Urteil des BGH vom 28.02.2007

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 331/05
Verkündet
am:
28.
Februar
2007
Fritz
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
VVG §§ 6, 22; AUB 94 § 9 (II)
Zur unterlassenen Angabe eines Schutzbriefes bei Abschluss einer Unfallversiche-
rung.
BGH, Urteil vom 28. Februar 2007 - IV ZR 331/05 - OLG Oldenburg
LG Oldenburg
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Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Wendt, Felsch und
Dr. Franke auf die mündliche Verhandlung vom 28. Februar 2007
für Recht erkannt:
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des 6. Zi-
vilsenats des Oberlandesgerichts Oldenburg vom
14. Oktober 2005 aufgehoben.
Der Rechtsstreit wird zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfah-
rens, an den 3. Zivilsenat des Berufungsgerichts zu-
rückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der Kläger nimmt die beklagten Rechtsanwälte als Sozien seines
inzwischen verstorbenen früheren Prozessbevollmächtigten wegen Ver-
säumung der Frist des § 12 Abs. 3 VVG bei der gerichtlichen Geltend-
machung von Ansprüchen gegen seinen Unfallversicherer auf Schadens-
ersatz in Anspruch. Die Parteien streiten darüber, ob der Kläger mit einer
rechtzeitigen Klage obsiegt hätte.
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Der Kläger hatte im Mai 2001 eine Unfallversicherung genommen.
Im Versicherungsantrag hatte er auf eine entsprechende Frage eine wei-
tere, seit 1996 gehaltene Unfallversicherung angegeben, nicht jedoch ei-
nen am 1. April 2001 erworbenen ADAC-Schutzbrief, der neben einer
Auslandskrankenversicherung auch eine Auslandsunfallversicherung ein-
schloss. In der Nacht vom 7. auf den 8. Juni 2001 erlitt er mit seinem
Pkw in K. einen Verkehrsunfall, bei dem er sich schwere Kopf- und
Brustverletzungen zuzog, die - nach seiner Behauptung - zu einer Invali-
dität von 40% führten. Auch in der Schadensmeldung gab er den Schutz-
brief nicht an. Der Unfallversicherer lehnte mit Schreiben vom 24. Mai
2002 Leistungen ab und wies den Kläger auf die Frist zur gerichtlichen
Geltendmachung hin (§ 12 Abs. 3 VVG). Gleichzeitig focht er den Vertrag
wegen arglistiger Täuschung an und erklärte - unstreitig nach Ablauf der
Monatsfrist des § 20 Abs. 1 VVG - den Rücktritt vom Vertrag.
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Das Landgericht hat die Beklagten als Gesamtschuldner zur Zah-
lung von insgesamt 166.468 € nebst Zinsen verurteilt. Auf die Berufung
der Beklagten hat das Oberlandesgericht die Klage abgewiesen. Mit sei-
ner Revision erstrebt der Kläger die Wiederherstellung des landgerichtli-
chen Urteils.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und
zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
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I. Das Berufungsgericht hat angenommen, dem Kläger stehe ein
Schadensersatzanspruch nicht zu, weil er mit seiner Klage gegen den
Unfallversicherer auch bei Beachtung der Sechs-Monats-Frist des § 12
Abs. 3 VVG keinen Erfolg gehabt hätte. Er habe im Versicherungsantrag
und in der Schadensanzeige zwar die anderweitige Unfallversicherung
angegeben, nicht aber die Unfallversicherung, die in dem Schutzbrief
enthalten war. Damit habe er seinen Unfallversicherer arglistig ge-
täuscht. Die Behauptung des Klägers, er habe nicht gewusst, dass in
dem Schutzbrief auch eine Unfallversicherung enthalten gewesen sei, sei
unglaubhaft. Schon auf dem Deckblatt dieses Schutzbriefes heiße es
unmissverständlich "Kranken- und Unfallschutz". Die in dem Schutzbrief
enthaltene nähere Beschreibung dieses Leistungsversprechens habe der
Kläger, wie die handschriftlichen Unterstreichungen zeigten, auch gele-
sen. Deshalb habe ihm nicht verborgen bleiben können, dass der
Schutzbrief auch Unfallversicherungsschutz enthielt, zumal er angesichts
der bereits abgeschlossenen (Unfall-)Versicherungen insoweit auch nicht
unerfahren gewesen sei. Damit stehe fest, dass er die Angabe dieses
Schutzbriefes wider besseres Wissen und damit arglistig unterlassen ha-
be. Zwar sei die Rücktrittserklärung im Hinblick auf § 20 Abs. 1 VVG ver-
fristet; davon unberührt bleibe aber gemäß § 22 VVG die hier wirksame
Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Im Verschweigen des Schutz-
briefes in der Schadensanzeige liege ferner eine Verletzung von Oblie-
genheiten des Klägers nach Eintritt des Versicherungsfalles; der Unfall-
versicherer sei deshalb leistungsfrei geworden.
