Urteil des BGH vom 13.03.2017

Leitsatzentscheidung

BUNDESGERICHTSHOF
IM NAMEN DES VOLKES
URTEIL
IV ZR 162/03
Verkündet am:
12. Oktober 2005
Heinekamp
Justizhauptsekretär
als Urkundsbeamter
der Geschäftsstelle
in dem Rechtsstreit
Nachschlagewerk: ja
BGHZ: ja
_____________________
VVG § 172 Abs. 2; BGB § 306 Abs. 2
1. § 172 Abs. 2 VVG ist auch auf die kapitalbildende Lebensversicherung an-
wendbar.
2. Zur Auslegung von § 172 Abs. 2 VVG und zu den Anforderungen an eine
wirksame Klauselersetzung im Treuhänderverfahren.
3. Die im Treuhänderverfahren durchgeführte Ersetzung der durch die Urteile
vom 9. Mai 2001 (BGHZ 147, 354 und 373) wegen Verstoßes gegen das
Transparenzgebot für unwirksam erklärten Klauseln in Allgemeinen Bedin-
gungen der Lebensversicherung über die Berechnung der beitragsfreien
Versicherungssumme und des Rückkaufswerts, den Stornoabzug und die
Verrechnung der Abschlusskosten durch inhaltsgleiche Bestimmungen ist
unwirksam. Nach den Maßstäben des § 306 Abs. 2 BGB ergibt sich: Der
Stornoabzug entfällt. Die beitragsfreie Versicherungssumme und der Rück-
kaufswert bei Kündigung dürfen einen Mindestbetrag nicht unterschreiten.
BGH, Urteil vom 12. Oktober 2005 - IV ZR 162/03 - LG Hannover
AG Hannover
- 2 -
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat durch den Vorsit-
zenden Richter Terno, die Richter Dr. Schlichting, Seiffert, die Richterin
Dr. Kessal-Wulf und den Richter Dr. Franke auf die mündliche Verhand-
lung vom 12. Oktober 2005
für Recht erkannt:
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil der
19. Zivilkammer des Landgerichts Hannover vom
12. Juni 2003 aufgehoben.
Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entschei-
dung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens,
an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Von Rechts wegen
Tatbestand:
Der vom Bund der Versicherten unterstützte Kläger verlangt von
der Beklagten, einem Lebensversicherungsunternehmen, im W ege der
Stufenklage Auskunft über den Rückkaufswert einer kapitalbildenden Le-
bensversicherung ohne Verrechnung mit Abschlusskosten und ohne
Stornoabzug sowie Zahlung des sich daraus ergebenden Betrages.
Dem zum 1. Mai 1997 mit einer Laufzeit von 30 Jahren abge-
schlossenen und vom Kläger zum 1. März 2002 gekündigten Vertrag la-
1
2
- 3 -
gen Allgemeine Versicherungsbedingungen (AVB) zugrunde, die in § 6
für den Fall der Umwandlung in eine beitragsfreie Versicherung und der
Kündigung Bestimmungen über die Berechnung der beitragsfreien Versi-
cherungssumme und des Rückkaufswerts sowie über einen Stornoabzug
in beiden Fällen enthielten. Diese Klauseln der Beklagten hat der Senat
auf Klage des Bundes der Versicherten durch Urteile vom 9. Mai 2001
(BGHZ 147, 373) ebenso wie eine gleichartige Klausel eines anderen
Lebensversicherers (BGHZ 147, 354) wegen Verstoßes gegen das
Transparenzgebot des § 9 AGBG für unwirksam erklärt. Die dem Vertrag
mit dem Kläger zugrunde liegende Regelung in § 15 AVB der Beklagten
über die Erhebung und Ausgleichung der Abschlusskosten ist im Ver-
bandsklageverfahren durch rechtskräftig gewordenes Urteil des Oberlan-
desgerichts Stuttgart (VersR 1999, 832) ebenso wie eine gleichartige
Klausel eines anderen Versicherers durch Urteil des Senats vom 9. Mai
2001 (BGHZ 147, 354) wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot
für unwirksam erklärt worden. Der Senat hat die im Transparenzmangel
liegende unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer
durch beide Klauseln darin gesehen, dass dem Versicherungsnehmer die
mit der Beitragsfreistellung und der Kündigung insbesondere in den ers-
ten Jahren verbundenen erheblichen wirtschaftlichen Nachteile nicht
deutlich gemacht werden. Sie liegen darin, dass wegen der zunächst vol-
len Verrechnung der Sparanteile der Prämien mit den im W esentlichen
aus der Vermittlungsprovision bestehenden einmaligen Abschlusskosten
bis zum Höchstzillmersatz (so genannte Zillmerung, § 25 Abs. 1 Satz 2
RechVersV, § 4 DeckRV) in den ersten Jahren keine oder allenfalls ge-
ringe Beträge zur Bildung einer beitragsfreien Versicherungssumme oder
eines Rückkaufswertes vorhanden sind.
- 4 -
Die Beklagte hat daraufhin im W ege des Treuhänderverfahrens
nach § 172 Abs. 2 VVG die für unwirksam erklärten Klauseln durch in-
haltsgleiche, ihrer Meinung nach nunmehr transparent formulierte Be-
stimmungen ersetzt und die Versicherungsnehmer davon benachrichtigt.
Den Zugang der das Urteil des Oberlandesgerichts Stuttgart betreffen-
den Änderungsmitteilung vom Juli 2000 bestreitet der Kläger. Den durch
das Senatsurteil vom 9. Mai 2001 und ein Rundschreiben der Aufsichts-
behörde vom 10. Oktober 2001 veranlassten Bedingungsänderungen hat
der Kläger mit Schreiben vom 30. Januar 2002 widersprochen. Er hat
den Vertrag zum 1. März 2002 gekündigt und die Auszahlung des Rück-
kaufswertes verlangt. Er hält die Klauselersetzung für unwirksam. Nach
seiner Ansicht ist § 172 Abs. 2 VVG nur auf Risikoversicherungen gemäß
§ 172 Abs. 1 VVG, nicht aber auf die kapitalbildende Lebensversicherung
anwendbar, jedenfalls nicht auf gekündigte Verträge. Keinesfalls sei es
zulässig, eine wegen Intransparenz für unwirksam erklärte Klausel durch
eine inhaltsgleiche zu ersetzen.
Die Beklagte hat die Rückvergütung aus der Lebensversicherung
einschließlich der Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung mit 2.046,70 €
errechnet (Rückkaufswert unter Berücksichtigung von Abschlusskosten
und Stornoabzug 1.900,80 €, Überschussbeteiligung 145,90 €) und nach
Abzug von 46,78 € Kapitalertragsteuer an den Kläger 1.999,92 € ausge-
zahlt.
Das Amtsgericht hat die Beklagte durch Teilurteil vom 12. Novem-
ber 2002 (VersR 2003, 314) verurteilt, dem Kläger in belegter und prüf-
barer Form Auskunft darüber zu erteilen, mit welchen Abschlusskosten
und mit welchem Abzug sie den Zeitwert (§ 176 Abs. 3 VVG) des Vertra-
3
4
5
- 5 -
ges belastet habe und wie hoch der Auszahlungsbetrag ohne diese Be-
lastungen zum 1. März 2002 gewesen wäre. Mit Schreiben vom
23. Dezember 2002 hat die Beklagte zur Abwendung der Zwangsvoll-
streckung Auskunft erteilt unter anderem über die Höhe der Abschluss-
kosten und des Stornoabzugs. Der Kläger hält die Auskunft für unzurei-
chend und hat einen Beschluss des Amtsgerichts vom 25./30. April 2003
gemäß § 888 ZPO erwirkt. Durch Urteil vom 12. Juni 2003 hat das Land-
gericht die Berufung der Beklagten zurückgewiesen (VersR 2003, 1289).
Mit ihrer Revision erstrebt sie die Abweisung der Klage.
Entscheidungsgründe:
Die Revision der Beklagten führt zur Aufhebung des angefochte-
nen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Landgericht.
A. Das Berufungsgericht hält die Beklagte für verpflichtet, dem
Kläger Auskunft zu erteilen über die Höhe des Rückkaufswertes ohne
Berücksichtigung der angefallenen Abschlusskosten und ohne Stornoab-
zug. Die unwirksamen Klauseln seien nicht nach § 172 Abs. 2 VVG durch
wirksame Klauseln ersetzt worden. Unabhängig von der Frage, ob dieses
Treuhänderverfahren nicht nur die Risikolebensversicherung, sondern
auch die kapitalbildende Lebensversicherung betreffe, scheitere die An-
wendung des § 172 Abs. 2 VVG schon daran, dass das Vertragsverhält-
nis durch Kündigung beendet und die Klauselersetzung demgemäß nicht
für die Fortsetzung des Vertrages erforderlich sei. Davon abgesehen
könnten Klauseln, die wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot für
unwirksam erklärt worden seien, grundsätzlich nicht nach § 172 Abs. 2
6
7
- 6 -
VVG ersetzt werden. Die entstandenen Vertragslücken könnten auch
nicht im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung durch inhaltsgleiche
Regelungen geschlossen werden. Es entspreche nicht den Interessen
des Versicherungsnehmers, wenn ihn erheblich belastende, für unwirk-
sam erklärte Bestimmungen rückwirkend in transparenter Form als ver-
einbart gelten sollten, zumal auch andere Regelungen über die Verrech-
nung von Abschlusskosten denkbar seien.
