Urteil des BAG vom 21.02.2013

Außerordentliche Kündigung - Zeitpunkt der Anhörung des Personalrats

BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 21.2.2013, 2 AZR 433/12
Außerordentliche Kündigung - Zeitpunkt der Anhörung des Personalrats
Tenor
1. Auf die Revision des Beklagten wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Nürnberg vom 17. Februar 2012 - 4 Sa 519/10 -
aufgehoben.
2. Die Sache wird zur neuen Verhandlung und Entscheidung, auch über
die Kosten der Revision, an das Landesarbeitsgericht zurückverwiesen.
Tatbestand
1 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.
2 Der Kläger war bei dem Beklagten - einer bayerischen Gemeinde - seit 1998 als
Verwaltungsangestellter beschäftigt. Er hatte die Funktion des Leiters der EDV inne. Auf
sein Arbeitsverhältnis fand der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD) Anwendung.
Laut Arbeitsvertrag war er zunächst in Vergütungsgruppe IV b der Anlage 1a zum BAT
eingruppiert.
3 Im Juni 2009 hörte der Beklagte den Kläger erstmals zu einem Verdacht auf
Arbeitszeitmanipulation an. Am 29. Juni 2009 beschloss der Gemeinderat, dem Kläger
den Abschluss eines Aufhebungsvertrags anzubieten. Da der Kläger das Angebot nicht
annahm, führte der Beklagte weitere Ermittlungen durch. Zu deren Ergebnissen wurde der
Kläger am 11. November 2009 angehört. Er nahm am 19. November 2009 zu den
Vorwürfen Stellung.
4 Auf der Tagesordnung der nächsten Sitzung des Gemeinderats des Beklagten am
2. Dezember 2009 hieß es unter Punkt 3.3:
„[Name des Klägers]: Beratung und ggf. Beschlussfassung über arbeitsrechtliche
Konsequenzen.“
5 Am Sitzungstag beschloss der Gemeinderat gegen Mitternacht, die Beratung und
Beschlussfassung über die den Kläger betreffende Angelegenheit auf den 8. Dezember
2009 zu vertagen. In dieser Sitzung informierte der erste Bürgermeister den Gemeinderat
über die nach Abschluss der Ermittlungen gegen den Kläger erhobenen Vorwürfe. Der
Gemeinderat beschloss daraufhin, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich
zu kündigen.
6 Mit Schreiben vom 14. Dezember 2009 hörte der erste Bürgermeister den Personalrat
unter Schilderung der Vorwürfe zu dieser Absicht an. Der Personalrat verweigerte mit
Schreiben vom 17. Dezember 2009 die Zustimmung. Er rügte, dass er nicht vor der
endgültigen Entscheidung des Gemeinderats beteiligt worden sei, und vertrat die
Auffassung, die vom Beklagten vorgetragenen Gründe seien nicht geeignet, eine
außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Es beständen zudem „erhebliche rechtliche
Bedenken am Zeitpunkt“ des Kündigungsausspruchs.
7 Am 18. Dezember 2009 kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers
außerordentlich fristlos.
8 Mit seiner rechtzeitig erhobenen Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Kündigung
geltend gemacht. Er habe seine Arbeitszeit stets korrekt erfasst. Zudem sei die Frist des
§ 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten worden. Der Beklagte habe schon die Ermittlungen zu
zögerlich durchgeführt. Spätestens am 2. Dezember 2009 aber sei die Frist in Lauf gesetzt
worden, weil die Angelegenheit an diesem Tag sogar auf der Tagesordnung gestanden
habe. Auch sei die Beteiligung des Personalrats nicht ordnungsgemäß erfolgt. Sie hätte
vor und nicht erst nach einer endgültigen Beschlussfassung des Gemeinderats
durchgeführt werden müssen.
9 Der Kläger hat, soweit für die Revision von Belang, beantragt
festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des
Beklagten vom 18. Dezember 2009 nicht beendet worden ist.
