Urteil des BGH vom 24.07.2006

BGH (antragsteller, aufhebung, beschwerde, stellenausschreibung, antrag, beamtenverhältnis, abbruch, sache, gvg, streitgegenstand)

BUNDESGERICHTSHOF
BESCHLUSS
NotZ 10/06
vom
24. Juli 2006
in dem Verfahren
wegen Aufhebung einer Stellenausschreibung
hier: Zwischenentscheidung über den Rechtsweg
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Der Bundesgerichtshof, Senat für Notarsachen, hat durch den Vorsitzenden
Richter Schlick, den Richter Streck und die Richterin Dr. Kessal-Wulf sowie die
Notare Dr. Doyé und Dr. Ebner am 24. Juli 2006
beschlossen:
Die sofortige Beschwerde des Antragsgegners gegen den Be-
schluss des Notarsenats des Oberlandesgerichts Stuttgart vom
20. Februar 2006 wird zurückgewiesen.
Der Antragsgegner hat die Gerichtskosten des Beschwerdeverfah-
rens zu tragen und den Antragstellern zu 2 bis 5 ihre notwendigen
außergerichtlichen Auslagen im Beschwerdeverfahren zu erstat-
ten.
Wert des Beschwerdegegenstandes: 10.000 €
Gründe:
I.
Die Antragsteller zu 2 bis 5 sind badische Notare im Landesdienst. Der
Antragsgegner hat im Anschluss an die Änderung des § 115 BNotO durch das
Vierte Gesetz zur Änderung der Bundesnotarordnung vom 22. Juli 2005
(BGBl. I S. 2188) im badischen Rechtsgebiet zusätzlich zu dem bestehenden
System der badischen Notare im Landesdienst 25 Stellen für "freiberufliche"
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Notare zur hauptberuflichen Amtsausübung ausgeschrieben. Dagegen wenden
sich die Antragsteller zu 2 bis 5 zusammen mit dem Antragsteller zu 1 (dem
Badischen Notarverein e.V.) mit ihrem an das Oberlandesgericht - Senat für
Notarsachen - gerichteten Antrag auf gerichtliche Entscheidung (und einem im
Zusammenhang damit gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anord-
nung). In der Hauptsache beantragen die Antragsteller, der Antragsgegnerin
aufzugeben, unter Abbruch der genannten Stellenausschreibung die Stellen
nicht zu besetzen. Sie machen geltend, die vom Antragsgegner in Gang gesetz-
te Stellenausschreibung sei aus mehreren Gründen rechtswidrig:
- Die vom Antragsgegner herangezogene Rechtsgrundlage des § 115 BNotO
n.F. sei verfassungswidrig; dem Bundesgesetzgeber habe die für die Neu-
fassung erforderliche (alleinige) Gesetzgebungskompetenz gefehlt. Darüber
hinaus enthalte die Gesetzesänderung keinen hinreichend klar umrissenen
Regelungstatbestand und genüge deshalb nicht den im Bereich der Grund-
rechtsausübung zu stellenden Anforderungen an den Gesetzesvorbehalt.
- Das Verfahren des Antragsgegners, dem keine ausreichende Bedürfnisprü-
fung zugrunde liege, gefährde das Zusatzeinkommen der "Richternotare"
und verletze deshalb die Grundrechte der Antragsteller aus Art. 12 Abs. 1
GG.
Der Antragsgegner hat hinsichtlich der Antragsteller zu 2 bis 5 die Zuläs-
sigkeit des Rechtswegs nach § 111 BNotO gerügt. Die von den Antragstellern
als verletzt behaupteten Rechte aus Art. 12 Abs. 1 GG seien mit ihrem Status
als Beamte untrennbar verbunden, so dass es sich der Sache nach um eine
Streitigkeit "aus dem Beamtenverhältnis" handele, für die gemäß § 126 BRRG
die Verwaltungsgerichte zuständig seien. Das Oberlandesgerichts hat durch
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Vorabentscheidung gemäß § 17a Abs. 3 Satz 2 GVG den Rechtsweg zum
Oberlandesgericht (Notarsenat) für zulässig erklärt und dazu ausgeführt: Der
Rechtsweg zu den Notarsenaten erfasse grundsätzlich alle Streitigkeiten aus
dem Bereich des Notarrechts, bei denen es um die Vornahme oder Aufhebung
von Amtshandlungen nach der Bundesnotarordnung gehe, also immer dann,
wenn in Rechte oder rechtlich geschützte Interessen eines Notars eingegriffen
werde. Zu den nach der Notarordnung anzufechtenden Maßnahmen gehöre
auch die Bestellung von Notaren, gegen die sich hier die Antragsteller wende-
ten. Die Zulässigkeit des Rechtsweges bestimme sich nach dem verfolgten
Rechtsschutzziel. Nicht entscheidend sei, welche Argumente die Verfahrensbe-
teiligten zur Stützung ihrer Rechtsauffassung geltend machten oder welche
rechtliche Vorfragen bei der Entscheidung des geltend gemachten Anspruchs
zu beantworten seien. Wenn die Antragsteller hier Argumente aus dem Dienst-
verhältnis der beamteten Notare herleiten wollten, werfe dies nur eine beamten-
rechtlich zu beurteilende Vorfrage auf.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die - vom Oberlandesgericht zu-
gelassene - sofortige Beschwerde.
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II.
Die nach § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG statthafte und auch im Übrigen zuläs-
sige sofortige Beschwerde ist unbegründet. Mit Recht hat das Oberlandesge-
richt den beschrittenen Rechtsweg nach § 111 BNotO für zulässig erklärt. Die
hiergegen von der Beschwerde erhobenen Angriffe sind unbegründet.
