Urteil des BGH vom 02.07.2004

BGH (zahlung, höhe, vertrag, treu und glauben, umsatzsteuer, interessierte partei, auslegung, betrag, kaufpreis, annahme)

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
V ZR 209/03
Verkündet am:
2. Juli 2004
K a n i k,
Justizamtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
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Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung
vom 2. Juli 2004 durch den Vizepräsidenten des Bundesgerichtshofes
Dr. Wenzel, die Richter Dr. Klein, Dr. Lemke und Dr. Schmidt-Räntsch und die
Richterin Dr. Stresemann
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Klägerin und die Anschlußrevision der Be-
klagten wird das Urteil des 5. Zivilsenats des Oberlandesgerichts
Stuttgart vom 16. Juni 2003 unter Zurückweisung der weiterge-
henden Rechtsmittel im Kostenpunkt und insoweit aufgehoben,
als die Klage in Höhe von 222.355,15 € nebst anteiligen Zinsen
abgewiesen worden ist.
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin weitere 136.787,85 €
nebst 8,42 % Zinsen seit dem 27. Dezember 2001 zu zahlen.
Im übrigen wird der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Ent-
scheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an
das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
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Tatbestand:
Am 7. Juni 2000 verkaufte die Beklagte der Fa. H. KG
(Käuferin), die ihre Rechte an die Klägerin abgetreten hat, ein an die Fa.
S. vermietetes Grundstück für 35 Mio. DM und einen weiteren Betrag von
bis zu 8 Mio. DM für Kosten eines Ausbaus des Objekts für die Mieterin zuzüg-
lich der gesetzlichen Mehrwertsteuer von derzeit 16 % für beide Beträge. Der
Kaufpreis war am 19. September 2000 fällig. Nach dem Vertrag sollten der
Käuferin die Mieten der Fa. S. ab dem Monat der Kaufpreiszahlung zuste-
hen. Die Käuferin zahlte 35 Mio. DM im September 2000 und weitere
8 Mio. DM am 31. Oktober 2000. Entgegen der Annahme der Parteien war das
Geschäft nicht umsatzsteuerpflichtig. Die Beklagte zog die Mieten der Fa.
S. von Oktober 2000 bis zum Oktober 2001 und die Nebenkostenvoraus-
zahlungen für Oktober 2000 bis September 2001 ein. Die vermeintlich zu zah-
lende Umsatzsteuer von 6.880.000 € führte die Beklagte im Dezember 2000
an die Finanzverwaltung ab, erlangte sie von dieser aber erst im Mai 2001
wieder zurück. Die Klägerin verlangt Herausgabe der eingezogenen Mieten
nebst Nebenkosten. Nach einer Teilzahlung der Beklagten in Höhe von
1.064.512,20 € stehen davon noch 583.782 € aus.
Die Beklagte meint, die Mieten für Oktober und November 2000 stünden
ihr zu, weil die Käuferin seinerzeit die Umsatzsteuer nicht gezahlt habe. Im
übrigen rechnet sie mit folgenden Gegenforderungen auf:
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85.567,30 € als Ersatz entgangener Zinsen aus der Anlage der gezahlten Umsatz-
steuer von 6.880.000 DM,
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60.069,80 € als Schaden aus der verzögerten Zahlung eines Kaufpreisanteils von
35 Mio. DM,
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47.066,90 € als Schaden aus der verzögerten Zahlung eines Kaufpreisanteils von
8 Mio. DM.
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Das Landgericht hat die Beklagte zur Zahlung von 473.462,95 € verur-
teilt. Auf die Berufung beider Parteien hin hat das Oberlandesgericht unter Zu-
rückweisung der weitergehenden Berufungen der Parteien den Verurteilungs-
betrag auf 299.651,55 € ermäßigt. Dagegen richtet sich die Revision der Klä-
gerin, die unter Hinnahme einer Teilabweisung ihrer Klage in Höhe von
14.708,40 € beantragt, die Beklagte zu verurteilen, über den ausgeurteilten
Betrag hinaus weitere 269.422,05 € nebst 8,42 % Zinsen seit dem 27. Dezem-
ber 2001 zu zahlen. Mit ihrer Anschlußrevision wendet sich die Beklagte ge-
gen ihre Verurteilung über einen Betrag von 42.941,36 € (Grundsteuer) hin-
aus.
