Urteil des BAG vom 13.12.2011
Urlaubsabgeltungsanspruch bei andauernder Arbeitsunfähigkeit nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses - Abgeltung des Zusatzurlaubs nach § 125 SGB 9 - Länge tariflicher Ausschlussfristen
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 13.12.2011, 9 AZR 399/10
Urlaubsabgeltungsanspruch bei andauernder Arbeitsunfähigkeit nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses - Abgeltung des Zusatzurlaubs nach § 125 SGB 9 - Länge tariflicher
Ausschlussfristen
Leitsätze
Der vom Gerichtshof der Europäischen Union aufgestellte Rechtssatz, dass die Dauer des
Übertragungszeitraums, innerhalb dessen der Urlaubsanspruch bei durchgängiger
Arbeitsunfähigkeit nicht verfallen kann, die Dauer des Bezugszeitraums deutlich übersteigen
muss, ist auf die Mindestlänge einer tariflichen Ausschlussfrist für die Geltendmachung des
Anspruchs auf Urlaubsabgeltung nicht übertragbar. Solche Ausschlussfristen können deutlich
kürzer als ein Jahr sein.
Tenor
Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 21. April 2010 - 6 Sa 1944/09 - teilweise
aufgehoben, soweit es die Berufung der Beklagten zurückgewiesen hat.
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Fulda
vom 13. November 2009 - 1 Ca 431/09 - abgeändert, soweit es der Klage
stattgegeben hat. Die Klage wird insgesamt abgewiesen.
Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Hessischen
Landesarbeitsgerichts vom 21. April 2010 - 6 Sa 1944/09 - wird
zurückgewiesen.
Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Tatbestand
1 Der Kläger verlangt von der Beklagten die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs, des
gesetzlichen Mindesturlaubs und des Schwerbehindertenzusatzurlaubs sowie die
Zahlung des tariflichen Urlaubsgelds.
2 Der mit einem Grad von mindestens 50 schwerbehinderte Kläger war seit dem 1. Juni
1978 bei der Beklagten, einer Reifenherstellerin, in einer Fünf-Tage-Woche beschäftigt.
Auf das Arbeitsverhältnis der Parteien fanden die Tarifverträge für die Kautschukindustrie
in Hessen kraft beiderseitiger Tarifbindung sowie aufgrund einzelvertraglicher
Inbezugnahme Anwendung. In § 16 des Manteltarifvertrags für die Kautschukindustrie in
den Ländern Hessen, Niedersachsen, Rheinland-Pfalz und Saarland vom 17. Dezember
2003 (im Folgenden: MTV) heißt es:
„Ausschlussfristen
1. Alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis müssen beiderseitig innerhalb von
drei Monaten nach ihrem Entstehen geltend gemacht werden, und zwar
seitens des Arbeitnehmers bei der Betriebsleitung oder ihrem Beauftragten,
seitens der Betriebsleitung beim Arbeitnehmer.
2. Beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers sind Ansprüche spätestens
zwei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen.
Werden Ansprüche erst später fällig, so berechnet sich die Frist von
zwei Monaten vom Tag der Fälligkeit an.
3. Nach Ablauf dieser Fristen ist die Geltendmachung ausgeschlossen. Das gilt
nicht, wenn die Berufung auf eine Ausschlussfrist wegen des Vorliegens
besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung ist.“
3 Der für mehrere Bundesländer - ua. für das Land Hessen - geltende Urlaubstarifvertrag für
die Betriebe der kautschuk- und kunststoffverarbeitenden Industrie vom 11. Februar 2000
(im Folgenden: UrlaubsTV) sieht auszugsweise Folgendes vor:
„§ 3
Urlaubsdauer
(1) Die Urlaubsdauer beträgt 30 Tage.
(2) Als Urlaubstage zählen alle Kalendertage mit Ausnahme der Samstage, der
Sonntage sowie der gesetzlichen Feiertage.
…
(3) Der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte regelt sich nach den gesetzlichen
Bestimmungen.
§ 4
Urlaubsvergütung
…
II.
(1) Für alle Arbeitnehmer beträgt das zusätzliche Urlaubsgeld je tariflichen
Urlaubstag 35,00 DM.
...“
4 Das Arbeitsentgelt des Klägers betrug zuletzt je Arbeitstag 108,02 Euro brutto.
5 Der Kläger konnte wegen durchgängig andauernder Arbeitsunfähigkeit zwei Tage Urlaub
des Jahres 2004 sowie den gesamten Urlaub des Jahres 2005 und auch nicht den für die
Monate Januar bis April 2006 entstandenen anteiligen Urlaub in Anspruch nehmen. Das
Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 30. April 2006. Die Arbeitsunfähigkeit des
Klägers dauerte auch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses an. Seit dem 1. Mai
2006 bezieht der Kläger eine Rente wegen voller Erwerbsminderung auf Dauer.
6 Mit Schreiben vom 15. Juli 2009 forderte der Kläger von der Beklagten vergeblich die
Abgeltung des nicht genommenen Urlaubs iHv. zwei Arbeitstagen aus dem Jahr 2004, von
35 Arbeitstagen aus dem Jahr 2005 und von 12 Arbeitstagen aus dem Jahr 2006 sowie
die Zahlung des tariflichen Urlaubsgelds für diese 49 Urlaubstage.
7 Der Kläger hat die Ansicht vertreten, Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG des
Europäischen Parlaments und des Rates vom 4. November 2003 über bestimmte Aspekte
der Arbeitszeitgestaltung (im Folgenden: Arbeitszeitrichtlinie) in seiner Auslegung durch
den Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) und das
Bundesarbeitsgericht lasse es nicht zu, dass Urlaubsansprüche bei andauernder
Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers verfallen. Tarifliche Ausschlussfristen von nur zwei
bzw. drei Monaten verstießen gegen die Vorgaben des EuGH.