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II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
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1. Mit Erfolg rügt die Revision, dass sich das Berufungsgericht sei-
ne Überzeugung, in der Nichtangabe des Schutzbriefes in dem Versiche-
rungsantrag liege eine arglistige Täuschung, nicht rechtsfehlerfrei gebil-
det habe.
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a) Die arglistige Täuschung setzt eine Vorspiegelung falscher oder
ein Verschweigen wahrer Tatsachen gegenüber dem Versicherer zum
Zwecke der Erregung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums voraus. Der
Versicherungsnehmer muss vorsätzlich handeln, indem er bewusst und
willentlich auf die Entscheidung des Versicherers einwirkt (Bruck/Möller,
VVG 8. Aufl. § 22 Anm. 14). Falsche Angaben in einem Versicherungs-
antrag allein rechtfertigen den Schluss auf eine arglistige Täuschung
nicht; einen allgemeinen Erfahrungssatz des Inhalts, dass eine bewusst
unrichtige Beantwortung einer Antragsfrage immer und nur in der Absicht
erfolgt, auf den Willen des Versicherers einzuwirken, gibt es nicht (vgl.
nur Senatsurteile vom 22. Februar 1984 - IVa ZR 63/82 - VersR 1984,
630 unter I 1 und vom 18. September 1991 - IV ZR 189/90 - VersR 1991,
1404 unter 3; OLG Saarbrücken VersR 1996, 488; ebenso BK/Voit, VVG
§ 22 Rdn. 30). In subjektiver Hinsicht setzt die Annahme von Arglist
vielmehr zusätzlich voraus, dass der Versicherungsnehmer erkennt und
billigt, dass der Versicherer seinen Antrag bei Kenntnis des wahren
Sachverhalts gar nicht oder nur zu anderen Konditionen annehmen wer-
de (vgl. Senatsurteile vom 28. November 1984 - IVa ZR 81/83 - VersR
1985, 156 unter II 4 a; vom 12. November 1986 - IVa ZR 186/85 - VersR
1987, 91 unter II und vom 20. November 1990 - IV ZR 113/89 - NJW-RR
1991, 411 unter I 2; vgl. auch Prölss in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 22
Rdn. 4; Langheid in Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 22 Rdn. 6, beide
jeweils m.w.N.).
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b) Gemessen daran liegt den Ausführungen des Berufungsgerichts
zum arglistigen Verhalten des Klägers ein verkürzter und deshalb rechts-
fehlerhafter Maßstab zugrunde.
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Das Berufungsgericht hat die Voraussetzungen einer arglistigen
Täuschung schon deshalb als erfüllt angesehen, weil der Kläger nach
den von ihm getroffenen Feststellungen wider besseres Wissen gehan-
delt habe. Das ergibt sich aus der im angefochtenen Urteil verwendeten
Formulierung, der Kläger habe die Angabe des Schutzbriefes wider bes-
seres Wissen "und damit" arglistig unterlassen. Diese Voraussetzung für
eine wirksame Anfechtung des Versicherungsvertrages durch den Versi-
cherer hätte das Berufungsgericht indessen nur bejahen dürfen, wenn es
zuvor Feststellungen dazu getroffen hätte, dass der Kläger beim Ausfül-
len des Versicherungsantrags in dem Bewusstsein handelte, nur durch
ein Verschweigen der durch den Schutzbrief ebenfalls bestehenden Un-
fallversicherung werde er den Unfallversicherer zu einem Vertragsab-
schluss zu den vereinbarten Bedingungen oder zu einem Vertragsab-
schluss überhaupt bewegen können. Solche Feststellungen fehlen je-
doch.
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Schon im Hinblick darauf, dass der Kläger eine weitere von ihm
schon 1996 genommene Unfallversicherung im Versicherungsantrag ver-
merkt hat, verstand sich die Annahme von Arglist hier nicht von selbst.
Auch die weiteren, im angefochtenen Urteil getroffenen Feststellungen
erweisen sich für die Annahme einer arglistigen Täuschung als nicht
tragfähig. Soweit das Berufungsgericht darauf abhebt, in der Leistungs-
beschreibung des Schutzbriefs seien Unterstreichungen vorgenommen
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worden, was zeige, dass der Kläger den genauen Umfang des Leis-
tungsversprechens auch gelesen habe, erschließt sich aus den Urteils-
gründen nicht, dass die Unterstreichungen gerade vom Kläger stammen
und zu welchem Zeitpunkt er sie gegebenenfalls vorgenommen hat. Dass
der Kläger, wie das Berufungsgericht meint, angesichts der von ihm be-
reits abgeschlossenen Versicherungsverträge in Versicherungsangele-
genheiten durchaus nicht unerfahren war, vermag genaue Feststellungen
zu seinen Vorstellungen beim Abschluss des Versicherungsvertrages mit
dem Unfallversicherer ebenfalls nicht zu ersetzen. Abgesehen davon er-
gibt sich aus der angefochtenen Entscheidung nicht, dass der Kläger mit
Ausnahme der hier in Rede stehenden Unfallversicherungen weitere
Versicherungen abgeschlossen hat.