10 Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Er hat behauptet, der Kläger habe im
Zeitraum von August 2008 bis Mai 2009 in mindestens zwölf Fällen etwa zehn bis
fünfzehn Minuten vor dem Betreten des Dienstgebäudes telefonische „Kommt-Buchungen“
vorgenommen und dadurch die Erfassung seiner Arbeitszeit manipuliert. Um den im Juni
2009 entstandenen Anfangsverdacht belegen zu können, habe es umfangreicher
Ermittlungen bedurft, welche erst im November 2009 abgeschlossen gewesen seien. Die
Angelegenheit sei sodann auf die Tagesordnung der nächsten Gemeinderatssitzung
gesetzt worden. Um Mitternacht sei es für keinen der Beteiligten mehr zumutbar gewesen,
auch die Angelegenheit des Klägers noch zu behandeln. Der Personalrat sei
ordnungsgemäß beteiligt worden. Erst nachdem seine Stellungnahme vorgelegen habe,
habe der erste Bürgermeister die Kündigung ausgesprochen.
11 Die Vorinstanzen haben der Klage stattgegeben. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt der Beklagte sein Begehren weiter, die Klage
abzuweisen.
Entscheidungsgründe
12 Die Revision ist begründet. Das angegriffene Urteil war aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO).
Auf der Grundlage seiner bisherigen Feststellungen durfte das Landesarbeitsgericht die
außerordentliche Kündigung nicht als unwirksam ansehen. Seine Entscheidung stellt sich
auch nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 561 ZPO). Die Sache war an das
Landesarbeitsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Der Senat kann nicht
abschließend entscheiden. Der relevante Sachverhalt ist noch nicht hinreichend
festgestellt (§ 563 Abs. 3 ZPO).
13 I. Die Kündigung ist nicht deshalb unwirksam, weil der erste Bürgermeister des Beklagten
den Kündigungsbeschluss nicht selbst gefasst, sondern einen Beschluss des
Gemeinderats ausgeführt hat. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass
der Gemeinderat gem. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO für den Ausspruch der
Kündigung zuständig war. Der Kläger gehört als ursprünglich in Vergütungsgruppe IV b
der Anlage 1a zum BAT eingruppierter Arbeitnehmer mangels gegenteiliger
Anhaltspunkte zur Gruppe der „Arbeitnehmer ab Entgeltgruppe 9 TVöD“ iSd. Vorschrift.
14 II. Die Kündigung ist nicht wegen unzureichender Anhörung des Personalrats unwirksam
(Art. 77 Abs. 3, Abs. 4 BayPVG). Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts
musste diese gem. Art. 77 Abs. 3 BayPVG zwar vor Ausspruch der Kündigung, nicht aber
entsprechend Art. 70 Abs. 1 Satz 4, Satz 5 BayPVG schon vor dem endgültigen
Kündigungsentschluss des Gemeinderats erfolgen. Es kann deshalb dahinstehen, ob ein
Verstoß gegen diese Vorschrift zur Fehlerhaftigkeit der Personalratsanhörung und
Unwirksamkeit der Kündigung führen würde.
15 1. Gem. Art. 77 Abs. 3 BayPVG ist der Personalrat vor dem Ausspruch einer
außerordentlichen Kündigung anzuhören. Der Dienststellenleiter hat die beabsichtigte
Maßnahme zu begründen. Hat der Personalrat Bedenken, hat er sie unter Angabe der
Gründe dem Dienststellenleiter unverzüglich, spätestens innerhalb von drei Arbeitstagen
schriftlich mitzuteilen.
16 2. Eine bestimmte zeitliche Reihenfolge von Anhörung des Personalrats und
Beschlussfassung des Gemeinderats ist gesetzlich nicht vorgesehen.
17 a) Allerdings soll nach Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG bei Gemeinden die Mitbestimmung
erfolgen, bevor das zuständige Organ endgültig entscheidet. Der Beschluss des
Personalrats ist dem zuständigen Organ zur Kenntnis zu bringen. Diese Regelung gilt
gem. Art. 72 Abs. 1 Satz 3 BayPVG entsprechend für Maßnahmen, an denen der
Personalrat - wie bei der ordentlichen Kündigung (Art. 77 Abs. 1 Satz 1 BayPVG) -
mitwirkt.
18 b) Dagegen wird für das in Art. 77 Abs. 3 BayPVG geregelte Verfahren der Anhörung vor
außerordentlichen Kündigungen nicht auf die Bestimmung des Art. 70 Abs. 1 Satz 4
BayPVG verwiesen. Die Notwendigkeit einer Anhörung des Personalrats vor der
Beschlussfassung des Gemeinderats lässt sich deshalb - anders als offenbar das
Landesarbeitsgericht angenommen hat - nicht unmittelbar aus einer gesetzlich gebotenen
Anwendung von Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG ableiten.