B. Die Erwägungen des Berufungsgerichts zur Anwendung des
§ 172 Abs. 2 VVG und seine daraus abgeleiteten Folgen für den Aus-
kunftsanspruch des Klägers halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
I. § 172 Abs. 2 VVG ist auf die kapitalbildende Lebensversicherung
anwendbar und nicht nur auf die Risikoversicherungen im Sinne von
§ 172 Abs. 1 VVG.
1. § 172 Abs. 1 VVG betrifft nur Versicherungen, bei denen der
Eintritt der Leistungspflicht des Versicherers ungewiss ist. Das sind reine
Risikoversicherungen, etwa die Todesfallversicherung mit fester Laufzeit,
die Berufsunfähigkeits-Zusatzversicherung, die Unfallzusatzversiche-
rung, die Dread-Disease-Versicherung (Versicherungsfall ist eine schwe-
re Erkrankung) und die Pflegeversicherung (vgl. Kollhosser in Prölss/
Martin, VVG 27. Aufl. § 172 Rdn. 6, wobei es offenbar versehentlich
"gewiß" heißt, richtig 26. Aufl. Rdn. 3 "ungewiß"; BK/Schwintowski, § 172
VVG Rdn. 8). Bei der gemischten, kapitalbildenden Lebensversicherung
(Kapitalversicherung, Rentenversicherung, fondsgebundene Lebensver-
8
9
10
- 7 -
sicherung) ist der Eintritt der Leistungspflicht des Versicherers dem
Grunde nach gewiss. Entweder ist die Todesfallleistung zu zahlen oder
die Ablaufleistung oder Rente. Zweifel an der Gewissheit bestehen allen-
falls dann, wenn die für den Todesfall vereinbarte Leistung höher ist als
die für den Erlebensfall (vgl. dazu Engeländer, VersR 2000, 274, 278).
2. Ob § 172 Abs. 2 VVG auch die kapitalbildende Lebensversiche-
rung erfasst, ist in Literatur und Rechtsprechung umstritten.
a) Der Bund der Versicherten und der Kläger meinen, § 172 Abs. 2
VVG gelte nur für die Risikoversicherungen des Abs. 1 und bei kapital-
bildenden Lebensversicherungen jedenfalls nicht für den "Kapitalteil".
Diese enge Auslegung wird in der Literatur vertreten von Schünemann
(VersR 2005, 323; VersR 2004, 817; VersR 2002, 393; NVersZ 2002,
145; JZ 2002, 460, 462, Entscheidungsanmerkung; JZ 2002, 134; VuR
2002, 100, 103, Entscheidungsanmerkung; VuR 2002, 85), Bäuerle/
Schünemann (Ersetzung unwirksamer Klauseln in der kapitalbildenden
Lebensversicherung aus verfassungs- und zivilrechtlicher Sicht, Gutach-
ten für den BdV), Römer (Römer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 172
Rdn. 13 ff.) und Buchholz-Schuster (NVersZ 2000, 207 unter Bezugnah-
me auf Römer), in diese Richtung tendierend wohl auch Dörner (LM
Nr. 47 zu § 8 AGBG, Entscheidungsanmerkung zu den Senatsurteilen
vom 9. Mai 2001).
b) Überwiegend wird in der Literatur die von den Lebensversiche-
rungsunternehmen bevorzugte Ansicht vertreten, § 172 Abs. 2 VVG er-
fasse alle Lebensversicherungen (Schwintowski, aaO § 172 VVG
Rdn. 23; Kollhosser, aaO § 172 Rdn. 17 ff. und VersR 2003, 807 ff.;
11
12
13
- 8 -
Wandt in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Hand-
buch § 11 mit umfassender Darstellung der gesamten Problematik, zu
§ 172 VVG Rdn. 18-24, 43-49, 117-144; ders. VersR 2001, 1449; 2002,
1362 f., Entscheidungsanmerkung; ders. Ersetzung unwirksamer AVB
der Lebensversicherung im Treuhänderverfahren gemäß § 172 VVG,
Gutachten für den Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirt-
schaft - GDV -; ders. Änderungsklauseln in Versicherungsverträgen
Rdn. 286-288, 293-305; Höra/Müller-Stein in Terbille, Münchener An-
waltshandbuch Versicherungsrecht § 24 Rdn. 205-208; Präve in Prölss,
VAG 12. Aufl. § 11b Rdn. 14, 15; ders. VersR 2001, 839, 841, 846, 848,
Anm. zu den Senatsentscheidungen vom 9. Mai 2001; ders. VersR 2000,
1138 f.; ders. Versicherungsbedingungen und AGB-Gesetz Rdn. 475;
Armbrüster, EWiR § 3 UWG 2/02, 1109; Lorenz, VersR 2002, 410, auch
zum verfassungsrechtlichen Aspekt; ders. VersR 2001, 1146, Anm. zum
Urteil des OLG Stuttgart S. 1141; Fricke, NVersZ 2000, 310; Baroch
Castellvi, NVersZ 2001, 529, 534; Reiff, ZIP 2001, 1058, 1060 f., Anm.
zu einem der Senatsurteile vom 9. Mai 2001, S. 1052; Jaeger, VersR
1999, 26, 29 f.; Langheid/Grote, NVersZ 2002, 49; Rosenow/Schaf-
felhuber, ZIP 2001, 2211, 2222; Kirscht, VersR 2003, 1072).
c) In der Rechtsprechung der mit zahlreichen Verfahren befassten
Instanzgerichte werden ebenfalls unterschiedliche Auffassungen vertre-
ten. Die Oberlandesgerichte folgen, soweit ersichtlich, im W esentlichen
der in der Literatur überwiegend vertretenen Ansicht (Stuttgart VersR
2001, 1141 m. Anm. Lorenz; München VersR 2003, 1024; Braunschweig
VersR 2003, 1520; Celle VersR 2005, 535; Nürnberg, Urteil vom 11. Juli
2005 - 8 U 3187/04; anders für bei Wirksamwerden der Änderung gekün-
digte Verträge Düsseldorf, Urteil vom 13. Mai 2005 - I-4 U 146/04).
14
- 9 -
3. Für das vom Senat gefundene Auslegungsergebnis sind folgen-
de Erwägungen maßgebend:
a) Schon der W ortlaut "der Lebensversicherung" spricht dafür,
dass § 172 Abs. 2 VVG alle Lebensversicherungen meint. Wenn das Ge-
setz von der Lebensversicherung ohne nähere Erläuterung spricht, sind
auch sonst alle Lebensversicherungsarten gemeint. Soll eine Regelung
nur bestimmte Arten der Lebensversicherung betreffen, wird diese Art
der Lebensversicherung ausdrücklich benannt, so z.B. in §§ 165 Abs. 2,
166 Abs. 1 Satz 1, 167 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2 Satz 1, 176 Abs. 1
Satz 1 VVG (Kapitalversicherung). In § 172 Abs. 1 VVG werden ebenfalls
nur bestimmte Versicherungen bezeichnet, nämlich die mit ungewisser
Leistungspflicht des Versicherers. Um zum Ausdruck zu bringen, dass in
Abs. 2 nur diese Versicherungen gemeint sind, wäre die gleiche Formu-
lierung zu erwarten wie in § 176 Abs. 2 VVG, nämlich "bei einer Versi-
cherung der in Abs. 1 bezeichneten Art". Demgegenüber lässt sich der
Formulierung "der Lebensversicherung" eine solche Beschränkung nicht
entnehmen.
b) Der Vergleich mit § 178g Abs. 3 VVG spricht ebenfalls dafür,
dass § 172 Abs. 2 VVG nicht nur auf die Versicherungen der in Abs. 1
bezeichneten Art anwendbar ist. Beide Bestimmungen geben dem Versi-
cherer das Recht, im Treuhänderverfahren neue Versicherungsbedin-
gungen einzuführen. § 178g Abs. 3 Satz 1 VVG enthält das Recht, die
Versicherungsbedingungen und die Tarifbestimmungen bei einer nach-
haltigen Veränderung der Verhältnisse des Gesundheitswesens zu än-
dern, hat also die dauernde Erfüllbarkeit der Verträge im Blick ebenso
15
16
17
- 10 -
wie das Recht zur Prämienanpassung nach Abs. 2 dieser Vorschrift. Die
Befugnis in Abs. 3 Satz 2, unwirksame Bedingungen im Treuhänderver-
fahren zu ersetzen, war im Regierungsentwurf noch nicht enthalten (BT-
Drucks. 12/6959 S. 37). Sie ist gemeinsam mit § 172 Abs. 2 VVG erst
gegen Ende des Gesetzgebungsverfahrens eingefügt worden. In § 178g
Abs. 3 Satz 2 VVG betrifft die Ersetzungsbefugnis eindeutig nur die in
Satz 1 genannten Versicherungsverhältnisse. Dieser Zusammenhang
wird einmal dadurch hergestellt, dass die Regelung als Satz 2 in densel-
ben Absatz eingefügt wurde. Zum anderen ergibt sich der enge Zusam-
menhang ersichtlich auch daraus, dass es in Satz 2 nur heißt "Ist in den
Versicherungsbedingungen eine Bestimmung unwirksam, …". Bei der
Lebensversicherung ist der Gesetzgeber anders vorgegangen. Im Regie-
rungsentwurf hatte § 172 VVG nur einen Absatz (BT-Drucks. 12/6959
S. 35). Hätte die Ersetzungsbefugnis nur für die Risikoversicherungen
gelten sollen, hätte es nahe gelegen, sie wie bei § 178g Abs. 3 VVG
durch Anfügen des vergleichbaren Satzes "Ist in den Versicherungsbe-
dingungen eine Bestimmung unwirksam, …" zu regeln. Stattdessen ist
die Ersetzungsbefugnis aber in einem eigenen Absatz untergebracht und
außerdem hinzugefügt worden "der Lebensversicherung". Das spricht
gegen die Ansicht von Römer (aaO § 172 Rdn. 14), § 172 Abs. 2 VVG
könne nicht aus dem Zusammenhang mit Abs. 1 gelöst werden. Der Ge-
setzgeber hat diesen Zusammenhang gelöst, wie der Vergleich mit
§ 178g Abs. 3 VVG zeigt.