8 Der Kläger hat beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an ihn 6.170,08 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von
fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15. Juli 2009 zu zahlen.
9 Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, die
neuere Rechtsprechung des EuGH und des Bundesarbeitsgerichts stehe nicht mit Art. 7
der Arbeitszeitrichtlinie in Einklang. Die Klageforderung sei jedenfalls gemäß § 16 MTV
verfallen, da der Kläger die Klageansprüche nicht fristgemäß geltend gemacht habe.
10 Das Arbeitsgericht hat der Klage auf Abgeltung des gesetzlichen Teilurlaubs
einschließlich des Schwerbehindertenzusatzurlaubs für das Jahr 2006 iHv. 899,81 Euro
brutto stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Die hiergegen eingelegte Berufung
des Klägers blieb erfolglos. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts
auf die Berufung der Beklagten teilweise abgeändert und diese nur zur Zahlung von
756,14 Euro brutto verurteilt, weil auch der Schwerbehindertenzusatzurlaub für das Jahr
2006 verfallen sei. Die Parteien verfolgen mit der vom Landesarbeitsgericht für beide
Parteien zugelassenen Revision ihre Anträge auf Zahlung des vollen Klagebetrags bzw.
auf vollständige Klageabweisung weiter.
Entscheidungsgründe
11 A. Die Revision der Beklagten ist begründet. Die Revision des Klägers war dagegen
zurückzuweisen. Die Klage ist insgesamt unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu
Unrecht angenommen, der Anspruch des Klägers auf Abgeltung des anteiligen
gesetzlichen Mindesturlaubs für das Jahr 2006 unterfalle nicht der tariflichen
Ausschlussfrist. Der Kläger ist gemäß § 16 MTV von der Geltendmachung sämtlicher
streitgegenständlicher Ansprüche ausgeschlossen.
12 I. Das Landesarbeitsgericht hat die Beklagte zu Unrecht verurteilt, den anteiligen
gesetzlichen Urlaubsanspruch des Klägers von sieben Arbeitstagen für das Jahr 2006 in
Höhe von 756,14 Euro brutto abzugelten und die hierauf entfallenden Zinsen zu zahlen.
13 1. Die ua. im Land Hessen geltenden Tarifverträge für die Kautschukindustrie fanden auf
das Arbeitsverhältnis der Parteien schon kraft beiderseitiger Tarifbindung Anwendung.
14 2. Der Senat hat bereits entschieden, dass Ansprüche auf Abgeltung des tariflichen
Mehrurlaubs und des gesetzlichen Mindesturlaubs tariflichen Ausschlussfristen unterfallen
können. Der unabdingbare Schutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach §§ 1, 3 Abs. 1,
§ 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG steht dem nicht entgegen (BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 -
Rn. 12 ff., NZA 2011, 1421).
15 Seine frühere Rechtsprechung, der zufolge tarifliche Ausschlussfristen nicht auf
Urlaubsabgeltungsansprüche anzuwenden seien (vgl. zuletzt BAG 20. Januar 2009 -
9 AZR 650/07 - Rn. 21; 20. Mai 2008 - 9 AZR 219/07 - Rn. 48, BAGE 126, 352), hat der
Senat im Hinblick auf Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinieund seiner Auslegung durch den
EuGH für die Fälle fortdauernder Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers ausdrücklich
aufgegeben (BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 14 ff., NZA 2011, 1421). Das ist
eine notwendige Folgewirkung der Aufgabe der Surrogatstheorie (vgl. BAG 24. März 2009
- 9 AZR 983/07 - Rn. 44 ff., BAGE 130, 119; fortgeführt von BAG 4. Mai 2010 - 9 AZR
183/09 - Rn. 17, BAGE 134, 196). Nach der reformierten Rechtsprechung ist der
Urlaubsabgeltungsanspruch ein reiner Geldanspruch, der als solcher den Bedingungen
unterfällt, die nach dem anwendbaren Tarifvertrag für die Geltendmachung von
Geldansprüchen vorgeschrieben sind. Dazu gehören tarifliche Ausschlussfristen.
16 3. Der Kläger ist gemäß § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV mit der Geltendmachung des
Abgeltungsanspruchs für den anteiligen gesetzlichen Mindesturlaub für das Jahr 2006
ausgeschlossen. Er machte den Anspruch nicht innerhalb der Fristen des § 16 Ziff. 1,
Ziff. 2 MTV geltend. Die Obliegenheit, die tariflichen Ausschlussfristen einzuhalten,
verkürzt entgegen der Auffassung des Klägers seine Rechte nicht in unzulässiger Weise.
17 a) Der Anspruch gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG auf Abgeltung des im Jahr des Ausscheidens
entstandenen Teilurlaubs nach § 5 Abs. 1 Buchst. c BUrlG fällt unter die Ausschlussfristen
des § 16 MTV. Sie betreffen nach dem Tarifwortlaut alle Ansprüche aus dem
Arbeitsverhältnis. Zu diesen gehört der Anspruch auf Urlaubsabgeltung. Formulieren
Tarifvertragsparteien keine Einschränkungen, so fallen unter den Begriff der „Ansprüche
aus dem Arbeitsverhältnis” alle gesetzlichen, tariflichen und vertraglichen Ansprüche, die
Arbeitsvertragsparteien aufgrund ihrer durch den Arbeitsvertrag begründeten
Rechtsstellung gegeneinander haben (vgl. BAG 22. Januar 2008 - 9 AZR 416/07 - Rn. 19,
AP TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 191 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 190).