Zu Recht hebt die Revision auch hervor, dass nach herkömmli-
chem Verständnis ein Schutzbrief anders als ein allgemeiner Unfallversi-
cherungsvertrag mit einer Versicherungsgesellschaft aufgefasst wird. Vor
diesem Hintergrund verliert die Erwägung des Berufungsgerichts, auf
dem Deckblatt des Schutzbriefs heiße es unmissverständlich (Auslands-)
"Kranken- und Unfallschutz", an Gewicht. "Unfallschutz" bedeutet nicht
notwendig Unfallversicherungsschutz für Personenschäden. Der Kläger
hat außerdem vorgetragen, dass er abgesehen von der bereits am
1. Oktober 1996 genommenen weiteren Unfallversicherung vor dem Un-
fall den Auslandsschutzbrief erworben habe, ohne hierbei zu wissen,
dass der versprochene Schutz auch eine Unfall- und Invaliditätsversiche-
rung umfasste. Der Erwerb sei vor dem Hintergrund der unsicheren Ver-
sicherungslage in der U. und für etwaige Leihwagen- oder Rückhol-
kosten erfolgt. Ihm sei nicht ansatzweise bewusst gewesen, dass er mit
dem Schutzbrief einen Versicherungsvertrag abgeschlossen habe. Die-
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sen Vortrag hat der Kläger im Berufungsrechtszug wiederholt und vertieft
und dafür Beweis angeboten. Dem hätte das Berufungsgericht nachge-
hen müssen.
2.
Durchgreifenden
rechtlichen
Bedenken begegnet ferner die Auf-
fassung des Berufungsgerichts, der Kläger hätte mit einer fristgerechten
Klage auch deshalb keinen Erfolg haben können, weil der Unfallversiche-
rer wegen Verletzung einer vom Kläger nach Eintritt des Versicherungs-
falles zu beachtenden Obliegenheit - die das Berufungsgericht nur an-
satzweise benennt - leistungsfrei geworden sei.
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a) Zwar wird die Feststellung des Berufungsgerichts, der Kläger
habe auch in der Schadensanzeige bei der Frage nach bestehenden Vor-
versicherungen den Schutzbrief nicht angegeben und damit die Aufklä-
rungsobliegenheit (§ 9 II AUB 94) objektiv verletzt, von der Revision
nicht angegriffen. Das Berufungsgericht hat indessen nicht bedacht, dass
dem Versicherungsnehmer bei Feststellung des objektiven Tatbestandes
einer Obliegenheitsverletzung die Möglichkeit offen steht, die gesetzliche
Vermutung des § 6 Abs. 3 VVG, die Verletzung sei vorsätzlich gesche-
hen, zu widerlegen. Dabei sind im Rahmen einer umfassenden Abwä-
gung diejenigen Umstände zu prüfen, die es nahe legen, von einem ge-
ringeren Grad des Verschuldens auszugehen (vgl. Senatsurteile vom
11. Februar 1998 - IV ZR 89/97 - VersR 1998, 577 unter 3 und vom
26. Januar 2005 - IV ZR 239/03 - VersR 2005, 493 unter 2 b). Dem Vor-
trag des Klägers sind, wie bereits ausgeführt, Umstände dafür zu ent-
nehmen; diese hätten deshalb im Rahmen der gebotenen umfassenden
Abwägung geprüft werden müssen.
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b) Selbst wenn das Berufungsgericht erneut zur Annahme einer
vorsätzlichen Obliegenheitsverletzung kommen sollte, könnte sich der
Unfallversicherer nach der Relevanzrechtsprechung nur dann auf Leis-
tungsfreiheit berufen, wenn die vorsätzliche Verletzung der Aufklärungs-
obliegenheit generell geeignet war, die berechtigten Interessen des Ver-
sicherers ernsthaft zu gefährden und dem Kläger als Versicherungsneh-
mer ein erhebliches Verschulden zur Last fiel (Senatsurteil vom 21. Ja-
nuar 1998 - IV ZR 10/97 - VersR 1998, 447 unter 2 b). Damit hat sich
das Berufungsgericht nicht auseinandergesetzt.
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Terno Dr. Schlichting Wendt
Felsch Dr. Franke
Vorinstanzen:
LG Oldenburg, Entscheidung vom 13.01.2005 - 16 O 4295/03 -
OLG Oldenburg, Entscheidung vom 14.10.2005 - 6 U 33/05 -