Urteil des BAG vom 27.03.2014
Nachrang von Entgeltansprüchen eines Gesellschafters
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 27.3.2014, 6 AZR 204/12
Nachrang von Entgeltansprüchen eines Gesellschafters
Leitsätze
Setzt ein Arbeitnehmer, der zugleich Gesellschafter des Unternehmens seiner Arbeitgeberin ist,
erhebliche Ansprüche auf Arbeitsentgelt über einen längeren Zeitraum nicht durch, stundet er
diese Forderungen. Die Stundung ist eine Rechtshandlung, die einem Gesellschafterdarlehen
wirtschaftlich entspricht. Die Forderungen sind deshalb im Insolvenzfall nachrangig iSv. § 39
Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO.
Tenor
1. Die Revision des Klägers gegen das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Niedersachsen vom 27. Januar 2012 -
6 Sa 1145/11 - wird zurückgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die insolvenzrechtliche Einordnung von Vergütungsansprüchen.
2 Der Kläger war bis 30. September 2009 als Kfz-Meister bei der A GmbH (Schuldnerin)
beschäftigt. Zugleich war er mit einem Anteil von einem Drittel - 10.000,00 Euro - des
Stammkapitals neben zwei weiteren Gesellschaftern nicht geschäftsführender
Gesellschafter der Schuldnerin. Der Kläger und die Schuldnerin gingen übereinstimmend
davon aus, das Arbeitsverhältnis sei sozialversicherungsfrei. Anfang des Jahres 2009
verbürgte sich der Kläger für die Schuldnerin. Das Arbeitsverhältnis endete aufgrund
ordentlicher Kündigung der Schuldnerin. Ihre beendigende Wirkung stellten der Kläger und
die Schuldnerin durch gerichtlichen Vergleich unstreitig.
3 Der Kläger hat mit seiner am 28. Dezember 2009 beim Arbeitsgericht eingegangenen und
der Schuldnerin am 5. Januar 2010 zugestellten Klage rückständiges Arbeitsentgelt
einschließlich noch abzuführender Steuern von insgesamt 52.615,74 Euro für den Zeitraum
vom 1. Januar 2006 bis 30. September 2009 verlangt. Dieser für die einzelnen Monate
aufgeschlüsselte Gesamtbetrag ist im Verlauf des Rechtsstreits nach Grund und Höhe
unstreitig geworden. Die vorgelegten Entgeltabrechnungen wurden erst nachträglich im
Zusammenhang mit der vergleichsweisen Beendigung des Arbeitsverhältnisses erstellt.
4 Der Kläger hat angenommen, während der gesamten Dauer des Arbeitsverhältnisses
Anspruch auf eine monatliche Bruttovergütung von 3.503,96 Euro gehabt zu haben. Darauf
erhielt er nach eigenen Angaben im Jahr 2006 monatliche Nettozahlungen, die sich
zwischen 1.700,00 und 2.600,00 Euro bewegten. Ausweislich seiner Aufstellung bekam der
Kläger für Februar, Juni, Juli, September, Oktober und Dezember 2006 keinerlei
Nettoentgelt. Die für das Jahr 2007 geleisteten Zahlungen variierten zwischen 800,00 und
2.600,00 Euro, die für das Jahr 2008 zwischen 300,00 und 2.600,00 Euro. Im Jahr 2009
bewegten sich die geleisteten Zahlungen für die Monate Januar bis Juni 2009 nach der
Auflistung des Klägers zwischen 1.100,00 und - in einem Fall - 2.600,00 Euro. Für die
letzten drei Monate des Arbeitsverhältnisses von Juli bis September 2009 wurde keinerlei
Nettoentgelt geleistet.
5 Am 2. Juni 2010 wurde über das Vermögen der Schuldnerin das Insolvenzverfahren
eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt. Das Insolvenzgericht forderte
nicht besonders zur Anmeldung der Vergütungsansprüche des Klägers zur Insolvenztabelle
nach § 174 Abs. 3 Satz 1 InsO auf. Der Kläger hat dennoch anstelle der bisher erstrebten
Leistungen die Feststellung der Forderungen zur Insolvenztabelle verlangt.
6 Der Kläger hat die Auffassung vertreten, mit der zunächst unterbliebenen gerichtlichen
Geltendmachung seiner rückständigen Vergütungsforderungen habe er die Ansprüche nicht
gestundet. Sie entsprächen deshalb nicht wirtschaftlich einem Gesellschafterdarlehen iSv.
§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Die Schuldnerin habe ihm aufgrund seiner mündlichen
Zahlungsaufforderungen immer wieder versichert, dass die Vergütungsbeträge geleistet
würden, zumal er die Entgeltabrechnungen erst nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses
erhalten habe. Auf diese Zusagen habe er sich verlassen, bis das Arbeitsverhältnis
gekündigt worden sei. Die Vergütungsansprüche seien zudem zunächst noch streitig
gewesen, wie sich aus der Klageerwiderung ersehen lasse. Sie seien erst nach dem
Übergang auf die Feststellungsklage unstreitig geworden. Daran zeige sich, dass er die
Ansprüche keineswegs freiwillig gestundet habe, sondern von der Schuldnerin vertröstet
worden sei. Die Anfang 2009 gewährte Bürgschaft stehe einem Gesellschafterdarlehen
gleich, nicht aber die streitgegenständlichen Vergütungsforderungen.
7 Der Kläger hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass seine Forderung iHv. 52.615,74 Euro im Rahmen des
Insolvenzverfahrens beim Amtsgericht Lingen zum Aktenzeichen - 18 IN 21/10 - zur
Insolvenztabelle festzustellen ist.