18 § 16 Ziff. 2 MTV verlangt, dass beim Ausscheiden eines Arbeitnehmers „Ansprüche“
spätestens zwei Monate nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses geltend zu machen
sind. Eine Beschränkung auf bestimmte Arten von Ansprüchen sieht die Tarifnorm nicht
vor. Zudem ist die Regelung im Zusammenhang mit der vorangehenden Ziffer auszulegen.
Nach § 16 Ziff. 1 MTV müssen ausdrücklich „alle“ Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis
beiderseitig innerhalb von drei Monaten nach ihrem Entstehen geltend gemacht werden.
Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass die Tarifvertragsparteien die Abgeltung von
Urlaubsansprüchen trotz des allgemein und weit gefassten Wortlauts von den tariflichen
Ausschlussfristen des § 16 MTV ausnehmen wollten, zumal der UrlaubsTV keine
eigenständige Ausschlussfristenregelung für diese Ansprüche enthält. Soweit die ältere
Rechtsprechung des Senats annahm, tarifliche Ausschlussfristen seien dahingehend
auszulegen, dass Urlaubsabgeltungsansprüche im Zweifel von ihnen nicht erfasst werden,
so wird daran nicht festgehalten. Die Rechtsprechung beruhte auf der Surrogatstheorie,
der zufolge Urlaubsabgeltungsansprüche wie Urlaubsansprüche befristet für einen
bestimmten Zeitraum bestanden und deren Erfüllung während dieses Zeitraums stets
verlangt werden konnte (vgl. BAG 24. November 1992 - 9 AZR 549/91 - zu 3 der Gründe,
AP BUrlG § 1 Nr. 23 = EzA TVG § 4 Ausschlussfristen Nr. 102). Diese Auslegungsregel
kann nicht mehr aufrechterhalten werden. Denn nach der neueren Rechtsprechung sind
Urlaubsabgeltungsansprüche reine Geldansprüche. Jedenfalls bei Tarifverträgen, die wie
der MTV nach Ablauf der Umsetzungsfrist der ersten Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am
23. November 1996 abgeschlossen wurden, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass
Ausschlussfristen, die alle Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis erfassen sollen, auch den
Anspruch auf Urlaubsabgeltung zeitlich begrenzen.
19 b) Das Schreiben vom 15. Juli 2009, mit dem der Kläger die Ansprüche erstmals geltend
machte, wahrte nicht die Ausschlussfrist von zwei Monaten nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses gemäß § 16 Ziff. 2 MTV.
20 Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete am 30. April 2006. Ab dem 1. Mai 2006 begann
damit die Ausschlussfrist des § 16 Ziff. 2 MTV zu laufen. Der Fristbeginn wurde nicht
gemäß § 16 Ziff. 2 Satz 2 MTV auf einen späteren Zeitpunkt hinausgeschoben. Nach
dieser Vorschrift berechnet sich die Frist von zwei Monaten vom Tag der Fälligkeit an,
wenn Ansprüche erst später nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig werden.
Auch wenn eine Arbeitsunfähigkeit über den Beendigungszeitpunkt hinaus fortbesteht,
entsteht der Urlaubsabgeltungsanspruch nach § 7 Abs. 4 BUrlG stets mit Beendigung des
Arbeitsverhältnisses und wird gemäß § 271 BGB auch sofort fällig (vgl. BAG 9. August
2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 18 mwN, NZA 2011, 1421; 11. Oktober 2010 - 9 AZN 418/10 -
Rn. 20, AP ArbGG 1979 § 72a Nr. 75 = EzA ArbGG 1979 § 72a Nr. 125). Der Kläger
machte seine Forderung gegenüber der Beklagten nicht binnen zwei Monaten ab dem
Ende des Arbeitsverhältnisses bis zum 30. Juni 2006, sondern erstmals mit Schreiben
vom 15. Juli 2009 geltend.
21 c) Die Beklagte kann sich auf die Ausschlussfrist berufen, ohne dass hierin aufgrund
besonderer Umstände eine unzulässige Rechtsausübung iSd. § 16 Ziff. 3 Satz 2 MTV
läge. Die Parteien haben keine Anhaltspunkte hierfür vorgetragen; im Übrigen sind sie
nicht ersichtlich. Der Kläger beruft sich auch nicht darauf, es sei ihm aufgrund seines
Gesundheitszustands schlechthin unmöglich gewesen, seine Angelegenheiten zu
besorgen. Deshalb wurde der Lauf der Ausschlussfrist auch nicht ausnahmsweise
entsprechend § 206 BGB gehemmt (vgl. zu den allgemeinen Voraussetzungen einer
Hemmung: BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 34 mwN, NZA 2011, 1421; 9. August
2011 - 9 AZR 475/10 - Rn. 49 f., NZA 2012, 166).
22 d) Die Ausschlussfristenregelung des § 16 MTV steht auch in Einklang mit den Vorgaben
der Arbeitszeitrichtlinie. Entgegen der Rechtsansicht des Klägers gebietet Art. 7 der
Arbeitszeitrichtlinie nicht, dass eine Ausschlussfrist für den Urlaubsabgeltungsanspruch
die Dauer des Bezugszeitraums des Urlaubsanspruchs deutlich übersteigt. Eine
Vorlagepflicht nach Art. 267 Abs. 3 AEUV besteht nicht (zur Vorlageverpflichtung: vgl.
BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 20 ff., BAGE 134, 1, unter Bezugnahme auf
BVerfG 25. Februar 2010 - 1 BvR 230/09 - Rn. 15 mwN, AP GG Art. 101 Nr. 65 = EzA
KSchG § 17 Nr. 21). Dies gilt selbst dann, wenn man die Frage, wie die Abgeltung des
Urlaubsanspruchs iSd. Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie dogmatisch einzuordnen ist,
als vom EuGH noch nicht erschöpfend beantwortet ansieht (vgl. zur Problematik des
Surrogatsbegriffs: Düwell DB 2011, 2492 f.).