c) Die Entstehungsgeschichte ergibt kein klares Bild. Sie spricht
aber nicht gegen, sondern eher für einen weiten Anwendungsbereich von
§ 172 Abs. 2 VVG. Erwähnt wird dieses Problem in den Gesetzesmateri-
alien nicht. Wie zuvor unter b) ausgeführt, enthielt der Regierungsent-
18
- 11 -
wurf keine Befugnis der Versicherer, unwirksame Bedingungen in der
Lebens- oder Krankenversicherung zu ersetzen. In der Lebensversiche-
rung ging es im Entwurf nur um die Anpassung von Prämien und der Ü-
berschussbeteiligung bei den Versicherungen, die jetzt in Abs. 1 genannt
sind. Nur bei solchen Versicherungen, nicht aber bei der kapitalbilden-
den Lebensversicherung ("Sparprodukte"), haben der Gesetzgeber und
der Gesamtverband der Deutschen Versicherungswirtschaft (GDV) in der
Stellungnahme zum Referentenentwurf vom September 1993 einen Be-
darf für eine Prämienanpassungsregelung gesehen. Der GDV hat aber in
der Stellungnahme vom September 1993 ebenso wie bei seinen Ände-
rungsvorschlägen vom März 1994 weitergehend gefordert, dass die Le-
bensversicherer auch das Recht erhalten sollen, nachträglich einzelne
Bestimmungen in den Versicherungsbedingungen zu ändern. Dabei ging
er ebenso wie der Regierungsentwurf davon aus, dass diese Möglichkeit
der Vereinbarung bedarf, also einer vertraglichen Änderungsklausel. Die
Vorstellung des GDV ging dahin, dass der Inhalt der Bedingungsände-
rungsklausel gewissermaßen in das Gesetz aufgenommen wird. Er wollte
also eine so geartete, wie es in seiner Stellungnahme vom März 1994
formuliert ist, gesetzliche Bedingungsänderungsmöglichkeit. Diese Vor-
stellung hat der Gesetzgeber auch umgesetzt, allerdings ohne den Um-
weg über eine vertragliche Änderungsklausel. (So hat der Senat dies
auch in der Entscheidung zur Prämienanpassung in der Krankenversi-
cherung gesehen, Urteil vom 16. Juni 2004 - IV ZR 117/02 - BGHZ 159,
323). Nach dem Willen des Gesetzgebers tragen die §§ 172 Abs. 2, 178g
Abs. 3 Satz 2 VVG der geltend gemachten Forderung Rechnung nach ei-
ner gesetzlichen Anpassungsmöglichkeit für Lebensversicherungsverträ-
ge und Krankenversicherungsverträge, die in der Regel für den Versiche-
rer unkündbar sind und bei denen sich unabweisbarer Anpassungsbedarf
- 12 -
ergibt, wenn etwa durch Rechtsprechung eine leistungsbeschreibende
AVB-Klausel für unwirksam erklärt worden ist, weil insoweit zur Fortfüh-
rung des Vertragsverhältnisses nicht auf die gesetzliche Regelung ver-
wiesen werden kann (BT-Drucks. 12/7595 S. 112, s.a. S. 103, 105). Die-
ses Verständnis wird gestützt durch die Anmerkungen von Renger
(VersR 1994, 753, 755) zu den Änderungen im Gesetzgebungsverfahren.
Danach sei die von der Versicherungswirtschaft erhobene Forderung
nach Aufnahme einer generellen gesetzlichen Anpassungsklausel für be-
stehende Versicherungsverhältnisse bei veränderten Umständen durch
§§ 172 Abs. 2 und 178g Abs. 3 Satz 2 VVG in eng umschriebener Weise
aufgegriffen worden. In der Literatur habe eine gesetzliche Anpassungs-
regelung jedenfalls für den Fall Zustimmung gefunden, dass durch
höchstrichterliche Rechtsprechung Regelungen in AVB für unwirksam er-
klärt werden.
4. Die Anwendung von § 172 Abs. 2 VVG auf alle Arten der Le-
bensversicherung ist nicht verfassungswidrig. Die allerdings nicht sehr
präzise gefasste Vorschrift ermöglicht eine Auslegung, die die vom Klä-
ger unter Hinweis auf Bäuerle und Schünemann (Ersetzung unwirksamer
Klauseln in der kapitalbildenden Lebensversicherung aus verfassungs-
und zivilrechtlicher Sicht; Schünemann, JZ 2002, 134; ders. VersR 2002,
393) erhobenen, im Ansatz teilweise beachtlichen verfassungsrechtli-
chen Bedenken ausräumt.
§ 172 Abs. 2 VVG schränkt die durch Art. 2 Abs. 1 GG gewährleis-
tete Privatautonomie der Versicherungsnehmer ein, weil sie dem Versi-
cherer ein einseitiges Recht zur Vertragsergänzung einräumt. Diese Ein-
schränkung ist sachlich gerechtfertigt, weil von der Unwirksamkeit einer
19
20
- 13 -
Klausel regelmäßig eine sehr hohe Zahl von Verträgen (laut Bäuerle,
aaO S. 19: zwischen 10 und 15 Millionen) betroffen ist. Eine Vertragser-
gänzung mit Zustimmung aller Versicherungsnehmer ist praktisch nicht
durchführbar und würde deshalb die Rechtssicherheit und die nach § 11
Abs. 2 VAG gebotene Gleichbehandlung aller Versicherungsnehmer ge-
fährden (vgl. Präve in Prölss, VAG 12. Aufl. § 11 Rdn. 9, § 11b Rdn. 14,
15; Lorenz, VersR 2002, 410 ff.; ders. VersR 2001, 1147; Wandt, VersR
2001, 1451; Römer, VersR 1994, 125). Ohne die Ersetzungsmöglichkeit
des § 172 Abs. 2 VVG blieben alle Verträge lückenhaft, bei denen die
Versicherungsnehmer der Ergänzung nicht zugestimmt haben. Daran
würde sich auch dann nichts ändern, wenn im Individualprozess eines
Versicherungsnehmers der Bundesgerichtshof die neue Bestimmung bil-
ligen würde, weil dies die Zustimmung des Versicherungsnehmers, wenn
sie nötig wäre, nicht ersetzen könnte. Beim Vorgehen nach § 172 Abs. 2
VVG werden die Änderungen dagegen durch die Mitteilung nach § 172
Abs. 3 VVG Vertragsinhalt. Sie unterliegen allerdings wie jede andere
AGB-Klausel der richterlichen Inhaltskontrolle.
Die Rechtsordnung muss dafür sorgen, dass die verfassungsrecht-
lich geschützten Interessen derjenigen, die von der gesetzlichen Ein-
schränkung der Vertragsfreiheit betroffen sind, hinreichend gewahrt wer-
den (vgl. BVerfG, Urteile vom 26. Juli 2005, VersR 2005, 1109, 1117 f.
1124 und VersR 2005, 1127, 1130 f.). In verfahrensrechtlicher Hinsicht
ist dies dadurch gewährleistet, dass die neuen Klauseln nach inzwischen
einhelliger, vom Senat geteilter Ansicht sowohl im Individualprozess als
auch im Verbandsprozess nach dem Unterlassungsklagengesetz der un-
eingeschränkten richterlichen Inhaltskontrolle unterliegen (vgl. zur Prä-
mienanpassung im Treuhänderverfahren bei der Krankenversicherung
21
- 14 -
nach § 178g Abs. 2 VVG BVerfG VersR 2000, 214 und Senatsurteil vom
16. Juni 2004, BGHZ 159, 323). Materiell trägt der Senat dem Schutzbe-
dürfnis der Versicherungsnehmer durch eine die Voraussetzungen und
Wirkungen der Vorschrift präzisierende und einschränkende Auslegung
Rechnung (dazu nachfolgend unter II. und III.).
Soweit Bäuerle und Schünemann (aaO) verfassungsrechtliche Be-
denken auf die umstrittene Geschäftsbesorgungstheorie der Versiche-
rung stützen und daraus folgend den "Kapitalteil" der Lebensversiche-
rung vom "Risikoteil" abspalten, ihn wie andere Kapitalanlagen behan-
deln und den dafür geltenden Vorschriften unterwerfen wollen, ist darauf
nicht näher einzugehen. Dieses Verständnis entspricht nicht dem Ge-
setz. Die Konzeption des Gesetzes ist die eines einheitlichen Lebensver-
sicherungsvertrages, für den insgesamt das Versicherungsvertragsge-
setz, das Versicherungsaufsichtsgesetz und die besonderen Vorschriften
des Handelsgesetzbuches über die Rechnungslegung für Versicherungs-
unternehmen (§§ 341 ff. HGB) und nicht etwa stattdessen teilweise die
Vorschriften des Kapitalanlagerechts gelten. Das gesetzliche Modell der
kapitalbildenden Lebensversicherung ist durch die Urteile des Bundes-
verfassungsgerichts vom 26. Juli 2005 bestätigt worden.
II. Voraussetzung für die rechtmäßige Durchführung des Treuhän-
derverfahrens nach § 172 Abs. 2 i.V. mit Abs. 1 VVG ist, dass eine Be-
stimmung in den Versicherungsbedingungen unwirksam ist, zur Fortfüh-
rung des Vertrages dessen Ergänzung notwendig ist und ein unabhängi-
ger Treuhänder die Voraussetzungen für die Änderung überprüft und de-
ren Angemessenheit bestätigt hat.
