Urteil des BGH vom 29.04.2010

Leitsatzentscheidung

Nachschlagewerk: ja
BGHSt : ja
Veröffentlichung : ja
StGB §§ 222, 227
Zur Verantwortlichkeit eines im Beweissicherungsdienst tätigen
Arztes für tödlich verlaufenen Brechmitteleinsatz gegen Dro-
gen-Kleindealer.
BGH, Urteil vom 29. April 2010
- 5 StR 18/10
LG Bremen -
5 StR 18/10
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 29. April 2010
in der Strafsache
gegen
wegen fahrlässiger Tötung
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat aufgrund der Hauptverhand-
lung vom 27. und 29. April 2010, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter Basdorf,
Richter Dr. Brause,
Richter Schaal,
Richterin Dr. Schneider,
Richter Bellay
als
beisitzende
Richter,
Bundesanwalt
als
Vertreter
der
Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwalt S.
als
Verteidiger,
Rechtsanwältin M.
als
Nebenklägervertreterin,
Justizangestellte
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle,
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am 29. April 2010 für Recht erkannt:
Auf die Revisionen der Nebenkläger wird das Urteil des
Landgerichts Bremen vom 4. Dezember 2008 mit den Fest-
stellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung,
auch über die Kosten der Rechtsmittel, an eine Schwurge-
richtskammer des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
G r ü n d e
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Das Landgericht hat den Angeklagten von dem als fahrlässige Tötung
angeklagten Vorwurf freigesprochen, am 27. Dezember 2004 im Rahmen
einer polizeilich angeordneten Exkorporation von Drogenbehältnissen durch
sogenannten Brechmitteleinsatz den Tod des 35 Jahre alten, des Drogen-
handels verdächtigen C. verursacht zu haben. Die dagegen
gerichteten Revisionen der Nebenkläger, der Mutter und des Bruders des
Verstorbenen, haben Erfolg.
1. Das Landgericht hat im Wesentlichen folgende Feststellungen und
Wertungen getroffen:
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a) Dem in Kasachstan bis 1991 als Arzt ausgebildeten Angeklagten
wurde im Juni 1997 in Bremen die Approbation erteilt. Nach einer Tätigkeit
am dortigen Institut für Rechtsmedizin stellte ihn dessen Direktor B.
ab September 2000 bei dem von diesem auf eigene Rechnung selbständig
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betriebenen ärztlichen Beweissicherungsdienst an, für den er im März 2001
eine detaillierte Dienstanweisung erließ. Für einen zwölfstündigen Bereit-
schaftsdienst erhielt der Angeklagte 100 DM brutto als Grundvergütung, zu-
sätzlich Honorare für einzelne ärztliche Handlungen.
Die ganz überwiegende Mehrheit aller in Bremen vorgenommenen
Exkorporationen wurde von den Mitarbeitern des Beweissicherungsdienstes
ohne Zwang und ohne Einsatz einer Magensonde durchgeführt. Das Landge-
richt hat zugunsten des in der Hauptverhandlung schweigenden Angeklagten
unterstellt, dass dieser am 27. Dezember 2004 erstmals einen solchen
zwangsweisen Eingriff vorgenommen hat.
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b) Die Polizeibeamten K. und F. nahmen den unbestraften,
aus Sierra Leone stammenden C. um 0.10 Uhr wegen des Verdachts
des illegalen Kokainhandels vorläufig fest. Bevor C. auf Aufforderung der
Polizeibeamten den Mund öffnete, sahen sie dessen deutliche Schluckbewe-
gungen und gingen aufgrund kriminalistischer Erfahrung mit „Kleindealern“
von einem Verschlucken von Kokainbehältnissen aus. POK K. ordnete die
sofortige Exkorporation der Drogenbehältnisse gemäß § 81a StPO an. C.
verstand kaum deutsch, und auch in englischer Sprache fand eine Ver-
ständigung nur in rudimentärer Form unter Zuhilfenahme von Zeichenspra-
che statt. Deshalb wurde C. auch nicht strafprozessual belehrt.
Der Angeklagte begann gegen 1.10 Uhr im Behandlungszimmer des
Polizeigewahrsams mit der Vorbereitung der Exkorporation. Er gab C. zu
verstehen, dass ihm Brechsirup und Wasser verabreicht werden solle, um
verschluckte Drogencontainer zu Tage zu fördern. C. brachte vehement
zum Ausdruck, er habe keine Drogen genommen, was der Angeklagte in den
Untersuchungsbogen eintrug. Die im Stehen durchgeführte körperliche Un-
tersuchung unter Einsatz eines Stethoskops und eines Blutdruckmessgeräts
dauerte fünf Minuten und erbrachte keine Auffälligkeiten der Atmung, des
Kreislaufs und der Nervensysteme. C. erklärte sich zunächst bereit,
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Brechmittel und Wasser eigenständig einzunehmen, tat dies jedoch nicht,
nachdem ihm ein Becher mit Brechmittel gereicht worden war.
c) Der Angeklagte ging nunmehr entsprechend Ziffer 4 der von
B. am 1. März 2001 verfassten Dienstanweisung vor, in der ver-
merkt war: „Weigert sich der Beschuldigte, den Sirup zu trinken, ist ihm in
sitzender Position eine nasogastrale Sonde zu legen. Die richtige Lage der
Sonde im Magen wird durch die Aspiration von Mageninhalt sichergestellt.
Die Applikation des Emetikums und des körperwarmen Wassers erfolgt mit-
tels Spritze über die nasogastrale Sonde. Die Magensonde darf nur gelegt
werden, wenn der Beschuldigte nicht durch heftige Gegenwehr ein sachge-
rechtes ärztliches Vorgehen unmöglich macht. Der Arzt selbst übt keinerlei
Zwang aus. Die Flüssigkeitsapplikation darf erst nach sicherer Lage der
Sonde im Magen erfolgen“ (UA S. 9). Ziel war die Herbeiführung eines Erbre-
chens im Schwall.