23 aa) Nach Art. 267 AEUV entscheidet der EuGH im Wege der Vorabentscheidung über die
Auslegung der Handlungen der Organe, mithin auch über die Auslegung von Richtlinien
(vgl. ErfK/Wißmann 12. Aufl. Art. 267 AEUV Rn. 10). Eine Vorlage kommt nur in Betracht,
wenn die Frage des Unionsrechts nach Auffassung des vorlegenden Gerichts für dessen
Entscheidung erforderlich ist. Es ist allein Sache des mit dem Rechtsstreit befassten
nationalen Gerichts, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die
Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung für den Erlass seines Urteils als auch die
Erheblichkeit der dem EuGH ggf. vorzulegenden Fragen zu beurteilen (vgl. EuGH
18. Dezember 2007 - C-341/05 - [Laval] Rn. 45 mwN, Slg. 2007, I-11767).
24 bb) Die Frage, ob die Abgeltung des Urlaubs iSd. Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie ein
Surrogat des Urlaubsanspruchs darstellt, und welche Rechtsfolgen mit dieser Einordnung
verbunden wären, ist im vorliegenden Verfahren nicht entscheidungserheblich. Die beiden
denkbaren dogmatischen Einordnungen des Urlaubsabgeltungsanspruchs führen
vorliegend zum selben Ergebnis.
25 (1) Sieht man die Abgeltung des Urlaubsanspruchs im Rahmen des Art. 7 der
Arbeitszeitrichtlinie entsprechend der neuen Rechtsprechung des Senats zu § 7
Abs. 4 BUrlG - jedenfalls für die Fälle der lang andauernden Krankheit des
Arbeitnehmers - als reinen Geldanspruch an, so enthält die Richtlinie keine Vorgaben
hinsichtlich der Möglichkeit, diesen Anspruch nach nationalem Recht einer zeitlich
befristeten Geltendmachung zu unterwerfen. Seinem bloßen Wortlaut nach enthält Art. 7
Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie nicht einmal das Gebot der Urlaubsabgeltung bei
Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sondern nur das Verbot der Urlaubsabgeltung im
bestehenden Arbeitsverhältnis.
26 (a) Nach der Auslegung des EuGH begründet Art. 7 Abs. 2 der Arbeitszeitrichtlinie
allerdings einen Anspruch des Arbeitnehmers auf eine finanzielle Vergütung. Es steht den
Mitgliedstaaten aber frei, für den wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht
mehr genommenen Urlaub in ihren innerstaatlichen Rechtsvorschriften die
Voraussetzungen für die Ausübung und die Umsetzung des Anspruchs auf bezahlten
Jahresurlaub festzulegen. Sie dürfen lediglich die Entstehung dieses sich unmittelbar aus
der Richtlinie 93/104/EG ergebenden Anspruchs nicht von irgendeiner Voraussetzung
abhängig machen (EuGH 20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff]
Rn. 46, 56, Slg. 2009, I-179). Fehlt es - wie bei dem Urlaubsabgeltungsanspruch - an einer
unionsrechtlichen Regelung des Verfahrens der Rechtsdurchsetzung, ist es Sache der
Mitgliedstaaten, das Verfahren - einschließlich der Verjährungsregelungen - für die Klagen
auszugestalten, die den Schutz der dem Einzelnen aus dem Unionsrecht erwachsenden
Rechte gewährleisten sollen. Bei der Ausgestaltung müssen die Grundsätze der
Gleichwertigkeit und der Effektivität gewahrt werden (vgl. EuGH 18. September 2003 - C-
125/01 - [Pflücke] Rn. 34 mwN, Slg. 2003, I-9375; vgl. zum Verfall von
Urlaubsabgeltungsansprüchen: LAG Düsseldorf 5. Mai 2010 - 7 Sa 1571/09 - zu III 2 der
Gründe, NZA-RR 2010, 568). Die Festlegung angemessener Ausschlussfristen für die
Rechtsverfolgung wahrt diese Grundsätze. Die Ausübung der durch das Unionsrecht
verliehenen Rechte wird dadurch weder praktisch unmöglich gemacht noch übermäßig
erschwert (vgl. EuGH 24. März 2009 - C-445/06 - [Danske Slagterier] Rn. 48, Slg. 2009, I-
2119). In Bezug auf die Erfüllung von Arbeitsentgeltansprüchen hat der EuGH
entschieden, dass insoweit die Verjährungsfrist nicht so kurz sein darf, dass es den
Betroffenen in der Praxis nicht gelingt, die Frist einzuhalten, und sie damit den Schutz
verlieren, den ihnen die Richtlinie garantieren soll (EuGH 16. Juli 2009 - C-69/08 -
[Visciano] Rn. 44, Slg. 2009, I-6741). Die Prüfung, ob die Ausschlussfrist den Grundsatz
der Effektivität wahrt, obliegt dem nationalen Gericht (vgl. EuGH 24. März 2009 - C-
445/06 - [Danske Slagterier] Rn. 34, aaO).
