Urteil des BAG vom 13.02.2007

BAG (kläger, stgb, haftung des arbeitgebers, insolvenz, arbeitgeber, betriebsrat, schaden, unerlaubte handlung, sicherung, geschäftsführer)

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.2.2007, 9 AZR 207/06
Altersteilzeit - Insolvenz - Wertguthaben - Betrug
Leitsätze
1. Spiegelt der Geschäftsführer einer GmbH-Arbeitgeberin vor, die tariflich vorgeschriebene
Insolvenzsicherung eines Wertguthabens aus einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis sei erfolgt, kann dies
seine Schadensersatzpflicht nach § 823 Abs 2 BGB iVm. § 263 StGB begründen. Er kann einen Betrug
iSd. § 263 Abs 1 StGB durch Täuschung des Betriebsrats zu Lasten eines Arbeitnehmers begangen
haben, wenn der Betriebsrat auf Grund einer Betriebsvereinbarung berechtigt war, den Nachweis der
Insolvenzsicherung zu verlangen.
2. Der Geschäftsführer haftet dann gem. § 823 Abs 2 BGB iVm. § 263 Abs 1 StGB persönlich für den
Schaden, der dem Arbeitnehmer durch die (teilweise) Nichterfüllung seines erarbeiteten und nicht
gesicherten Wertguthabens in der Insolvenz entsteht. Der Eintritt eines derartigen Schadens ist
regelmäßig zu erwarten; denn das vor Insolvenzeröffnung erarbeitete Wertguthaben wird nach § 108 Abs
2 InsO nur als Insolvenzforderung berichtigt.
Tenor
Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Landesarbeitsgerichts Baden-
Württemberg - Kammern Freiburg - vom 7. September 2005 - 10 Sa 29/05 -
aufgehoben und der Rechtsstreit zur neuen Verhandlung und Entscheidung -
auch über die Kosten des Revisionsverfahrens - an das Landesarbeitsgericht
zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die persönliche Haftung des Beklagten für ein nicht abgesichertes
Wertguthaben aus einem Altersteilzeitarbeitsverhältnis. Der Kläger war seit dem 18. April 1955,
zuletzt als Meister in der Wagenheberfertigung, bei der E. GmbH & Co. KG (im Folgenden:
Schuldnerin) beschäftigt. Der Beklagte ist der ehemalige Geschäftsführer der Komplementär-
GmbH der Schuldnerin. Am 27. September 2001 vereinbarten der Kläger und die Schuldnerin die
Fortsetzung ihres Arbeitsverhältnisses als Altersteilzeitarbeitsverhältnis im Blockmodell für die Zeit
vom 1. Dezember 2001 bis zum 31. Mai 2004. Zum Zeitpunkt des Abschlusses des
Altersteilzeitarbeitsvertrags galt im Betrieb der Schuldnerin eine Betriebsvereinbarung vom 1. April
2001. Dort heißt es in Ziff. 11 wie folgt:
“Der Arbeitgeber weist entsprechend § 16 TV ATZ Maßnahmen zur Insolvenzsicherung
nach.”
2 Im Tarifvertrag zur Altersteilzeit zwischen dem Verband der Metall- und Elektroindustrie Südwest e.
V. Freiburg und der Industriegewerkschaft Metall für die Tarifgebiete Südbaden und
Südwürttemberg-Hohenzollern in der Fassung vom 16. Dezember 1997/5. April
2000/19. September 2000 (im Folgenden: TV ATZ) heißt es, soweit für den Rechtsstreit
maßgeblich, wie folgt:
“§ 12
Langzeitkonto
Zur Erfüllung der Eigenbeteiligung können die Betriebsparteien die Möglichkeit von
Langzeitkonten vereinbaren, die zweckgerichtet zur Finanzierung der Altersteilzeit dienen. Die
Beschäftigten können in diese Langzeitkonten Zeitguthaben und Zuschläge einbringen.