19 c) Für eine analoge Anwendung der in Fällen der Mitwirkung des Personalrats geltenden
Verweisungsregelung des Art. 72 Abs. 1 Satz 3 BayPVG auf die Fälle der Anhörung des
Personalrats iSv. Art. 75 Abs. 3 BayPVG ist kein Raum.
20 aa) Auch wenn der Wortsinn des Gesetzes die Grenze der Auslegung markiert, ist er für
die Rechtsanwendung durch die Gerichte keine unübersteigbare Grenze. Der Richter hat
nicht zwingend am Wortsinn einer Norm haltzumachen (BVerfG 14. Februar 1973 - 1 BvR
112/65 - zu C IV 1 der Gründe, BVerfGE 34, 269). Sowohl seitens der Methodenlehre als
auch von Verfassungs wegen kann es für ihn wegen der Bindung an Gesetz „und Recht“
nach Art. 20 Abs. 3 GG geboten sein, das vom Gesetz Gewollte gegen das im Gesetz
Gesagte zur Geltung zu bringen. Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch
Analogie oder wortsinnunterschreitenden Nichtanwendung des Gesetzes durch
teleologische Reduktion bedarf es dabei einer besonderen Legitimation. Analoge
Gesetzesanwendung setzt voraus, dass der gesetzessprachlich nicht erfasste, dh.
gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung
von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt, wie die
gesetzessprachlich erfassten Fälle. Teleologische Reduktion setzt umgekehrt voraus,
dass der gesetzessprachlich erfasste, dh. der gesetzlich in bestimmter Weise geregelte
Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes nach einer anderen Entscheidung verlangt als
die übrigen geregelten Fälle, um Wertungswidersprüche zu vermeiden (BAG 14. Februar
2007 - 7 ABR 26/06 - Rn. 55, BAGE 121, 212; 29. September 2004 - 1 ABR 39/03 - zu
B III 2 b der Gründe, BAGE 112, 100).
21 bb) Hier ist eine analoge Anwendung von Art. 72 Abs. 1 Satz 3, Art. 70 Abs. 1 Satz 4
BayPVG auf die Fälle der Anhörung des Personalrats nach Art. 75 Abs. 3 BayPVG nicht
geboten. Die Sachverhalte von Mitbestimmung/Mitwirkung auf der einen und bloßer
Anhörung des Personalrats auf der anderen Seite sind zu verschieden, als dass sie nach
einer gleichen Ausgestaltung des Beteiligungsverfahrens verlangten. In den Fällen der
Mitbestimmung und der Mitwirkung sehen Art. 70 bzw. Art. 72 BayPVG mehrstufige
Verständigungsverfahren zwischen Dienststellenleiter und Personalrat vor, wenn dieser
der beabsichtigten Maßnahme seine Zustimmung versagt bzw. Einwendungen gegen sie
erhebt. Der Dienststellenleiter kann die beabsichtigte Maßnahme nicht wirksam
durchführen, wenn er das betreffende weitere Verfahren nicht einhält. Bei seiner
endgültigen Entscheidung soll das zuständige Gemeindeorgan deshalb mögliche
Verweigerungsgründe bzw. Einwendungen des Personalrats kennen, um angesichts ihrer
beurteilen zu können, ob es an der beabsichtigten Maßnahme trotz ihrer zumindest
vorläufigen Undurchführbarkeit und der Notwendigkeit eines Verständigungsverfahrens
nach Art. 70 bzw. Art. 72 BayPVG festhalten will. Diese wegen Art. 77 Abs. 1 BayPVG für
die ordentliche Kündigung gegebene Situation liegt bei außerordentlichen Kündigungen
nicht vor. Auch wenn der Personalrat im Rahmen der Anhörung nach Art. 77 Abs. 3
BayPVG Bedenken gegen die beabsichtigte Kündigung erhebt, ist der Dienststellenleiter
nicht gehalten, vor Ausspruch der Kündigung das Verfahren nach Art. 72 Abs. 3, Abs. 4
BayPVG einzuhalten. Er kann die Kündigung vielmehr - wie der Arbeitgeber nach § 102
BetrVG - trotz der Bedenken des Personalrats erklären, ohne weitere verfahrensrechtliche
Vorgaben beachten zu müssen. Damit wiederum verlangen Gleichheitssatz und
gesetzliche Wertungskonsistenz nicht danach, Art. 70 Abs. 1 Satz 4 BayPVG über das
geschriebene Gesetz hinaus auf die Fälle einer Anhörung des Personalrats nach Art. 77
Abs. 3 BayPVG entsprechend anzuwenden.