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Die Polizeibeamten fesselten C. s Füße mit einem Kabelbinder
und die Arme mit Handschellen auf den Rücken und setzten ihn auf den Un-
tersuchungsstuhl, der in einem Winkel von 70 Grad hochgestellt war. Der
Angeklagte brachte sein Messgerät zur Überwachung der Vitalwerte – Sau-
erstoffsättigung im Blut, Blutdruck und Puls – an, legte eine Venenverweilka-
nüle und führte einen 70 cm langen Schlauch mit der Magensonde durch ein
Nasenloch ein. C. suchte dies durch Kopfbewegungen zunächst zu ver-
hindern, was der Polizeibeamte F. durch Drücken des Kopfes gegen
die Rückenlehne unterband.
Der Angeklagte applizierte Brechmittel (Ipecacuanha-Sirup) durch eine
Spritze in den Schlauch und anschließend sieben bis acht Spritzenfüllungen
Leitungswasser, um das Erbrechen im Schwall zu provozieren. Der Brechreiz
setzte gegen 1.30 Uhr ein. C. bemühte sich „nach Kräften, diesen zu
unterdrücken, Erbrochenes im Mund zu behalten, wieder zu schlucken und
nur das hochgewürgte Wasser durch die zusammengepressten Zähne aus-
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treten zu lassen, was die Polizeibeamten als ‚Filtern’ bezeichneten. Auf diese
Weise gelang es C. zunächst, ein Austreten geschluckter Kokainkügel-
chen zu verhindern, weil – was ausweislich der Dienstanweisung ungewöhn-
lich war und auch von dem Angeklagten so kommentiert wurde – das Erbre-
chen bei ihm nicht ‚im Schwall’ auftrat. Erst nachdem C. bereits drei- bis
viermal unter ‚Filtern’ erbrochen hatte, wurde letztlich doch, vermutlich durch
seine Zahnlücke im Schneidezahnbereich oben links, ein etwa haselnuss-
großes Kokainkügelchen herausgespült und von K. gesichert. Auch nach
Einsetzen des Brechreizes fuhr der Angeklagte damit fort, über die Sonde
Wasser zuzuführen. Aus Gründen, die nicht haben festgestellt werden kön-
nen, rutschte die etwa 70 cm lange Sonde dabei aus der Nase und musste
mindestens einmal neu gelegt werden. … Nachdem C. sich bei kontinu-
ierlicher Wasserzufuhr durch den Angeklagten drei- oder viermal erbrochen
hatte, erlahmte mit der Zeit sein Widerstand zusehends, er wurde augen-
scheinlich apathischer, bis er schließlich ‚nicht ansprechbar’ wirkte und je-
denfalls auf Ansprachen nicht mehr reagierte. Diese Zustandsveränderung
allein löste allerdings zunächst bei dem Angeklagten noch keine erkennbare
Beunruhigung aus und veranlasste ihn nicht dazu, die Wasserzufuhr zu be-
enden“ (UA S. 15 f.).
Infolge C. s kontinuierlicher Bemühungen, Erbrochenes nicht nach
Außen dringen zu lassen, und begünstigt durch die im Zeitablauf abnehmen-
de Vigilanz des Betroffenen trat im Zuge der sich bei Erbrechen und Wieder-
verschlucken kreuzenden Flüssigkeiten Wasser in C. s Atemwege, die zu
einer Verminderung der Lungenfunktion und einer Beeinträchtigung der Sau-
erstoffversorgung des Organismus führte. Der Angeklagte und die Polizeibe-
amten waren der Meinung, dass C. – entsprechend früher beobachtetem
Verhalten von anderen aus Afrika stammenden Betroffenen – einen körperli-
chen Zusammenbruch bzw. eine Bewusstlosigkeit nur simulieren würde, um
einen Abbruch der Maßnahme zu erreichen.
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Gegen 1.50 Uhr, 20 Minuten nach Einsetzen des Erbrechens, ver-
schlechterte sich der angezeigte Sauerstoffsättigungswert; er wurde schließ-
lich von dem Kontrollgerät nicht mehr angezeigt. Der Angeklagte nahm einen
Gerätedefekt an und tauschte den Fingersensor aus. Das Gerät zeigte auch
danach keinen Sättigungswert an. C. wirkte weiter nicht ansprechbar
und atmete schwer. Aus seinem Mund und seiner Nase trat – bei Exkorpora-
tionen ungewöhnlich – weißer Schaum aus.
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d) Der Angeklagte reagierte auf Grund seiner Unerfahrenheit kopflos:
Anstatt einen der anwesenden, über ein Telefon verfügenden Polizeibeamten
damit zu beauftragen und ohne selbst Erst-Hilfe-Maßnahmen zu ergreifen,
verließ er den Behandlungsraum, um von der Pforte des Gewahrsamstrakts
aus den Notarzt zu alarmieren. Dies übernahm der vom Angeklagten ange-
troffene Wachhabende, der um 1.54 Uhr die Feuerwehr benachrichtigte.
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Kurz nach 2.00 Uhr trafen die Rettungssanitäter Ki. und E. ein.
