Urteil des BGH vom 07.07.2009

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VI ZR 278/08 Verkündet
am:
7. Juli 2009
Böhringer-Mangold,
Justizamtsinspektorin
als
Urkundsbeamtin
der
Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: nein
BGHR: ja
EGZPO § 15a; BaySchlG Art. 1 Nr. 3
In den Fällen des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EGZPO entfällt ein nach
dem Landesgesetz bestehendes Schlichtungserfordernis nicht deshalb, weil der
schlichtungsbedürftige Antrag im Rechtsstreit mit einem nicht schlichtungsbe-
dürftigen Klageantrag verbunden wird. Hinsichtlich des schlichtungsbedürftigen
Antrags ist die Klage als unzulässig abzuweisen, wenn kein Schlichtungsverfah-
ren durchgeführt wurde.
BGH, Urteil vom 7. Juli 2009 - VI ZR 278/08 - LG Passau
AG
Freyung
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Der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 7. Juli 2009 durch die Richter Zoll und Wellner, die Richterin Diederichsen
und die Richter Pauge und Schilling
für Recht erkannt:
Die Revision gegen das Urteil der 1. Zivilkammer des Landge-
richts Passau vom 25. September 2008 wird auf Kosten des Klä-
gers zurückgewiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Parteien sind Grundstücksnachbarn. Entlang der östlichen Grenze
der Grundstücke beider Parteien fließt ein Bach, an dessen Ufer sich eine Pap-
pel befindet. Im September oder Oktober 2006 hatte der Beklagte zwei Äste
dieser Pappel abgeschnitten und behauptet, der Baum gehöre nicht zum
Grundstück des Klägers. Der Kläger hat vorgetragen
,
der Beklagte habe ihn in
diesem Zusammenhang als Lügner bezeichnet. Erstinstanzlich haben der Klä-
ger und seine Ehefrau als Streitgenossen Klage erhoben mit den Anträgen, es
werde festgestellt, dass die
besagte Pappel auf dem Klägergrundstück stehe,
und der Beklagte werde verurteilt
,
es zu unterlassen, den Kläger als Lügner zu
bezeichnen. Nachdem das Gericht ein Sachverständigengutachten über den
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Standort des Baumes eingeholt hatte, haben d
er
Kläger und seine Ehefrau den
Feststellungsantrag zurückgenommen
.
Das Amtsgericht hat
sodann die noch anhängige Unterlassungsklage
des Klägers durch Prozessurteil abgewiesen.
Das Berufungsgericht hat die da-
gegen eingelegte Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Beru-
fungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren wei-
ter.
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Entscheidungsgründe:
I.
Das Berufungsgericht hat ausgeführt: Die noch anhängige Klage sei we-
gen fehlender Durchfüh
r
ung eines außergerichtlichen Einigungsversuchs ge-
mäß § 15a Abs. 1 Satz 1 Nr. 3 EGZPO in Verbindung mit Art. 1 Nr. 3
des Baye-
rischen Schlichtungsgesetzes (BaySchlG) unzulässig. Hinsichtlich des Unter-
lassungsantrags habe kein Schlichtungsversuch stattgefunden, obwohl ein sol-
cher nach Art. 1 Nr. 3 BaySchlG erforderlich gewesen sei.
Die Klage sei nicht
deswegen zulässig, weil der Kläger sie mit einem nicht schlichtungsbedürftigen
Antrag verbunden habe. Die - in Literatur und Rechtsprechung umstrittene -
Frage, ob die Verbindung eines schlichtungsbedürftigen mit einem schlichtungs-
freien Antrag im Wege der objektiven Klagehäufung einen außergerichtlichen
Schlichtungsversuch insgesamt entbehrlich mache, sei zu verneinen. Die Zu-
lässigkeitsvoraussetzungen seien für jeden Antrag gesondert zu prüfen.
Die
Gegenansicht erleichtere eine
.