8 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat gemeint, die Stundungen der
Vergütungsansprüche seien als Rechtshandlungen zu qualifizieren, die einem
Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprächen. Die Forderungen seien daher
nachrangig iSv. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Bereits die Gesamthöhe der Forderungen von
52.615,74 Euro belege, dass nicht einfach nur Ansprüche eines „einfachen“ Arbeitnehmers
aufgelaufen seien. Kein „normaler“ Arbeitnehmer komme auf die Idee, seine
Entgeltforderungen in diesem Umfang über mehrere Jahre zu stunden. Der Kläger sei nicht
nur Gesellschafter der Insolvenzschuldnerin gewesen, sondern bei dieser auch in leitender
Stellung als Kfz-Meister tätig gewesen. Er sei deswegen daran interessiert gewesen, die
Liquidität des Unternehmens zu erhalten. Zudem habe er sich neben seiner
gesellschaftlichen Beteiligung im Jahr 2009 für die Schuldnerin verbürgt und damit seine
starke Gesellschafterstellung unterstrichen.
9 Die Vorinstanzen haben die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision hält der Kläger an seinem Feststellungsantrag fest.
Entscheidungsgründe
10 Die Revision ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben die Klage zu Recht abgewiesen.
11 A. Die Klage ist zulässig.
12 I. Sie ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger erstrebt für die
Monate Januar 2006 bis September 2009 im Einzelnen aufgeschlüsselte
Arbeitsvergütung. Es handelt sich zudem ersichtlich um eine abschließende
Gesamtforderung für diesen Zeitraum.
13 II. Die zuletzt erhobene Feststellungsklage iSv. §§ 38, 179 Abs. 1 InsO erfüllt die
Voraussetzungen des § 256 Abs. 1 ZPO. Für die vom Kläger zur Insolvenztabelle
angemeldeten und vom Beklagten bestrittenen Forderungen besteht das
insolvenzspezifische Feststellungsinteresse (vgl. Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 179 InsO
Rn. 10). Es ergibt sich aus § 189 InsO. Die bestrittenen Forderungen werden bei der
Verteilung nur berücksichtigt, wenn der Gläubiger rechtzeitig nachweist, dass er die
Feststellung betreibt (§ 189 Abs. 1 und 3 InsO). Solange der Feststellungsstreit anhängig
ist, wird der auf die Forderungen entfallende Anteil nach § 189 Abs. 2 InsO zurückbehalten
(vgl. MünchKommInsO/Schumacher 3. Aufl. § 179 Rn. 5, 9). Die Feststellung der
Forderungen sichert das Insolvenzteilnahmerecht. Selbst in masselosen Verfahren haben
die Insolvenzgläubiger ein rechtlich schützenswertes Interesse, an einem geordnet
durchgeführten Insolvenzverfahren teilzunehmen (vgl. BGH 17. Juli 2008 - IX ZR 126/07 -
Rn. 14).
14 B. Die Klage ist unbegründet. Die Ansprüche des Klägers auf Arbeitsentgelt sind nach
dem mittlerweile auch hinsichtlich ihrer Höhe unstreitigen Parteivorbringen auf der
Grundlage von § 611 Abs. 1 BGB entstanden. Sie können wegen ihres Nachrangs jedoch
nicht zur Tabelle festgestellt werden. Die Ansprüche sind insolvenzrechtlich zwar keine
Forderungen auf Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens iSv. § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 1
InsO, weil eine nach § 488 Abs. 1 BGB erforderliche ausdrückliche oder konkludente
Darlehensvereinbarung fehlt (vgl. OLG Koblenz 15. Oktober 2013 - 3 U 635/13 - zu II 1 a
der Gründe; MünchKommInsO/Ehricke 3. Aufl. § 39 Rn. 41 - 42). Sie sind aber als
Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich
entsprechen, einzuordnen (§ 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO). Solche Ansprüche sind als
Insolvenzforderungen eines nachrangigen Gläubigers nur auf besondere Aufforderung des
Insolvenzgerichts nach § 174 Abs. 3 Satz 1 InsO zur Tabelle anzumelden. Dieses
Erfordernis ist hier nicht gewahrt. § 174 Abs. 3 Satz 1 InsO bringt zum Ausdruck, dass
nachrangige Insolvenzgläubiger lediglich in Ausnahmefällen mit einer Befriedigung
rechnen können. Sonst soll das Insolvenzverfahren nicht mit der Anmeldung und Prüfung
der nachrangigen Forderungen belastet werden (vgl. Uhlenbruck/Sinz 13. Aufl. § 174 InsO
Rn. 51).
15 I. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO idF vom 23. Oktober 2008 bestimmt, dass Forderungen auf
Rückgewähr eines Gesellschafterdarlehens oder Forderungen aus Rechtshandlungen,
die einem solchen Darlehen wirtschaftlich entsprechen, nach Maßgabe der Absätze 4
und 5 des § 39 InsO im Rang nach den übrigen Forderungen der Insolvenzgläubiger
berichtigt werden.
16 II. Die Frage des Nachrangs der Forderungen beurteilt sich insgesamt nach der zitierten
Fassung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO. Sie geht auf das Gesetz zur Modernisierung des
GmbH-Rechts und zur Bekämpfung von Missbräuchen vom 23. Oktober 2008 zurück, das
am 28. Oktober 2008 im Bundesgesetzblatt verkündet wurde (MoMiG, BGBl. I S. 2026).
17 1. Nach Art. 103d Satz 1 EGInsO sind nur für die vor Inkrafttreten des MoMiG am
1. November 2008 eröffneten Insolvenzverfahren die bis zu diesem Zeitpunkt geltenden
Vorschriften maßgeblich (vgl. BGH 4. Juli 2013 - IX ZR 229/12 - Rn. 24, BGHZ 198, 77;
28. Juni 2012 - IX ZR 191/11 - Rn. 10, BGHZ 193, 378; 21. Juli 2011 - IX ZR 185/10 -
Rn. 20, BGHZ 190, 364). Das ist hier nicht der Fall. Das Insolvenzverfahren wurde am
2. Juni 2010 eröffnet.
18 2. Die Ausnahmeregelung des Art. 103d Satz 2 EGInsO, der unter bestimmten
Voraussetzungen die Anwendung des zuvor geltenden Rechts anordnet, ist schon
deshalb nicht einschlägig, weil der Kläger keine Rechtshandlung anficht, sondern die
Feststellung von Forderungen zur Tabelle erstrebt.