Sie fanden C. in unverändert sitzender Stellung an Händen und Füßen
gefesselt mit nach vorn überhängendem Kopf vor. Der Angeklagte teilte ih-
nen mit, „er habe im polizeilichen Auftrag zur Sicherung verschluckter Dro-
genkugeln bei dem als Drogenhändler verdächtigen C. ‚eine Magenspü-
lung’ durchgeführt, die ‚nicht funktioniert’ habe. Dabei habe sich die Sauer-
stoffsättigung verschlechtert und werde jetzt nicht mehr angezeigt, die übri-
gen Vitalwerte seien normal. Auch nach dem Eindruck der Sanitäter wirkte
C. ‚nicht ansprechbar’. Die Rettungssanitäter veranlassten, dass C.
die Handfesseln abgenommen wurden, ließen die Rückenlehne in Liegeposi-
tion absenken und brachten C. sodann in Rückenlage mit nach hinten
überstrecktem Kopf, um seinen Kreislauf zu unterstützen und die Atmung zu
erleichtern. Parallel dazu schlossen sie die mitgebrachte eigene Messappa-
ratur an, ein Gerät, das ebenfalls über einen Fingersensor und an der Brust
anzubringende Elektroden die Vitalwerte (pulsoxymetrische Sauerstoffsätti-
gung, Blutdruck, Herzfrequenz, EKG) misst und einschließlich des EKG auf
dem Monitor abbildet. Dabei stellte E. fest, dass C. s Hände sehr kalt
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waren, womit sich für ihn auch in Kenntnis der Funktionsweise der Sätti-
gungsmessung per Pulsoxymetrie zwanglos erklärte, warum der Sauerstoff-
sättigungswert von dem Gerät des Angeklagten nicht mehr hatte gemessen
und angezeigt werden können“ (UA S. 18 f.): Bei Engstellung der Gefäße der
Finger beispielsweise infolge von Kälte oder bei vegetativ unter Schock ste-
henden Patienten wird wegen der Zentralisierung des Blutkreislaufs kein
Messwert angezeigt. Der Sanitäter E. führte die Zustandsveränderung
auf Atemprobleme zurück. Das Messgerät des Rettungswagens zeigte bis
2.06 Uhr eine Stabilisierung der Vitalparameter an.
„Der Angeklagte erklärte auch dem Notarzt, dem Zeugen G. ,
dass er im polizeilichen Auftrage zum Auffinden von verschluckten Drogen-
kugeln bei einem mutmaßlichen Drogenhändler ‚eine Magenspülung’ ge-
macht habe und dass er den Notruf abgesetzt habe, weil die Sauerstoffsätti-
gung bedenklich abgefallen und plötzlich keine Anzeige der Sauerstoffsätti-
gung mehr vorhanden gewesen sei. Es habe sich mittlerweile aber gezeigt,
dass wohl lediglich ein Gerätefehler vorgelegen habe“ (UA S. 21).
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Die Sanitäter berichteten dem Notarzt von den festgestellten steckna-
delkopfgroßen Pupillen des C. , die auf Lichtreize keine Veränderung
zeigten. Sie bewerteten dies als Drogenintoxikation, was nach zutreffender
Auffassung des Notarztes bei hier infrage stehendem Kokainkonsum nicht
zutreffen konnte.
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„Gegenstand der Erörterungen mit den Sanitätern und dem Angeklag-
ten war außerdem die Bewertung der ‚Nichtansprechbarkeit’ C. s. Hierzu
wurde von dem Angeklagten ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass
‚Schwarzafrikaner’ bei Exkorporationen häufig einen solchen Zustand simu-
lierten, sie würden sich häufig ‚tot stellen’. Dass C. sich nur verstellt ha-
ben könnte, entsprach allerdings nicht dem Eindruck des Notarztes, denn
C. reagierte weiterhin nicht nur nicht auf Ansprache, sondern zeigte auch
auf Schmerzreize, z. B. beim Legen eines Venenzugangs durch die Sanitä-
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ter, nur geringfügige Reaktionen, er gab nur unverständliche Laute von sich,
wirkte andererseits nach seinem Muskeltonus und dem Gesamteindruck we-
der bewusstlos noch komatös, aber doch ‚eingetrübt’“ (UA S. 22).
e) Der Notarzt beendete seinen Einsatz. Er verneinte die Frage des
Angeklagten, ob C. ins Krankenhaus müsse, und wies die Sanitäter an
einzupacken. Der Angeklagte bat „unter Hinweis auf die mögliche Unzuver-
lässigkeit seines Gerätes den Notarzt, noch dazubleiben, da er noch die
‚Magenspülung’ machen müsse und dies nicht ohne sicher funktionierendes
Gerät machen wollte; die ‚Magenspülung’ werde etwa 20 Minuten dauern“.
G. erklärte sich zum Bleiben bereit, „obwohl er keinen Hehl daraus
machte, dass er der zwangsweisen Exkorporationsmaßnahme ablehnend
gegenüber stand und hiermit grundsätzlich nichts zu tun haben wollte“ (UA
S. 23). Nach seinem Verständnis war seine Mitwirkung auf die technische
Amtshilfe beschränkt, dass der Angeklagte das Monitoringgerät des Ret-
tungsdienstes für 20 Minuten weiter nutzen konnte. G. beabsichtigte
nicht, eine irgendwie geartete ärztliche Mitverantwortung für die Durchfüh-
rung bzw. Fortsetzung der Exkorporation zu übernehmen. „Ohne eigene me-
dizinische Auseinandersetzung mit möglichen Kontraindikationen nach § 81a
StPO und der Dienstanweisung, die ihm als Prüfungsmaßstab im Übrigen
nicht bekannt waren, erhob der Notarzt deshalb auch keine Einwände bezüg-
lich der erklärten Absicht des Angeklagten, bei C. eine weitere Magen-
spülung vorzunehmen. Er beschränkte sich darauf, dem Angeklagten zu er-
widern, dass er dies selbst entscheiden müsse. Dass mit einer solchen ‚Ma-
genspülung’ wegen der von ihm selbst konstatierten Bewusstseinseintrübung
ein besonderes Aspirationsrisiko verbunden war, erkannte der Zeuge
G. trotz seiner besonderen Qualifikation als Anästhesist und Notfall-
mediziner auch deshalb nicht, weil der Angeklagte ihm nicht erklärte, wie er
diese ‚Magenspülung’ zuvor durchgeführt hatte und weiter durchzuführen
gedachte, so dass der Notarzt zunächst auch nicht erfuhr, dass das Prozede-
re von der normalen Vorgehensweise bei medizinisch indizierten ‚Magenspü-
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lungen’ im eigentlichen Sinne deutlich abwich und mit anders gearteten Risi-
ken als eine normale Magenspülung verbunden war“ (UA S. 24).