Umgehung der zwingenden außergerichtlichen
Schlichtung und schränke deren Anwendungsbereich deutlich ein. Die Gegen-
auffassung könne sich nicht auf Sinn und Zweck der Vorschriften über das obli-
gatorische Schlichtungsverfahren berufen. E
i
ne erfolgreiche Schlichtung könne
gerade bei solchen Streitigkeiten
,
die in den persönlichen Beziehungen der Par-
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teien wurzelten, auch zur außergerichtlichen Beilegung der damit verbundenen,
an sich nicht schlichtungsbedürftigen Streitpunkte führen, so dass ein gerichtli-
ches Verfahren insgesamt vermieden werden könnte
.
II.
Die dagegen gerichtete Revision ist unbegründet (zum Vorliegen der
Voraussetzungen des § 545 Abs. 1 ZPO in Fällen der vorliegenden Art vgl. Se-
natsurteil BGHZ 161, 145, 147).
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1. Nach Art. 1 Nr. 3 BaySchlG kann wegen einer Streitigke
i
t über An-
sprüche wegen der Verletzung der per
s
önl
i
chen Ehre, die nicht in Presse oder
Rundfunk begangen worden ist, vor den Amtsgerichten eine Klage erst erhoben
werden
,
wenn die Parteien den Versuch unternommen haben, den Streit vor
einer anerkannten Schlichtungs- oder GütesteIle gütlich beizulegen
.
Die Partei-
en stellen deshalb mit Recht nicht in Frage, dass nach dem Gesetzeswortlaut
der vorliegenden Unterlassungsklage
ein Schlichtungsversuch vorauszugehen
hatte.
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Ob, wie die Revisionserwiderung meint, entgegen der Ansicht der Vorin-
stanzen auch die Auseinandersetzung über den Standort des Baums als nach-
barrechtliche Streitigkeit einem vorherigen Schlichtungsverfahren unterworfen
werden musste, kann dahin stehen, da es für die Entscheidung darauf nicht
ankommt.
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2.
Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats muss, wenn
durch Landesrecht ein obligatorisches Güteverfahren vorgeschrieben ist, der
Einigungsversuch der Klageerhebung vorausgehen, so dass eine ohne den Ei-
nigungsversuch erhobene Klage als unzulässig abzuweisen ist (Senatsurteil
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BGHZ 161, 145, 148 f.). Die Zielsetzung der Öffnungsklausel des § 15a
EGZPO, angesichts des ständig steigenden Geschäftsanfalls bei den Gerichten
Institutionen zu fördern, die im Vorfeld der Gerichte Konflikte beilegen, und ne-
ben der Entlastung der Justiz durch eine Inanspruchnahme von Schlichtungs-
stellen Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen, kann nur erreicht
werden, wenn die Verfahrensvorschrift des § 15a EGZPO konsequent derart
ausgelegt wird, dass die Rechtsuchenden und die Anwaltschaft in den durch
Landesgesetz vorgegebenen Fällen vor Anrufung der Gerichte auch tatsächlich
den Weg zu den Schlichtungsstellen beschreiten müssen (Senatsurteil BGHZ
161, 145, 149 f.).
3. Diese Überlegung muss auch maßgebend sein, wenn es um die vor-
liegend zu beantwortende Frage geht, ob das Schlichtungserfordernis entfällt,
wenn ein an sich schlichtungsbedürftiger Antrag mit einem nicht schlichtungs-
bedürftigen Antrag zusammentrifft.
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a) Wie das Berufungsgericht zutreffend ausführt, wird diese Frage in
Rechtsprechung und Literatur unterschiedlich beantwortet (bejahend: LG
Aachen, NJW-RR 2002, 1439; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO,
67. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 18; Beunings, AnwBl 2004, 82, 85; Bitter, NJW
2005, 1235, 1237 f.; Deckenbrock/Jordans, JA 2004, 913, 915; Friedrich, NJW
2002, 3223, 3224; Hk-ZPO/Saenger, 2. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 2; Zöl-
ler/Gummer/Heßler, ZPO, 27. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 3; verneinend: Be-
cker/Nicht, ZZP 120, 159, 190; Jordans, MDR 2005, 286, 287; MünchKomm-
ZPO/Gruber, 3. Aufl., § 15a EGZPO Rn. 11; Prütting/Schmidt, Außergerichtliche
Streitschlichtung, 2003, Rn. 119; Röhl/Weiß, Die obligatorische Streitschlich-
tung in der Praxis, 2005, S. 155 f.).