27 (b) Es spricht eine Vermutung dafür, dass die zweimonatige Verfallfrist des § 16
Ziff. 2 MTV angemessen ist. Als tarifliche Regelung unterliegt sie nach deutschem Recht
keiner Angemessenheitskontrolle (vgl. BAG 22. September 1999 - 10 AZR 839/98 -
zu II 3 b cc der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Bau Nr. 226 = EzA TVG § 4
Ausschlussfristen Nr. 132; 6. September 1995 - 5 AZR 174/94 - zu III 1 der Gründe, BAGE
81, 5). Unabhängig davon erscheint eine Frist von zwei Monaten ab Beendigung des
Arbeitsverhältnisses nicht so kurz, dass es Arbeitnehmern, deren Arbeitsverhältnis endet,
nicht gelingen kann, die Frist zur Geltendmachung ihrer Urlaubsabgeltungsansprüche zu
wahren. Dabei ist zu beachten, dass der ausscheidende Arbeitnehmer grundsätzlich dazu
in der Lage ist, seine Ansprüche anhand des Bundesurlaubsgesetzes und der
einschlägigen tariflichen Vorschriften selbst zu berechnen; er ist nicht auf zusätzliche
Auskünfte, deren Einholung zusätzliche Zeit beanspruchen würde, angewiesen. Durch
einen Verfall der Urlaubsabgeltungsansprüche droht - anders als beim Verfall des
Vergütungsanspruchs - nicht, dass der für das Vertragsverhältnis wesentliche
Leistungsaustausch verfehlt wird.
28 Selbst wenn man den Anwendungsbereich des Grundsatzes der Gleichwertigkeit so
ausdehnend verstehen müsste, dass es europarechtlich geboten wäre, die zu
Formularverträgen entwickelten Grundsätze (vgl. BAG 28. September 2005 - 5 AZR
52/05 - zu II 5 der Gründe, BAGE 116, 66) auch für die Angemessenheitsprüfung der
tariflichen Regelung des § 16 Ziff. 2 MTV heranzuziehen und die Zweimonatsfrist deshalb
als unangemessen kurz erschiene, wären die Ansprüche des Klägers jedenfalls aufgrund
der angemessenen dreimonatigen Frist nach § 16 Ziff. 1 MTV verfallen.
29 (2) Wäre der Abgeltungsanspruch nach der Arbeitszeitrichtlinie als Surrogat im Sinne der
früheren Rechtsprechung des Senats zu verstehen, so bedeutete dies, dass der
Urlaubsabgeltungsanspruch kein einfacher Geldanspruch wäre, sondern für ihn dieselben
rechtlichen Regelungen gölten wie für den Urlaubsanspruch selbst. Die Frage, ob der
europarechtlich garantierte Mindesturlaub verfallen kann, ist - soweit vorliegend von
Relevanz - durch die Rechtsprechung des EuGH geklärt: Nach Art. 7 Abs. 1 der
Arbeitszeitrichtlinie treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder
Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der
Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den
einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten
vorgesehen sind. Der EuGH hat dazu festgestellt, dass Art. 7 Abs. 1 der
Arbeitszeitrichtlinie grundsätzlich einer nationalen Regelung nicht entgegensteht, die für
die Ausübung des mit dieser Richtlinie ausdrücklich verliehenen Anspruchs auf bezahlten
Jahresurlaub Modalitäten vorsieht, die sogar den Verlust dieses Anspruchs am Ende
eines Bezugszeitraums oder eines Übertragungszeitraums umfassen. Dieser
grundsätzlichen Feststellung hat der EuGH die Voraussetzung hinzugefügt, dass der
Arbeitnehmer, dessen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erloschen ist, tatsächlich die
Möglichkeit gehabt haben muss, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch
auszuüben (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 26, NZA 2011, 1333;
20. Januar 2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 43, Slg. 2009, I-179).
30 Bezogen auf den Urlaubsabgeltungsanspruch bedeutet die Anwendung dieser
Grundsätze, dass die Richtlinie einer nationalen tariflichen Regelung nicht entgegensteht,
die vorsieht, dass der Anspruch innerhalb von zwei Monaten nach Beendigung des
Arbeitsverhältnisses und der damit einhergehenden Fälligkeit des Anspruchs geltend
gemacht werden muss. Es handelt sich um Bedingungen für die Inanspruchnahme und die
Gewährung, die sich nach dem einzelstaatlichen und nicht nach dem europäischen Recht
richten. Auch die weitere Voraussetzung, an die der EuGH die Zulässigkeit von
Ausschlussfristen knüpft, ist erfüllt. Der Arbeitnehmer hat vor Ablauf der tariflichen
Verfallfrist tatsächlich die Möglichkeit, den ihm mit der Richtlinie verliehenen Anspruch
auszuüben. Diesen wesentlichen Unterschied zwischen dem europarechtlich garantierten
Urlaubsanspruch während des bestehenden Arbeitsverhältnisses und dem
europarechtlich garantierten Urlaubsabgeltungsanspruch bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses verkennt der Kläger. Auch der arbeitsunfähig erkrankte Arbeitnehmer
ist grundsätzlich dazu in der Lage, den auf Zahlung von Geld gerichteten Anspruch
geltend zu machen und seine Erfüllung entgegenzunehmen (vgl. BAG 9. August 2011 -
9 AZR 365/10 - Rn. 29, NZA 2011, 1421). Dass die Arbeitsunfähigkeit für sich genommen
einer Geltendmachung des Urlaubsabgeltungsanspruchs und der Entgegennahme von
Geld nicht entgegensteht, hält der Senat für offenkundig. Er geht davon aus, dass für die
Gerichte der übrigen Mitgliedstaaten und den EuGH die gleiche Gewissheit besteht.
31 Deshalb ist die Vorgabe des EuGH, dass der Übertragungszeitraum deutlich länger sein
müsse als der Bezugszeitraum (EuGH 22. November 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 38,
NZA 2011, 1333), nicht auf den Urlaubsabgeltungsanspruch des dauerhaft erkrankten
Arbeitnehmers übertragbar. Die Vorgabe gilt nur für den Urlaubsanspruch selbst, den der
dauerhaft erkrankte Arbeitnehmer im bestehenden Arbeitsverhältnis tatsächlich nicht in
Anspruch nehmen kann. Die Länge einer tariflichen Frist, nach der der
Urlaubsabgeltungsanspruch dem Verfall unterliegt, kann daher deutlich kürzer als zwölf
Monate sein.