Während der Notarzt, vom Geschehen abgewandt, seinen Einsatzbe-
richt schrieb, nahm der Angeklagte zwischen 2.10 Uhr und 2.15 Uhr die
Zwangsexkorporation ohne die erforderliche erneute körperliche Untersu-
chung wieder auf. C. war nicht bewusstlos und versuchte wiederum, ein
Erbrechen durch „Filtern“ zu verhindern. Seine mentale Reaktionsfähigkeit
war eingeschränkt und sein Bewusstsein eingetrübt. Er hatte anfangs auch
wieder Bemühungen entfaltet, die Einführung der Sonde unter anderem
durch Kopfbewegungen zu verhindern. Der Zeuge F. hatte erneut den
Kopf des Verdächtigen fixiert. Der Angeklagte hatte die Sonde durch die Na-
se gelegt und begonnen, den Magen des C. nach und nach so mit Was-
ser zu überfüllen, dass ein weiterer Brechreiz ausgelöst würde. „Dabei wurde
der Notarzt erstmals darauf aufmerksam, dass die vermeintliche ‚Magenspü-
lung’ von dem Angeklagten in für ihn ungewöhnlicher Weise erfolgte. Ange-
sichts der Wassermengen, die der Angeklagte sukzessive in den Schlauch
füllte, ohne dieses sogleich wieder abzulassen, fragte er den Angeklagten,
ob er denn nicht das Wasser auch wieder ablassen wolle. Der Angeklagte
erklärte ihm daraufhin, dass im Gegenteil bei dieser Form der Exkorporation
der Magen routinemäßig bis zum Einsetzen des Erbrechens mit Wasser auf-
gefüllt werde. Dabei handele es sich für Exkorporationen um eine Standard-
methode, die er schon häufig praktiziert habe“ (UA S. 27). „Nachdem der An-
geklagte in dieser zweiten Phase der Exkorporation ein erstes Erbrechen
erreicht hatte, bei dem ein [zweites] Kügelchen gesichert wurde, vergewis-
serte er sich noch mindestens einmal bei dem Notarzt, ob er weitermachen
könne, was dieser mehr oder weniger achselzuckend, aber ohne Wider-
spruch zu erheben, bejahte, zumal die abgesprochene Wartezeit von rund
20 Minuten noch nicht erreicht war. Dementsprechend setzte der Angeklagte
die Prozedur des Eingebens von Wasser durch die Sonde fort und es kam
auch zunächst zu einem weiteren Erbrechen, bei dem ein drittes Kügelchen
gesichert wurde. Mit der Zeit ermattete C. jedoch, er fiel erneut in Passi-
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vität und Lethargie und zeigte schließlich keine Reaktionen mehr auf das
Geschehen. Parallel dazu nahm auch der Brechreiz merklich ab und verebb-
te schließlich. Dies veranlasste den Angeklagten dazu, den Brechreiz durch
eine mechanische Einwirkung im Rachenraum auslösen zu wollen“ (UA
S. 28). Hierzu bediente er sich zunächst der Kehrseite einer Pinzette, dann
eines Holzspatels, den der Rettungssanitäter Ki. aus dem Rettungswagen
geholt hatte. Bei einem hiermit ausgelösten weiteren Erbrechen wurde ein
viertes Kügelchen nach Öffnen der zusammengepressten Kiefer sicherge-
stellt. Der Sauerstoffsättigungswert war nicht durchgängig geprüft worden;
zudem war dessen Anzeige wegen Zerbrechens des Fingersensors ausge-
fallen. Der akustische Alarm des Geräts war aus ungeklärten Gründen aus-
geschaltet. Wenige Minuten später fiel C. ins Koma, aus dem er nicht
mehr gerettet werden konnte.
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f) Er verstarb an „cerebraler Hypoxie als Folge von Ertrinken nach As-
piration bei forciertem Erbrechen“ (UA S. 35) am 7. Januar 2005 in der Inten-
sivstation des Krankenhauses. Eine nicht erkannte Herzvorschädigung trug
allenfalls zu einer Aggravierung und Beschleunigung des hypoxischen Ge-
schehens bei. C. hatte insgesamt fünf Kügelchen Kokain zu einem Han-
delswert von je 20 € verschluckt, ohne Kokain konsumiert zu haben. Die vier
gesicherten Kügelchen wogen 402 mg und wiesen einen Wirkstoffanteil von
33 % aus. Das fünfte wurde während der Obduktion im Magen festgestellt.
g) Das Landgericht ist zugunsten des Angeklagten davon ausgegan-
gen, dass dieser hinsichtlich der Einbindung des Notarztes einem Missver-
ständnis unterlag und er sich für den Fall der Fortsetzung der Maßnahme
des ärztlichen Rückhalts des Notarztes versichert hatte.
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h) Die Strafkammer ist von einem rechtmäßigen Eingriff gemäß § 81a
Abs. 1 StPO ausgegangen und hat zahlreiche Verstöße des Angeklagten
gegen ihm obliegende ärztliche Sorgfaltspflichten festgestellt: Unzureichende
Anamnese und Untersuchung zu Beginn der Exkorporation, Eindringenlas-
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- 12 -
sen von Spülwasser in die Atemwege C. s, infolge vorurteilsgeleiteter und
auf nicht ausreichender Gerätekunde beruhender Nichterkennung der Beein-
trächtigung der Sauerstoffversorgung durch herabgesetzte Ventilationsfähig-
keit der Lunge. Diese seien für den Tod aber genauso wenig ursächlich ge-
wesen, wie die unangemessene Behandlung C. s infolge Missachtung
einfachster Notfallmaßnahmen bis zum Eintreffen der Rettungssanitäter. Das
Landgericht hat demgegenüber die Fortsetzung der Exkorporation wegen
des damit einhergehenden erhöhten Aspirationsrisikos als den Tod verursa-
chende Pflichtverletzung erachtet. Ein erfahrener Facharzt hätte dieses Risi-
ko aufgrund des Geschehens in der ersten Phase der Exkorporation erkannt.
Bei Zweifeln darüber, ob für die weitere Exkorporation mit Störungen, Be-
wusstseinstrübungen und unsicheren Schutzreflexen zu rechnen war, hätte
ein Arzt schon nach der Dienstanweisung die Maßnahme nicht fortsetzen
dürfen. Er wäre vielmehr gehalten gewesen, das Vorliegen einer Kontraindi-
kation zu attestieren.