19 3. Für bereits vor Inkrafttreten des MoMiG gewährte Darlehen oder sog. gleichgestellte
Forderungen gilt ein nach neuem Recht bestehender Nachrang, wenn die Insolvenz - wie
hier - nach Inkrafttreten des MoMiG am 1. November 2008 eröffnet wurde.
20 a) § 19 Abs. 2, § 39 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 4 und 5 sowie § 44a InsO knüpfen an die sog.
Novellenregeln der früheren §§ 32a und 32b GmbHG an und übernehmen deren Funktion
(vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 42; BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 - Rn. 12, BGHZ 196,
220). Auch bei den aufgehobenen §§ 32a und 32b GmbHG handelte es sich der Sache
nach um insolvenzrechtliche Vorschriften (vgl. Kammeter/Geißelmeier NZI 2007, 214,
218). Der Gesetzgeber hat die Aufhebung dieser Bestimmungen durch Art. 1 Nr. 22
MoMiG damit begründet, die Regelungen zu den Gesellschafterdarlehen würden in das
Insolvenzrecht verlagert, wo sie systematisch hingehörten (vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 42;
BGH 21. Juli 2011 - IX ZR 185/10 - Rn. 30, BGHZ 190, 364).
21 b) Die Neuregelung durch das MoMiG erschöpft sich allerdings nicht nur in der
Verlagerung der Novellenregeln der aufgehobenen §§ 32a, 32b GmbHG in das förmliche
Insolvenzrecht.
22 aa) Durch den mit Art. 1 Nr. 20 MoMiG eingefügten § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG wurden die
Rechtsprechungsregeln zu den eigenkapitalersetzenden Gesellschafterdarlehen
aufgegeben. Nach § 30 Abs. 1 Satz 3 GmbHG sind Gesellschafterdarlehen und
gleichgestellte Leistungen nicht mehr wie Stammkapital zu behandeln. Bei der
insolvenzrechtlichen Behandlung von Gesellschafterdarlehen wurde deswegen auf das
qualifizierende Merkmal des (Eigen-)Kapitalersatzes verzichtet (vgl. BGH 4. Juli 2013 -
IX ZR 229/12 - Rn. 29, BGHZ 198, 77; 7. März 2013 - IX ZR 7/12 - Rn. 14; 28. Juni 2012 -
IX ZR 191/11 - Rn. 12, BGHZ 193, 378; zum Begriff des kapitalersetzenden Charakters
nach früherem Recht BGH 21. Juli 2011 - IX ZR 185/10 - Rn. 36, BGHZ 190, 364). Auch
das frühere Erfordernis einer Krise der Gesellschaft muss nicht mehr hinzutreten (vgl. BT-
Drucks. 16/6140 S. 26, 57; BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 - Rn. 10 mwN, BGHZ 196,
220; 17. Februar 2011 - IX ZR 131/10 - Rn. 25, BGHZ 188, 363; Smid DZWIR 2012, 1, 14).
Die Forderung aus einem Gesellschafterdarlehen soll bei Eintritt der Insolvenz stets
nachrangig iSv. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO sein (vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 42, 56).
23 bb) In der Folge dieser Änderung wird durch eine Verschärfung des
Anfechtungstatbestands in § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO die Rückgewähr jedes
Gesellschafterdarlehens durch die Gesellschaft binnen eines Jahres vor dem
Eröffnungsantrag von der Insolvenzanfechtung erfasst. Die Anfechtung beschränkt sich
nicht mehr auf Fälle, in denen zurückgezahlte Gesellschafterdarlehen
eigenkapitalersetzend waren und die Befriedigung der Gesellschafter ihrer
Finanzierungsfolgenverantwortung widersprach (vgl. BGH 7. März 2013 - IX ZR 7/12 -
Rn. 14; Karsten Schmidt BB 2008, 1966, 1969). Damit sollen Schutzlücken vermieden
werden (vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 42; BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 - Rn. 10,
BGHZ 196, 220).
24 cc) Die durch das MoMiG umgestalteten § 39 Abs. 1 Nr. 5, § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO stehen
dennoch mit der Legitimationsgrundlage des früheren Rechts - der
Finanzierungsfolgenverantwortung - im Einklang.
25 (1) Das zeigt die ausdrückliche Bezugnahme des Gesetzgebers auf die Novellenregeln
und die Erläuterung, die Regelung der Gesellschafterdarlehen in das Insolvenzrecht
verlagert zu haben (vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 42; BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 -
Rn. 18, BGHZ 196, 220). Diese Würdigung entspricht dem Ziel des Gesetzgebers,
Forderungen aus Gesellschafterdarlehen zugunsten der Gläubigergesamtheit stets mit
Nachrang zu versehen und fragwürdige Auszahlungen an Gesellschafter in einer
typischerweise kritischen Zeitspanne einem konsequenten Anfechtungsregime zu
unterwerfen (vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 26). Anfechtungsrechtlicher Regelungszweck ist
zu verhindern, dass Gesellschafter, die über die finanzielle Lage ihres Unternehmens
aufgrund des gesellschaftsrechtlichen Näheverhältnisses regelmäßig wohlinformiert sind,
der Gesellschaft zur Verfügung gestellte Kreditmittel zulasten der Gläubigergesamtheit
entziehen (vgl. BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 - aaO).
26 (2) Dieser sog. Insidergedanke ist aber nicht der maßgebliche Grund für den gesetzlichen
Nachrang noch offener Gesellschafterforderungen. Der typischerweise gegebene
Informationsvorsprung des Gesellschafters kann zur Folge haben, dass ein gewährtes
Darlehen vor der offenkundigen Insolvenz abgezogen wird. Er führt jedoch nicht dazu,
dass ein mit den Verhältnissen der Schuldnerin besonders vertrauter „Insider“ der
Gesellschaft ein Darlehen gewährt und es vor der Insolvenz nicht mehr zurückfordert (vgl.