32 4. Der Kläger kann im Hinblick auf die Versäumung der tariflichen Ausschlussfrist auch
keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die
dargestellte langjährige Rechtsprechung des Senats zur Unabdingbarkeit (§ 13 Abs. 1
BUrlG) des Abgeltungsanspruchs hinsichtlich des gesetzlichen Mindesturlaubs aus § 7
Abs. 4 BUrlG überhaupt geeignet war, ein schutzwürdiges Vertrauen der Arbeitnehmer in
deren Fortbestand zu begründen. Der Senat braucht auch nicht darüber zu befinden, ob für
Arbeitnehmer ebenso wie für Arbeitgeber mit Ablauf der Umsetzungsfrist der ersten
Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996 bereits kein schützenswertes
Vertrauen in den Fortbestand der bisherigen Senatsrechtsprechung mehr bestehen
konnte. Der Kläger hat das Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des
Landesarbeitsgerichts Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (- 12 Sa
486/06 - LAGE BUrlG § 7 Nr. 43) nicht zum Anlass genommen, tätig zu werden.
Spätestens ab diesem Zeitpunkt konnten auch Arbeitnehmer nicht mehr davon ausgehen,
dass die Senatsrechtsprechung zu den Grundsätzen der Unabdingbarkeit des
Urlaubsabgeltungsanspruchs im Fall lang andauernder Arbeitsunfähigkeit unverändert
fortgeführt würde (BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 31, NZA 2011, 1421). Der
Vertrauensverlust betrifft nicht lediglich den einzelnen Aspekt des Erlöschens von
Urlaubsabgeltungsansprüchen bei lang andauernder Arbeitsunfähigkeit, sondern umfasst
auch die Rechtsprechungsgrundsätze zum Nichteingreifen von tariflichen
Ausschlussfristen. Gegen die Gewährung von Vertrauensschutz zugunsten des Klägers
spricht zudem, dass ihm durch die Rechtsprechungsänderung nichts genommen wird, was
ihm bei Fortbestehen der bisherigen Rechtsprechung zugestanden hätte (BAG 9. August
2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 32, aaO). Denn auch nach der bisherigen Rechtsprechung
hätte dem Kläger kein Anspruch auf Urlaubsabgeltung zugestanden. Dieser wäre wegen
der andauernden Arbeitsunfähigkeit nach Ablauf des Übertragungszeitraums zum
31. März 2007 erloschen.
33 II. Die Revision des Klägers ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung
des Klägers gegen das teilweise klageabweisende Urteil des Arbeitsgerichts im Ergebnis
zu Recht zurückgewiesen.
34 1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Abgeltung etwaiger, bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses noch bestehender gesetzlicher Mindesturlaubsansprüche für die
Jahre 2004 und 2005 zu. Die Revision des Klägers rügt zwar zutreffend, dass das
Landesarbeitsgericht der Beklagten insoweit zu Unrecht Vertrauensschutz zugebilligt hat.
Das Berufungsurteil ist jedoch aus anderen Gründen im Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO).
Etwaig entstandenen Ansprüchen auf Urlaubsabgeltung steht jedenfalls § 16 Ziff. 3
Satz 1 MTV entgegen.
35 a) Die Annahme des Landesarbeitsgerichts, die Beklagte genieße hinsichtlich der
Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs Vertrauensschutz, ist
rechtsfehlerhaft.
36 Mögliches Vertrauen privater Arbeitgeber auf den Fortbestand der früheren ständigen
Rechtsprechung zum Verfall des Urlaubsanspruchs gemäß § 7 Abs. 3 BUrlG auch bei
fortbestehender krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit ist seit dem 24. November 1996
nicht länger schutzwürdig und nicht erst - wie das Landesarbeitsgericht angenommen hat -
seit dem Bekanntwerden des Vorabentscheidungsersuchens des Landesarbeitsgerichts
Düsseldorf in der Sache Schultz-Hoff vom 2. August 2006 (- 12 Sa 486/06 - LAGE BUrlG
§ 7 Nr. 43). Die Grundlage des Vertrauens auf die Fortdauer der früheren
Senatsrechtsprechung, die den Verfall von Urlaubs(-abgeltungs)ansprüchen bei
Arbeitsunfähigkeit bis zum Ende des Übertragungszeitraums annahm, war nach Ablauf
der Umsetzungsfrist für die erste Arbeitszeitrichtlinie 93/104/EG am 23. November 1996
zerstört. Dies hat der Senat in seiner Entscheidung vom 23. März 2010 (- 9 AZR 128/09 -
Rn. 96 ff., BAGE 134, 1) festgestellt und eingehend begründet.