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b) Nach Ansicht des erkennenden Senats ist der letztgenannten Auffas-
sung der Vorzug zu geben, wonach die Schlichtungsbedürftigkeit eines Klage-
antrags nicht deshalb entfällt, weil er im Wege der objektiven Klagehäufung mit
einem nicht schlichtungsbedürftigen Antrag verbunden wird.
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Bereits in dem Urteil vom 8. Juli 2008 (VI ZR 221/07 - NJW-RR 2008,
1662, 1663) hat der Senat ausgeführt, e
s spreche viel für diese Auffassung,
weil bei einer Anspruchshäufung (§ 260 ZPO) der Grundsatz gelte, dass die
Prozessvoraussetzungen für jeden einzelnen Antrag gesondert zu prüfen seien.
Die Gegenauffassung eröffne eine Möglichkeit zur einfachen Umgehung des
Einigungsversuchs, die der Zielsetzung des Gesetzgebers widerspräche, durch
die Inanspruchnahme von Schlichtungsstellen die Gerichte zu entlasten und
Konflikte rascher und kostengünstiger zu bereinigen. Es habe für den Gesetz-
geber nahe gelegen, wie bei den §§ 5, 25 ZPO eine Abweichung vom oben ge-
nannten Grundsatz zu regeln, wenn er eine solche auch für die hier maßgebli-
chen Fälle des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EGZPO gewollt hätte, was
nicht geschehen sei. Soweit der Bundesgerichtshof in Fällen des § 264 Nr. 2
ZPO die Durchführung eines weiteren Einigungsversuchs für den nachträglich
erweiterten oder beschränkten Anspruch als grundsätzlich entbehrlich angese-
hen habe (BGH, Urteil vom 22. Oktober 2004 - V ZR 47/04 - NJW-RR 2005,
501, 503), sei eine mit der anfänglichen, objektiven Klagehäufung nicht ver-
gleichbare Situation gegeben.
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c) Diese Erwägungen erweisen sich auch unter Berücksichtigung der von
der Revision für die abweichende Auffassung vorgetragenen Argumente als
durchschlagend.
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Der Revision gelingt es nicht, plausibel zu machen, wie die mit dem
Schlichtungsverfahren verfolgte Zielsetzung erreicht werden soll, wenn in den
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Fällen des § 15a Abs. 1 Satz 1 Nrn. 2 und 3 EGZPO eine einfache Klagehäu-
fung ausreicht, das Schlichtungserfordernis entfallen zu lassen. Dabei ist eine
generalisierende Betrachtungsweise nicht zu vermeiden. In jedem Einzelfall zu
prüfen, ob der nicht schlichtungsbedürftige weitere Antrag den Schwerpunkt der
Auseinandersetzung der Parteien darstellt oder ob er rechtsmissbräuchlich zur
Vermeidung des Schlichtungsverfahrens gestellt wird, vertrüge sich nicht mit
Wortlaut und Zielrichtung der gesetzlichen Regelung und führte auch vielfach
zu einer nicht wünschenswerten unklaren prozessualen Situation und damit zu
neuen Streitpunkten. Zutreffend verweist das Berufungsgericht darauf, dass
e
i
ne erfolgreiche Schlichtung gerade bei solchen Streitigkeiten
,
die in den per-
sönlichen Beziehungen der Parteien wurzeln, zur außergerichtlichen Beilegung
der damit verbundenen, an sich nicht schlichtungsbedürftigen Streitpunkte füh-
ren und so ein gerichtliches Verfahren insgesamt vermieden werden kann
.
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III.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.
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Zoll Wellner Diederichsen
Pauge Schilling
Vorinstanzen:
AG Freyung, Entscheidung vom 10.04.2008 - 2 C 507/07 -
LG Passau, Entscheidung vom 25.09.2008 - 1 S 74/08 -