Urteil des BGH vom 21.07.2005

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
VII ZR 304/03
Verkündet am:
21. Juli 2005
Heinzelmann,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk:
ja
BGHZ:
nein
BGHR:
ja
BGB §§ 633 Abs. 3, 635 a.F.
a) Haben einzelne Erwerber von Wohnungseigentum den Veräußerer in Verzug mit
der Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum gesetzt und danach die
Mängel beseitigen lassen, können sie Ersatz ihrer Aufwendungen gemäß § 633
Abs. 3 BGB mit Zahlung an sich verlangen.
b) Die Klage ist auch dann erfolgreich, wenn sie den Anspruch mangels wirksamer
Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung zu Unrecht auf § 635 BGB gestützt haben,
denn das Gericht ist verpflichtet, den Prozeßstoff unter allen in Betracht kommen-
den rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen.
BGH, Urteil vom 21. Juli 2005 - VII ZR 304/03 - OLG Dresden
LG Görlitz
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Der VII. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat auf die mündliche Verhandlung
vom 21. Juli 2005 durch den Vorsitzenden Richter Dr. Dressler, die Richter Dr.
Haß, Dr. Wiebel, Prof. Dr. Kniffka und die Richterin Safari Chabestari
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Kläger wird das Urteil des 13. Zivilsenats des
Oberlandesgerichts Dresden vom 30. September 2003 aufgeho-
ben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch
über die Kosten der Revision, an das Berufungsgericht zurück-
verwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Die Kläger verlangen Ersatz von Mängelbeseitigungskosten.
Die Kläger erwarben von den Beklagten Wohnungseigentum. Zusammen
mit dem weiteren Erwerber W. verfügen die Kläger über 731/1000 der Miteigen-
tumsanteile. In den Erwerbsverträgen mit den Klägern verpflichteten sich die
Beklagten zu umfangreichen Modernisierungsarbeiten. Wegen Verzögerungen
bei der Fertigstellung der Modernisierungsarbeiten sowie der Beseitigung der
festgestellten Mängel setzten die Kläger den Beklagten am 23. März 1998 eine
Frist zur Vollendung der Arbeiten bis zum 8. April 1998 und kündigten gleichzei-
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tig an, nach Fristablauf die Arbeiten abzulehnen und Schadensersatz wegen
Nichterfüllung geltend zu machen.
Nachdem die Beklagten hierauf nicht reagierten, beantragten die Kläger
zusammen mit W. am 8. April 1998 vor dem Landgericht ein selbständiges Be-
weisverfahren zum Zustand des Gebäudes und den erforderlichen Fertigstel-
lungsarbeiten. In diesem Verfahren erstellte der Sachverständige L. ein Gutach-
ten. Die Kläger sowie W. ließen anschließend die dort genannten Arbeiten
durchführen. Die Kosten übernahmen die Kläger und W. entsprechend ihren
Eigentumsanteilen.
Die Kläger haben zunächst beantragt, die Beklagten als Gesamtschuld-
ner zur Zahlung an die einzelnen Kläger in Höhe der jeweils von diesen veraus-
lagten Beträge zu verurteilen. Gegen den Beklagten zu 1 ist antragsgemäß ein
inzwischen rechtskräftiges Teilversäumnisurteil ergangen. Nachdem einer der
von den Klägern und W. mit den Mängelbeseitigungsarbeiten beauftragten Un-
ternehmer an die Kläger einen Teil der von diesen bereits gezahlten Vergütung
zurückerstattet hat, haben diese den Rechtsstreit in Höhe der jeweils erhalte-
nen Beträge für erledigt erklärt. Der Beklagte zu 2 ist den Teilerledigungserklä-
rungen entgegengetreten.
Das Landgericht hat der Klage stattgegeben. Im Berufungsverfahren ha-
ben die Kläger zusätzlich im Wege der Anschlußberufung einen Hilfsantrag auf
Zahlung der Klagesumme an die Eigentümergemeinschaft gestellt. Das Beru-
fungsgericht hat auf die Berufung des Beklagten zu 2 das Urteil des Landge-
richts aufgehoben und die Klage sowie die Anschlußberufung als unzulässig
erachtet. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgen die Kläger ihre im
zweiten Rechtszug gestellten Anträge weiter.