Entscheidungsgründe:
I.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts ergibt eine ergänzende Ausle-
gung des Kaufvertrags, daß der Kaufpreis ohne Umsatzsteuer geschuldet sei.
Die Folgen ihres Irrtums über die Umsatzsteuerpflichtigkeit hätten die Ver-
tragsparteien danach je zur Hälfte zu tragen. Der geltend gemachte Verzugs-
schaden sei anteilig begründet. Der Einwand der Klägerin, die Beklagte habe
den Verzug zu vertreten, weil sie die Zustimmung zur Eintragung einer Grund-
schuld verzögert habe, treffe nicht zu. Es sei Sache der Käuferin gewesen,
rechtzeitig die Voraussetzungen der Finanzierung zu klären. Mit der Zuzahlung
von
8 Mio. DM habe sich die Klägerin in Verzug befunden.
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II.
Diese Erwägungen halten einer revisionsrechtlichen Prüfung nur teilwei-
se stand.
1. Der Klägerin stehen nach dem Kaufvertrag die von der Fa. S. für
Oktober und November 2000 gezahlten Mieten in vollem Umfang und nicht nur
zur Hälfte zu. Insoweit ist die Revision begründet, die Anschlußrevision dage-
gen nicht.
a) Die von der Fa. S. gezahlten Mieten standen der Käuferin vom
Oktober 2000 an zu. Nach Nr. V Abs. 1 des Kaufvertrags sollten die Mieten der
Käuferin „nach Eingang des (gesamten) Kaufpreises beim Verkäufer“ ein-
schließlich des Zahlungsmonats zustehen. Mit „gesamtem Kaufpreis“ meint die
Klausel nach Ansicht des Berufungsgerichts nur die in Nr. I 1 des Kaufvertrags
bezeichneten Kaufpreiselemente, nicht aber etwaige, neben dem Kaufpreis
noch zu zahlende Zinsen oder andere Leistungen. Diese Auslegung ist von
dem Senat nur eingeschränkt überprüfbar; sie hält dieser eingeschränkten
Prüfung stand. Die Zahlung des gesamten Kaufpreises ist nach Nr. V Abs. 6
des Vertrages („vollständige Kaufpreiszahlung“) nämlich nicht nur für den
Übergang der Zuständigkeit für die Einziehung der von der Fa. S. gezahl-
ten Mieten maßgeblich. Die Parteien haben die Zahlung des eigentlichen
Kaufpreises als die wesentliche Leistung der Käuferin angesehen und deshalb
auch in Nr. V des Kaufvertrags den Übergang von Nutzungen, Lasten und Ge-
fahr von der Beklagten auf die Käuferin daran geknüpft. Auch hat die Käuferin
der Beklagten von diesem Zeitpunkt an die Kosten für die Versorgung des Ob-
jekts mit Heizung, Wasser, Druckluft und Kälte zu erstatten. Anhaltspunkte
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dafür, daß die Beklagte den Übergang der Gefahr auf die Käuferin und deren
Pflicht zur Erstattung der Versorgungskosten entgegen dem Wortlaut des Ver-
trages auch von der Erfüllung von neben der Verpflichtung zur Kaufpreiszah-
lung noch bestehenden Zinszahlungsverpflichtungen von untergeordneter Be-
deutung abhängig machen wollte, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
Der Übergang der Zuständigkeit für die Einziehung der von der Fa. S. ge-
zahlten Mieten ist aber nach dem Vertragskonzept der Parteien eine wesentli-
che Konsequenz der Zahlung des Kaufpreises und hängt deshalb auch nicht
von der Erfüllung anderer Zahlungsverpflichtungen ab. Auf die Frage, ob die
Parteien in Nr. III 3 des Vertrags einen Fälligkeits- oder einen pauschalierten
Verzugszins vereinbart haben, kommt es deshalb in diesem Zusammenhang
nicht an.