§ 16
Insolvenzsicherung
Der Arbeitgeber berät geeignete Maßnahmen mit dem Betriebsrat und stellt sicher, dass im
Falle der vorzeitigen Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses durch Insolvenz des
Arbeitgebers alle bis zu diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche einschließlich der darauf
entfallenden Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung gesichert sind.
Die Insolvenzsicherung von Langzeitkonten im Sinne von § 12 erfolgt, sobald der
Altersteilzeitarbeitsvertrag abgeschlossen ist oder das zu diesem Zweck gebildete Guthaben
150 Stunden übersteigt.
Der Arbeitgeber weist gegenüber dem Betriebsrat bzw., soweit keine Betriebsvereinbarung
besteht, gegenüber dem Beschäftigten jährlich die ausreichende Sicherung nach.
Die Art der Sicherung kann betrieblich festgelegt werden.”
3 Eine Insolvenzsicherung des Wertguthabens aus dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis mit dem Kläger
erfolgte nicht. Mit Beschluss vom 14. Mai 2003 (- 7 (2) IN 141/03 -) traf das Amtsgericht Rottweil
Anordnungen im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin zur Sicherung
der künftigen Insolvenzmasse und zur Aufklärung des Sachverhalts und bestellte einen vorläufigen
Insolvenzverwalter. Mit Beschluss vom 1. August 2003 eröffnete das Amtsgericht das
Insolvenzverfahren über das Vermögen der Schuldnerin. Der Betriebsteil Fahrzeugsysteme, in dem
der Kläger beschäftigt war, wurde von der B. GmbH übernommen.
4 Der Kläger verlangt vom Beklagten die Erstattung des Schadens, der ihm durch die unterbliebene
Insolvenzsicherung seines Wertguthabens entstanden ist.
5 Er hat behauptet, der Beklagte habe ihm am 25. Juli 2003 erklärt, er werde sich persönlich um die
Insolvenzsicherung des Wertguthabens kümmern. Am 5. August 2003 habe der Beklagte ihm
mitgeteilt, dass eine Insolvenzsicherung abgeschlossen worden sei und er noch einen blauen
Ordner suche, in dem sich die Police befinde. Auch gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden habe
der Beklagte bereits im Sommer 2002 auf Nachfrage erklärt, dass eine entsprechende
Insolvenzsicherung der Wertguthaben erfolgt sei. Der Betriebsratsvorsitzende habe dem Kläger vor
der Insolvenzeröffnung im Sommer 2003 mitgeteilt, dass der Beklagte auch ihm gegenüber
versichert habe, eine Insolvenzsicherung der Wertguthaben sei über die Versicherung “A & Partner”
erfolgt.
6 Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass der Beklagte verpflichtet ist, ihm den Schaden zu ersetzen, der dadurch
entstanden ist, dass das Wertguthaben für den Kläger aus dem Altersteilzeitvertrag nicht für
den Fall der Insolvenz der E. GmbH & Co. KG abgesichert wurde.
7 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
8 Das Arbeitsgericht hat die auf Zahlung in Höhe von 33.352,70 Euro gerichtete Leistungsklage
abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen, nachdem
dieser mit Zustimmung des Beklagten seinen Zahlungsantrag auf einen Feststellungsantrag
umgestellt hatte. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger
seinen Feststellungsantrag weiter.
Entscheidungsgründe
9 Die Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht durfte die Klage nicht ohne weitere
Sachaufklärung abweisen. Nach dem Vorbringen des Klägers kann der Beklagte verpflichtet sein,
dem Kläger den geltend gemachten Schaden zu ersetzen.
10 A. Die Feststellungsklage ist zulässig.
11 I. Soweit der Kläger auf Hinweis des Landesarbeitsgerichts in der Berufungsinstanz seine
Zahlungsklage auf eine Feststellungsklage umgestellt hat, ist dies zulässig. Die Erweiterung oder
Beschränkung des Antrags und insbesondere der Wechsel vom Leistungs- zum
Feststellungsantrag bei unverändertem Sachverhalt stellen gem. § 264 Nr. 2 ZPO keine
Klageänderung dar. Eine Antragsbeschränkung ist deshalb in der Rechtsmittelinstanz noch
zulässig (vgl. zur Revisionsinstanz: BAG 7. Dezember 2005 - 5 AZR 535/04 - AP TzBfG § 12
Nr. 4 = EzA TzBfG § 12 Nr. 2; 28. Juni 2005 - 1 ABR 25/04 - BAGE 115, 165) . Der Sachverhalt ist
unverändert geblieben.