22
Das Landgericht hat die Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des töd-
lichen Erfolges für den Angeklagten verneint. Es habe davon ausgehen müs-
sen, dass der Angeklagte mangels klinischer Ausbildung und Erfahrung mit
derartigen Einsätzen überfordert gewesen sei und dass er es als ausrei-
chende Vorkehrung habe ansehen können, sich der Einsatzbereitschaft des
Notarztes und der Assistenz der Rettungssanitäter bei der Fortsetzung der
Exkorporation zu vergewissern. Zum anderen sei die individuelle Vorherseh-
barkeit und Vermeidbarkeit der Todesfolge auch dadurch wesentlich einge-
schränkt gewesen, dass die kritische Situation sich schleichend entwickelt
habe und dass der entscheidende Schritt zur tödlichen, nicht reversiblen ce-
rebralen Hypoxie wegen der nicht bekannten Herzvorschädigung innerhalb
kürzester Zeit dann eingetreten sei.
2. Der Freispruch des Angeklagten hält sachlichrechtlicher Nachprü-
fung nicht stand. Dass der vom Angeklagten verantwortete und vollzogene
Brechmitteleinsatz nach objektiven Maßstäben aus derzeitiger – im An-
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- 13 -
schluss an EGMR NJW 2006, 3117 geläuterter – Sicht eindeutig als Körper-
verletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB) zu werten ist, stellt das Ergebnis
noch nicht in Frage; insoweit ist ihm angesichts zur Tatzeit anerkannter
Rechtsprechung (OLG Bremen NStZ-RR 2000, 270; KG JR 2001, 162) ein
Erlaubnistatbestandsirrtum oder ein unvermeidbarer Verbotsirrtum zuzubilli-
gen. Im Übrigen muss es das Revisionsgericht zwar grundsätzlich hinneh-
men, wenn der Tatrichter einen Angeklagten freispricht, weil er Zweifel an
seiner Täterschaft nicht zu überwinden vermag. Die Beweiswürdigung ist
Sache des Tatrichters; die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich dar-
auf, ob diesem Rechtsfehler unterlaufen sind (BGH NStZ 2009, 401, 402).
Dies ist auch der Fall, wenn die Beweiswürdigung lückenhaft ist, weil sie es
unterlässt, alle in die Bewertung einzubeziehenden rechtlichen Maßstäbe zu
beachten (vgl. BGH NStZ 2006, 625, 627). Solches liegt hier vor.
24
Das Landgericht hat die getroffenen Feststellungen nicht im Blick auf
weitere wesentliche berufliche Sorgfaltspflichten des Angeklagten gewürdigt
und ist im Hinblick auf den in Anspruch genommenen Vertrauensgrundsatz
von einem unzutreffenden Maßstab aufgrund einer teils widersprüchlichen
und nicht erschöpfenden Würdigung der festgestellten Umstände ausgegan-
gen.
a) Wie eingangs ausgeführt, liegt ein Verstoß gegen berufliche Sorg-
faltspflichten noch nicht darin, dass es der Angeklagte unterlassen hat, die
Zulässigkeit der von den Polizeibeamten unter Inanspruchnahme der Eil-
kompetenz gemäß § 81a Abs. 1 StPO angeordneten Exkorporation unter
Anwendung von Zwang entsprechend zahlreichen Veröffentlichungen im
rechtswissenschaftlichen Schrifttum in Zweifel zu ziehen (vgl. Kühne, Straf-
prozessrecht 6. Aufl. [2003] Rdn. 475; Krause in Löwe/Rosenberg, StPO
25. Aufl. [2003] § 81a Rdn. 52; Meyer-Goßner, StPO 45. Aufl. [2001] § 81a
Rdn. 22; 46. Aufl. [2003] § 81a Rdn. 22; 47. Aufl. [2004] § 81a Rdn. 22; Ha-
ckethal JR 2001, 164, 165; Zaczyk StV 2002, 125 ff.; Binder/Seemann
NStZ 2002, 234, 236).
25
- 14 -
Der Angeklagte war als die Zwangsmaßnahme ausführender Arzt zu
einer verantwortlichen Prüfung der rechtlichen Eingriffsvoraussetzungen jen-
seits der Beurteilung der medizinischen Risiken allenfalls in dem Maße ver-
pflichtet, als er an einer erkennbar willkürlich angeordneten Zwangsmaß-
nahme nicht teilnehmen durfte (vgl. Birkholz/Kropp/Bleich/Klatt/Ritter Krimi-
nalistik 1997, 277, 278). Diese Grenze wurde auch noch nicht allein dadurch
überschritten, dass der Angeklagte nach Bergung der ersten Kokainkugel
weiter gehandelt hat, obwohl nunmehr die Straftat des unerlaubten Handel-
treibens mit Betäubungsmitteln gemäß § 29 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BtMG – zu-
mal bei Kenntnis der Polizeibeamten von der Anzahl der Schluckbewegun-
gen des Verdächtigen C. – aufgeklärt war; schon deshalb lagen die Vor-
aussetzungen für eine weitere Inanspruchnahme der Eilkompetenz offen-
sichtlich nicht mehr vor, und die Maßnahme war ab diesem Zeitpunkt wegen
leicht erkennbarer Unverhältnismäßigkeit unzulässig. Insoweit gilt freilich im
Zusammenhang mit den weiteren eingetretenen Komplikationen Abweichen-
des (vgl. unten d).