b) Den Nettokaufpreis hatte die Käuferin teilweise im September 2000
und teilweise im Oktober 2000 gezahlt. Ihr Anspruch auf Auskehrung der Mie-
ten für Oktober und November 2000 hing deshalb allein davon ab, ob die Käu-
ferin auch die Umsatzsteuer schuldete. Dies verneint das Berufungsgericht zu
Recht. Die Käuferin hatte nach dem Vertrag zwar auch die Umsatzsteuer zu
zahlen. Diese sollte aber zu dem eigentlichen, im Vertrag auch gesondert auf-
geführten, Kaufpreis hinzutreten. Diese Kaufpreisgestaltung beruht ersichtlich
auf der Vorstellung der Parteien, das Geschäft sei umsatzsteuerpflichtig. In
Wirklichkeit unterlag das Geschäft aber nicht der Umsatzsteuer. Mithin entfiel
auch von vornherein die Verpflichtung zur Zahlung von Umsatzsteuer, ohne
daß es der Vertiefung bedarf, ob sich das im Wege einfacher (BGH, Urt. v.
19. Juni 1990, XI ZR 280/89, WM 1990, 1322, 1323) oder - wie das Beru-
fungsgericht meint - ergänzender Vertragsauslegung erschließt. Dies steht
auch der Annahme der Anschlußrevision entgegen, die Pflicht zur Umsatz-
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steuerzahlung könne erst mit Wirkung von dem Zeitpunkt als weggefallen gel-
ten, zu dem der Irrtum über die Umsatzsteuerpflichtigkeit des Erwerbs entdeckt
worden sei.
c) Nicht gefolgt werden kann dem Berufungsgericht aber, was die Revi-
sion mit Recht beanstandet, in der Annahme, dem Vertrag sei im Wege der
ergänzenden Vertragsauslegung zu entnehmen, daß die Vertragsparteien die
Folgen ihres Irrtums über die Umsatzsteuerpflicht je zur Hälfte zu tragen haben
sollten. Daraus ergebe sich unter anderem, daß die Käuferin und damit jetzt
die Klägerin die ihr an sich zustehenden Mieten der Fa. S. für Oktober und
November 2000 nur zur Hälfte soll beanspruchen können.
aa) Dieses Ergebnis läßt sich nicht auf das Senatsurteil vom 18. Febru-
ar 2000 (V ZR 334/98, NJW-RR 2000, 894) stützen. In diesem Fall hatte sich
nach Vertragsschluß herausgestellt, daß noch eine Privaterschließung des
verkauften Grundstücks vorzunehmen war. Hier hatte der Senat eine ergän-
zende Auslegung des Vertrags vorgenommen, weil dieser Punkt im Vertrags-
plan der Parteien übersehen worden war. Das liegt im vorliegenden Fall aber
im entscheidenden Punkt anders.
bb) Eine ergänzende Auslegung kann das Gericht nicht bereits dann
vornehmen, wenn ein Vertrag einen Punkt, der sich im Streitfall als erheblich
erweist, nicht regelt. Erforderlich ist vielmehr eine planwidrige Lücke des Ver-
einbarten (BGHZ 77, 301, 304; 127, 138, 142; Senatsurt. v. 14. November
2003, V ZR 346/02, NJW-RR 2004, 554). Sie ist dadurch gekennzeichnet, daß
die Parteien mit der getroffenen Regelung ein bestimmtes Ziel erreichen woll-
ten, dies aber wegen der Lückenhaftigkeit des Vereinbarten nicht gelungen ist
(BGH, Urt. v. 20. März 1985, VIII ZR 64/84, NJW 1985, 2581, 2582). Von einer
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Lücke kann auch nur gesprochen werden, wenn ein Punkt ungeregelt geblie-
ben ist, den die Parteien im Rahmen des von ihnen wirklich Gewollten (BGH,
Urt. v. 11. Dezember 1991, XII ZR 63/90, NJW-RR 1992, 267; Senatsurt. v. 14.
