zwar eine mittelbare Bedeutung, nicht aber eine mittelbare
Entscheidungserheblichkeit zu.
Der Normenkontrolle nach Art. 100 Abs. 1 Satz 1 GG unterliegen
allein formelle Gesetze (BVerfGE 1, 184; 48, 29, 35 und ständig). Aller-
dings hat das Bundesverfassungsgericht für Gesetze und Verordnungen
schon mehrfach ausgesprochen, dass die Normenkontrolle nach Art. 100
Abs. 1 Satz 1 GG zulässig (und damit zugleich auch geboten) ist, wenn
die gesetzliche Vorschrift, deren Verfassungsmäßigkeit in Frage steht,
sich nur mittelbar auf eine Entscheidung auswirkt. Das ist etwa der Fall,
wenn ein Gericht ein Gesetz für ungültig hält, von dessen Gültigkeit oder
Ungültigkeit die Geltung eines anderen Gesetzes abhängt, welches sei-
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nerseits die unmittelbare Grundlage für einen vom Gericht zu überprü-
fenden staatlichen Hoheitsakt darstellt (BVerfGE 2, 341, 345; 20, 312,
317; 32, 346, 358). Weiter ist die Richtervorlage an das Bundesverfas-
sungsgericht geboten, wenn eine Rechtsverordnung, auf welcher ein an-
gegriffener Hoheitsakt unmittelbar beruht, sich lediglich als Ausfüh-
rungsbestimmung einer vom Gericht für verfassungswidrig erachteten
gesetzlichen Bestimmung erweist und die Verordnung der Gesetzesvor-
schrift fast wörtlich entspricht (BVerfGE 30, 227, 240 f.) oder wenn statt-
dessen zusätzlich besondere Umstände hinzutreten (BVerfGE 75, 166,
173-177, vgl. auch BVerfGE 20, 296, 303).
Auf die hier gebotene Überprüfung der Satzung der Beklagten las-
sen sich diese Grundsätze nicht übertragen. Bei den Satzungsbestim-
mungen der Beklagten handelt es sich um privatrechtliche Allgemeine
Geschäftsbedingungen in der Form Allgemeiner Versicherungsbedingun-
gen (st.Rspr., vgl. BGHZ 142, 103, 105 f., 109; Senatsurteile vom
14. Januar 2004 - IV ZR 56/03 - VersR 2004, 453 unter I 2 a; vom
20. September 2006 - IV ZR 304/04 - VersR 2006, 1630 unter II 1 a).
Weder die Satzungsbestimmungen der Beklagten noch der ihnen vo-
rausgehende Tarifvertrag (ATV-K) stellen Hoheitsakte oder Willensent-
scheidungen des Gesetz- oder Verordnungsgebers dar. Sie beruhen
vielmehr allein auf dem rechtsgeschäftlichen Willen der Tarifvertragspar-
teien und der Parteien des Versicherungsverhältnisses. Die hier in Rede
stehende Bestimmung des § 18 Abs. 2 BetrAVG stellt auch keine gesetz-
liche Ermächtigungsgrundlage für die von den Tarifvertragsparteien ge-
troffene Grundentscheidung in Bezug auf die Übergangsregelung für ren-
tenferne Versicherte dar. Vielmehr waren die Tarifvertragsparteien frei
darin, ob sie Elemente der gesetzlichen Regelung in ihr Vertragswerk
aufnehmen oder eine davon völlig unabhängige, eigenständige Regelung
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treffen wollten. § 18 Abs. 2 BetrAVG beschreibt allerdings den Mindest-
besitzstand der Versicherten, der bei der Übergangsregelung mit Blick
auf Art. 14 Abs. 1 GG nicht unterschritten werden durfte. Demgegenüber
besagt die gesetzliche Bestimmung aber nichts darüber, inwieweit die
Tarifvertragsparteien mit Blick auf Art. 3 Abs. 1 GG gehalten waren, eine
Ungleichbehandlung rentenferner Versicherter im Rahmen der für diese
Versicherten geltenden Übergangsregelung auszuschließen. Insofern
hing die Grundentscheidung der Tarifpartner nicht im Sinne der vom
Bundesverfassungsgericht aufgestellten Grundsätze zur mittelbaren Ent-
scheidungserheblichkeit von der gesetzlichen Bestimmung des § 18
Abs. 2 BetrAVG ab.
3. Die dargelegte Verfassungswidrigkeit und die sich daraus erge-
bende Unwirksamkeit dieser Detailregelung des Tarifvertrages vom
1. März 2002 und der neuen Satzung der Beklagten ändern an der Wirk-
samkeit der Systemumstellung als solcher nichts. Unwirksam ist lediglich
die in den §§ 32 Abs. 1 und 4, 33 Abs. 1 Satz 1 ATV-K, 72 Abs. 1 und 2,
73 Abs. 1 Satz 1 zkw-S i.V. mit § 18 Abs. 2 BetrAVG für die rentenfernen
Versicherten getroffene Übergangsregelung, was zur Folge hat, dass die
der Klägerin erteilte Startgutschrift einer ausreichenden rechtlichen
Grundlage entbehrt. Sie legt damit den Wert der von der Klägerin bis
zum Umstellungsstichtag erdienten Anwartschaft auf eine bei Eintritt des
Versicherungsfalles zu leistende Rente nicht verbindlich fest (vgl. Se-
natsurteil vom 14. November 2007 aaO unter C = Tz. 141).
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Auf diese Feststellung war der Urteilsausspruch zu beschränken.
Dem weitergehenden Begehren der Klägerin, die unwirksame Über-
gangsregelung durch eine gerichtliche Regelung zu ersetzen oder zu-
mindest bestimmte verbindliche Vorgaben für die Neuerrechnung der
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Startgutschrift festzuschreiben, kann mit Rücksicht auf die in Art. 9
Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie nicht entsprochen werden. Eine
solche gerichtliche Entscheidung ist auch nach dem Rechtsstaatsprinzip
nicht geboten. Es ist vielmehr zunächst den Tarifvertragsparteien vorbe-
halten, eine verfassungskonforme Neuregelung zu treffen. In diesem Zu-
sammenhang haben diese zugleich Gelegenheit, die Auswirkungen der
ausschließlichen Anwendung des Näherungsverfahrens erneut zu be-
denken.
Terno Seiffert Wendt
Dr. Kessal-Wulf Felsch
Vorinstanzen:
LG Münster, Entscheidung vom 09.08.2005 - 4 O 595/03 -
OLG Hamm, Entscheidung vom 07.04.2006 - 20 U 186/05 -