37 b) Es kann im vorliegenden Fall offenbleiben, ob auch nach der neuen Rechtsprechung
des Senats insbesondere der Anspruch auf Urlaub für das Jahr 2004 zum Zeitpunkt der
Beendigung des Arbeitsverhältnisses am 30. April 2006 noch Bestand hatte oder bereits
verfallen war. Der EuGH hat in seiner Entscheidung vom 22. November 2011 (- C-214/10 -
[KHS] Rn. 28, 44, NZA 2011, 1333) die Rechtsgrundsätze, die er in der Rechtssache
Schultz-Hoff aufgestellt hat, „nuanciert“. Er geht nunmehr davon aus, Art. 7 Abs. 1 der
Arbeitszeitrichtlinie stehe einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten nicht
entgegen, die die Möglichkeit eines langfristig arbeitsunfähigen Arbeitnehmers, Ansprüche
auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen
Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf
bezahlten Jahresurlaub erlischt. Vor diesem Hintergrund könnte der Senat gehalten sein,
seine mit Urteil vom 24. März 2009 (- 9 AZR 983/07 - BAGE 130, 119) vorgenommene
europarechtskonforme Auslegung bzw. Fortbildung des BUrlG auf das europarechtlich
geforderte Mindestmaß zu beschränken. Indem § 7 Abs. 3 BUrlG einen sehr kurzen
Übertragungszeitraum normiert, gewährleistet das Gesetz eine enge zeitliche Bindung des
Urlaubs an das Urlaubsjahr (vgl. BAG 18. Oktober 2011 - 9 AZR 303/10 - Rn. 19,
NZA 2012, 143). Der darin zum Ausdruck kommende Wille des Gesetzgebers könnte es
gebieten, dass der Urlaubsanspruch bei Arbeitnehmern, die mehrere Bezugszeiträume in
Folge arbeitsunfähig erkrankt sind, nach der kürzesten Frist, die europarechtlich zulässig
ist, verfällt. Bei einer solchen Begrenzung der europarechtskonformen Auslegung bzw.
Rechtsfortbildung wäre zu prüfen, ob der Rechtsprechung des EuGH bereits mit
ausreichender Klarheit zu entnehmen ist, von welcher exakten Dauer der
Übertragungszeitraum nach der Arbeitszeitrichtlinie mindestens sein muss. Eine solche
sofortige Weiterentwicklung der neuen Rechtsprechung zum Verfall von
Urlaubsansprüchen im genannten Sinn könnte allerdings die Grenze der richterlichen
Rechtsanwendung und -fortbildung in unzulässiger Weise überschreiten. Es ist fraglich, ob
die Festlegung der konkreten Länge des Übertragungszeitraums den Gerichten für
Arbeitssachen zukommt oder ob es nach dem Grundsatz der Gewaltenteilung Aufgabe
des Gesetzgebers ist, den entsprechenden Übertragungszeitraum festzulegen (vgl. zu den
Grenzen vertretbarer Auslegung und zulässiger richterlicher Rechtsfortbildung: jüngst
BVerfG 25. Januar 2011 - 1 BvR 918/10 - Rn. 50 ff., BVerfGE 128, 193; dazu Höpfner
NZA 2011, 893, 896 mwN). Zu bedenken sind ferner die Folgen aus der nunmehr vom
EuGH ausdrücklich betonten Verankerung des Urlaubsanspruchs im Primärrecht der
Union (vgl. dazu Stiebert/Pötters EuZW 2011, 960, 961 f.).
38 c) Im Streitfall steht der Geltendmachung dieser Ansprüche jedenfalls § 16 Ziff. 3
Satz 1 MTV entgegen. Soweit am 30. April 2006 mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses
gemäß § 7 Abs. 4 BUrlG Ansprüche auf Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs aus
den Vorjahren entstanden waren, wahrte der Kläger die tarifliche Ausschlussfrist nicht.
Denn die erstmalige Geltendmachung erfolgte mit Schreiben vom 15. Juli 2009 (vgl. oben
unter A I).
39 2. Dem Kläger steht auch kein Anspruch auf Abgeltung etwaiger, bei Beendigung des
Arbeitsverhältnisses noch bestehender Ansprüche auf Schwerbehindertenzusatzurlaub
zu. Die Revision des Klägers rügt zwar zutreffend, das Landesarbeitsgericht habe zu
Unrecht angenommen, der Urlaubsanspruch nach § 125 SGB IX sei trotz der langjährigen
Arbeitsunfähigkeit des Klägers nach § 7 Abs. 3 Satz 3 BUrlG spätestens am 31. März des
jeweiligen Folgejahres verfallen. Das Berufungsurteil ist jedoch aus anderen Gründen im
Ergebnis zutreffend (§ 561 ZPO). Etwaig entstandenen Ansprüchen auf Abgeltung des
Schwerbehindertenzusatzurlaubs steht § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV entgegen.
40 a) Auf den Zusatzurlaub nach § 125 SGB IX sind die Vorschriften über die Entstehung,
Übertragung, Kürzung und Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs anzuwenden.
Auch der Schwerbehindertenzusatzurlaub ist daher nach der neueren
Senatsrechtsprechung abzugelten, wenn der Arbeitnehmer bis zum Ende des
Übertragungszeitraums arbeitsunfähig ist (BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 69,
71, BAGE 134, 1). Der Zusatzurlaubsanspruch nach § 125 Abs. 1 Satz 1 SGB IX teilt das
rechtliche Schicksal des Mindesturlaubsanspruchs, es sei denn tarifliche oder
einzelvertragliche Bestimmungen sehen für den Arbeitnehmer günstigere Regelungen vor.
Der Arbeitgebern zu gewährende Vertrauensschutz geht nicht weiter als bei dem
Mindesturlaubsanspruch nach dem BUrlG (vgl. BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 -
Rn. 72 ff., aaO).
41 b) Soweit am 30. April 2006 mit Beendigung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 7
Abs. 4 BUrlG Ansprüche auf Abgeltung des Schwerbehindertenzusatzurlaubs aus den
Vorjahren entstanden waren, sind sie verfallen. Aus der Anwendbarkeit der Vorschriften
über die Abgeltung des gesetzlichen Mindesturlaubs folgt notwendig, dass es sich auch
bei dem Anspruch auf Abgeltung des Zusatzurlaubs nach § 125 SGB IX um einen
einfachen Geldanspruch handelt, auf den tarifliche Ausschlussfristen Anwendung finden.
Die erstmalige Geltendmachung mit dem Schreiben vom 15. Juli 2009 hat die
Ausschlussfristen des anwendbaren § 16 MTV nicht gewahrt (vgl. oben unter A I).