November 2003, aaO) als regelungsbedürftig angesehen haben (Senatsurt. v.
14. Januar 2000, V ZR 416/97, BGHR BGB § 157, Ergänzende Auslegung 23;
Senatsurt. v. 14. November 2003, aaO). Im Gegensatz zu den Grundsätzen
über das Fehlen oder den Wegfall der Geschäftsgrundlage (§ 313 BGB), die
einer Anpassung des Gewollten an die Wirklichkeit oder dessen Liquidation
bei Scheitern der Anpassung dienen, geht es bei der ergänzenden Ver-
tragsauslegung darum, den in dem Vereinbarten zutage tretenden Planvorstel-
lungen zum Durchbruch zu verhelfen. Ihr Ansatzpunkt besteht daher in der
Ermittlung dessen, was die Parteien (bei angemessener Abwägung ihrer Inter-
essen und als redliche Vertragspartner) zur Schließung der Lücke selbst un-
ternommen hätten (hypothetischer rechtsgeschäftlicher Wille; BGHZ 90, 69,
77; 127, 138, 142; Senatsurt. v. 14. November 2003, aaO).
cc) Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts haben sich die
Käuferin und die Beklagte über die Umsatzsteuerpflichtigkeit des Geschäfts
geirrt. Dieser Irrtum der Vertragsparteien berührte jedoch nicht die Vollständig-
keit der Regelung über die Auskehrung der von der Fa. S. gezahlten Mie-
ten. Diese sollten der Käuferin von Beginn des Monats an zustehen, in dem
diese den Kaufpreis vollständig zahlte. Hatte die Käuferin ihre Pflicht zur Zah-
lung des Kaufpreises und damit jedenfalls ihre wirtschaftlich entscheidende
Vertragspflicht erfüllt, mußte ihr auch die Nutzung des Grundstücks zustehen.
Dazu gehören bei dem Verkauf eines vermieteten Grundstücks auch die Mie-
ten der Grundstücksmieterin. Eine solche Regelung hängt inhaltlich nicht von
Höhe und Zusammensetzung des Kaufpreises ab. Beides kann auf eine solche
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Regelung deshalb schon im Ansatz keinen Einfluß haben. Dann aber enthält
der Vertrag insoweit auch keine Regelungslücke.
d) Entgegen der Ansicht der Anschlußrevision ist die Käuferin nicht (auf
Grund von Treu und Glauben) daran gehindert, sich auf diese Auslegung des
Vertrags zu berufen. Sie entspricht ihrem (hypothetischen) Willen. Anhalts-
punkte dafür, daß die Käuferin überlegenes Wissen ausgenutzt haben und
deshalb gehindert sein könnte, sich im Hinblick auf das Ausbleiben der in der
Sache nicht geschuldeten Umsatzsteuer auf diesen hypothetischen Willen der
Parteien zu berufen, hat die Beklagte nicht vorgetragen; sie sind auch sonst
nicht ersichtlich. Die Klägerin kann deshalb die Auskehrung der Mieten der Fa.
S. für Oktober und November 2000 ungekürzt verlangen.
2. Aufrechnen kann die Beklagte mit einer Zinsforderung gegen die
Käuferin aus der verspäteten Zahlung des Kaufpreisanteils von 8 Mio. DM in
Höhe von 47.066,90 €. Insoweit hat die Revision keinen Erfolg.
a) Die Käuferin schuldete nach dem Vertrag eine Zuzahlung von bis zu
8 Mio. DM, wenn die Fa. S. keine Mängel einwandte, die die mietvertrags-
gerechte Nutzung des Grundstücks durch die Fa. S. in Frage stellten. Dies
sollte die Beklagte der Käuferin bestätigen. Das ist durch das Schreiben der
Beklagten vom 15. September 2000 mit Wirkung zum 18. September 2000 ge-
schehen. Mit diesem Schreiben übersandte die Beklagte einen Nachtrag zu
ihrem Mietvertrag mit der Fa. S. , in welchem diese in Anbetracht der zu-
sätzlichen Investitionen von 8 Mio. DM einen Zuschlag zur monatlichen Miete
akzeptierte. Daß ausweislich des Vertrags nicht alle festgestellten Mängel ab-
gearbeitet, die Mängellisten nicht beigefügt und auch ein Winterbetrieb der
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Klimaanlage nicht durchgeführt war, ändert an dem Eintritt der Fälligkeit nichts.