26
b) Anders liegt es schon, soweit das Landgericht – in Konsequenz
seiner Auffassung hinsichtlich einer aus Sicht des Angeklagten rechtlich zu-
lässigen und im Grundsatz medizinisch risikofreien Zwangsmaßnahme (vgl.
auch OLG Bremen NStZ-RR 2000, 270) – den Angeklagten als nicht ver-
pflichtet angesehen hat, den Betroffenen über medizinische Risiken der
Zwangsexkorporation aufzuklären. Zwar sah solches die von dem Betreiber
des ärztlichen Beweissicherungsdienstes erlassene und für den Angeklagten
verbindliche Dienstanweisung nicht vor. Diese Anweisung regelte die Pflich-
ten des Angeklagten aber nicht abschließend. Die für die ärztliche Be-
rufsausübung wesentliche Aufklärungspflicht (§ 8 BO für Ärztinnen und Ärzte
des Landes Bremen vom 30. Juni 1997, ABl. S. 479) ist auch von dem Arzt
zu erfüllen, der eine Zwangsmaßnahme gemäß § 81a StPO vorzunehmen
hat (Kohlhaas NJW 1968, 2277, 2278), falls der Betroffene hierdurch in die
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Lage versetzt wird, den hinzunehmenden Eingriff schonender zu gestalten.
So lag es hier.
Der Angeklagte ist nach den Feststellungen des Landgerichts von ei-
nem Eingriff mit medizinischen Risiken ausgegangen. Nur mit einer solchen
Wertung kann in Einklang gebracht werden, dass der Angeklagte dem Be-
troffenen eine Venenverweilkanüle zur Infusion von Medikamenten legte,
was die Annahme drohender Gesundheitsgefahren voraussetzte. Hinzu tritt,
dass der Angeklagte in Erfüllung der ihm obliegenden Fortbildungspflicht (§ 4
BO; vgl. auch BGHSt 43, 306, 311) gehalten war, nach Erlass der Dienstan-
weisung vom 1. März 2001 erschienene Expertisen zur Kenntnis zu nehmen,
die eine Exkorporation unter Zwangsanwendung als medizinisch unbe-
herrschbar bewertet hatten (vgl. das vom Kammergericht eingeholte und in
dessen Urteil vom 8. Mai 2001 in StV 2002, 122, 123 f. dargestellte und zu-
stimmend bewertete Sachverständigengutachten; Stellungnahme des Präsi-
denten der Hamburger Ärztekammer, zitiert bei Binder/Seemann NStZ 2002,
234, 236, die in Fußnote 36 mit Nachweisen die gegenteilige Auffassung von
Dr. Birkholz und anderer in Kriminalistik 1997, 277, 282 als medizinische
Mindermeinung bezeichnen; vgl. auch EGMR NJW 2006, 3117, 3118 zur
Bewertung des medizinischen Risikos in Deutschland ab 1996). Es kann
nicht ausgeschlossen werden, dass sich C. nach Kenntnisnahme medi-
zinischer Risiken einer Exkorporation unter Zwang durch Vornahme freiwillig
herbeigeführten Erbrechens entzogen hätte. Weder Verständigungsprobleme
mit C. noch eine angenommene Eilsituation durften den Angeklagten
veranlassen den Eingriff ohne die gebotene Aufklärung vorzunehmen (vgl.
Kohlhaas NJW 1968, 2277, 2278).
28
c) Das Landgericht hat es insbesondere unterlassen, die Umstände
des Eingriffs des Angeklagten unter dem Gesichtspunkt eines Übernahme-
verschuldens zu würdigen. Fahrlässig schuldhaftes Handeln kommt unter
diesem Aspekt bei demjenigen Arzt in Betracht, der eine Tätigkeit vornimmt,
obwohl er weiß (bewusste Fahrlässigkeit) oder erkennen kann (unbewusste
29
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Fahrlässigkeit), dass ihm die dafür erforderlichen Kenntnisse fehlen
(BGHSt 43, 306, 311; BGH JR 1986, 248, 250; NJW 1979, 1258, 1259).
Hierzu hat das Landgericht zahlreiche Umstände festgestellt: Unzurei-
chende Anamnese und Untersuchung zu Beginn der Exkorporation, unzurei-
chende Gerätekenntnis, fehlende Grundkenntnisse über die Behandlung
ohnmächtiger Patienten, vorurteilsbedingtes Unterlassen der gebotenen Un-
tersuchung vor Fortsetzung der Exkorporation (vgl. BGHSt 3, 91, 96) unter
Vernachlässigung fast jeder Dokumentation. Hinzu treten die vom Landge-
richt nicht gewürdigte fehlende Aufklärung und der Umstand der Vornahme
einer Körperverletzung gegen Ende des Tatgeschehens durch Herbeiführung
des Brechreizes mit Aspiration von Wasser mittels einer Pinzette und eines
Spatels; der Angeklagte hat hierbei die aus seiner und der Sichtweise der
Dienstanweisung bestehende Grenze für eine zulässige Gewaltanwendung
überschritten. Bei der hiernach für erlaubt gehaltenen Methode der Exkorpo-
ration war lediglich Gewalt durch Fixierung des Betroffenen bei Einführung
der Nasensonde bis zum Erbrechen erlaubt, aber keine darüber hinausge-
hende Gewalteinwirkung zur Auslösung des Brechreizes auf andere Weise.
Solches stellt eine – durch § 81a StPO nicht mehr gerechtfertigte – Körper-
verletzung dar (vgl. zum Vorliegen einer Körperverletzung OLG Köln
NJW 1997, 2191, 2192 m.w.N.; vgl. auch EGMR NJW 2006, 3117, 3124).
Diese war schon wegen fehlender Gewalt oder Drohung im Sinne des § 113
Abs. 1 StGB von Seiten des C. auch nicht etwa durch Notwehr (§ 32
StGB) gerechtfertigt.
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Die Anerkennung eines Übernahmeverschuldens beruht auf der be-
sonderen Schutzpflicht des – durch die Approbation nachgewiesen – ausge-
bildeten Arztes für das ihm anvertraute Rechtsgut, die Unversehrtheit der
Gesundheit seiner Patienten. Einer solchen Pflicht unterliegt, weil er gemäß
§ 81a Abs. 1 StPO die Regeln der ärztlichen Kunst einzuhalten hat, auch ein
nach dieser Vorschrift handelnder Arzt. Hierdurch bestand auch für den An-
geklagten eine normativ begründete Eigenverantwortlichkeit für die Gesund-
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heit des vom Eingriff des Angeklagten betroffenen C. , die durch auch
von Dritten zu verantwortende Überforderung des Angeklagten nicht beseitigt
werden konnte.