22
23
- 15 -
1. a) Die Unwirksamkeit einer Klausel kann nur durch einen be-
standskräftigen Verwaltungsakt der Aufsichtsbehörde oder der Kartellbe-
hörde oder eine höchstrichterliche Entscheidung festgestellt werden (so
wohl auch Römer, VersR 1994, 125, 127). Nur solche Entscheidungen
schaffen abschließend Rechtsklarheit. Ihnen lassen sich regelmäßig
auch die Maßstäbe dafür entnehmen, ob und mit welchem Inhalt eine Er-
gänzung in Betracht kommt. Rechtskräftige Urteile der Instanzgerichte
gewährleisten dies nicht. Wie insbesondere die zahlreichen Verfahren zu
§ 172 Abs. 2 VVG zeigen, können Entscheidungen der Instanzgerichte
im Ergebnis und in der Begründung sehr unterschiedlich ausfallen. Das
führt zwar dazu, dass bei schwierigen und komplexen Problemen viele
relevante Gesichtspunkte aufgezeigt werden und die wissenschaftliche
Diskussion angeregt wird. Für den Versicherer, der unterlegen ist, und
andere Versicherer, die gleichartige Klauseln verwenden, bleibt die
Rechtslage aber zunächst unklar, insbesondere bei im Ergebnis unter-
schiedlichen rechtskräftigen Instanzurteilen. So könnte sich ein Treu-
händerverfahren als unnötig erweisen, wenn der Bundesgerichtshof in
einem anderen Verfahren die beanstandete Klausel für wirksam hält (so
im Fall der Beklagten das Treuhänderverfahren zur Ersetzung der vom
OLG Stuttgart - VersR 1999, 832, 835 f. - für unwirksam erklärten Be-
stimmungen zur Überschussbeteiligung in § 17 AVB, die in vergleichba-
rer Form Gegenstand des Senatsurteils vom 9. Mai 2001 gegen einen
anderen Versicherer waren und vom Senat für wirksam gehalten wurden,
BGHZ 147, 354, 356, 367 ff.). Andererseits hätten die direkt oder mittel-
bar von sich widersprechenden Instanzentscheidungen betroffenen Ver-
sicherer die Wahl, ob sie die Klausel ersetzen oder nicht. Eine abschlie-
ßende Klärung der Wirksamkeit kann deshalb nur durch das Revisions-
24
- 16 -
gericht erfolgen. Einem Versicherer ist auch zuzumuten, das ihm un-
günstige Urteil eines Instanzgerichts mit Rechtsmitteln anzugreifen,
wenn es um die Wirksamkeit einer Klausel in seinen Versicherungsbe-
dingungen geht und er von der Ersetzungsmöglichkeit Gebrauch machen
will.
Die wohl nur von Kollhosser (in Prölss/Martin, VVG 27. Aufl. § 172
Rdn. 23) vertretene Ansicht, der Versicherer könne in eigener Verantwor-
tung über die Unwirksamkeit entscheiden, ist abzulehnen (so auch
Wandt in Beckmann/Matusche-Beckmann, Versicherungsrechts-Hand-
buch § 11 Rdn. 127; vgl. auch BGHZ 141, 153, 157). Dies würde die Ver-
tragsfreiheit des Versicherungsnehmers in nicht hinnehmbarer Weise
einschränken. Damit würde dem Versicherer ein Mittel in die Hand gege-
ben, mit dem er beliebig in die Vertragsparität eingreifen könnte, indem
er ihm nicht genehme Klauseln für unwirksam erklärt und den Vertrag mit
Hilfe des Treuhänders einseitig zu seinem Vorteil ändert (so Lang-
heid/Grote, NVersZ 2002, 49 f.).
Die Feststellung der Unwirksamkeit eröffnet nicht nur dem Versi-
cherer das Verfahren nach § 172 Abs. 2 VVG, gegen den die Entschei-
dung ergangen ist, sondern allen Versicherern, die gleichartige, aus
denselben Gründen als unwirksam anzusehende Klauseln verwenden
(Präve, aaO § 11b Rdn. 18; Wandt, VersR 2001, 1453; Langheid/Grote,
aaO S. 51).
b) Die Unwirksamkeit der Bestimmungen über Beitragsfreistellung,
Kündigung und Rückkaufswert in § 6 AVB der Beklagten, die durch das
Treuhänderverfahren von Ende 2001/Anfang 2002 ersetzt werden soll-
25
26
27
- 17 -
ten, ergibt sich aus dem Senatsurteil vom 9. Mai 2001 (BGHZ 147, 373).
Dem am 1. Juli 2000 abgeschlossenen Treuhänderverfahren zur Erset-
zung der Klausel über die Abschlusskostenverrechnung in § 15 AVB lag
dagegen noch kein Urteil des Senats, sondern nur das rechtskräftige Ur-
teil des OLG Stuttgart (VersR 1999, 832, 834 f.) zugrunde. Allerdings hat
der Senat im Verfahren gegen einen anderen Versicherer eine vergleich-
bare Klausel am 9. Mai 2001 ebenfalls für intransparent erklärt (BGHZ
147, 354, 365 ff.). Ob dadurch, insbesondere im Hinblick auf die damali-
ge unklare Rechtslage, die zunächst fehlende Voraussetzung der Un-
wirksamkeit im Sinne der jetzt vom Senat aufgestellten Kriterien nach-
träglich als gegeben angesehen werden kann, braucht nicht entschieden
zu werden. Die Klauselersetzung ist jedenfalls aus anderen Gründen
insgesamt nicht wirksam (dazu unten B. III.).
2. a) aa) Notwendig ist die Ergänzung zur Fortführung des Vertra-
ges, wenn durch die Unwirksamkeit der Bestimmung eine Regelungs-
lücke im Vertrag entsteht (vgl. Lorenz, VersR 2001, 1147). Das wird im
Allgemeinen anzunehmen sein, wenn die Unwirksamkeit - wie erforder-
lich - durch eine höchstrichterliche Entscheidung oder einen bestands-
kräftigen Verwaltungsakt festgestellt wird. Es gilt jedenfalls dann, wenn
dadurch die Leistungspflichten und Ansprüche der Parteien betroffen
sind. In einem solchen Fall ist die Ergänzung unverzichtbar. Ob die Un-
wirksamkeit auf einer inhaltlich unangemessenen Benachteiligung des
Kunden oder einem Transparenzmangel beruht, ändert nichts am Vor-
handensein der dadurch entstandenen Vertragslücke.
Ist die Lücke nach dem ursprünglichen Regelungsplan der Parteien
zu schließen, ist der Vertrag zu ergänzen. Nach welchen Maßstäben und
28
29
- 18 -
mit welchem Inhalt die Ergänzung zu erfolgen hat, sagt § 172 Abs. 2
VVG nicht. Das ergibt sich vielmehr aus den allgemeinen, den Fall der
Unwirksamkeit einer AGB-Klausel regelnden Vorschriften, nämlich § 306
Abs. 2 BGB, früher § 6 Abs. 2 AGBG (Lorenz, VersR 2001, 1147 f. und
VersR 2002, 411 f.). Danach bestimmt sich, wie die Ergänzung vorzu-
nehmen ist, ob durch dispositives Gesetzesrecht im Sinne einer konkre-
ten materiell-rechtlichen Regelung, nach den Grundsätzen der ergän-
zenden Vertragsauslegung oder durch ersatzlosen Wegfall der Klausel.
Die Streitfrage, ob es sich bei den Bestimmungen der §§ 157, 133 BGB,
in denen die ergänzende Vertragsauslegung ihre Grundlage hat, um "ge-
setzliche Vorschriften" im Sinne von § 306 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 2 AGBG
handelt (so BGHZ 90, 69, 75) oder um eine - allgemein anerkannte - Me-
thode der Lückenfüllung (so Harry Schmidt in Ulmer/Brandner/Hensen,
AGB-Gesetz 9. Aufl. § 6 Rdn. 26, 34 ff.), ist im Ergebnis ohne Relevanz
(Wandt, VersR 2001, 1450 Fn. 14). Unter dem Begriff der Ergänzung im
Sinne von § 172 Abs. 2 VVG sind deshalb alle nach § 306 Abs. 2 BGB,
§ 6 Abs. 2 AGBG in Betracht kommenden Möglichkeiten der Lückenfül-
lung zu verstehen. Ob der ersatzlose Wegfall, gesetzliche Vorschriften
oder nur eine neue Klausel eine sachgerechte Ersatzlösung darstellen,
gehört daher nicht schon zu den Voraussetzungen für die Durchführung
des Treuhänderverfahrens. Das ist vielmehr erst zu prüfen, wenn es dar-
um geht, ob die vom Versicherer mit Zustimmung des Treuhänders vor-
genommene Ergänzung den gesetzlichen Anforderungen entspricht.
Wenn sich dabei ergibt, dass der Vertrag durch eine gesetzliche Rege-
lung sachgerecht ergänzt werden kann, ist die Ergänzung durch eine
neue (davon abweichende) Klausel nicht wirksam. W ürde man die nicht
immer einfach und klar zu beantwortende Frage, ob dispositives Geset-
zesrecht eine sachgerechte Ersatzlösung bietet (vgl. dazu Staudin-
- 19 -
ger/Schlosser,
AGB-Gesetz
13. Bearb.
1998
§ 6
Rdn. 10,
12;
MünchKomm-BGB/Basedow, 4. Aufl. § 306 Rdn. 23, 26; Harry Schmidt,
aaO § 6 Rdn. 29), schon zu den Voraussetzungen des Treuhänderver-
fahrens rechnen, hinge dessen Zulässigkeit letztlich von der rechtlichen
Wirksamkeit seines Ergebnisses ab. Gleiches gilt für die Frage, ob die
Ergänzung deshalb zu unterbleiben hat, weil der Vertrag nach § 306
Abs. 3 BGB, § 6 Abs. 3 AGBG insgesamt nichtig ist.