22 cc) Eine analoge Anwendung ist auch nicht deshalb geboten, weil nur so Sinn und Zweck
einer Anhörung des Personalrats gewahrt und erreicht werden könnten. Zwar soll die
Anhörung den Arbeitgeber dazu veranlassen, eine geplante Kündigung zu überdenken,
sich mit den Argumenten des Personalrats auseinanderzusetzen und ggf. von der
Kündigung Abstand zu nehmen (vgl. BAG 27. November 2008 - 2 AZR 98/07 - Rn. 36, AP
KSchG 1969 § 1 Nr. 90 = EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 4; zu § 102 BetrVG
KR/Etzel 10. Aufl. § 102 BetrVG Rn. 8). Dieser Zweck wird jedoch auch dann nicht
verfehlt, wenn dem Gemeinderat in den Fällen der außerordentlichen Kündigung die
Stellungnahme des Personalrats bei seiner Beschlussfassung noch nicht bekannt ist. Dem
Schutzzweck der Personalratsbeteiligung ist vielmehr durch die Bestimmungen der
bayerischen Gemeindeordnung hinreichend Rechnung getragen. Der erste Bürgermeister
führt nicht nur den Vorsitz im Gemeinderat und vollzieht als ausführendes Organ dessen
Beschlüsse (Art. 36 BayGO). Der Gesetzgeber hat ihm auch die Funktion des
Dienststellenleiters iSv. Art. 7 Abs. 1, Abs. 2 BayPVG und in Art. 43 Abs. 3 BayGO die des
Dienstvorgesetzten der Beamten und Angestellten der Gemeinde übertragen. Im Rahmen
dieser Funktionen gehört die eigenständige Durchführung der Personalratsanhörung zu
seinen gesetzlichen Aufgaben. Damit hat ihm der Gesetzgeber eine - wenn auch nicht
stets das Kündigungsrecht als solches umfassende - partielle Personalkompetenz
zugewiesen. In deren Rahmen hat er die Pflicht zur sachlichen Beurteilung. Sie verlangt
von ihm, die Stellungnahme des Personalrats gewissenhaft inhaltlich zu prüfen und die
Angelegenheit dem Gemeinderat für den Fall, dass die Stellungnahme zu Bedenken an
der Berechtigung des Kündigungsentschlusses Anlass gibt, erneut zuzuleiten.
23 d) Die Senatsrechtsprechung steht diesem Ergebnis nicht entgegen. Nach der
Entscheidung vom 18. Mai 1994 (- 2 AZR 930/93 - zu III 1 b der Gründe, AP BGB § 626
Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6) ist zwar umgekehrt die
Personalratsanhörung nicht deshalb fehlerhaft, weil sie ohne Vorliegen eines
Kündigungsentschlusses des zuständigen Gremiums durchgeführt wurde, um dieses erst
anschließend und unter Vorlage der Stellungnahme des Personalrats mit der
Angelegenheit zu befassen. Das bedeutet aber nicht, dass die hier eingeschlagene
Vorgehensweise rechtswidrig wäre.
24 3. Danach ist die Anhörung des Personalrats ordnungsgemäß erfolgt. Dieser ist am
14. Dezember 2009 unter Schilderung des aus Sicht des Beklagten kündigungsrelevanten
Sachverhalts über die beabsichtigte Kündigung unterrichtet worden. Der Kläger hat die
inhaltliche Richtigkeit der Information nicht gerügt. Der Personalrat hat binnen dreier Tage
unter Angabe formaler und inhaltlicher Gründe erklärt, seine Zustimmung zur Kündigung
zu verweigern. Damit war das Anhörungsverfahren nach Maßgabe von Art. 77 Abs. 3
BayPVG am 17. Dezember 2009 - also vor Ausspruch der Kündigung - ordnungsgemäß
abgeschlossen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Stellungnahme
des Personalrats dem ersten Bürgermeister Anlass dafür hätte sein müssen, den
Gemeinderat vor der Ausführung des Kündigungsbeschlusses erneut mit der Sache zu
befassen.
25 III. Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich derzeit nicht aus anderen
Gründen als im Ergebnis zutreffend. Die außerordentliche Kündigung ist nach den
bisherigen Feststellungen nicht deshalb unwirksam, weil der Beklagte die Ausschlussfrist
des § 626 Abs. 2 BGB versäumt hätte.
26 1. Nach § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB kann eine außerordentliche Kündigung nur innerhalb
von zwei Wochen erfolgen.