42 3. Entgegen der Rechtsansicht der Revision des Klägers hat das Landesarbeitsgericht
rechtsfehlerfrei angenommen, dass der Kläger die Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs
innerhalb der Frist von zwei Monaten nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses hätte
geltend machen müssen. § 16 MTV erfasst aufgrund seiner weiten Formulierung auch
Ansprüche auf Abgeltung des tariflichen Mehrurlaubs. Der tarifliche Mehrurlaub und
dessen Abgeltung unterfallen weder dem tariflich unabdingbaren Schutz der §§ 1, 3
Abs. 1, § 13 Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie. Einem tariflich
angeordneten Verfall des übergesetzlichen Urlaubsanspruchs und seiner Abgeltung steht
nach dem klaren Richtlinienrecht und der gesicherten Rechtsprechung des EuGH kein
Unionsrecht entgegen (BAG 9. August 2011 - 9 AZR 365/10 - Rn. 13 mwN, NZA 2011,
1421). Die Tarifvertragsparteien können Urlaubs- und Urlaubsabgeltungsansprüche, die
den von Art. 7 Abs. 1 der Arbeitszeitrichtlinie gewährleisteten und von §§ 1, 3 Abs. 1 BUrlG
begründeten Anspruch auf Mindestjahresurlaub von vier Wochen übersteigen, frei regeln
(BAG 23. März 2010 - 9 AZR 128/09 - Rn. 19, BAGE 134, 1).
43 4. Die Revision des Klägers rügt ebenso ohne Erfolg, dass das Landesarbeitsgericht
angenommen hat, seinen Ansprüchen auf Zahlung von tariflichem Urlaubsgeld iSd.
UrlaubsTV stehe ebenfalls § 16 Ziff. 3 Satz 1 MTV entgegen.
44 a) Es kann offenbleiben, ob der Kläger nach § 4 Abschn. II UrlaubsTV für die gesetzlichen
Zusatzurlaubstage nach § 125 SGB IX ein zusätzliches Urlaubsgeld zu verlangen
berechtigt war. Bedenken hiergegen bestehen insoweit, als der Wortlaut des § 4 Abschn. II
Ziff. 1 UrlaubsTV allein auf tarifliche Urlaubstage abstellt und § 3 Ziff. 3 UrlaubsTV zudem
bestimmt, dass sich der Zusatzurlaub für Schwerbehinderte nach den gesetzlichen
Bestimmungen „regelt“, die kein zusätzliches Urlaubsgeld vorsehen (vgl. zum zusätzlichen
Urlaubsgeld für „genommenen“ tariflichen Urlaub nach § 13 Rahmentarifvertrag
Betonsteingewerbe Nordwestdeutschland vom 14. September 1993: BAG 17. November
1998 - 9 AZR 507/97 - zu I 2 b der Gründe, AP TVG § 1 Tarifverträge: Betonsteingewerbe
Nr. 6 = EzA TVG § 4 Betonsteingewerbe Nr. 1).
45 b) § 16 MTV ist auch auf das tarifliche Urlaubsgeld anzuwenden. Schon nach der früheren
Rechtsprechung unterlag der Anspruch auf (zusätzliches) Urlaubsgeld - ebenso wie der
Anspruch auf Urlaubsentgelt - als Zahlungsanspruch aus dem Arbeitsverhältnis den
tariflichen Ausschlussfristen und konnte verfallen, wenn der Arbeitnehmer die Ansprüche
nicht fristgerecht geltend machte (vgl. BAG 22. Januar 2002 - 9 AZR 601/00 - zu A II 4 c
der Gründe, BAGE 100, 189; 11. April 2000 - 9 AZR 225/99 - zu I 3 der Gründe, AP TVG
§ 1 Tarifverträge: Luftfahrt Nr. 13 = EzA TVG § 4 Luftfahrt Nr. 4; vgl. ferner AnwK-
ArbR/Düwell 2. Aufl. § 11 BUrlG Rn. 69; ErfK/Gallner § 11 BUrlG Rn. 35).
46 Unabhängig davon, ob das zusätzliche Urlaubsgeld nach § 4 Abschn. II UrlaubsTV eine
von der Urlaubsnahme unabhängige Gratifikation oder eine zum Urlaub akzessorische
Sonderzahlung darstellt (vgl. zu dieser Differenzierung: BAG 12. Oktober 2010 - 9 AZR
531/09 - Rn. 22 ff., AP TVG § 1 Tarifverträge: Dachdecker Nr. 9 = EzA BUrlG § 7 Nr. 122;
19. Mai 2009 - 9 AZR 477/07 - Rn. 15 mwN, DB 2009, 2051), steht der Anwendung
tariflicher Ausschlussfristen weder der Unabdingbarkeitsschutz der §§ 1, 3 Abs. 1, § 13
Abs. 1 Satz 1 BUrlG noch derjenige des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie entgegen. Das
zusätzliche Urlaubsgeld stellt, auch soweit es zum gesetzlichen Mindesturlaub hinzutritt,
eine reine Geldforderung dar. Es unterfällt von vornherein weder dem
Unabdingbarkeitsschutz des gesetzlichen Mindesturlaubs nach § 13 BUrlG noch dem
Schutz des Art. 7 der Arbeitszeitrichtlinie, da es sich um eine darüber hinausgehende
weder vom BUrlG noch von der Arbeitszeitrichtlinie garantierte zusätzliche Leistung
handelt. Vor diesem Hintergrund sind die Tarifvertragsparteien frei, zusätzliches
Urlaubsgeld tariflichen Ausschlussfristen zu unterwerfen.
47 B. Der Kläger hat gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seiner erfolglosen Revision und als
unterlegene Partei gemäß § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
Krasshöfer
Suckow
Klose
Mehnert
Neumann