Denn in dem Vertrag stellen die Beklagte und die Fa. S. gemeinsam fest, es
seien z. Zt. keine Mängel bekannt, die die Gebrauchstauglichkeit der Mietsa-
che für Zwecke des Mieters in Frage stellten. Nur darauf kam es an. Das wird
von der Revision auch nicht angegriffen.
b) Mit dieser Zahlung konnte die Käuferin, was die Revision mit Recht
geltend macht, nicht ohne zusätzliche Mahnung am 19. September 2000 in
Verzug geraten. Verzug kann ohne Mahnung zwar nach Ablauf eines bestimm-
ten Zeitraums ab einem bestimmten Vorgang eintreten. Voraussetzung ist
aber, daß dieser Vorgang selbst zeitlich bestimmt ist (BGH, Urt. v. 19. Novem-
ber 1991, X ZR 28/90, NJW 1992, 1628, 1629; Senatsurt. v. 16. Dezember
1994, V ZR 114/93, WM 1995, 439, 441) oder durch Maßnahmen des Schuld-
ners bestimmt werden kann (BGH, Urt. v. 25. Oktober 2000, VIII ZR 326/99,
NJW 2001, 365, 366). So liegt es hier indessen nicht. Wann die Bestätigung
durch die Beklagte erfolgen würde, war im Vertrag nicht festgelegt und stand
auch sonst nicht fest. Anders als bei einer ausstehenden Genehmigung hatte
die Klägerin auch keine Möglichkeit, diesen Zeitpunkt zu bestimmen. Damit
war aber der Zeitpunkt des Verzugseintritts weder unmittelbar noch mittelbar
festgelegt.
c) Ob die danach für den Eintritt des Verzugs erforderliche Mahnung in
dem Schreiben der Beklagten vom 15. September 2000 gesehen werden kann,
ist zweifelhaft. Eine Mahnung setzt nämlich eine bestimmte und eindeutige
Aufforderung, die geschuldete Leistung zu erbringen (BGH, Urt. v. 10. März
1998, X ZR 70/96, LM Nr. 45 zu § 284 BGB; OLG Hamburg, MDR 1978, 577;
Bamberger/Roth/Grüneberg, BGB, 1. Aufl., § 286 Rdn. 22, 25; Erman/J. Ha-
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ger, BGB, 11. Aufl., § 286 Rdn. 31; MünchKomm-BGB/Ernst, BGB, 4. Aufl., Bd.
2a, § 286 Rdn. 48; Staudinger/Löwisch, BGB [2001], § 284 Rdn. 26), voraus.
Bestimmte Formulierungen oder Formen sind hierfür nicht vorgeschrieben
(MünchKomm-BGB/Ernst, aaO, § 286 Rdn. 49). Es muß auch nicht auf rechtli-
che Folgen hingewiesen werden (BGH, Urt. v. 10. März 1998, aaO; OLG Ham-
burg aaO; Erman/J. Hager und MünchKomm-BGB/Ernst jeweils aaO). Ob sich
die Beklagte mit der Feststellung der Fälligkeit und dem Ausdruck ihrer Ver-
bundenheit für „Ihre Veranlassung“ begnügen konnte, ist fraglich, bedarf aber
keiner Entscheidung.