BGH 17. Februar 2011 - IX ZR 131/10 - Rn. 17, BGHZ 188, 363). Der Bundesgerichtshof
hat bisher offengelassen, ob der gesetzlichen Neuregelung des Nachrangs von
Forderungen aus Gesellschafterdarlehen oder gleichgestellten Verbindlichkeiten weiter
der Gedanke der Krisenfinanzierung, des Missbrauchs der Haftungsbeschränkung oder
der Schaffung einer Gefahrenlage für den Rechtsverkehr zugrunde liegt oder es sich um
eine bloße gesetzgeberische Entscheidung handelt, die an die Doppelrolle von Gläubiger
und Gesellschafter anknüpft (vgl. BGH 17. Februar 2011 - IX ZR 131/10 - Rn. 16 mwN zu
der Kontroverse, aaO). Die Begründung des Regierungsentwurfs beantwortet die Frage
nicht. Sie trifft aber die Aussage zu dem gesetzgeberischen Ziel, dass jedes
Gesellschafterdarlehen bei Eintritt der Insolvenz nachrangig sein soll (vgl. BT-
Drucks. 16/6140 S. 26). Das macht das Bestreben deutlich, mit dem Nachrang alle
Gesellschafterforderungen zu erfassen, um die vorrangigen Insolvenzgläubiger gegenüber
den nachrangigen Gesellschaftergläubigern zu privilegieren (vgl. OLG Stuttgart 14. Juli
2010 - 3 U 50/10 - zu II 2 a, b bb (2) der Gründe).
27 dd) § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO lässt in besonderem Maß erkennen, dass
Gesellschafterforderungen möglichst umfassend und lückenlos dem gesetzlichen
Nachrang unterfallen sollen. Mithilfe des Tatbestands der sog. gleichgestellten
Forderungen iSv. § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO wird der aufgehobene § 32a Abs. 3 GmbHG
in personeller Hinsicht - auch durch Einbeziehung Dritter - übernommen (vgl. BT-
Drucks. 16/6140 S. 56; BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 - Rn. 11, BGHZ 196, 220;
28. Juni 2012 - IX ZR 191/11 - Rn. 11, BGHZ 193, 378; 17. Februar 2011 - IX ZR 131/10 -
Rn. 10, BGHZ 188, 363). Zugleich wird der sachliche Geltungsbereich des früheren § 32a
Abs. 3 GmbHG im Wesentlichen übertragen (vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 56) und mit Blick
auf die ausreichende bloße wirtschaftliche Entsprechung im Wortlaut klargestellt. § 135
Abs. 1 Nr. 2 InsO unterstellt die Rückgewähr der einem Gesellschafterdarlehen
gleichgestellten und damit nachrangigen Forderung iSv. § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO der
Anfechtung. Gleichgestellte Verbindlichkeiten sind nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO
Forderungen aus Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen - nur -
wirtschaftlich entsprechen. Ernstzunehmende Schutzlücken sollen nicht entstehen (vgl.
BGH 9. Oktober 2012 - II ZR 298/11 - Rn. 12, BGHZ 195, 42). Der Begriff der
Rechtshandlung ist deswegen weit auszulegen. Rechtshandlung ist jedes von einem
Willen getragene Handeln vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens, das eine rechtliche
Wirkung auslöst (vgl. BGH 4. Juli 2013 - IX ZR 229/12 - Rn. 15 mwN, BGHZ 198, 77).
Forderungen aus solchen Rechtshandlungen sind ua. Regressansprüche eines
Gesellschafters nach der Befriedigung eines Gesellschaftsgläubigers (vgl. BGH
1. Dezember 2011 - IX ZR 11/11 - Rn. 9, BGHZ 192, 9).
28 III. Die personellen und sachlichen Voraussetzungen des § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO sind
erfüllt. Die vom Kläger angemeldeten Ansprüche sind Forderungen aus
Rechtshandlungen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechen (sog.
gleichgestellte Forderungen; BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 - Rn. 11, BGHZ 196,
220; Spahlinger/Müller Anm. BB 2011, 851, 853).
29 1. Die Sachverhalte, die der Hingabe eines Darlehens durch einen Gesellschafter
wirtschaftlich ähneln, sind vielgestaltig. Sie müssen im Interesse des Gläubigerschutzes
entsprechenden Rechtsfolgen wie ein Gesellschafterdarlehen unterworfen werden. Der
Gesetzgeber hat deshalb bereits bei Einführung der Novellenregeln der aufgehobenen
§§ 32a und 32b GmbHG abweichend vom Regierungsentwurf nicht versucht, die in
Betracht kommenden Tatbestände kasuistisch zu regeln. Vielmehr sollte es der
Rechtsprechung mithilfe der Generalklausel des früheren § 32a Abs. 3 GmbHG ermöglicht
werden, nicht ausdrücklich vom Wortlaut des Gesetzes erfasste, jedoch vergleichbare
Sachverhalte gleichzubehandeln (vgl. BGH 21. Februar 2013 - IX ZR 32/12 - Rn. 12,
BGHZ 196, 220; 17. Februar 2011 - IX ZR 131/10 - Rn. 13, BGHZ 188, 363 unter Hinweis
auf BT-Drucks. 8/3908 S. 73 f.). Diese Regelungstechnik haben Nr. 5 Buchst. a und Nr. 8
des Art. 9 MoMiG in Anlehnung an den aufgehobenen § 32a Abs. 3 GmbHG durch die
Einführung des Merkmals der wirtschaftlich entsprechenden Rechtshandlung in § 39
Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2, § 135 Abs. 1 InsO beibehalten. Die „Umgehungstatbestände“ sind nicht
konkretisiert, um mögliche Lücken zu vermeiden (vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 56). Daher ist
auch bei der Auslegung des Tatbestands der gleichgestellten Forderung iSv. § 39 Abs. 1
Nr. 5 Alt. 2, § 135 Abs. 1 Nr. 2 InsO übereinstimmend mit dem früheren Recht dafür zu
sorgen, dass der Gesellschafter das mit einer Darlehensgewährung verbundene Risiko
nicht auf die Gemeinschaft der Gesellschaftsgläubiger abwälzt (vgl. BGH 21. Februar 2013
- IX ZR 32/12 - aaO mit Bezug auf BT-Drucks. 8/1347 S. 39).