12 II. Das nach § 256 Abs. 1 ZPO erforderliche Feststellungsinteresse ist gegeben. Für eine Klage
auf Feststellung der deliktischen Verpflichtung eines Schädigers liegt das rechtliche Interesse an
der alsbaldigen Feststellung bereits dann vor, wenn der Schadenseintritt möglich ist, auch wenn
Art und Umfang sowie Zeitpunkt des Eintritts noch ungewiss sind. Es muss lediglich eine gewisse
Wahrscheinlichkeit des Schadenseintritts bestehen (Senat 16. August 2005 - 9 AZR 470/04 - AP
TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 25 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 2; BGH 9. Januar 2007 - VI ZR 133/06 -
NJW-RR 2007, 601) . So ist es hier. Es steht vor Abschluss des Insolvenzverfahrens nicht fest, in
welcher Höhe Ansprüche des Klägers aus seinem Wertguthaben im Rahmen der Insolvenz erfüllt
werden; denn das vor Insolvenzeröffnung erarbeitete Wertguthaben wird nach § 108 Abs. 2 InsO
nur als Insolvenzforderung berichtigt.
13 B. Der zulässige Feststellungsantrag ist begründet, wenn die sachlichen und rechtlichen
Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs vorliegen, also ein haftungsrechtlicher Eingriff
gegeben ist, der zu einem möglichen Schaden führen kann. Dieser haftungsrechtliche Eingriff
kann sich hier aus § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263 Abs. 1 StGB ergeben. Das Landesarbeitsgericht
hat die dafür notwendigen Feststellungen noch zu treffen.
14 I. Ein vertraglicher Anspruch des Klägers gegen den Beklagten scheidet aus. Der Kläger beruft
sich nicht darauf, der Beklagte habe ihm gegenüber erklärt oder zumindest den Anschein erweckt,
er werde persönlich - in Abweichung von der gesellschaftsrechtlichen Haftungsbeschränkung
nach § 13 Abs. 2 GmbHG - für Verbindlichkeiten aus dem Altersteilzeitarbeitsverhältnis haften.
15 II. Der Beklagte haftet auch nicht nach § 311 Abs. 3 BGB wegen seines Verhaltens bei der
Begründung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses. Nach dieser Vorschrift entsteht ein
haftungsbegründendes Schuldverhältnis auch mit dem Dritten, wenn er in besonderem Maße
Vertrauen für sich in Anspruch nimmt und dadurch die Vertragsverhandlungen oder den
Vertragsschluss erheblich beeinflusst (vgl. zur Rechtslage vor Inkrafttreten des § 311 BGB: Senat
13. Dezember 2005 - 9 AZR 436/04 - AP ATG § 8a Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 4 mwN) .
Der Kläger hat nicht behauptet, die Vertrauenswürdigkeit des Beklagten habe bei Abschluss des
Altersteilzeitarbeitsvertrags eine wesentliche Rolle gespielt.
16 III. Der Beklagte haftet auch nicht nach § 823 Abs. 1 BGB.
17 Die unterbliebene Absicherung des Wertguthabens gegen Insolvenz durch die Schuldnerin, deren
Geschäftsführer der Beklagte zum Zeitpunkt des Abschlusses des Altersteilzeitarbeitsvertrags
war, stellt keine unerlaubte Handlung iSd. § 823 Abs. 1 BGB dar. Diese Norm dient lediglich dem
Schutz absoluter Rechte und Rechtsgüter, wie Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder
sonstiger Rechte. Das Wertguthaben, das ein Arbeitnehmer in Altersteilzeit angespart hat, wird als
schuldrechtlicher Anspruch durch § 823 Abs. 1 BGB nicht geschützt (Senat 16. August 2005 -
9 AZR 79/05 - AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 24 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 3) .