Die Trennung zwischen den Voraussetzungen der Vertragsergän-
zung im Treuhänderverfahren und der Wirksamkeit der Ergänzung bringt
für die Versicherungsnehmer keine Nachteile mit sich. Ist der Versicherer
oder der Treuhänder der Ansicht, die unwirksame Klausel sei ersatzlos
zu streichen oder durch eine gesetzliche Bestimmung zu ersetzen, kann
es aufgrund des Transparenzgebots erforderlich sein, den Versiche-
rungsnehmer darüber zu informieren (vgl. Lorenz, VersR 2002, 411;
Wandt, VersR 2001, 1452 und Versicherungsrechts-Handbuch § 11
Rdn. 132). Kennt der Versicherungsnehmer die Unwirksamkeit der Klau-
sel nicht, besteht die Gefahr, dass er die ihm dadurch genommenen
Rechte im Vertrauen auf die Wirksamkeit nicht wahrnimmt.
bb) Der Auffassung, schon die Möglichkeit einer richterlichen er-
gänzenden Vertragsauslegung stehe der Ergänzung nach § 172 Abs. 2
VVG entgegen, ist nicht zu folgen. Sie negiert den Willen des Gesetzge-
bers und würde dazu führen, dass die Vorschrift leer läuft (Lorenz, VersR
2002, 410; Wandt, VersR 2001, 1451).
cc) Ist der Vertrag im Zeitpunkt der Änderungsmitteilung nach
§ 172 Abs. 3 VVG gekündigt oder beitragsfrei gestellt, steht dies der Ver-
30
31
32
- 20 -
tragsergänzung nach § 172 Abs. 2 VVG nicht entgegen. Die Feststellung
der Unwirksamkeit der Klausel entfaltet Rückwirkung und führt dazu,
dass der Vertrag von Anfang an lückenhaft war. Die Ergänzung nach
§ 172 Abs. 2 VVG i.V. mit § 306 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 2 AGBG durch
dispositives Gesetzesrecht oder eine neue wirksame Klausel wirkt eben-
falls auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses zurück (Wandt, Versi-
cherungsrechts-Handbuch § 11 Rdn. 139). Der Vertrag wird deshalb ma-
teriell von seinem Beginn bis zur Beendigung durch Zeitablauf oder Kün-
digung nach diesen Bestimmungen durchgeführt und damit fortgeführt im
Sinne von § 172 Abs. 2 VVG. Für die bei Beendigung gegebenen An-
sprüche ist deshalb die Ersatzregelung maßgebend. Dies ist auch bei der
richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung nicht anders, wenn eine
anfängliche Regelungslücke dadurch geschlossen wird. § 172 Abs. 3
Satz 2 VVG, wonach Änderungen nach Abs. 2 zwei Wochen nach Be-
nachrichtigung des Versicherungsnehmers wirksam werden, steht dem
nicht entgegen. Dem Gesetzgeber kann nicht unterstellt werden, dass er
die mit § 172 Abs. 2 VVG beabsichtigte Schließung von anfänglichen
Vertragslücken entgegen § 6 Abs. 2 AGBG nur teilweise für die Zeit nach
Zugang der Änderungsmitteilung ermöglichen wollte. Eine solche Be-
schränkung beträfe nicht nur gekündigte oder beitragsfrei gestellte (letz-
tere werden auch künftig noch fortgeführt), sondern alle Verträge. Die für
die Vergangenheit nicht geschlossene Lücke könnte und müsste dann im
Wege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung geschlossen
werden (Wandt, VersR 2002, 1364).
b) Die unwirksamen Klauseln in den früheren §§ 6, 15 AVB der
Beklagten betreffen ihre Leistungspflicht gegenüber den Versicherungs-
nehmern und damit verbunden auch die Rechnungslegung. Es ist not-
33
- 21 -
wendig, die entstandene Vertragslücke im Verfahren nach § 172 Abs. 2
VVG zu schließen.
3. Zur Frage, welche Anforderungen an die Unabhängigkeit des
Treuhänders zu stellen sind, sind nähere Ausführungen nicht erforder-
lich, weil der Kläger insoweit keine konkreten, auf die Person des Treu-
händers bezogenen Bedenken erhoben hat. Der Senat weist vorsorglich
jedoch auf Folgendes hin:
Der Treuhänder in der Lebens- und Krankenversicherung ist Ver-
treter der Interessen der Gesamtheit der Versicherungsnehmer (Renger,
VersR 1994, 1257 ff.; ders. VersR 1995, 866, 874; Schwintowski, aaO
§ 172 Rdn. 4; Präve, aaO § 11b Rdn. 5, 37 ff. m.w.N.; Buchholz, VersR
2005, 866 ff.). Seine Einschaltung soll einen Ausgleich dafür schaffen,
dass das Gesetz dem Versicherer ein einseitiges Vertragsänderungs-
recht einräumt und dadurch die Vertragsfreiheit der Versicherungsneh-
mer einschränkt. Damit dieser vom Gesetz vorgesehene Ausgleich seine
Wirkung entfalten kann, ist für die Beurteilung der Unabhängigkeit des
vom Versicherer bestellten Treuhänders der Standpunkt der Gesamtheit
der Versicherungsnehmer maßgeblich. Der Treuhänder ist danach unab-
hängig, wenn bei objektiv-generalisierender, verständiger Würdigung
das Vertrauen gerechtfertigt ist, er werde die Interessen der Gesamtheit
der Versicherungsnehmer angemessen wahrnehmen (vgl. Buchholz, aaO
S. 870).
34
35
- 22 -
III. Die von der Beklagten mit Zustimmung des Treuhänders vorge-
nommene Vertragsergänzung durch inhaltsgleiche Bestimmungen ist
unwirksam.
Nach § 306 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 2 AGBG sind vorrangig gesetzli-
che Vorschriften im Sinne einer konkreten Ersatzregelung in Betracht zu
ziehen. Stehen solche nicht zur Verfügung, ist zu fragen, ob ein ersatz-
loser Wegfall der unwirksamen Klausel eine sachgerechte Lösung dar-
stellt. Scheiden beide Möglichkeiten aus, ist zu prüfen, ob die Ersatzre-
gelung nach den anerkannten Grundsätzen der ergänzenden Ver-
tragsauslegung zulässiger Inhalt einer richterlichen ergänzenden Ver-
tragsauslegung wäre (W andt, Versicherungsrechts-Handbuch § 11
Rdn. 135).
1. Für die unwirksame Vereinbarung von Abzügen bei Beitragsfrei-
stellung und Kündigung (Stornoabzug) in § 6 Abs. 1a Satz 3 bis 5,
Abs. 2b AVB gibt es eine Regelung im Gesetz. Nach §§ 174 Abs. 4, 176
Abs. 4 VVG ist der Versicherer zu einem Abzug nur berechtigt, wenn er
vereinbart ist. Ist die Vereinbarung unwirksam, besteht kein Anspruch
auf einen Abzug (Wandt, VersR 2001, 1458 f.).
Entgegen der Ansicht von Wandt sind diese gesetzlichen Vor-
schriften nicht nur generell, sondern auch hier zur Lückenfüllung geeig-
net. Er leitet die Befugnis zur Ersetzung der Stornoklauseln daraus ab,
dass der Senat diese nur deshalb für unwirksam erklärt habe, weil sie,
obwohl selbst hinreichend transparent und vom Kläger nicht mit nach-
vollziehbaren Bedenken angegriffen, vom Versicherungsnehmer allein
wegen der Bezugnahme auf die unverständlichen Ausgangswerte bei
36
37
38
39
- 23 -
Rückkauf und Beitragsfreistellung nicht zu verstehen seien (vgl. BGHZ
147, 373, 380). Da die intransparenten Klauseln über Beitragsfreistellung
und Kündigung aber, wie Wandt meint, im Treuhänderverfahren wirksam
ersetzt worden seien, müsse dies auch für die nur mittelbar intransparen-
ten Stornoklauseln gelten. Dem kann schon deshalb nicht zugestimmt
werden, weil die neuen Bestimmungen über die beitragsfreie Versiche-
rungssumme und den Rückkaufswert unter Verrechnung der einmaligen
Abschlusskosten nach dem Zillmerungsverfahren wiederum unwirksam
sind, wie noch auszuführen ist.
Im Übrigen kann den kurzen Ausführungen des Senats zur Storno-
klausel im Urteil vom 9. Mai 2001 nicht entnommen werden, dass sie um-
fassend auf ihre Wirksamkeit im Hinblick auf §§ 10 Nr. 7, 11 Nr. 5 AGBG,
jetzt §§ 308 Nr. 7, 309 Nr. 5b BGB geprüft worden ist.