Das vom Generalbundesanwalt in den Vordergrund der Betrachtung
gestellte Organisationsverschulden derjenigen, die den überforderten Ange-
klagten auch mit der riskanten Zwangsexkorporation beauftragt hatten (vgl.
hierzu UA S. 68 zur grundlegend abweichenden Regelung in Hamburg), ver-
mag dessen Verantwortlichkeit deshalb schon im Grundsatz nicht zu beseiti-
gen. In dem für den Erfolg ebenfalls kausale pflichtwidrige Verhalten Dritter
hat sich zudem gerade das Risiko der Pflichtwidrigkeit des Angeklagten als
Täter verwirklicht, weshalb zwischen dem Angeklagten und den seinen Ein-
satz organisierenden Dritten Nebentäterschaft gegeben ist (vgl. OLG Bam-
berg NStZ-RR 2008, 10, 12; Fischer, StGB 57. Aufl. § 15 Rdn. 16c).
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Nichts anderes gilt, soweit die Verteidigung aus der Pflichtenstellung
des Notarztes und dessen – freilich zum Teil widersprüchlichen und deshalb
kaum als Grundlage für den Angeklagten günstige Schlussfolgerungen ge-
eigneten – Aussagen und Verhaltensweisen eine Pflicht des Notarztes abge-
leitet hat, den Angeklagten anzuweisen, die weitere Exkorporation zu unter-
lassen. Ein solches Versagen des Notarztes beseitigte die Schutzpflicht des
Angeklagten für das Leben des C. nicht. Der Angeklagte verfügte auch
bei der Fortsetzung der Exkorporation als aktiv Handelnder weiter über die
Gefährdungsherrschaft (vgl. BGH NJW 2003, 2326, 2327; BGHSt 53, 55, 61
Tz. 23). Eine den Angeklagten möglicherweise entlastende Risikoübernahme
(vgl. Roxin, Strafrecht AT I 4. Aufl. S. 418 Tz. 138) hat nicht stattgefunden.
Der Angeklagte war nach dem Inhalt seines Anstellungsvertrages ersichtlich
nicht befugt, das medizinische Risiko des von ihm vorzunehmenden Eingriffs
auf einen Arzt außerhalb des Beweissicherungsdienstes zu übertragen. Der
Notarzt war angesichts seines beschränkten Auftrages ebenso wenig be-
rechtigt, dieses Risiko zu übernehmen. Er hat sich dessen auch nicht ange-
maßt. Das auf grundsätzliches Desinteresse gegründete Untätigbleiben des
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Notarztes läge auch nicht so weit außerhalb jeder Lebenserfahrung, dass der
für den Angeklagten bestehende Zurechnungszusammenhang entfiele (vgl.
Fischer aaO).
d) Darüber hinaus hat es das Landgericht unterlassen, ein Verbot der
Fortsetzung der Exkorporation nach erfolgreicher Bergung des ersten Ko-
kainkügelchens wegen Verstoßes des Angeklagten gegen das Gebot der
Wahrung der Menschenwürde in Betracht zu ziehen. Das sich aus
§ 7 Abs. 1 BO ergebende Gebot gilt für „jede medizinische Behandlung“ und
umfasst demnach auch die von Ärzten ausgeführten Zwangsmaßnahmen
gemäß § 81a Abs. 1 StPO. Soweit Ärzte als Ermittlungsgehilfen zu betrach-
ten wären, würde im Blick auf die sich wegen eines Verstoßes gegen Art. 1
Abs. 1 GG, Art. 3 MRK ergebenden Unzulässigkeit des Eingriffs nichts ande-
res gelten (vgl. Rogall NStZ 1998, 66, 68 m.w.N.; EGMR NJW 2006, 3117,
3119 bis 3121; für Zwangsexkorporationen allgemein Amelung/Wirth
StV 2002, 161, 167; Dallmeyer StV 1997, 606, 609 f.; Kühne, Strafprozess-
recht 7. Aufl. Rdn. 475; Zaczyk StV 2002, 125, 126).
34
Ein solcher Verstoß lag hier aufgrund der vorzunehmenden Gesamt-
schau der den Betroffenen C. beeinträchtigenden Umstände auf der
Hand (vgl. BVerfGE 30, 1, 25 f.; EGMR aaO; vgl. auch OLG Frankfurt
NJW 1997, 1647, 1648 und Bachmann/Püschel/Sonnen Kriminalistik 2004,
678, 680). Das Bedürfnis nach Fortsetzung der Exkorporation war nach Ber-
gen des ersten Kokainkügelchens zum Nachweis eines vom Betroffenen be-
gangenen Vergehens stark herabgesetzt, das Fortfahren jedenfalls unver-
hältnismäßig. Bereits die erste Exkorporationsphase führte zur Ohnmacht
des gefesselt gebliebenen Betroffenen und beinhaltete schon ein zweites
Legen der Sonde, wodurch ein Scheitern der Maßnahme indiziert gewesen
ist. Hinzu tritt, dass das Ziel des Eingriffs, ein schwallartiges Erbrechen, nie-
mals erreicht worden ist. Die Fortsetzung erfolgte 50 Minuten nach Beginn
der Maßnahme, ohne die Ursache der zuvor eingetretenen Ohnmacht aufzu-
klären, und dauerte weitere 30 Minuten. Sie war gegen einen in seiner men-
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talen Reaktionsfähigkeit eingeschränkten und im Bewusstsein eingetrübten
Betroffenen gerichtet, der ersichtlich keine Chance mehr hatte, durch Koope-
ration ein Ende der Zwangsmaßnahme herbeizuführen, die dann zudem am
Schluss eine rechtswidrige Körperverletzung durch den Angeklagten umfass-
te. Die Verantwortung dieser Umstände lag allein beim Angeklagten. Die
nach den Feststellungen des Landgerichts erfolgte Versicherung des Bei-
stands des Notarztes erstreckte sich hierauf gerade nicht.