27 a) Die Frist beginnt nach Abs. 2 Satz 2 der Norm mit dem Zeitpunkt, in dem der
Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis
erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und
möglichst vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die
Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Zu
den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung
sprechenden Umstände (BAG 22. November 2012 - 2 AZR 732/11 - Rn. 30; 27. Januar
2011 - 2 AZR 825/09 - Rn. 15, BAGE 137, 54). Der Kündigungsberechtigte, der bislang nur
Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung
berechtigen könnte, kann deshalb nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen
anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 BGB zu
laufen begänne (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - AP BGB § 626 Nr. 231 = EzA
BPersVG § 108 Nr. 5; 17. März 2005 - 2 AZR 245/04 - zu B I 3 der Gründe, AP BGB § 626
Ausschlussfrist Nr. 46 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 9). Sind die Ermittlungen abgeschlossen
und hat er eine hinreichende Kenntnis vom Kündigungssachverhalt, beginnt der Lauf der
Ausschlussfrist. Unbeachtlich ist, ob die Ermittlungsmaßnahmen tatsächlich zur
Aufklärung des Sachverhalts beigetragen haben oder überflüssig waren (BAG
25. November 2010 - 2 AZR 171/09 - aaO; 5. Dezember 2002 - 2 AZR 478/01 - zu
B I 3 c bb (1) der Gründe, AP BGB § 123 Nr. 63 = EzA BGB 2002 § 123 Nr. 1).
28 b) Neben den Mitgliedern der Organe von juristischen Personen und Körperschaften
gehören zu den Kündigungsberechtigten auch die Mitarbeiter, denen der Arbeitgeber das
Recht zur außerordentlichen Kündigung übertragen hat. Dagegen ist die Kenntnis anderer
Personen für den Lauf der Ausschlussfrist grundsätzlich unbeachtlich. Dies gilt auch dann,
wenn den Mitarbeitern Aufsichtsfunktionen übertragen worden sind (BAG 23. Oktober
2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 21, AP BGB § 626 Nr. 217 = EzA BGB 2002 § 626 Nr. 23;
26. November 1987 - 2 AZR 312/87 - RzK I 6g Nr. 13). Nur ausnahmsweise muss sich der
Arbeitgeber die Kenntnis solcher Personen nach Treu und Glauben zurechnen lassen.
Dazu müssen diese Personen eine herausgehobene Position und Funktion im Betrieb
oder in der Verwaltung haben sowie tatsächlich und rechtlich in der Lage sein, einen
Sachverhalt, der Anhaltspunkte für eine außerordentliche Kündigung bietet, so umfassend
zu klären, dass mit ihrer Mitteilung der Kündigungsberechtigte ohne weitere eigene
Nachforschungen seine (Kündigungs-)Entscheidung abgewogen treffen kann.
Dementsprechend müssen diese Mitarbeiter in einer ähnlich selbständigen Stellung sein,
wie ein gesetzlicher oder rechtsgeschäftlicher Vertreter des Arbeitgebers (BAG
23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 a der
Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6;
KR/Fischermeier 10. Aufl. § 626 BGB Rn. 355 mwN; SPV/Preis 10. Aufl. Rn. 810).
Voraussetzung für eine Zurechenbarkeit der Kenntnisse dieser Personen zum Arbeitgeber
ist ferner, dass die Verzögerung bei der Kenntniserlangung in dessen eigener Person auf
einer unsachgemäßen Organisation des Betriebs oder der Verwaltung beruht (BAG
23. Oktober 2008 - 2 AZR 388/07 - Rn. 22, aaO; 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - aaO;
KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 355).
29 2. Danach hat der Beklagte die Erklärungsfrist gewahrt.
30 a) Maßgebend für den Beginn der Frist ist im Streitfall die Kenntnis des Gemeinderats als
des gem. Art. 43 BayGO kündigungsberechtigten Organs. Dieser hatte erst aufgrund der
Erörterungen in der Sitzung vom 8. Dezember 2009 Kenntnis von den aus seiner Sicht
eine außerordentliche Kündigung begründenden Tatsachen erlangt. Diese waren ihm
weder mit der Ladung noch in der Sitzung vom 2. Dezember 2009 mitgeteilt worden. Zwar
war der Gemeinderat bereits am 29. Juni 2009 mit Vorwürfen gegen den Kläger befasst.