18 IV. Nach dem Vortrag des Klägers kann nicht ausgeschlossen werden, dass der Beklagte gegen
ein Schutzgesetz iSv. § 823 Abs. 2 BGB verstoßen hat und daher für den möglichen Schaden
haftet.
19 1. Entgegen der Auffassung des Klägers kommt eine Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2
BGB iVm. § 7d Abs. 1 SGB IV allerdings nicht in Betracht. Diese Vorschrift verpflichtet die
Vertragsparteien des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses dazu, im Rahmen ihrer Vereinbarungen
Vorkehrungen zu treffen, die der Erfüllung des Wertguthabens des Arbeitnehmers einschließlich
des darauf entfallenden Arbeitgeberanteils am Gesamtsozialversicherungsbeitrag bei
Zahlungsunfähigkeit dienen. § 7d Abs. 1 SGB IV ist kein Schutzgesetz iSd. § 823 Abs. 2 BGB.
Denn die Pflicht zur Absicherung der Wertguthaben wurde durch diese Norm beiden
Vertragsparteien auferlegt (vgl. ausführlich Senat 13. Dezember 2005 - 9 AZR 436/04 - AP ATG
§ 8a Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 4 mwN) .
20 2. Es besteht auch kein Anspruch gem. § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 16 TV ATZ oder in Verbindung
mit der Betriebsvereinbarung vom 1. April 2001. Diese Regelungen begründen nur eine Haftung
des Arbeitgebers gem. § 13 Abs. 2 GmbHG, nicht aber eine Durchgriffshaftung des
Geschäftsführers. Insoweit sind sie nicht Schutzgesetz (vgl. Senat 16. August 2005 - 9 AZR
470/04 - AP TVG § 1 Altersteilzeit Nr. 25 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 2) .
21 3. Eine Haftung des Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 266 Abs. 1 StGB scheitert daran,
dass zwischen den Parteien kein Vermögensbetreuungsverhältnis iSd. § 266 StGB bestanden hat.
In Betracht kommt hier nur der sogenannte Treubruchstatbestand der zweiten Alternative des
§ 266 Abs. 1 StGB. Dieser setzt eine Vermögensbetreuungspflicht des Täters auf Grund einer
besonders qualifizierten Pflichtenstellung zu dem fremden Vermögen mit
Geschäftsbesorgungscharakter voraus. Eine solche Pflichtenstellung ist zwischen dem
Geschäftsführer einer GmbH und den dort beschäftigten Angestellten nicht gegeben (Senat
13. Dezember 2005 - 9 AZR 436/04 - AP ATG § 8a Nr. 1 = EzA BGB 2002 § 823 Nr. 4) .
22 4. Das Landesarbeitsgericht hat zu Unrecht nicht geprüft, ob nach § 823 Abs. 2 BGB iVm. § 263
Abs. 1 StGB ein Betrug zu Lasten des Klägers in Betracht kommt.
23 a) Der Kläger beruft sich ohne Erfolg darauf, der Beklagte habe ihm am 25. Juli 2003 zugesichert,
er werde sich persönlich um eine Insolvenzsicherung kümmern und habe weiter am 5. August
2003 mitgeteilt, dass diese abgeschlossen worden sei. Diese behaupteten Täuschungen des
Beklagten können nicht kausal für einen Schaden wegen unterbliebener Insolvenzsicherung sein.
Bereits am 14. Mai 2003 und damit zeitlich vor den streitigen Täuschungshandlungen hatte das
Amtsgericht im Insolvenzeröffnungsverfahren über das Vermögen der Schuldnerin Anordnungen
zur Sicherung der künftigen Masse und zur Aufklärung des Sachverhalts getroffen sowie einen
vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt. Selbst wenn der Beklagte dem Kläger wahrheitsgemäß
mitgeteilt hätte, eine Insolvenzsicherung sei bisher nicht erfolgt, wäre diese mit Beginn des
Insolvenzeröffnungsverfahrens tatsächlich nicht mehr möglich gewesen.