d) Die Käuferin schuldete nämlich Zinsen in Höhe von 10% von der Fäl-
ligkeit an. Das ergibt sich aus Nr. III 3 Satz 1 des Vertrags. Diese Regelung ist
zwar in den Abschnitt „Verzug“ eingestellt. Das führt aber entgegen der An-
nahme der Revision nicht zur Qualifikation dieser Regelung als Pauschalie-
rung von Verzugsschaden. Gegen eine solche Pauschalierung spricht schon
der Wortlaut, der die Käuferin zur Verzinsung ab Fälligkeit verpflichtet. Hinzu-
kommt, daß sich die Beklagte in Nr. III 3 Satz 2 der Klausel die Geltendma-
chung der „gesetzlichen Ansprüche wegen Zahlungsverzugs“ schlechthin,
nicht nur wegen eines weitergehenden Schadens, vorbehalten hat. Außerdem
schuldete die Käuferin der Beklagten gemäß §§ 352 Abs. 2, 353 HGB ohnehin
schon Fälligkeitszinsen. Mit Nr. III 3 des Kaufvertrags wurden diese Zinsen,
was zulässig und in der vorliegenden Höhe auch inhaltlich unbedenklich ist,
auf 10 % erhöht.
e) Mit ihrem Zinsanspruch in Höhe von unstreitig 47.066,90 € konnte die
Beklagte nach § 406 BGB auch gegenüber der Klägerin wirksam aufrechnen.
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3. Dagegen kann die Beklagte entgegen der Ansicht der Anschlußrevi-
sion nicht mit einem über 14.708,40 € hinausgehenden Anspruch auf Zinsen
aus der verspäteten Zahlung des Kaufpreisanteils von 35 Mio. DM. Diesen Teil
der Kaufpreisforderung hat die Käuferin nämlich am 22. September 2000 und
nicht erst, wie die Anschlußrevision meint, am 28. September 2000 erfüllt. Es
trifft zwar zu, daß eine Zahlungsforderung im Wege der Überweisung nicht
schon mit dem Eingang des Überweisungsbetrags bei der Bank des Zahlungs-
empfängers erfüllt wird. Maßgeblich ist vielmehr, worauf die Beklagte im An-
satz zu Recht hinweist, der Zeitpunkt, in dem der Betrag auf dem Konto der
Empfängerin gutgeschrieben wurde (BGHZ 103, 143, 146; Bamber-
ger/Roth/Dennhardt aaO § 362 Rdn. 14; Erman/H. P. Westermann aaO § 362
Rdn. 9; MünchKomm-BGB/Wenzel aaO § 362 Rdn. 23). Die Beklagte über-
sieht aber, daß eine Gutschrift nicht erst dann wirksam ist, wenn der Empfän-
ger von seiner Bank eine Nachricht über die Gutschrift erhält. Erfüllung tritt
vielmehr schon dann ein, wenn der Empfänger über den Überweisungsbetrag
endgültig frei verfügen kann (BGH, Urt. v. 28. Oktober 1998, VIII ZR 157/97,
NJW 1999, 210; Urt. v. 23. Januar 1996, XI ZR 75/95, NJW 1996, 1207; Schi-
mansky in: Schimansky/Bunte/Lwowski, Bankrechts-Handbuch, Bd. I, 2. Aufl.,
§ 47 Rdn. 30). Das ist der Fall, wenn ihm der Überweisungsbetrag vorbehaltlos
zur Verfügung steht (sog. Abrufpräsenz – BGH, Urt. v. 23. November 1999, XI
ZR 98/99, NJW 2000, 804). Das war nach den Feststellungen des
Berufungsgerichts hier am 22. September 2000. Diese Feststellung greift die
Anschlußrevision ohne Erfolg an. Die Beklagte hatte zwar in der
Klageerwiderung bestritten, die Zahlung bereits am 22. September 2000
erhalten zu haben. Nicht bestritten hat sie aber den Vortrag der Klägerin aus
deren Erwiderung auf die Berufung der Beklagten vom 28. April 2003, in dem
diese im Einzelnen dargelegt hat, daß sie zwei Blitzüberweisungen veranlaßt
und dies dazu geführt habe, daß die Beklagte schon am 22. September 2000
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führt habe, daß die Beklagte schon am 22. September 2000 über den Über-
weisungsbetrag habe verfügen können. Eine substantiierte Erwiderung auf
diesen Vortrag der Klägerin wäre aber erforderlich gewesen, zumal die Be-
klagte in der vorprozessualen Korrespondenz selbst von einer Zahlung am 22.