2. a) Für die unwirksamen Bestimmungen in § 6 Abs. 1a Satz 2,
Abs. 2a AVB über die Umwandlung in eine beitragfreie Versicherung und
die Kündigung und Auszahlung des Rückkaufswerts sowie die Bestim-
mung in § 15 AVB über die Verrechnung der Abschlusskosten stehen
keine gesetzlichen Vorschriften zur Verfügung, die die Lücken sachge-
recht schließen (Wandt, VersR 2001, 1456 ff.). Der Senat hat in den Ur-
teilen vom 9. Mai 2001 ausgeführt, dass die §§ 174 Abs. 2, 176 Abs. 3
VVG über die Berechnung der beitragsfreien Versicherungsleistung und
den Rückkaufswert nach den anerkannten Regeln der Versicherungsma-
thematik nur einen Rahmen darstellen, innerhalb dessen sich die Be-
rechnung halten muss, und die gesetzliche Regelung deshalb der Ergän-
zung und Ausfüllung bedarf. Ob und wie entstandene Abschlusskosten
zu verrechnen sind, ist in den §§ 159 ff. VVG im Gegensatz zum Storno-
40
41
- 24 -
abzug nicht ausdrücklich geregelt. Dem Schweigen des Gesetzes kann
aber nicht entnommen werden, wie der Kläger meint (vgl. auch Schüne-
mann, VersR 2005, 323, 326), dass diese Kosten allein der Versicherer
zu tragen hat. Da die Prämien in der Lebensversicherung nicht nur aus
betriebswirtschaftlicher Vernunft, sondern aufsichtsrechtlich nach § 11
VAG zwingend so kalkuliert werden müssen, dass das Versicherungsun-
ternehmen allen seinen Verpflichtungen nachkommen und insbesondere
eine ausreichende Deckungsrückstellung bilden kann, dürfte auch den
vertragsrechtlichen Vorschriften eher die Vorstellung zugrunde liegen,
dass die Abschlusskosten in die Prämienkalkulation einfließen. Es ist
auch nicht so, dass Vermittlungsprovisionen stets durch den Versicherer
verursacht werden. Das ist z.B. anders, wenn der Versicherungsnehmer
sich durch einen Versicherungsmakler beraten lässt, dessen Provision
üblicherweise der Versicherer zahlt. Der vollständige Wegfall der Ver-
rechnung der Abschlusskosten mit den Prämien würde die Versiche-
rungsnehmer davon auch im Ergebnis nicht entlasten. Dies würde die
Überschüsse, die (pauschal gesagt) den Versicherungsnehmern zu min-
destens 90% zufließen, vermindern und damit im W esentlichen die Ver-
sicherungsnehmer treffen, die den Vertrag bis zum Ende oder jedenfalls
für längere Zeit beitragspflichtig aufrechterhalten. Begünstigt würden da-
durch nur die Versicherungsnehmer, die den Vertrag nach kurzer Lauf-
zeit kündigen oder beitragsfrei stellen. Eine solche Lösung, die sich vor-
wiegend am Interesse dieser Versicherungsnehmer an der Optimierung
der an sie auszukehrenden Leistungen orientiert, widerspräche dem für
das Versicherungsrecht typischen Grundgedanken einer Risikogemein-
schaft (vgl. BVerfG VersR 2005, 1127, 1134) und ist deshalb nicht sach-
gerecht.
- 25 -
Daraus folgt, dass auch ein ersatzloser Wegfall der Abschlusskos-
tenverrechnungsklausel ungeeignet ist, die Vertragslücke zu schließen.
b) Die inhaltsgleiche Ersetzung der unwirksamen Klauseln unter-
läuft die gesetzliche Sanktion der Unwirksamkeit nach § 9 Abs. 1 AGBG,
jetzt § 307 Abs. 1 BGB und ist schon deshalb mit den Grundsätzen der
ergänzenden Vertragsauslegung nicht zu vereinbaren. Es ist nicht an-
gängig, an die Stelle der unwirksamen, weil den Vertragspartner des
Klauselverwenders unangemessen benachteiligenden Klausel im W ege
der ergänzenden Vertragsauslegung eine inhaltsgleiche Bestimmung zu
setzen (BGHZ 90, 69, 78). Das nationale Recht stellt damit in Überein-
stimmung mit der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom 5. April 1993 ü-
ber missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen im Sinne eines
wirkungsvollen Verbraucherschutzes sicher, dass missbräuchliche Klau-
seln für den Verbraucher unverbindlich sind (Hubert Schmidt in Bamber-
ger/Roth, BGB § 306 Rdn. 2; Wolf in Wolf/Horn/Lindacher, AGB-Gesetz
4. Aufl. RiLi Art. 6 Rdn. 4; EuGH NJW 2003, 275 f. und NJW 2000,
2571 f.).
Dies gilt auch, wenn die Unwirksamkeit auf einem Verstoß gegen
das Transparenzgebot beruht. Darin liegen eine unangemessene Be-
nachteiligung des Kunden im Sinne von § 9 AGBG, jetzt ausdrücklich
§ 307 Abs. 1 Satz 2 BGB und ein Verstoß gegen Art. 6 der Richtlinie
93/13/EWG (vgl. BGHZ 140, 25, 31; 106, 42, 49; Pfeiffer in Grabitz/Hilf,
Das Recht der Europäischen Union, Band III Stand Januar 2001, A 5
Art. 3 Rdn. 54, 58, Art. 4 Rdn. 39, Art. 5 Rdn. 22, 23, 26, Art. 6 Rdn. 3).
Das hat der Senat auch in den Urteilen vom 9. Mai 2001 mit Blick auf die
darin festgestellten Verstöße gegen das Transparenzgebot ausgespro-
42
43
44
- 26 -
chen. Wenn Allgemeine Versicherungsbedingungen Rechte und Pflichten
des Vertragspartners - des Versicherungsnehmers - nicht klar und durch-
schaubar darstellen, insbesondere die wirtschaftlichen Nachteile nicht so
weit erkennen lassen, wie dies nach den Umständen gefordert werden
kann, wird er unangemessen benachteiligt. Dass dies gerade dann gilt,
wenn durch die Intransparenz ein - wie der Senat ausgeführt hat (BGHZ
147, 354, 364) - wirtschaftlicher Nachteil des Versicherungsnehmers von
erheblichem Gewicht verdeckt wird, versteht sich von selbst. Der Versi-
cherungsnehmer wird durch die fehlende Transparenz gehindert, seine
Entschließungsfreiheit bei Eingehung des Vertrages in voller Kenntnis
des Inhalts des Vertrages, insbesondere der wirtschaftlichen Nachteile,
auszuüben; er wird gehindert, schon die Produktwahl auf der Grundlage
der wirklichen, mit dem Versicherungsvertrag bei frühzeitiger Beendi-
gung verbundenen Nachteile zu treffen. Diese Folgen des Transparenz-
mangels lassen sich nicht rückwirkend damit beseitigen, dass die un-
wirksame intransparente Klausel durch eine materiell inhaltsgleiche
transparente Klausel ersetzt wird (so im Ansatz auch W andt, VersR
2001, 1455). Soweit letzterer (ebenso Kirscht, VersR 2003, 1075 f.) den-
noch die inhaltsgleiche Ersetzung damit rechtfertigt, die Klauseln seien
lediglich wegen formeller Intransparenz für unwirksam erklärt worden,
inhaltlich aber angemessen, greift das zu kurz. Der Senat hat die in Re-
de stehende Verrechnung der einmaligen Abschlusskosten nach dem
Verfahren der Zillmerung zwar nicht im Sinne von §§ 9 AGBG, 307 BGB
als materiell unangemessene Benachteiligung der Versicherungsnehmer
angesehen, er hat aber betont, sie schaffe bei Kündigung und Beitrags-
freistellung einen wirtschaftlichen Nachteil des Versicherungsnehmers
von erheblichem Gewicht. Bei der inhaltsgleichen Ersetzung der Klausel
hätte dieser Nachteil Bestand, obwohl der Vertrag durch den Transpa-
- 27 -
renzmangel unter Verdeckung dieses Nachteils zustande gekommen ist.
Der Eingriff in die Entschließungs- und Auswahlfreiheit bliebe unbeseitigt
und bestünde - bei Einstellung der Prämienzahlung - in seinen Auswir-
kungen fort. Das führte im Ergebnis dazu, dass die wegen Intransparenz
unwirksame Klausel mit den verdeckten Nachteilen für den Versiche-
rungsnehmer letztlich doch verbindlich bliebe. Ein solches Ergebnis liefe
§§ 9 AGBG, 307 BGB zuwider und kann deshalb auch nicht Ergebnis ei-
ner ergänzenden Vertragsauslegung sein.
c) Die Verrechnung der Abschlusskosten im W ege der Zillmerung
ist hinsichtlich der Versicherungsnehmer, die den Vertrag bis zum Ende
beitragspflichtig führen, zwar unbedenklich. Da die Klauseln aber nicht
teilbar sind, ist die Vertragsergänzung insgesamt unwirksam.
IV. Das Scheitern der Vertragsergänzung nach § 172 Abs. 2 VVG
bedeutet nicht, dass die Klage abzuweisen ist, um der Beklagten Gele-
genheit zu geben, erneut ein solches Verfahren durchzuführen. Vielmehr
ist im W ege der richterlichen ergänzenden Vertragsauslegung zu ent-
scheiden, ob und auf welche Art die einmaligen Abschlusskosten mit den
Beiträgen zu verrechnen sind (Wandt, Versicherungsrechts-Handbuch
§ 11 Rdn. 141; anders, jedenfalls unklar Kollhosser, aaO § 172 Rdn. 36).