24 b) Dagegen kann sich aus der Behauptung des Klägers, der Beklagte habe gegenüber dem
Betriebsratsvorsitzenden bereits im Sommer 2002 erklärt, dass eine entsprechende
Insolvenzsicherung der Wertguthaben der Altersteilzeitarbeitnehmer erfolgt sei, ein Anspruch aus
§ 823 Abs. 2 BGB in Verb. mit § 263 Abs. 1 StGB ergeben. Betrug setzt voraus, dass die
Täuschungshandlung des Täters einen Irrtum des Getäuschten hervorruft oder unterhält und
dieser Irrtum zu einem Vermögensschaden beim Opfer führt. Der Vermögensschaden muss
durch eine Vermögensverfügung des Getäuschten herbeigeführt worden sein.
25 Diese Voraussetzungen sind erfüllt, wenn der Beweis für die Täuschungshandlung des Beklagten
gegenüber dem Betriebsratsvorsitzenden erbracht wird. Das Landesarbeitsgericht wird deshalb
den vom Kläger angebotenen Zeugenbeweis zu erheben haben.
26 aa) Die behauptete Täuschung erfüllt die objektiven Tatbestandsmerkmale des § 263 Abs. 1
StGB.
27 (1) Eine Täuschungshandlung iSd. § 263 Abs. 1 StGB ist anzunehmen, wenn der Beklagte dem
Betriebsratsvorsitzenden im Sommer 2002 vorgespiegelt hat, dass die Schuldnerin ihre nach § 16
Abs. 1 TV ATZ bestehende Verpflichtung zur Insolvenzsicherung der Wertguthaben erfüllt habe.
Damit hätte er den Betriebsratsvorsitzenden davon abgehalten, die Altersteilzeitarbeitnehmer und
den Betriebsrat über diesen Sachverhalt zu informieren, damit diese die Insolvenzsicherung
geltend machen und durchsetzen können.
28 (2) Die Schuldnerin war nach § 16 Abs. 1 TV ATZ zur Insolvenzsicherung der Wertguthaben der
Altersteilzeitarbeitnehmer verpflichtet. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts
beschränkte sich diese Pflicht nicht auf die Insolvenzsicherung von Langzeitkonten.
29 (2.1) Nach § 16 Abs. 1 TV ATZ hat der Arbeitgeber sicherzustellen, dass im Falle der vorzeitigen
Beendigung des Altersteilzeitarbeitsverhältnisses durch Insolvenz des Arbeitgebers alle bis zu
diesem Zeitpunkt entstandenen Ansprüche gesichert sind. Entgegen dem Tarifwortlaut setzt diese
Pflicht nicht voraus, dass das Altersteilzeitarbeitsverhältnis “durch Insolvenz des Arbeitgebers"
beendet wird. Einen solchen Beendigungstatbestand gibt es nicht. Das
Altersteilzeitarbeitsverhältnis endet nicht durch Insolvenzeröffnung, sondern besteht mit Wirkung
für die Insolvenzmasse fort (§ 108 Abs. 1 Satz 1 InsO). Eine reine Wortauslegung der
Tarifregelung würde deshalb dazu führen, dass eine Insolvenzsicherung nie eintreten könnte. Eine
solche sinnlose Regelung kann den Tarifvertragsparteien nicht unterstellt werden. Mit der
vorzeitigen Beendigung kann deshalb nicht das rechtliche Ende des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses, sondern die Beendigung der dem Altersteilzeitarbeitnehmer
zustehenden Zahlungen infolge der Zahlungsunfähigkeit der Schuldnerin gemeint sein. Nur diese
Auslegung entspricht dem schon aus der Überschrift “Insolvenzsicherung" des § 16 TV ATZ
erkennbaren Zweck der Tarifregelung, nämlich den Arbeitgeber zu verpflichten, Vorkehrungen zur
Absicherung des Wertguthabens gegen Insolvenz zu treffen.