30 2. Nach diesen Grundsätzen haben die Vorinstanzen zu Recht angenommen, die
erhobenen Entgeltansprüche seien insolvenzrechtlich Rückgewähransprüche aus
Rechtshandlungen, die Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprächen (§ 39 Abs. 1
Nr. 5 Alt. 2 InsO). Die tatrichterliche Würdigung des Landesarbeitsgerichts im Einzelfall
(vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG 9. Juli 2013 - 9 U 15/13 - zu I der Gründe) lässt keinen
Rechtsfehler erkennen.
31 a) Der Kläger hat seine erheblichen rückständigen Vergütungsansprüche aus den
Jahren 2006 bis 2009 erst mit der am 28. Dezember 2009 eingereichten Klage anhängig
gemacht. Das Landesarbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass ein „normaler“
Arbeitnehmer in derselben Lage nicht so lange gewartet hätte, bis er seine
Vergütungsansprüche gegenüber seinem Arbeitgeber gerichtlich geltend gemacht hätte,
zumal der Kläger für die Arbeitsleistung einiger Monate keinerlei Nettoentgelt erhielt. Er
konnte seine Vergütungsansprüche nach den insoweit unangegriffenen Feststellungen
des Berufungsgerichts errechnen, obwohl ihm zunächst keine Verdienstabrechnungen
erteilt worden waren. Aus diesen Umständen hat das Landesarbeitsgericht in
revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise geschlossen, dass der Kläger seine
fälligen Forderungen „stehenließ“. Dem steht nicht entgegen, dass er die Ansprüche nach
seinem Vorbringen mehrfach außergerichtlich geltend machte und die Forderungen vor
der Insolvenzeröffnung der Höhe nach streitig waren. Das Landesarbeitsgericht hat zu
Recht angenommen, gerade in einer solchen Situation hätte es nahegelegen, den
Rechtsweg zu beschreiten, um die Ansprüche durchzusetzen. Die zunächst unterbliebene
gerichtliche Geltendmachung über mehrere Jahre hinweg wich erheblich vom
verkehrsüblichen Verhalten eines Arbeitnehmers ab (vgl. Schleswig-Holsteinisches OLG
29. Mai 2013 - 9 U 15/13 - zu I der Gründe).
32 b) Der Kläger ließ seine Forderungen demnach aufgrund seiner Gesellschafterstellung
stehen. Indem er seine fälligen Ansprüche nicht durchsetzte, stundete er sie konkludent.
33 aa) Seit der Novellierung des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO durch das MoMiG kommt es nicht
mehr auf die Merkmale des Eigenkapitalersatzes und der Gesellschaftskrise an. Die
zunächst unterbliebene Durchsetzung fälliger Forderungen ist jedoch nach wie vor als
Rechtshandlung einzuordnen, die einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich iSv. § 39
Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO entspricht (vgl. etwa Schleswig-Holsteinisches OLG 29. Mai 2013 -
9 U 15/13 - zu I der Gründe; 13. Januar 2012 - 4 U 57/11 - zu II 1 der Gründe). Das gilt
auch dann, wenn das zugrunde liegende Geschäft - wie hier - kein Darlehensvertrag ist
(vgl. noch zum früheren Recht der §§ 32a, 32b GmbHG BGH 2. April 2009 - IX ZR 236/07 -
Rn. 14 ff.; 5. Juli 2007 - IX ZR 221/05 - Rn. 25, BGHZ 173, 103; 16. Juni 1997 - II ZR
154/96 - zu I 1 der Gründe; zum neuen Recht des § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO zB
MünchKommInsO/Ehricke 3. Aufl. § 39 Rn. 43; Uhlenbruck/Hirte 13. Aufl. § 39 InsO
Rn. 38; Kleindiek in HK/InsO 6. Aufl. § 39 Rn. 35; Lüers AnwZert InsR 19/2009 Anm. 2
zu B II 1). Der Begriff der einem Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich entsprechenden
Rechtshandlung ist weit auszulegen (vgl. BGH 4. Juli 2013 - IX ZR 229/12 - Rn. 15 mwN,
BGHZ 198, 77).
34 bb) Das Grundrecht auf ein menschenwürdiges Existenzminimum verlangt nicht,
Teilbeträge der Vergütungsansprüche des Klägers zur Tabelle festzustellen.
35 (1) Art. 1 Abs. 1 iVm. Art. 20 Abs. 1 GG begründet ein Grundrecht auf ein
menschenwürdiges Existenzminimum. In Wechselwirkung mit dem durch Art. 12 Abs. 1
und Art. 14 Abs. 1 GG verbürgten Recht auf persönliche Entfaltung im
vermögensrechtlichen und beruflichen Bereich verbietet das Grundrecht dem Staat, auf
den Kernbestand des selbst erzielten Einkommens des Grundrechtsträgers zuzugreifen.
Auch im Gläubiger-Schuldner-Verhältnis darf der Staat seinen Zwangsapparat
grundsätzlich nicht zur Verfügung stellen, um einem Einzelnen den Teil des Einkommens
zu entziehen, der zur Sicherung des Existenzminimums erforderlich ist (vgl. BAG
29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12 - Rn. 19 f. mwN). Der Senat hat offengelassen, ob das im
Entgelt enthaltene Existenzminimum in Fällen kongruenter Deckungen in Anlehnung an
die Höhe der Pfändungsfreigrenzen durch verfassungskonforme Auslegung der §§ 129 ff.
InsO anfechtungsfrei zu stellen ist (vgl. BAG 29. Januar 2014 - 6 AZR 345/12 - Rn. 17 ff.).