An diesem Tag wurde jedoch lediglich beschlossen, dem Kläger einen Aufhebungsvertrag
anzubieten. Falls er diesen nicht annähme, sollten weitere Ermittlungen durchgeführt
werden. Der Gemeinderat besaß zu diesem Zeitpunkt noch keine aus seiner Sicht
hinreichenden, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden Kenntnisse.
31 b) Der Beklagte muss sich die schon länger währende Kenntnis seines ersten
Bürgermeisters von den dem Kündigungsentschluss zugrunde liegenden Umständen nicht
zurechnen lassen. Der erste Bürgermeister hat zwar als Vorgesetzter der
Gemeindebediensteten und Vorsitzender des Gemeinderats eine herausgehobene
Stellung (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 b der Gründe, AP BGB § 626
Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6). Die Tatsache, dass der
Gemeinderat erst am 8. Dezember 2009 von den aus seiner Sicht kündigungsrelevanten
Tatsachen Kenntnis erlangt hat, beruht aber nicht auf einem Organisationsverschulden.
32 aa) Es stellt kein solches Verschulden dar, dass der Gemeinderat seine turnusgemäßen
Sitzungen im Abstand von mehreren Wochen abhält. Der Gemeinderat muss nicht im
Vorhinein mit Blick auf mögliche, nur im Ausnahmefall notwendig werdende
außerordentliche Kündigungen einen engeren Sitzungsrhythmus einplanen. Nach dem
Schutzzweck des § 626 Abs. 2 BGB ist es unbedenklich, eine außerordentliche
Kündigung in der turnusmäßig nächsten Sitzung eines Gemeinderats zu beraten. Für den
Arbeitnehmer iSv. Art. 43 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BayGO ist erkennbar, dass der erste
Bürgermeister auch bei eigener Kenntnis der aus seiner Sicht eine außerordentliche
Kündigung rechtfertigenden Umstände eines Beschlusses des Gemeinderats bedarf und
dieser in der Regel erst in der nächsten Sitzung herbeigeführt werden kann (BAG 18. Mai
1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 c cc der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA
BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).
33 bb) Es kann nicht als Organisationsmangel angesehen werden, dass der erste
Bürgermeister keine Sondersitzung des Gemeinderats einberufen hat. Mit Blick auf die
Größe des Gremiums und die einzuhaltenden Ladungsfristen hätte dies einen nicht
gerechtfertigten Aufwand verursacht (vgl. BAG 18. Mai 1994 - 2 AZR 930/93 - zu II 3 c dd
der Gründe, AP BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 33 = EzA BGB § 626 Ausschlußfrist Nr. 6).
34 cc) Es ist dem Beklagten nicht anzulasten, dass der Gemeinderat die Beratung über eine
Kündigung des Arbeitsvertrags mit dem Kläger nicht mehr - nach Mitternacht - in der
Sitzung vom 2. Dezember 2009 erörtert, sondern diesen Tagesordnungspunkt um sechs
Tage auf die Sitzung vom 8. Dezember 2009 vertagt hat. Dies erscheint mit Blick auf die
Belange der Gemeinderatsmitglieder und die Interessen des Klägers, der einen Anspruch
auf sorgfältige Beratung der ihn betreffenden personellen Angelegenheit hat, als
vertretbare Verzögerung. Der Gemeinderat hat - anders als der Kläger gemeint hat -
personelle Maßnahmen in der Sitzung am 2. Dezember 2009 nicht vorrangig behandeln
müssen. Dem Gemeinderat steht in Bezug auf die Reihenfolge der Beratungen ein
Beurteilungsspielraum zu. Den hat er im Streitfall nicht überschritten. Es ist nicht
unsachlich oder willkürlich, die Tagesordnungspunkte in der vom Vorsitzenden in der
Einladung vorgegebenen Reihenfolge abzuhandeln. Das gilt jedenfalls dann, wenn - wie
hier - nicht von vornherein mit der Vertagung eines oder mehrerer Tagesordnungspunkte
zu rechnen ist.
35 IV. Das Landesarbeitsgericht hat - aus seiner Sicht folgerichtig - nicht geprüft, ob ein
wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB gegeben war.
Ebenso wenig ist es dem Vortrag des Klägers nachgegangen, die Frist des § 626 Abs. 2
BGB sei aufgrund der zögerlichen Durchführung der Ermittlungen bereits vor dem
2. Dezember 2009 verstrichen gewesen. Über beides vermag der Senat mangels
hinreichender Tatsachenfeststellungen nicht selbst zu entscheiden.
Kreft
Berger
Rinck
Söller
B. Schipp