30 (2.2) Die Pflicht zur Insolvenzsicherung besteht entgegen der Auffassung des
Landesarbeitsgerichts nicht nur für Langzeitkonten iSd. § 12 TV ATZ. Nach § 16 Abs. 2 TV ATZ
erfolgt die Insolvenzsicherung von Langzeitkonten iSv. § 12 TV ATZ, sobald der
Altersteilzeitarbeitsvertrag abgeschlossen ist oder das zu diesem Zweck gebildete Guthaben 150
Stunden übersteigt. Mit dieser Regelung wird nicht die nach § 16 Abs. 1 TV ATZ für “alle”
entstandenen Ansprüche bestehende Insolvenzsicherungspflicht nachträglich eingeschränkt. § 16
Abs. 2 TV ATZ trifft vielmehr eine Sonderregelung zur Insolvenzsicherung für die mit dem
Betriebsrat nach § 12 TV ATZ vereinbarten Langzeitkonten. Danach können Zeitguthaben auf dem
Langzeitkonto der Finanzierung der Altersteilzeit dienen. Solche Zeitguthaben können auch vor
Beginn der Altersteilzeit aufgebaut werden. Deshalb verpflichtet § 16 Abs. 2 TV ATZ den
Arbeitgeber dazu, das Guthaben bereits zu sichern, wenn das Guthaben auf dem Langzeitkonto
150 Stunden übersteigt. Die tarifliche Sicherungspflicht kann in diesem Fall bereits vor Beginn des
Altersteilzeitarbeitsverhältnisses bei entsprechendem Zeitguthaben eintreten. Das ist jedoch eine
andere Sicherung als nach § 16 Abs. 1 TV ATZ.
31 (3) Für die Annahme einer Täuschungshandlung iSv. § 263 StGB reicht es aus, wenn der Beklagte
den Betriebsratsvorsitzenden als Dritten und nicht unmittelbar den Kläger getäuscht hat.
32 (3.1) Getäuschter und Geschädigter müssen nicht identisch sein. Betrug ist daher auch möglich,
wenn der getäuschte Dritte über fremdes Vermögen verfügt. Dafür ist keine rechtlich wirksame
Verfügungsmacht notwendig; es genügt vielmehr eine tatsächliche Beziehung zu dem
Geschädigten, die es dem Getäuschten ermöglicht, über das fremde Vermögen zu disponieren
(Cramer/Perron in Schönke/Schröder StGB 27. Aufl. § 263 Rn. 65) . Die Verfügung des
getäuschten Dritten muss entsprechend der Natur des Betrugs als Selbstschädigungsdelikt als
Verfügung des Vermögensinhabers erscheinen, diesem also zurechenbar sein. Das setzt ein
Näheverhältnis zwischen Getäuschtem und Geschädigtem voraus, kraft dessen der Getäuschte
eine engere Beziehung zu dem betroffenen Vermögen hat als Außenstehende (Tiedemann in
Leipziger Kommentar StGB 11. Aufl. § 263 Rn. 114 und Rn. 115) . Der getäuschte Dritte muss
innerhalb der Machtsphäre des Berechtigten als dessen Gehilfe und Schützer stehen (sog.
Lagertheorie Tiedemann § 263 Rn. 116) .
33 Eine solche Vermögensschutzfunktion des Betriebsrats gegenüber dem Kläger folgt vorliegend
aus Ziff. 11 der Betriebsvereinbarung vom 1. April 2001. Danach hat der Arbeitgeber dem
Betriebsrat die getroffenen Maßnahmen zur Insolvenzsicherung nachzuweisen. Das soll es dem
Betriebsrat ermöglichen, die Erfüllung der Pflicht zur Insolvenzsicherung zugunsten der
Altersteilzeitarbeitnehmer zu prüfen und gegebenenfalls den Arbeitgeber hierzu anzuhalten.