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1.
a) Nach § 111 Abs. 1 Satz 1 BNotO können Verwaltungsakte, die nach
der Bundesnotarordnung oder nach einer aufgrund dieses Gesetzes erlassenen
Rechtsverordnung oder Satzung ergehen, durch einen Antrag auf gerichtliche
Entscheidung - des Oberlandesgerichts (Notarsenat), § 111 Abs. 3 Satz 1
BNotO - angefochten werden. Die Vorschrift wird allgemein dahin verstanden,
dass Gegenstand der gesetzlichen ("abdrängenden") Sonderzuweisung nicht
nur Verwaltungsakte im Sinne des § 35 VwVfG sind, sondern alle (auch
schlicht-)hoheitlichen Maßnahmen. Es ist gleichermaßen anerkannt, dass - von
bestimmten Ausnahmen abgesehen (s. etwa § 113 Abs. 7 und § 113a Abs. 7
BNotO) - die in Notarsachen geführten Verwaltungsstreitverfahren insgesamt
den Verwaltungsgerichten entzogen und den Notarsenaten zugewiesen sind
(Sandkühler in Arndt/Lerch/Sandkühler BNotO 5. Aufl. § 111 Rn. 3; Custodis in
Eylmann/Vaasen BNotO/BeurkG 2. Aufl. § 111 BNotO Rn. 41; Ehlers in
Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, § 40 Rn. 642). Die Zuständigkeit der
Notarsenate erstreckt sich danach auf alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten
aus dem Bereich des Notarrechts, bei denen es um die Vornahme oder Aufhe-
bung von Amtshandlungen nach der Bundesnotarordnung geht (Custodis aaO
m.w.N.; vgl. Senat BGHZ 115, 275, 277).
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b) Für den hier vorliegenden Streitgegenstand ist § 111 BNotO nach sei-
nem Wortlaut und dargestellten Sinn unmittelbar einschlägig. Das Rechts-
schutzziel der Antragsteller ist der Sache nach auf Abbruch (Aufhebung) des
Besetzungsverfahrens bezüglich 25 neuer "freiberuflicher" Notarstellen in Ba-
den, also einer hoheitlichen Maßnahme der Landesjustizverwaltung im Rahmen
ihrer Organisationsgewalt nach § 4 BNotO (vgl. zuletzt Senatsbeschluss vom
28. November 2005 - NotZ 34/05 - BGHZ 165, 146, 149), gerichtet, die zur Be-
stellung einer entsprechenden Zahl von Notaren (durch Verwaltungsakte ge-
mäß § 12 BNotO) führen soll. Dementsprechend beantragen die Antragsteller
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mit ihrem Hauptantrag, der Antragsgegnerin aufzugeben, unter Abbruch der
genannten Stellenausschreibung die Stellen nicht zu besetzen.
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2.
Da das prozessuale Begehren der Antragsteller auf Aufhebung bzw. Un-
terlassung von Amtshandlungen nach der Bundesnotarordnung geht und dies
zwangsläufig zur Anwendung des § 111 BNotO führt, sind die Angriffe der Be-
schwerde gegen den in dem angefochtenen Beschluss des Oberlandesgerichts
enthaltenen Satz, die Zulässigkeit des Rechtsweges bestimme sich nach dem
verfolgten Rechtsschutzziel, gegenstandslos. Es geht hier nicht um die allge-
meinen Maßstäbe, die für die Abgrenzung des Zivilrechtswegs vom Verwal-
tungsrechtsweg gelten (vgl. dazu GmS-OGB BGHZ 97, 312, 313 f; 102, 280,
283 f und 108, 284, 286). Anders als nach dieser Abgrenzung stellt § 111
BNotO nicht auf die von dem rechtsschutzsuchenden Beteiligten geltend ge-
machte Anspruchsgrundlage ab, sondern auf sein Rechtsschutzziel (Anfech-
tung eines "Verwaltungsakts" nach der Bundesnotarordnung).
Ist aber danach ein Fall des § 111 BNotO gegeben, so geht auch der
Hinweis des Antragsgegners auf § 126 BRRG ins Leere. Unabhängig von der
allgemeinen Reichweite dieser Bestimmung (für "Klagen … aus dem Beamten-
verhältnis"), die nach dem Willen des Gesetzgebers die früher in vielen Ländern
bestehende Doppelgleisigkeit des Rechtsweges in beamtenrechtlichen Streitig-
keiten (Zuständigkeit der ordentlichen Gerichte für vermögensrechtliche An-
sprüche aus dem Beamtenverhältnis, Zuständigkeit der Verwaltungsgerichte bei
allen sonstigen Streitigkeiten) beseitigen sollte (vgl. Lemhöfer in Plog/Wiedow/
Lemhöfer/Bayer, BBG § 172 [Stand: September 2005] Rn. 3), geht ihr, worauf
die Antragsteller mit Recht hinweisen, für den vorliegenden Streitgegenstand
§ 111 BNotO zumindest als das speziellere Gesetz vor. Entgegen der Auffas-
sung des Antraggegners steht diesem Auslegungsergebnis auch nicht § 115
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Abs. 3 BNotO entgegen, wonach die Bundesnotarordnung nicht für die (badi-
schen) Notare im Landesdienst gilt und insbesondere die (landesrechtlichen)
Vorschriften über ihre Dienstverhältnisse unberührt bleiben. Denn die Antrag-
steller bewegen sich mit ihrem Begehren, das nach Maßgabe der §§ 6, 6a
BNotO durchzuführende Besetzungsverfahren abzubrechen, nicht mehr (nur)
im Rahmen ihrer Dienstverhältnisse.
Schlick
Streck
Kessal-Wulf
Doyé
Ebner
Vorinstanz:
OLG Stuttgart, Entscheidung vom 20.02.2006 - Not 2/05 -