36 (2) Die beschriebene Anfechtungskonstellation unterscheidet sich vom Nachrang von
Rückgewähransprüchen aus Rechtshandlungen, die Gesellschafterdarlehen wirtschaftlich
entsprechen. Eine verfassungskonforme Auslegung von § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO ist
nicht geboten. Im Fall einer nachträglichen Stundung von Entgeltansprüchen begibt sich
der Arbeitnehmer nicht unter Zwang, sondern in seiner Funktion als Gesellschafter
freiwillig für eine gewisse Zeit der (gerichtlichen) Durchsetzung seiner Forderungen. Ihm
wäre es möglich gewesen, vor Insolvenzeröffnung anstelle der Stundung gerichtliche Hilfe
in Anspruch zu nehmen, um sein Existenzminimum zu sichern (vgl. für den anderen Fall
einer Anfechtung nach einer Erfüllung erheblicher Entgeltansprüche unter dem Druck der
Zwangsvollstreckung bei inkongruenter Deckung BAG 27. Februar 2014 - 6 AZR 367/13 -
Rn. 34 mwN).
37 IV. Der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO für die Rückgewähransprüche des
Klägers ist nicht ausgeschlossen. Das Sanierungsprivileg des § 39 Abs. 4 Satz 2 InsO
oder das Kleinbeteiligtenprivileg des § 39 Abs. 5 InsO finden keine Anwendung.
38 1. Der Kläger hat keine Gesellschaftsanteile in einer Sanierungssituation erworben. § 39
Abs. 4 Satz 2 InsO privilegiert nur Beteiligungen, die zum Zweck der Sanierung erworben
werden, nicht dagegen Darlehen oder entsprechende Rechtshandlungen, die ein schon
beteiligter Gesellschafter gewährt (vgl. Kleindiek in HK/InsO 6. Aufl. § 39 Rn. 51, 53; Lüers
AnwZert InsR 19/2009 Anm. 2 zu B II 2 b).
39 2. Der Kläger ist mit einem Drittel, also mit mehr als 10 % am Haftkapital der Schuldnerin
beteiligt. Seine Forderungen unterfallen deshalb nicht dem Kleinbeteiligtenprivileg des
§ 39 Abs. 5 InsO. Maßgeblich ist allein die Kapitalbeteiligung (Kleindiek in HK/InsO
6. Aufl. § 39 Rn. 59 mwN).
40 V. In dem Umstand, dass der umfassende und kraft Gesetzes eintretende Nachrang des
§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO auch für Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Forderungen
gilt, die vor Inkrafttreten des MoMiG gewährt wurden, wenn die Insolvenz erst danach
eröffnet wurde, liegt keine unzulässige echte Rückwirkung (vgl. BGH 17. Februar 2011 -
IX ZR 131/10 - Rn. 8 mwN, BGHZ 188, 363; Lüers AnwZert InsR 19/2009 Anm. 2 zu B I;
Kammeter/Geißelmeier NZI 2007, 214, 218). Dem steht der Gedanke des
Vertrauensschutzes nicht entgegen, obwohl die Neuregelung auf die früheren
qualifizierenden Kriterien des Eigenkapitalersatzes und der Gesellschaftskrise verzichtet.
§ 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO idF des MoMiG kommt nur unechte Rückwirkung zu, die nach
Abwägung der betroffenen Interessen zulässig ist.
41 1. Das grundsätzliche Verbot rückwirkender belastender Gesetze beruht auf den
Prinzipien der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes. Es schützt das Vertrauen in
die Verlässlichkeit und Berechenbarkeit der unter Geltung des Grundgesetzes
geschaffenen Rechtsordnung und der auf ihrer Grundlage erworbenen Rechte. Wenn der
Gesetzgeber die Rechtsfolge eines der Vergangenheit zugehörigen Verhaltens
nachträglich belastend ändert, muss das vor dem Rechtsstaatsprinzip und den
Grundrechten, unter deren Schutz Sachverhalte „ins Werk gesetzt“ worden sind,
besonders gerechtfertigt werden. Die Grundrechte und das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20
Abs. 3 GG gewährleisten in ihrem Zusammenwirken die Verlässlichkeit der
Rechtsordnung als wesentliche Voraussetzung für die Selbstbestimmung über den
eigenen Lebensentwurf als Grundbedingung freiheitlicher Verfassungen. Einzelne wären
in ihrer Freiheit erheblich gefährdet, dürfte die öffentliche Gewalt an ihr Verhalten oder an
sie betreffende Umstände ohne Weiteres im Nachhinein belastendere Rechtsfolgen
knüpfen, als sie zum Zeitpunkt ihres rechtserheblichen Verhaltens galten (vgl. nur BVerfG
10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - Rn. 41, BVerfGE 132, 302; 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -
Rn. 71, BVerfGE 131, 20).
42 2. Eine Rechtsnorm entfaltet echte Rückwirkung, wenn sie in einen abgeschlossenen
Sachverhalt nachträglich ändernd eingreift.
43 a) Das ist insbesondere der Fall, wenn die Rechtsfolge der Vorschrift mit belastender
Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene
Tatbestände gelten soll („Rückbewirkung von Rechtsfolgen“; vgl. zB BVerfG 17. Dezember
2013 - 1 BvL 5/08 - Rn. 41; 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12 - Rn. 72). Ein
von der Rückwirkung betroffener Tatbestand darf in der Vergangenheit nicht nur begonnen
haben. Er muss bereits abgewickelt sein. Dadurch wird die betroffene Rechtsposition
nachträglich entwertet (vgl. BVerfG 29. Februar 2012 - 1 BvR 2378/10 - Rn. 48). Ein
Tatbestand ist bei Rechtssätzen, die unmittelbar Rechtsansprüche einräumen, schon mit
der Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale und damit der Entstehung des
Anspruchs abgewickelt (vgl. BVerfG 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06, 1 BvL 12/06, 1 BvL 13/06,
1 BvR 2530/05 - Rn. 71, BVerfGE 126, 369).
44 b) Normen mit echter Rückwirkung sind grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig.