34 (4) Der Betriebsrat hat auch eine Vermögensverfügung zu Lasten des Klägers vorgenommen.
Denn er konnte wegen der Täuschungshandlung keine Maßnahmen ergreifen, um eine
Insolvenzsicherung durch den Arbeitgeber zu gewährleisten. Eine Vermögensverfügung kann
auch in einem Unterlassen bestehen. Insbesondere nimmt auch derjenige eine
Vermögensverfügung vor, der es in Unkenntnis eines ihm zustehenden Anspruchs unterlässt, die
Forderung geltend zu machen (Cramer/Perron in Schönke/Schröder § 263 Rn. 58) .
35 (5) Dem Kläger ist durch diese Vermögensverfügung ein Vermögensschaden iSd. § 263 Abs. 1
StGB zugefügt worden. Die für die Vermögensverfügung erforderliche Vermögensminderung kann
in einem wirtschaftlichen Nachteil beliebiger Art bestehen. Das ist hier der Fall. Eine gegen
Insolvenz ungesicherte Forderung ist weniger wert als eine gesicherte Forderung. Durch die
unterlassene Geltendmachung der Insolvenzsicherung ist die konkrete Befriedigungsaussicht
verschlechtert worden. Denn es ist nicht festgestellt, dass zum Zeitpunkt der Tathandlung im
Sommer 2002 die Schuldnerin bereits zahlungsunfähig war und somit der Abschluss einer
Insolvenzsicherung tatsächlich nicht mehr möglich gewesen wäre.
36 (6) Diese Vermögensminderung ist auch unmittelbar durch die Vermögensverfügung eingetreten.
Das setzt voraus, dass dieselbe Vermögensverfügung des Getäuschten, die der Täter in der
Absicht, sich oder einen Dritten zu bereichern, veranlasst hat, die Vermögensschädigung
unmittelbar herbeiführt (BGH 6. April 1954 - 5 StR 74/54 - BGHSt 6, 115) . Der Täter muss den
Vorteil unmittelbar aus dem Vermögen des Geschädigten in der Weise anstreben, dass der Vorteil
“die Kehrseite des Schadens” ist (BGH 19. Juli 2004 - II ZR 217/03 - NJW 2004, 2668; BGH
19. Juli 2004 - II ZR 218/03 - BGHZ 160, 134) . Ein der Höhe nach mit dem Schaden identischer
Vorteil wird gem. § 263 StGB nicht vorausgesetzt (BGH 29. Mai 1987 - 3 StR 242/86 - BGHSt 34,
379) .
37 Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Der Vorteil der Schuldnerin besteht vorliegend in den
ersparten Aufwendungen für die Insolvenzsicherung. Dadurch ist der Schaden des Klägers,
nämlich die fehlende Sicherung und damit der geringere Wert seiner Forderung, unmittelbar
eingetreten.
38 bb) Wird die vom Kläger behauptete Täuschung tatsächlich festgestellt, so ist auch von der
Erfüllung der subjektiven Tatbestandsmerkmale des § 263 Abs. 1 StGB auszugehen.
39 Hat der Beklagte den Betriebsratsvorsitzenden bewusst getäuscht, obwohl er als Geschäftsführer
der Schuldnerin wusste, dass eine Insolvenzsicherung nicht erfolgt war, so hat er auch mit
Schädigungsvorsatz gehandelt. Es reicht aus, dass der Täter die schadensbegründenden
Umstände kennt (BGH 4. Dezember 2002 - 2 StR 332/02 - NStZ 2003, 264) . Es ist weiter davon
auszugehen, dass es dem Beklagten darauf ankam, die Prämien für die Insolvenzsicherung
zugunsten der Schuldnerin zu sparen und damit der Schuldnerin einen rechtswidrigen
Vermögensvorteil zu verschaffen. Damit wäre auch das Tatbestandsmerkmal der (Dritt-)
Bereicherungsabsicht erfüllt.
Düwell
Reinecke
Krasshöfer
Jungermann
H. Kranzusch