1. a) Bei unwirksamen Bestimmungen in Allgemeinen Geschäfts-
bedingungen hat die ergänzende Vertragsauslegung ebenso wie die Aus-
legung und Inhaltskontrolle solcher Bestimmungen nach einem objektiv-
generalisierenden Maßstab zu erfolgen, der am W illen und Interesse der
typischerweise beteiligten Verkehrskreise (und nicht nur der konkret be-
45
46
47
- 28 -
teiligten Parteien) ausgerichtet sein muss (BGH, Urteil vom 14. April
2005 - VII ZR 56/04 - NJW-RR 2005, 1040 unter II 3; BGHZ 107, 273,
276 f. m.w.N.; Harry Schmidt, aaO § 6 Rdn. 32; Hubert Schmidt, aaO
§ 306 Rdn. 12, 13; Erman/Roloff, BGB 11. Aufl. § 306 Rdn. 13). Die Ver-
tragsergänzung muss deshalb für den betroffenen Vertragstyp als allge-
meine Lösung eines stets wiederkehrenden Interessengegensatzes an-
gemessen sein (Harry Schmidt, aaO). Sie scheitert, anders als bei Ver-
trägen zwischen einzelnen Personen (vgl. dazu BGH, Urteil vom
22. Februar 2002 - V ZR 26/01 - W M 2002, 2337 unter II 3), nicht daran,
dass mehrere Gestaltungsmöglichkeiten zur Ausfüllung der Regelungslü-
cke in Betracht kommen, wie schon die Entscheidung des Bundesge-
richtshofs zur Tagespreisklausel belegt (BGHZ 90, 69, 78 ff.). Vielmehr
ist insbesondere bei Massenverträgen die Ergänzung auf einer höheren
Abstraktionsebene und damit ohne Rücksicht auf Anhaltspunkte für eine
bestimmte Lösungsvariante vorzunehmen (Hubert Schmidt, aaO Rdn. 13;
vgl. auch Schlosser, aaO § 6 Rdn. 13a).
b) Maßgeblicher Zeitpunkt für die Feststellung und Bewertung des
mutmaßlichen typisierten Parteiwillens und der Interessenlage ist der
Zeitpunkt des Vertragsschlusses, da die ergänzende Vertragsauslegung
eine anfängliche Regelungslücke rückwirkend schließt.
c) Eine ergänzende Vertragsauslegung ist auch vorzunehmen,
wenn eine Klausel wegen Verstoßes gegen das Transparenzgebot un-
wirksam ist. § 306 Abs. 2 BGB, § 6 Abs. 2 AGBG unterscheiden nicht
nach dem Grund der Unwirksamkeit. Diese Vorschriften regeln auch die
Rechtsfolgen der Unwirksamkeit. Das durch den Transparenzmangel
verursachte Informationsdefizit des Versicherungsnehmers bei der Pro-
48
49
- 29 -
duktwahl führt deshalb nicht dazu, die Vertragsergänzung durch ein Wi-
derspruchsrecht in entsprechender Anwendung von § 5a VVG auszu-
schalten (so aber Schünemann, JZ 2002, 137; zutreffend: Römer in Rö-
mer/Langheid, VVG 2. Aufl. § 5a Rdn. 41; OLG München VersR 2003,
1024, 1026; OLG Celle VersR 2003, 1113 f.; Wandt, VersR 2001,
1455 f.; Werber, VersR 2003, 148, 150 ff.). Einem Widerspruchsrecht,
das den Vertrag insgesamt beträfe, stehen § 306 Abs. 1 BGB, § 6 Abs. 1
AGBG entgegen. Nach diesen Bestimmungen bleibt der Vertrag bei Un-
wirksamkeit einer Klausel im Übrigen wirksam.
d) Europarechtliche Bedenken gegen die ergänzende Vertragsaus-
legung bestehen nicht. Wie eine unverbindliche Klausel ersetzt wird, re-
gelt die Richtlinie 93/13/EWG nicht, dies ist dem nationalen Recht über-
lassen (Hubert Schmidt, aaO Rdn. 2; Roloff, aaO Rdn. 3; Wolf, aaO RiLi
Art. 6 Rdn. 4, 7; Pfeiffer, aaO Art. 6 Rdn. 8, 13).
2. Nach diesen Grundsätzen ist die Regelungslücke in der Weise
zu schließen, dass es grundsätzlich bei der Verrechnung der geleisteten,
einmaligen Abschlusskosten nach dem Zillmerungsverfahren bleibt. Für
den Fall der vorzeitigen Beendigung der Beitragszahlung bleibt jedenfalls
die versprochene Leistung geschuldet; der vereinbarte Betrag der bei-
tragsfreien Versicherungssumme und des Rückkaufswerts darf aber ei-
nen Mindestbetrag nicht unterschreiten. Dieser Mindestbetrag wird be-
stimmt durch die Hälfte des mit den Rechnungsgrundlagen der Prämien-
kalkulation berechneten ungezillmerten Deckungskapitals. Bereits erwor-
bene Ansprüche aus einer vereinbarten Überschussbeteiligung werden
dadurch nicht erhöht.
50
51
- 30 -
a) Die Verrechnung entstandener Abschlusskosten mit den Prä-
mien entspricht grundsätzlich den Interessen aller am Vertrag Beteilig-
ten. Der Senat hat dies in den Urteilen vom 9. Mai 2001 auch nicht in
Frage gestellt, sondern nur die nachteiligen Folgen der Verrechnung
nach dem Zillmerungsverfahren bei Kündigung oder Beitragsfreistellung
als nicht transparent vereinbart beanstandet. Unter B. III. 2. a) ist bereits
dargelegt worden, dass die Verrechnung der Abschlusskosten mit den
Prämien objektiv unter vertragsrechtlichen Gesichtspunkten sachgerecht
und aufsichtsrechtlich geboten und im Übrigen nach den Vorschriften
über die Rechnungslegung von Versicherungsunternehmen vorgeschrie-
ben ist (vgl. § 43 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 RechVersV). Die Verrechnung mit
den Prämien entspricht ferner dem bei Vertragsschluss zum Ausdruck
gebrachten Willen der Beteiligten. § 15 AVB bestimmte, dass die Ab-
schlusskosten mit den ab Beginn der Versicherung eingehenden Beiträ-
gen verrechnet werden, soweit diese nicht für Versicherungsleistungen
und Verwaltungskosten vorgesehen sind. Lediglich die Art und die Fol-
gen der Verrechnung "nach einem aufsichtsrechtlich geregelten Verfah-
ren" waren für den Versicherungsnehmer nicht durchschaubar.
Gegen die grundsätzliche Verrechnung von in der Vergangenheit
entstandenen Abschlusskosten (um die es hier allein geht) mit den Prä-
mien lässt sich, anders als der Kläger meint, nicht mit Erfolg einwenden,
die Vermittlungsprovision hätte nicht oder nicht in vollem Umfang gleich
am Anfang oder nicht in dieser Höhe entstehen müssen. Gegen das in
der Lebensversicherung abweichend von § 92 Abs. 4 HGB (ratierliche
Zahlung der Provision entsprechend der Prämienzahlung) übliche Sys-
tem der Einmalprovision (vgl. dazu Küstner in Küstner/Thume, Handbuch
des gesamten Außendienstrechts Bd. 1, 3. Aufl. Rdn. 956 ff., 1099 ff.)
52
53
- 31 -
werden von Verbraucherseite und in der Literatur (Schünemann, VersR
2005, 323, 326) zwar Bedenken erhoben, die nicht ganz von der Hand zu
weisen sind (vgl. auch Abschlussbericht der vom Bundesministerium der
Justiz eingesetzten Kommission zur Reform des Versicherungsvertrags-
rechts vom 19. April 2004 Ziff. 1.3.2.1.4.3; Rundschreiben des Bundes-
aufsichtsamts für das Versicherungswesen R 5/95 vom 31. Oktober 1995
VerBAV 1995, 366). Dieses System kann den Vermittler dazu verleiten,
zur Erzielung einer möglichst hohen Provision Verträge zustande zu
bringen, die dem Bedarf oder den finanziellen Möglichkeiten des Kunden
nicht entsprechen. Dies mag Anlass sein, über eine Änderung des Provi-
sionssystems nachzudenken, trägt aber zur Lösung des Problems der
schon entstandenen Abschlusskosten nichts bei.
b) Der hypothetische Wille und die Interessen der typischerweise
an kapitalbildenden Lebensversicherungen beteiligten Verkehrskreise
stellen sich bei objektiv-generalisierender Betrachtung wie folgt dar:
aa) Die Versicherungsnehmer, die den Vertrag bis zum Ende
durchführen, haben ein Interesse daran, die Belastung durch die am An-
fang entstehenden Abschlusskosten möglichst gering zu halten. Auf eine
möglichst hohe Versicherungsleistung schon in den ersten Jahren kommt
es ihnen beim Abschluss des Vertrages nicht an. Deshalb ist für sie die
Verrechnung nach dem Zillmerungsverfahren am günstigsten, weil da-
durch die Abschlusskosten am schnellsten getilgt und bei längerfristiger
Tilgung entstehende höhere Finanzierungskosten erspart werden (vgl.
Engeländer, NVersZ 2002, 436, 438, 444; ders. VersR 1999, 1325 ff.;
Bergmann, VersR 2004, 549 ff.; Heinen, ZVersWiss 2002, 155 ff.; Jae-
ger, VersR 2002, 133, 140).