Erst mit Verkündung, dh. mit Ausgabe des ersten Stücks des Verkündungsblatts, ist eine
Norm rechtlich existent. Bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen
Gesetzesbeschluss des Bundestags, müssen von einem Gesetz Betroffene grundsätzlich
darauf vertrauen können, dass ihre auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht
durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung
nachteilig verändert wird (vgl. BVerfG 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - Rn. 42,
BVerfGE 132, 302; 7. Juli 2010 - 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 - Rn. 56,
BVerfGE 127, 1). Der Gesetzgeber kann daher berechtigt sein, den zeitlichen
Anwendungsbereich einer Norm im Sinn einer echten Rückwirkung auch auf den Zeitraum
zwischen Gesetzesbeschluss und Verkündung zu erstrecken (vgl. BVerfG 7. Juli 2010 -
2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06 - Rn. 90, BVerfGE 127, 31).
45 c) Ausnahmsweise können zwingende Belange des Gemeinwohls oder ein nicht - oder
nicht mehr - vorhandenes schutzwürdiges Vertrauen des Einzelnen es erlauben, das
Verbot einer echten Rückwirkung zu durchbrechen (vgl. BVerfG 2. Mai 2012 - 2 BvL 5/10 -
Rn. 72 mwN, BVerfGE 131, 20).
46 3. Um unechte Rückwirkung handelt es sich demgegenüber, wenn eine Norm auf
gegenwärtige, noch nicht abgeschlossene Sachverhalte und Rechtsbeziehungen für die
Zukunft einwirkt und damit zugleich die betroffene Rechtsposition entwertet. Das ist der
Fall, wenn belastende Rechtsfolgen einer gesetzlichen Regelung erst nach ihrer
Verkündung eintreten, tatbestandlich aber von einem bereits „ins Werk gesetzten“
Sachverhalt ausgelöst werden („tatbestandliche Rückanknüpfung“; vgl. zB BVerfG 11. Juli
2013 - 2 BvR 2302/11, 2 BvR 1279/12 - Rn. 72; 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - Rn. 43,
BVerfGE 132, 302). Unechte Rückwirkung ist grundsätzlich zulässig. Grenzen ihrer
Zulässigkeit können sich allerdings aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes und dem
Verhältnismäßigkeitsprinzip ergeben. Diese Grenzen sind erst überschritten, wenn die
vom Gesetzgeber angeordnete unechte Rückwirkung nicht geeignet oder erforderlich ist,
um den Gesetzeszweck zu erreichen, oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen
die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. für die st. Rspr. BVerfG
10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - aaO; 4. November 2010 - 1 BvR 1981/07 - Rn. 24). Knüpft
der Gesetzgeber für künftige Rechtsfolgen an zurückliegende Sachverhalte an, sind die
Interessen der Allgemeinheit, die mit der Regelung verfolgt werden, und das Vertrauen
des Einzelnen auf die Fortgeltung der Rechtslage abzuwägen (vgl. BVerfG 2. Mai 2012 -
2 BvL 5/10 - Rn. 74, BVerfGE 131, 20; 4. November 2010 - 1 BvR 1981/07 - Rn. 24; 7. Juli
2010 - 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 - Rn. 58, BVerfGE 127, 1).
47 4. Mit Blick auf die beschriebenen verfassungsrechtlichen Grenzen rückwirkender
Gesetzgebung ist der Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO im Rahmen von Insolvenzen,
die nach Inkrafttreten des MoMiG eröffnet wurden, auch für Gesellschafterforderungen, die
vor Verkündung des MoMiG „stehengelassen“ wurden, nicht zu beanstanden.
48 a) § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO kommt keine echte, sondern unechte Rückwirkung zu. Deren
Grenzen sind nicht überschritten.
49 aa) Die Norm greift nicht in den anspruchsbegründenden Tatbestand des § 611 Abs. 1
BGB ein. Bei Rechtssätzen, die unmittelbar Rechtsansprüche einräumen, ist der Anspruch
zwar bereits mit der Verwirklichung der gesetzlichen Tatbestandsmerkmale und damit der
Entstehung des Anspruchs abgewickelt (vgl. BVerfG 21. Juli 2010 - 1 BvL 11/06, 1 BvL
12/06, 1 BvL 13/06, 1 BvR 2530/05 - Rn. 71, BVerfGE 126, 369). Die Rechtsfolge des § 39
Abs. 1 Nr. 5 InsO lässt den anspruchsbegründenden Tatbestand der
Vergütungsansprüche aus § 611 Abs. 1 BGB in rechtlicher Hinsicht aber unberührt,
obwohl der Nachrang häufig den wirtschaftlichen „Totalausfall“ der Forderungen zur Folge
hat. § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO regelt den insolvenzrechtlichen (Nach-)Rang einer bereits
früher entstandenen Forderung. Dieser Nachrang kann auch für Ansprüche, die schon vor
Verkündung des MoMiG entstanden sind, erst mit dem nach Verkündung und Inkrafttreten
des MoMiG gelegenen Zeitpunkt der Insolvenzeröffnung eintreten, der die Geltung der
Insolvenzordnung auslöst.