September 2000 gesprochen und in der Klageerwiderung auch eingeräumt
hatte, den Betrag vor der förmlichen Gutschrift am 25. September 2000 erhal-
ten zu haben.
4. Ob und in welchem Unfang die Beklagte mit einem Anspruch auf Er-
satz von Anlagezinsen aus den verauslagten 6.880.000 DM für die Umsatz-
steuer in Höhe von insgesamt 85.567,30 € wirksam aufgerechnet hat, kann der
Senat nicht abschließend entscheiden.
a) Einen solchen Anspruch möchte das Berufungsgericht ebenfalls im
Wege der ergänzenden Vertragsauslegung aus dem Kaufvertrag ableiten. Er-
gänzend auslegen konnte das Berufungsgericht den Vertrag der Käuferin mit
der Beklagten aber nur, wenn und soweit er den Regelungsplan der Vertrags-
parteien nicht oder unvollständig umsetzte. Eine solche ausfüllungsfähige
Lücke kann sich hier aus dem Umstand ergeben, daß die Beklagte in ihrer
Rechnung entsprechend der dem Vertrag zugrunde liegenden Annahme einer
Umsatzsteuerpflichtigkeit des Geschäfts die Umsatzsteuer ausgewiesen hat
und damit umsatzsteuerrechtlich verpflichtet war, vorbehaltlich einer Berichti-
gung des Umsatzsteuerausweises in der Rechnung den ausgewiesenen Um-
satzsteuerbetrag an das Finanzamt abzuführen. Denn dies belastete die Be-
klagte mit einer wenn auch mangels Steuerschuld rückabzuwickelnden Zah-
lung, die sie nach dem Vertrag nicht leisten mußte. Ob dies dem Regelungs-
plan der Parteien widersprach und wie eine sich dann ergebende Lücke zu
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füllen wäre, hängt entscheidend von der Genese des Vertrags und insbeson-
dere davon ab, aus welchen Gründen und in wessen Interesse die Verpflich-
tung zur Zahlung der Umsatzsteuer in den Vertrag aufgenommen wurde. Hier-
bei wäre auch zu prüfen, ob die an der Einfügung der Umsatzsteuerklausel
interessierte Partei mit deren Übernahme in den Vertrag das Risiko der feh-
lenden Umsatzpflichtigkeit und ihrer Folgen übernommen hat; eine ergänzen-
de Auslegung des Vertrags schiede dann aus.
b) Diesen Gesichtspunkt haben die Parteien bislang nicht gesehen. Das
Berufungsgericht hat hierzu bislang auch keine Feststellungen getroffen. Dies
macht eine Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht zur neuen
Verhandlung und Entscheidung erforderlich, in der diese Feststellungen nach-
geholt werden können.
5. Damit reduziert sich die Restforderung der Klägerin in Höhe von
583.782,00 € um den Zinsschaden aus 35 Mio. DM in Höhe von 14.708,40 €
und um den Schaden aus der verzögerten Zahlung aus 8 Mio. DM in Höhe von
47.066,90 €. Das führt zu einer Restforderung der Klägerin in Höhe von
522.006,70 €. Ob und in welchem Umfang diese Restforderung um den Scha-
den aus dem Einsatz eigener Mittel zur Erfüllung der vermeintlichen Umsatz-
steuerschuld in Höhe von insgesamt 85.567,30 € zu reduzieren ist, bedarf wei-
terer Aufklärung durch das Berufungsgericht. Unabhängig vom Ergebnis dieser
weiteren Aufklärung stehen der Klägerin jedenfalls 436.439,40 € zu. Deshalb
sind der Klägerin über den bereits ausgeurteilten Betrag von 299.651,55 €
weitere 136.787,85 € nebst anteiligen Zinsen zuzusprechen.
Wenzel Klein Lemke
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Schmidt-Räntsch Stresemann