e) Soweit das Landgericht unter Heranziehung von dem ärztlichen
Vertrauensgrundsatz (vgl. BGHSt 43, 306, 310 m.w.N.) zugrunde liegenden
Erwägungen trotz erkennbar eigener gravierender Kompetenzmängel die
Vorhersehbarkeit und Vermeidbarkeit des Todes durch Fortsetzung der Ex-
korporation verneint hat, beruht diese Schlussfolgerung zudem schon auf
einer widersprüchlichen Erwägung. Der Angeklagte hat dem Notarzt schon
gar nicht vertraut, nachdem er nach dessen kritischer Intervention sogar die
Zuführung von Wasser nach Proklamation besseren eigenen Wissens ohne
Berücksichtigung der Auffassung des Notarztes fortgesetzt hatte.
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Die Schlussfolgerung beruht ferner – nicht anders, als bei nicht durch
den Zweifelssatz gebotener Unterstellung von Sachverhalten zugunsten des
Angeklagten – auf einer lückenhaften Beweisgrundlage (vgl. BGH
NStZ 2009, 401, 402 m.w.N.). Das Landgericht hat festgestellte Umstände
außer Betracht gelassen, die ernsthafte Zweifel an der Ordnungsmäßigkeit
der – nicht einmal ausdrücklich geäußerten – Risikoeinschätzung des Not-
arztes begründen (vgl. BGHSt 43, 306, 310 f.). Dieser hatte – genauso wie
der Angeklagte – ebenfalls keine eigene Untersuchung des Betroffenen
durchgeführt (vgl. auch BGHSt 3, 91). Während der Endphase der Exkorpo-
ration hatte zudem niemand die Sauerstoffsättigung überprüft. Gerade eine
Erforschung der Ursache der ersten Ohnmacht des Betroffenen wäre hier zur
Erfüllung der ärztlichen Schutzpflicht für das Leben des zu Untersuchenden
unerlässlich gewesen, bevor der gleiche Eingriff mit identischen naheliegend
erhöhten Gefahren hätte wiederholt werden dürfen. Abgesehen von alldem
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erscheinen die – eher den Notarzt als etwa den Angeklagten entlastenden –
Feststellungen des Landgerichts zu einem Missverständnis zwischen beiden
über die Eingriffsmethode des Angeklagten angesichts der bei einer regulä-
ren Magenspülung verwendeten ersichtlich andersartigen Gerätschaft zwei-
felhaft, wie die Verteidigung in der Revisionshauptverhandlung näher ausge-
führt hat.
3. Die Sache bedarf demnach neuer Aufklärung und Bewertung.
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a) Der Senat weist darauf hin, dass für die Annahme des Eintritts ei-
nes neuen Kausalverlaufs durch eine bewusste Selbstgefährdung des C.
kein Raum sein dürfte. Nicht anders als in dem Fall eines illegal eingereisten
Ausländers, der nicht den Freitod wählt, um der Bestrafung wegen illegaler
Einreise zu entgehen (BGH StV 2008, 182, 184), dürfte auch hier nicht an-
genommen werden, dass der nicht vorbestrafte C. seinem Leben hätte
ein Ende setzen wollen, um nicht wegen eines Vergehens des unerlaubten
Handeltreibens mit 0,5 g Kokaingemisch bestraft zu werden. Es liegen keine
Anhaltspunkte vor, dass sich ein von C. bewusst eingegangenes Risiko
realisiert haben könnte (vgl. BGHSt 53, 55, 60).
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b) Der Senat verweist das Verfahren entsprechend § 355 StPO an ei-
ne Schwurgerichtskammer des Landgerichts zurück. Dies hat auch bei einer
Zurückverweisung gemäß § 354 Abs. 2 StPO zu erfolgen, weil das Revisi-
onsgericht – selbstverständlich – verpflichtet sein muss, denjenigen Spezial-
spruchkörper des Landgerichts mit der neuen Verhandlung der Sache zu
betrauen, der nach im Revisionsverfahren gewonnenen Erkenntnissen, nach
den die sachliche Zuständigkeit begründenden Vorschriften hierzu berufen ist
(vgl. BGH, Urteil vom 13. April 2010 – 5 StR 428/09 Tz. 25 m.w.N.; Hanack in
Löwe/Rosenberg, StPO 25. Aufl. § 355 Rdn. 4).
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Die Zuständigkeit der Schwurgerichtskammer kommt gemäß § 74
Abs. 2 Nr. 8 GVG in Betracht, weil sich nicht ausschließen lässt, dass nach
einer Würdigung der bisher festgestellten Umstände Ergebnis einer Beweis-
würdigung auch sein kann, dass der Angeklagte eine Exkorporation um je-
den Preis unter vollständiger Missachtung der Belange des Betroffenen
durchgeführt haben könnte, wodurch sich der Verdacht einer (vorsätzlichen)
Körperverletzung mit Todesfolge ergeben kann (vgl. BGHSt 36, 1, 9 f.; 48,
34, 37).
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c) Angesichts dessen, dass ein etwaiger Schuldspruch gegen den An-
geklagten wegen fahrlässig verursachter Todesfolge (§ 222 oder § 227
StGB) primär aus dessen Überforderung in einer gewissen Druck- und Aus-
nahmesituation resultierte und sich auch für ihn eher als Unglücksfall darstel-
len würde, wird für den Fall der Verurteilung eine milde Sanktion angezeigt
sein, bei einem Schuldspruch nach § 227 StGB naheliegend unter Annahme
eines minder schweren Falles und zudem eines Verbotsirrtums. Dies gilt zu-
mal vor dem Hintergrund, dass die strafrechtliche Verantwortlichkeit für das
inzwischen nahezu sechs Jahre zurückliegende Tatgeschehen von Organi-
satoren und anderen Mitwirkenden mit deutlich höherem Schuldgehalt greif-
bar nahe liegt.
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Schneider Bellay