Urteil des BGH vom 22.08.2001

BGH (stgb, vollstreckung der strafe, staatsanwaltschaft, gleichartige idealkonkurrenz, strafkammer, strafe, hauptverhandlung, vollstreckung, aussetzung, sachbeschädigung)

5 StR 260/01
BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
vom 22. August 2001
in der Strafsache
gegen
wegen Brandstiftung u. a.
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Der 5. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in der Sitzung vom 22. Au-
gust 2001, an der teilgenommen haben:
Richter Basdorf als Vorsitzender,
Richter Dr. Bode,
Richterin Dr. Gerhardt,
Richter Dr. Raum,
Richter Dr. Brause
als beisitzende Richter,
Oberstaatsanwalt beim Bundesgerichtshof
als Vertreter der Bundesanwaltschaft,
Rechtsanwältin
als Verteidigerin,
Justizangestellte
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle,
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für Recht erkannt:
1. Auf die Revision der Staatsanwaltschaft
wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 12. Oktober
2000
a) im Schuldspruch dahin klargestellt,
daß der Angeklagte der Brandstiftung in sechs Fällen,
davon in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädi-
gung, und der Sachbeschädigung in drei Fällen
schuldig ist,
b) in den sechs Einzelstrafaussprü-
chen wegen Brandstiftung (Fälle C I, II, V, VI, VII und
IX der Urteilsgründe) und im Gesamtstrafausspruch
aufgehoben; damit entfällt der Ausspruch über die
Aussetzung der Vollstreckung von Strafe und Maßre-
gel.
1. Die weitergehende Revision wird ver-
worfen.
2. Im Umfang der Aufhebung wird die Sache
zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die
Kosten des Rechtsmittels, an eine andere Strafkammer
des Landgerichts zurückverwiesen.
– Von Rechts wegen –
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G r ü n d e
Das Landgericht hat den Angeklagten wegen ”sechsfacher” Brand-
stiftung, in einem Fall in Tateinheit mit Sachbeschädigung, und wegen
”dreifacher” Sachbeschädigung zu zwei Jahren Gesamtfreiheitsstrafe verur-
teilt, seine Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus angeordnet und
die Vollstreckung von Strafe und Maßregel zur Bewährung ausgesetzt. Das
Urteil wird von der Staatsanwaltschaft mit der auf den Rechtsfolgenaus-
spruch beschränkten, vom Generalbundesanwalt vertretenen Revision an-
gefochten.
1. Die auf Verletzung des § 261 StPO gestützte Verfahrensrüge kann
in der Sache keinen Erfolg haben. Ob sie ausreichend begründet ist (§ 344
Abs. 2 Satz 2 StPO) und ob im Erfolgsfall die erklärte Rechtsmittelbeschrän-
kung als wirksam angesehen werden könnte, bedarf danach keiner Vertie-
fung. Sachlichrechtliche Einwände mit dem identischen Ansatz bleiben
gleichfalls erfolglos. Es liegen keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür vor,
daß die Strafkammer die dem Urteil zugrundegelegten Erkenntnisse nicht
aufgrund des Inbegriffs der Hauptverhandlung gewonnen und den Rechts-
folgenausspruch nicht aus dessen Bewertung, sondern aufgrund einer an-
genommenen Selbstbindung nach einer mangels Einbeziehung der Staats-
anwaltschaft letztlich gescheiterten Absprache getroffen hat.
Eine Verständigung im Sinne von BGHSt 43, 195 hat nicht stattgefun-
den. Daß die Strafkammer in der Hauptverhandlung offen die Möglichkeit
einer Aussetzung der Vollstreckung der von der Staatsanwaltschaft ange-
strebten Maßregel nach § 63 StGB in Aussicht genommen hat, war nach
dem Inhalt des ersten vorbereitenden Sachverständigengutachtens, auf das
sich die Staatsanwaltschaft in ihrer Antragsschrift im Sicherungsverfahren
selbst gestützt hatte, verständlich und sachgerecht. Aber auch nach Über-
leitung des Sicherungsverfahrens in das Strafverfahren war aufgrund der
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psychischen Situation des Angeklagten das entsprechende Bestreben, auch
bezogen auf eine Strafe neben der weiterhin in Aussicht genommenen Maß-
regel, unverändert sachgerecht; dies ergab sich schon aus dem vorberei-
tenden Gutachten des weiteren medizinischen Sachverständigen, der bei
abweichender Beurteilung der Schuldunfähigkeit eine Vollstreckungsausset-
zung ebenfalls für erwägenswert gehalten hatte. Es war daher auch ange-
zeigt, die Hauptverhandlung auf Fragen im Zusammenhang mit Weisungen
für die erwogene Vollstreckungsaussetzung zu erstrecken. Die Staatsan-
waltschaft hat auch nicht etwa vorgetragen, daß sie dieser inhaltlichen Aus-
gestaltung der Hauptverhandlung widersprochen oder die jetzt mit der Revi-
sion gerügte Verfahrensweise der Strafkammer wegen deren deutlich offen-
barter Zielrichtung hinsichtlich der zu verhängenden Rechtsfolgen mit Sach-
anträgen in der Hauptverhandlung beanstandet hätte.