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Entscheidungsgründe:
Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des Berufungsurteils
und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
Auf das Schuldverhältnis ist das Bürgerliche Gesetzbuch in der bis zum
31. Dezember 2001 geltenden Fassung anzuwenden (Art. 229 § 5 Satz 1
EGBGB).
I.
Das Berufungsgericht ist der Ansicht, die auf Zahlung gerichteten Klage-
anträge seien unzulässig. Es könne dahinstehen, ob die Kläger befugt seien,
den Schadensersatzanspruch selbständig durchzusetzen oder ob hierfür ein
Gemeinschaftsbeschluß notwendig sei. Denn jedenfalls könnten sie bezüglich
der Ansprüche für die Aufwendungen am Gemeinschaftseigentum nicht Zah-
lung an sich, sondern nur Zahlung an die Gemeinschaft verlangen. Der nach
den Mängelbeseitigungskosten berechnete Schadensersatzanspruch wegen
behebbarer Mängel am Gemeinschaftseigentum, wie er hier zum Teil geltend
gemacht werde, könne grundsätzlich nur mit dem Antrag auf Zahlung an die
Gemeinschaft durchgesetzt werden. Die Klageanträge würden nicht zwischen
aufgewandten Kosten für das Gemeinschaftseigentum und solchen für das
Sondereigentum differenzieren. Damit entsprächen diese nicht den Anforderun-
gen des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Antrag auf Feststellung, daß sich der
Rechtsstreit in der Hauptsache teilweise erledigt habe, sei unbegründet, weil
die Klage aus den genannten Gründen unzulässig gewesen sei. Die Anschluß-
berufung sei verfristet, Wiedereinsetzung sei nicht zu gewähren.
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II.
Das hält der rechtlichen Nachprüfung nicht stand. Die Kläger können die
Erstattung der Mängelbeseitigungskosten an sich jedenfalls gemäß § 633
Abs. 3 BGB verlangen. Dem steht nicht entgegen, daß ein Teil dieser Kosten
für die Beseitigung von Mängeln am Gemeinschaftseigentum aufgewandt wor-
den ist.
1. Es kann dahin stehen, ob die Kläger einen Schadensersatzanspruch
in Höhe der Mängelbeseitigungskosten gemäß § 635 BGB haben, den sie mit
Zahlung an sich durchsetzen können. Allerdings teilt der Senat nicht die Auffas-
sung des Berufungsgerichts, die Klage scheitere schon daran, daß die Kläger
Zahlung an sich verlangten. Da die Mängel am Gemeinschaftseigentum besei-
tigt sind, besteht kein Grund, denjenigen Erwerbern, die die Mängel beseitigt
haben, das Recht zu versagen, Zahlung an sich zu fordern. Nach mangelfreier
Herstellung des Gemeinschaftseigentums hat die Wohnungseigentümerge-
meinschaft kein schützenswertes Interesse, die Mittel zu erlangen, die einzelne
Erwerber zur Beseitigung der Mängel aufgewandt haben. Anders ist das, wenn
die Mängel noch nicht beseitigt sind und der einzelne Erwerber Schadensersatz
in Höhe der voraussichtlichen Mängelbeseitigungskosten verlangt. In diesem
Fall muß sichergestellt werden, daß die zur Beseitigung der Mängel am Ge-
meinschaftseigentum erforderlichen Mittel der Wohnungseigentümergemein-
schaft zufließen. Deshalb verlangt die Rechtsprechung, vorbehaltlich eines ab-
weichenden Beschlusses der Wohnungseigentümer, daß der Antrag auf Zah-
lung an die Gemeinschaft gestellt wird (BGH, Urteil vom 6. Juni 1991
- VII ZR 372/89, BGHZ 114, 383, 388; Urteil vom 7. Juni 2001 - VII ZR 420/00,
BGHZ 148, 85, 88).
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Bedenken gegen einen Schadensersatzanspruch gemäß § 635 BGB
könnten jedoch bestehen, weil die Wohnungseigentümergemeinschaft nach
dem in der Revisionsinstanz zu unterstellenden Sachverhalt vor der Beseitigung
der Mängel am Gemeinschaftseigentum keinen Beschluß gefaßt hat, den Be-
klagten eine Frist mit Ablehnungsandrohung zu setzen und deshalb die Voraus-
setzungen für einen Schadensersatzanspruch nicht wirksam geschaffen worden
sein könnten (vgl. BGH, Urteil vom 30. April 1998 - VII ZR 47/97, BauR 1998,
783 = ZfBR 1998, 245). Darauf kommt es nicht an, denn die Kläger können Er-
stattung der Mängelbeseitigungskosten mit Zahlung an sich jedenfalls gemäß
§ 633 Abs. 3 BGB fordern.