54
55
- 32 -
bb) Die Interessen der Versicherungsnehmer, die die Beitragszah-
lung vorzeitig beenden, sind im Gegensatz dazu darauf gerichtet, in die-
sem Zeitpunkt eine Versicherungsleistung zu erhalten, die möglichst we-
nig mit Abschlusskosten belastet ist. Nach diesem Zeitpunkt zu verrech-
nende Abschlusskosten, auch in Gestalt höherer Finanzierungskosten,
sind für sie bedeutungslos, weil sie keine Prämien mehr zahlen und, wie
ausgeführt, ein Stornoabzug nicht wirksam vereinbart ist. Diesem Anlie-
gen entspräche eine Verteilung der Abschlusskosten auf die gesamte
Laufzeit.
cc) Das Interesse der Versicherungsunternehmen geht dahin, die
Abschlusskosten so zu verrechnen, dass möglichst wenig Finanzie-
rungsaufwand entsteht und so höhere Überschüsse erzielt werden. Es
stimmt insoweit mit dem Interesse der Versicherungsnehmer überein, die
den Vertrag bis zum Ende durchführen.
dd) Die Interessen aller Beteiligten sind auf den Zeitpunkt des Ver-
tragsschlusses zusammenzuführen. Dabei ist als Besonderheit der Le-
bensversicherung zu berücksichtigen, dass hier nicht der sonst im W irt-
schaftsleben übliche Interessengegensatz der Marktteilnehmer vorliegt.
Den Versicherungsunternehmen wird durch die Prämienzahlungen Ver-
mögen anvertraut, das in ihr Eigentum übergeht und über dessen Nut-
zung sie in eigener unternehmerischer Verantwortung zu entscheiden
haben, dessen Erträge aber größtenteils zur Absicherung der wirtschaft-
lichen Existenz der Versicherten gedacht sind (BVerfG VersR 2005,
1109, 1118). Die erzielten Überschüsse stehen zum größten Teil den
Versicherungsnehmern zu, die Überschüsse aus Kapitalerträgen zu min-
56
57
58
- 33 -
destens 90% (§ 1 Abs. 1 und 2 ZRQuotenV). In der Praxis war eine Quo-
te von 97% des Rohüberschusses üblich (BVerfG aaO S. 1121). Die Inte-
ressen der Versicherungsunternehmen sind mit den Interessen der Ge-
samtheit der Versicherungsnehmer daher weitgehend gleichgerichtet.
Bei der Bewertung der typischen Interessenlage der Gesamtheit
der Versicherungsnehmer kann aber nicht außer Acht gelassen werden,
dass ein ganz erheblicher Teil der Verträge vorzeitig beendet wird, wobei
nach dem Eindruck verschiedener Veröffentlichungen eine geschätzte
Quote von etwa 50% realistisch sein könnte (VW 2004, 1884; 2005, 419,
988; FAZ 25. November 2004 S. 15). Daraus folgt, dass in etwa jeder
zweite Versicherungsnehmer durch die Verrechnung der Abschlusskos-
ten nach dem Zillmerungsverfahren einen - je nach Stornozeitpunkt mehr
oder weniger großen - wirtschaftlichen Nachteil erleidet. Selbst wenn am
Anfang beabsichtigt sein mag, den Vertrag nicht vorzeitig zu stornieren,
wird diese Absicht etwa von jedem zweiten Versicherungsnehmer aus
unterschiedlichen, sich erst später ergebenden und in der Regel nicht
vorhergesehenen Gründen nicht verwirklicht. Damit besteht statistisch
betrachtet in der Person jedes Versicherungsnehmers bei Abschluss des
Vertrages eine ihm unbewusste gespaltene Interessenlage. Bildlich ge-
sprochen kommt es der einen Hälfte des Versicherungsnehmers auf eine
möglichst hohe Ablaufleistung an, der anderen auf eine möglichst hohe
Leistung bei vorzeitiger Beendigung. Da ihm nicht offen gelegt worden
ist, dass die Interessen dieser anderen Hälfte im Vertrag so nicht be-
rücksichtigt werden, ist für den rückwirkend nicht mehr behebbaren
Transparenzmangel ein angemessener Ausgleich zu schaffen.
59
- 34 -
Dieser besteht darin, dass den bei Vertragsabschluss nicht be-
rücksichtigten Interessen vertragsergänzend durch eine Mindestleistung
bei vorzeitiger Beendigung der Beitragszahlung Rechnung getragen wird,
die sich vor allem beim Frühstorno auswirkt. Diesen Interessen kommt i m
Vergleich mit den Interessen derjenigen Versicherungsnehmer, die den
Vertrag bis zum Ende durchführen (meist 20 oder 30 Jahre lang bis zum
Erreichen des Rentenalters), ein jedenfalls geringeres Gewicht zu. Le-
bensversicherungen zielen auf die Sicherung der wirtschaftlichen Exis-
tenz und in diesem Rahmen schwerpunktmäßig auf die Alterssicherung
(BVerfG aaO S. 1118). Eine Begünstigung derjenigen Versicherungs-
nehmer, die die Beitragszahlung vorzeitig beenden, dadurch, dass ihnen
ein Betrag gutgebracht wird, der über den hinausgeht, der bei Verrech-
nung der geleisteten einmaligen Abschlusskosten nach dem Zillme-
rungsverfahren verbleibt, muss sich notwendig zugleich auf die Höhe des
Überschusses auswirken, der den Versicherungsnehmern zugute kommt,
die den Vertrag beitragspflichtig bis zum Ende durchführen. Ähnlich wie
bei der Überschussbeteiligung ist es daher nicht sachgerecht, die Höhe
der beitragsfreien Versicherungssumme oder des Rückkaufswertes vor-
rangig oder nur am Interesse der die Beitragszahlung vorzeitig beenden-
den Versicherungsnehmer an einer Optimierung der an sie zu erbringen-
den Leistungen auszurichten. Das widerspräche dem für das Versiche-
rungsrecht - und auch für die Lebensversicherung - typischen Gedanken
einer Risikogemeinschaft und des Ausgleichs der unterschiedlichen Inte-
ressen der Versicherungsnehmer (vgl. BVerfG VersR 2005, 1127, 1134).
ee) Zur Höhe der Mindestleistung bei Einstellung der Beitragszah-
lung hat der Senat den Vorschlag der Kommission zur Reform des Versi-
cherungsvertragsrechts
übernommen
(Abschlussbericht
aaO
60
61
- 35 -
Ziff. 1.3.2.1.4 und Begründung zu §§ 158, 161 des Entwurfs). Der Senat
hat andere Möglichkeiten für die Festlegung eines Mindestrückkaufs-
werts erwogen (dazu Claus, VerBAV 1986, 239, 253, 283 ff.) und auch
die Verteilung der Abschlusskosten auf einen längeren Zeitraum wie bei
der "Riester-Rente" in seine Überlegungen einbezogen (nach § 1 Abs. 1
Satz 1 Nr. 8 AltZertG früher mindestens zehn Jahre, ab 1. Januar 2005
mindestens fünf Jahre; so LG Hildesheim VersR 2003, 1290 f.; vgl. dazu
Wandt, VersR 2001, 1460). Er hält den Vorschlag der Reformkommission
jedoch aus mehreren Gründen für vorzugswürdig. Der Vorschlag stammt
von einem sachkundigen Gremium, dem Vertreter der Verbraucher, der
Versicherungswirtschaft und der Wissenschaft angehörten, beruht auf
aktuellen Erkenntnissen und erscheint ohne größere Schwierigkeiten
durchführbar. Danach soll der Rückkaufswert abweichend von § 176
Abs. 3 Satz 1 VVG nicht mehr der Zeitwert der Versicherung, sondern
das nach anerkannten Regeln der Versicherungsmathematik mit den
Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation zum Schluss der laufen-
den Versicherungsperiode berechnete Deckungskapital der Versicherung
sein, bei einer Kündigung mindestens jedoch die Hälfte des ungezillmer-
ten Deckungskapitals. Entsprechendes soll für die Ermittlung der prä-
mienfreien Versicherungsleistung gelten, für die schon bisher nach § 174
Abs. 2 VVG die Rechnungsgrundlagen der Prämienkalkulation maßge-
bend sind. Dies führt auch nach Ansicht des Senats zu einer klaren und
möglichst einfachen Berechnung des Rückkaufswertes nach bewährten
versicherungsmathematischen Regeln. Der danach berechnete Mindest-
rückkaufswert führt allerdings dazu, dass für die Verträge, die davon be-
troffen sein können, eine erhöhte Deckungsrückstellung zu bilden ist
(vgl. Engeländer, VersR 2005, 1031, 1036; Schroer, Der Verantwortliche
Aktuar in der Lebensversicherung S. 104). Dieser Eingriff in die Rech-
- 36 -
nungsgrundlagen erscheint hinnehmbar, weil die Verrechnung der ein-
maligen Abschlusskosten im Wege der Zillmerung als solche bestehen
bleiben kann.
Demgegenüber ist auch zehn Jahre nach Inkrafttreten der Neure-
gelung noch nicht allgemein anerkannt, wie der Zeitwert nach § 176
Abs. 3 Satz 1 VVG zu berechnen ist (vgl. Jaeger, VersR 2002, 133 ff.:
"ungelöstes Rätsel"; Engeländer, NVersZ 2002, 436, 442 f.). Nach An-
sicht von Versicherungsmathematikern liegt er unter den vereinbarten
und nach den herkömmlichen Verfahren berechneten Rückkaufswerten
(Engeländer, aaO S. 441, 446; Jaeger, aaO S. 144). Der Zeitwert bietet
schon deshalb keine Grundlage für einen Ausgleich der durch den
Transparenzmangel verursachten nachteiligen Folgen bei vorzeitiger Be-
endigung der Beitragszahlung.
62
- 37 -
C. Die Sache wird zurückverwiesen, damit die Parteien ergänzend
vortragen können und der Kläger seine Anträge anpassen kann.
Terno Dr. Schlichting Seiffert
Dr. Kessal-Wulf Dr. Franke
Vorinstanzen:
AG Hannover, Entscheidung vom 12.11.2002 - 525 C 5344/02 -
LG Hannover, Entscheidung vom 12.06.2003 - 19 S 108/02 -
63