50 bb) Die Insolvenz wurde hier am 2. Juni 2010, also deutlich nach Verkündung des MoMiG
am 28. Oktober 2008 und seinem Inkrafttreten am 1. November 2008 eröffnet. Der
Nachrang von Forderungen, die Rückgewähransprüchen aus Gesellschafterdarlehen
nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 Alt. 2 InsO gleichgestellt sind, knüpft nicht unmittelbar an den
Vorgang der Entstehung des ursprünglichen Entgeltanspruchs, sondern daran an, dass
der Anspruch insolvenzrechtlich als Rückgewähranspruch des Gesellschafters
einzuordnen ist und vor Insolvenzeröffnung „stehengelassen“, dh. gestundet wurde. Die
unterbliebene Durchsetzung des Rückgewähranspruchs war bei Verkündung des MoMiG
ein gegenwärtiger, noch nicht abgeschlossener Sachverhalt, der zeitlich andauerte. Die
belastende Rechtsfolge des umfassenden Nachrangs trat daher im Sinn einer unechten
Rückwirkung oder auch tatbestandlichen Rückanknüpfung erst nach Verkündung des
MoMiG ein, knüpfte tatbestandlich aber an den bereits „ins Werk gesetzten“ Sachverhalt
des „Stehenlassens“ der Forderung an (vgl. BVerfG 11. Juli 2013 - 2 BvR 2302/11, 2 BvR
1279/12 - Rn. 72; 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - Rn. 43, BVerfGE 132, 302).
51 b) Diese unechte Rückwirkung ist zulässig.
52 aa) § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO dient dem Zweck, alle Rückgewähransprüche aus
Gesellschafterdarlehen und ihnen gleichgestellte Forderungen bei Eintritt der Insolvenz
dem Nachrang gegenüber den Ansprüchen vorrangiger Insolvenzgläubiger zu unterwerfen
(vgl. BT-Drucks. 16/6140 S. 26). Mit der Aufgabe der qualifizierenden Merkmale des
Eigenkapitalersatzes und der Gesellschaftskrise wählt das Gesetz geeignete und
erforderliche Mittel, um das Ziel dieses umfassenden Nachrangs von
Gesellschafterforderungen zu verwirklichen.
53 bb) Die Interessen der durch die Rechtsänderung betroffenen Gesellschaftergläubiger
überwiegen innerhalb der vorzunehmenden Gesamtabwägung nicht gegenüber dem
Gewicht und der Dringlichkeit der Rechtsänderung.
54 (1) In diesem Zusammenhang kann offenbleiben, ob die vor Inkrafttreten des MoMiG am
1. November 2008 geltende „schwächere“ Regelung des Nachrangs von
Gesellschafterforderungen nach § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO aF bei objektiver Betrachtung
überhaupt geeignet war, ein Vertrauen der betroffenen Personengruppe auf den
Fortbestand der Vorschrift zu begründen. Diese Frage stellt sich nicht nur bei der echten,
sondern erst recht bei der unechten Rückwirkung von Gesetzen. Eine unechte
Rückwirkung kann Vertrauen lediglich in geringerem Maß enttäuschen, als das bei der
echten Rückwirkung der Fall ist (vgl. BVerfG 4. November 2010 - 1 BvR 1981/07 - Rn. 25
mwN).
55 (2) Die Frage kann dahinstehen. Jedenfalls seit Verkündung des MoMiG am 28. Oktober
2008 bestand unter den Gesichtspunkten der Verhältnismäßigkeit und Zumutbarkeit kein
schutzwürdiges Vertrauen von Gesellschaftergläubigern darauf, dass ihre
„stehengelassenen“ Forderungen im Fall der Insolvenzeröffnung nicht dem umfassenden
Nachrang des § 39 Abs. 1 Nr. 5 InsO nF unterfallen würden.
56 (a) Seitdem musste Gesellschaftergläubigern bewusst sein, dass die verschärfenden
Kriterien des Eigenkapitalersatzes und der Gesellschaftskrise für Rückgewähransprüche
aus Gesellschafterdarlehen und gleichgestellte Forderungen im Fall einer nach
Inkrafttreten des MoMiG am 1. November 2008 eröffneten Insolvenz nicht länger
anzuwenden sein würden. Das gilt umso mehr, als das Vertrauen in die Fortgeltung des
bestehenden Rechts in Fällen unechter Rückwirkung schon vor dem endgültigen
Gesetzesbeschluss mit Einbringung der Neuregelung in den Bundestag abgeschwächt
sein kann (vgl. BVerfG 7. Juli 2010 - 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06 - Rn. 91,
BVerfGE 127, 31). Spätestens mit Verkündung des MoMiG war es
Gesellschaftergläubigern zuzumuten, ihr Verhalten auf die beschlossene und verkündete
Gesetzeslage einzurichten (vgl. BVerfG 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - Rn. 55 ff.,
BVerfGE 132, 302; 7. Juli 2010 - 2 BvL 1/03, 2 BvL 57/06, 2 BvL 58/06 - Rn. 90 f.,
BVerfGE 127, 31). Sie konnten davon absehen, ihre Forderungen weiter zu stunden.
57 (b) Der vom Gesetzgeber zu beachtende Vertrauensschutz geht nicht so weit, den
normunterworfenen Personenkreis vor Enttäuschungen zu bewahren (vgl. BVerfG 2. Mai
2012 - 2 BvL 5/10 - Rn. 73 mwN, BVerfGE 131, 20). Die bloße allgemeine Erwartung, das
geltende Recht werde künftig unverändert fortbestehen, genießt keinen besonderen
verfassungsrechtlichen Schutz, wenn - wie hier - keine besonderen Momente der
Schutzwürdigkeit hinzutreten (vgl. BVerfG 10. Oktober 2012 - 1 BvL 6/07 - Rn. 54,
BVerfGE 132, 302; 7. Juli 2010 - 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05 - Rn. 57,
BVerfGE 127, 1). Am Fall des Klägers wird das besonders deutlich. Er hätte schon vor
Eingang der Klage am 28. Dezember 2009 die Zeitspanne seit Verkündung des MoMiG
am 28. Oktober 2008 nutzen können, um seine Forderungen gerichtlich - ggf. zunächst im
Weg einstweiligen Rechtsschutzes - durchzusetzen. Ein Teil dieses Zeitraums fiel noch
nicht in die Jahresfrist vor dem Eröffnungsantrag, die von der Anfechtung des § 135 Abs. 1
Nr. 2 InsO erfasst ist.
58 C. Der Kläger hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision zu tragen.
Fischermeier
Gallner
Krumbiegel
M. Jostes
Sieberts