2. Den Klägern steht der geltend gemachte Anspruch auf Erstattung der
für die Mängelbeseitigung aufgewandten Kosten jedenfalls gemäß § 633 Abs. 3
BGB zu.
Danach kann der Besteller einen Mangel selbst beseitigen und Ersatz
der erforderlichen Aufwendungen verlangen, wenn der Unternehmer mit der
Beseitigung des Mangels in Verzug ist. Im Falle des Erwerbs von Wohnungsei-
gentum hat jeder einzelne Erwerber aus dem jeweiligen Vertrag mit den Baube-
teiligten einen individuellen Anspruch auf mangelfreie Werkleistung auch in Be-
zug auf das gesamte Gemeinschaftseigentum (BGH, Urteil vom 10. Mai 1979
- VII ZR 30/78, BGHZ 74, 258, 263; Urteil vom 6. Juni 1991 - VII ZR 372/89,
BGHZ 114, 383, 389). Jedenfalls solange kein abweichender Beschluß der
Wohnungseigentümer vorliegt, ist jeder Erwerber berechtigt, seine Ansprüche
auf Erfüllung des Vertrages auch hinsichtlich des Gemeinschaftseigentums ge-
gen den Vertragspartner selbständig geltend zu machen und diesen in Verzug
zu setzen. Denn der Erwerber, der selbständig die Mängelbeseitigung verfolgt,
handelt grundsätzlich im wohlverstandenen Interesse aller Wohnungseigentü-
mer (BGH, Urteil vom 10. Mai 1979 - VII ZR 30/78, BGHZ 74, 258, 264). Dem
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Erwerber steht im Falle des Verzugs mit der Mängelbeseitigung gegenüber dem
Vertragspartner das Selbstvornahmerecht zu. Er kann selbständig Vorschuß
jedenfalls mit Zahlung an die Gemeinschaft verlangen (vgl. BGH, Urteil vom
5. Mai 1977 - VII ZR 36/76, BGHZ 68, 372, 377; Urteil vom 6. Juni 1991
- VII ZR 372/89, BGHZ 114, 383, 389). Hat er die Mängelbeseitigung durchge-
führt, steht ihm der Anspruch auf Kostenerstattung gemäß § 633 Abs. 3 BGB zu
(BGH, Urteil vom 5. Mai 1977, aaO.; Urteil vom 4. Juni 1981 - VII ZR 9/80,
BGHZ 81, 35, 38; Urteil vom 21. Februar 1985 - VII ZR 72/84, BauR 1985, 314
= ZfBR 1985, 132; Urteil vom 15. April 2004 - VII ZR 130/03, BauR 2004, 1148
= NZBau 2004, 435 = ZfBR 2004, 557). In diesem Fall besteht kein Grund, ihm
das Recht zu versagen, Zahlung an sich zu fordern.
3. Die Kläger haben die Erstattung der Mängelbeseitigungskosten als
Schadensersatz gefordert. Das hindert nicht, der Klage mit der Begründung
stattzugeben, der Anspruch bestehe gemäß § 633 Abs. 3 BGB. Das Beru-
fungsgericht war verpflichtet, den Prozeßstoff unter allen in Betracht kommen-
den rechtlichen Gesichtspunkten zu prüfen (BGH, Urteil vom 20. März 1997
- IX ZR 71/96, BGHZ 135, 140, 149). Wird die Klage auf Erstattung der für die
Mängelbeseitigung aufgewandten Kosten auf § 635 BGB gestützt, so liegt darin
keine Begrenzung des Streitgegenstandes. Dieser wird bestimmt durch das
allgemeine Rechtsziel und die erstrebte konkrete Rechtsfolge, wie sie sich aus
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dem Klageantrag ergeben, sowie aus dem Lebenssachverhalt (Klagegrund),
aus dem der Kläger die begehrte Rechtsfolge herleitet (BGH, Urteil vom 18. Juli
2002 - III ZR 287/01, BauR 2002, 1831). Auf die materiellrechtliche Begründung
der Klage kommt es dabei regelmäßig nicht an.
Dressler Haß Wiebel
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