Selbstverständlich hing die Frage der Aussetzbarkeit von Strafe und
Maßregel davon ab, ob das Maß der Schuld des Angeklagten die Verhän-
gung einer aussetzungsfähigen Strafe erlaubte und ob das Ausmaß seiner
Gefährlichkeit für die Allgemeinheit überhaupt eine Aussetzung der Maßre-
gelvollstreckung zuließ. Daß die Strafkammer nicht bereit gewesen wäre,
diese Fragen in der abschließenden Urteilsberatung nach dem Inbegriff der
Hauptverhandlung erneut umfassend und – auch unter Berücksichtigung der
Argumente im Schlußvortrag des Sitzungsvertreters der Staatsanwaltschaft
– nunmehr abschließend verbindlich zu prüfen – gegebenenfalls nach ab-
weichender Beurteilung gegenüber dem bislang in Aussicht genommenen
Vorgehen noch einen Hinweis an den Angeklagten zu erteilen –, sondern
daß sie sich unzutreffend als gebunden betrachtet hätte, ist nicht ersichtlich.
Dies gilt trotz der weitgehend überflüssigen Ausführungen in dem – ohnehin
teilweise ausschweifend abgefaßten, aber deshalb noch nicht rechtsfehler-
haften – Urteil der Strafkammer zu ihrer Enttäuschung über eine letztlich
überraschende abweichende Bewertung der angemessenen und zulässigen
Rechtsfolgen durch den Staatsanwalt. Eine erhoffte, letztlich gescheiterte
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Verständigung belegt nicht, daß die Strafkammer sich bei ihrer Entschei-
dungsfindung gleichwohl an deren Inhalt und nicht an der Verpflichtung aus
§ 261 StPO orientiert hätte, auch wenn das Urteil im Ergebnis der vom Ge-
richt erstrebten Verständigung entspricht (vgl. BGHSt 42, 46, 50; BGH, Urteil
vom 23. März 2001 – 2 StR 369/00 –).
2. Der Revision ist mit der Sachrüge ein Teilerfolg nicht zu versagen.
a) Der Schuldspruch ist nicht angefochten. Gleichwohl stellt ihn der
Senat wegen seiner mißverständlichen, teils auf gleichartige Idealkonkur-
renz hindeutenden Fassung klar.
b) Der Maßregelausspruch hat Bestand. Das Landgericht hat im Er-
gebnis rechtsfehlerfrei festgestellt, daß der Angeklagte sämtliche Taten
zweifelsfrei mit erheblich verminderter Steuerungsfähigkeit infolge Schwach-
sinns begangen hat. Soweit das Landgericht meint, die Voraussetzungen
des § 21 StGB seien nicht bereits aufgrund des auf einen geburtstraumati-
schen Hirnschaden zurückgehenden Dauerzustandes der geistigen Behin-
derung und Entwicklungsverzögerung erfüllt, sondern erst aufgrund einer
jeweils hinzutretenden mittelgradigen Alkoholisierung, begegnet dies – auch
wenn es im Einklang mit der Beurteilung durch den medizinischen Sachver-
ständigen stehen sollte – angesichts der überaus ausführlichen, gleichwohl
anschaulichen Beschreibung des geistig-seelischen Dauerzustandes des
Angeklagten zu den Tatzeiten ganz erheblichen Bedenken, auf die es je-
doch aus Rechtsgründen nicht ankommt. Ein Ausschluß der Schuldfähigkeit
bei Begehung der Taten ist nämlich rechtsfehlerfrei ausgeschlossen; die
jeweils hinzutretende Alkoholisierung geht wegen der zustandsbedingten
mangelhaften Alkoholverträglichkeit des Angeklagten und seines gleichwohl
gänzlich unkritischen Alkoholkonsumverhaltens, das ebenfalls auf seinen
dauerhaften geistigen Defekten beruht, auf den Dauerzustand zurück (vgl.
auch BGHSt 44, 369). Der von § 63 StGB geforderte Zustand ist damit
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zweifelsfrei belegt, ebenso die zustandsbedingte Gefahr, daß der Ange-
klagte zukünftig gleichartige – und damit gemeingefährliche – Taten wie die
abgeurteilten begehen wird.
c) Soweit die Staatsanwaltschaft mit eigenen Wertungen die tatrich-
terliche Strafzumessung angreift, kann sie im Revisionsverfahren keinen
Erfolg haben. Rechtsfehler durch Lückenhaftigkeit oder Fehlbewertungen
läßt die Begründung der tatrichterlichen Strafzumessung nicht erkennen. Die
aus dem nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB geminderten Strafrahmen des § 303
Abs. 1 StGB gebildeten Einzelstrafen für die drei Sachbeschädigungen sind
demgemäß rechtsfehlerfrei.
d) Zutreffend wendet sich die Staatsanwaltschaft allerdings gegen die
Strafrahmenfindung bei den sechs Brandstiftungen. Das Landgericht hat
jeweils minder schwere Fälle nach § 306 Abs. 2 StGB angenommen und
diesen Strafrahmen nochmals nach §§ 21, 49 Abs. 1 StGB herabgesetzt. Die
Begründung für die doppelte Strafrahmenverschiebung erweist sich nicht als
tragfähig.
Der Tatrichter hat nicht verkannt, daß in allen diesen Fällen – bis auf
den leichtesten Fall C VI, bei dem er die Frage indes offen gelassen hat –
das erhebliche objektive Gewicht der Taten nach ihrer Gemeingefährlichkeit,
nach dem Ausmaß der Brandschäden und einer Begehungsweise, die je-
weils hohe kriminelle Intensität bewies, gegen die Annahme minder schwe-
rer Fälle spricht. Daß das Landgericht aufgrund der massiven psychischen
Defekte des Angeklagten gleichwohl minder schwere Fälle bejaht hat, ist für
sich noch nicht rechtsfehlerhaft. Indes kam danach eine nochmalige
Strafrahmenverschiebung gemäß §§ 21, 49 Abs. 1 StGB nicht in Betracht;
§ 50 StGB stand ihr entgegen (vgl. auch BGHR StGB § 50 – Mehrfachmilde-
rung 2). Der Tatrichter versucht sie dadurch zu rechtfertigen, daß der Zu-
stand des § 21 StGB letztlich jeweils auf die aktuelle Alkoholisierung des
Angeklagten zurückgegangen sei. Abgesehen davon, daß dies, wie ausge-
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führt, für sich bedenklich ist, wird damit der bei der Erörterung zu § 63 StGB
dargelegte untrennbare Zusammenhang zwischen dem psychischen Dauer-
defekt des Angeklagten und seiner jeweiligen Alkoholisierung verkannt. Zu-
dem vermögen die von der Staatsanwaltschaft mit Recht kritisierten Ausfüh-
rungen des Landgerichts zum Jugendgerichtsgesetz – mit denen dem zu-
standsbedingt gehemmten Entwicklungsstand des Angeklagten zu den Tat-
zeiten Rechnung getragen werden soll – nicht, diesen Entwicklungsrück-
stand von den biologischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 StGB, die ihn
allein bedingen, zu separieren und hierin eine von § 21 StGB unabhängige
Rechtfertigung für die Annahme minder schwerer Fälle zu finden.
Der Senat kann nicht sicher ausschließen, daß die Strafkammer ohne
die rechtsfehlerhafte Begründung der Strafrahmenwahl im Fall C VI keine
doppelte Strafrahmenverschiebung vorgenommen hätte, so nicht über § 47
Abs. 2 StGB zur Verhängung einer Einzelgeldstrafe hätte gelangen können
und daß sie in den übrigen fünf Fällen aus dem nicht weiter gemilderten
Strafrahmen des § 306 Abs. 2 StGB höhere Einzelstrafen als die bisherigen,
zwischen acht Monaten und einem Jahr Freiheitsstrafe bemessenen ver-
hängt hätte.
e) Die Aufhebung von sechs Einzelstrafen zieht die der Gesamtstrafe
nach sich; dies entzieht der Entscheidung über die Aussetzung der Voll-
streckung der Strafe, gemäß § 67b Abs. 1 Satz 2 StGB auch der Maßregel,
die Grundlage. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es bei dem die
Aufhebung bedingenden Wertungsfehler nicht. Der neue Tatrichter hat die
ihm obliegenden Entscheidungen zur Strafhöhe, gegebenenfalls erneut zur
Aussetzung der Vollstreckung jeweils auf der Grundlage der bisherigen
Feststellungen zu treffen, die lediglich durch neue widerspruchsfreie er-
gänzbar sind. Der neue Tatrichter wird sich wieder der Hilfe eines psychia-
trischen Sachverständigen bedienen müssen, insbesondere auch im Zu-
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sammenhang mit den wesentlichen Erkenntnissen zur weiteren Entwicklung
des Angeklagten seit dem ersten Urteil.
Der Senat weist darauf hin, daß trotz der erheblichen Gefährlichkeit
der abgeurteilten Taten im Blick auf das jugendliche Alter des Angeklagten
und auf seinen Zustand die bisherige Begründung der Vollstreckungs-
aussetzung für sich keinen rechtlichen Bedenken begegnet (vgl. auch BGH,
Urteil vom 12. Juli 2001 – 4 StR 154/01 –). Aus Verhältnismäßigkeitsgrün-
den wird bei dem jungen Angeklagten auch bei Verhängung einer zu voll-
streckenden Freiheitsstrafe in absehbarer Zeit (vgl. auch § 67 Abs. 5 Satz 1
StGB) nach der Möglichkeit von im Vergleich zum Maßregelvollzug milderen,
seine Gemeingefährlichkeit gleichwohl ausreichend mindernden Einbin-
dungsmöglichkeiten zu suchen sein. Deren hinreichende Stabilität wäre
dann innerhalb mehrjähriger Dauer von Führungsaufsicht und Bewährungs-
zeit kritisch zu überprüfen.
Basdorf Bode Gerhardt
Raum Brause